Summertime, and living learning is isn’t easy
Nachgestellte Szene: Beim Austauschforum wird Wert auf Anonymität gelegt. Screenshot Zoom.
Studienstart während Corona? Aller Anfang ist schwer, besonders Lernstrategien wollen gelernt sein. Um die Stimmung abzutasten habe ich mit einer Medizinstudentin im 2. Semester gesprochen und auf einer Austauschplattform der Uni Tipps gegen den Motivationsblues ergattert.
Teil 1 – Studium nur für Selbstdisziplinierte
Jil Bürki hatte schon ein Jahr lang in Genf studiert, bevor sie sich dazu entschieden hat, an der Uni Bern Medizin zu studieren. Statt Masken im Operationssaal erwartete die 23-Jährige die Maskenpflicht im Hörsaal und nach wenigen Wochen Teilzeit-Präsenzunterricht gar nur noch Zoom zuhause vor dem Bildschirm. Keine Spur von Kennenlern-Apéros oder Fachschaftsparties, die sie sich eigentlich erhofft hätte: «Ich kenne im Moment insgesamt sieben Personen mit Namen und weiss etwas mehr über sie.» Die besagten Personen sind in derselben Lerngruppe wie Jil. Diese wird auf Initiative der Fakultät zu Beginn jeden Jahres gebildet und liefert den Medizinstudis einen Ankerpunkt um mit Kommiliton*innen in Kontakt zu kommen. Sei es für Unibelange oder, wenn es gut läuft, auch für Freizeitaktivitäten. «Ich hatte viel Glück, wir sind alle sehr offen und umgänglich. Wir waren auch mal ‹Es Kafi trinke›, als das erlaubt war – natürlich draussen mit allen Coronamassnahmen.» Dass der Studienstart ohne diese Kontaktbasis besonders dann schwierig wird, wenn Bern nicht die Heimatstadt ist oder keine bekannten Gesichter in den Zoom-Meetings erscheinen, ist selbsterklärend.
«Du bist in deinen vier Wänden oder gehst allein in die Bibliothek» – Jil Bürki
Als grösstes Problem während des Online-Studiums erachtet Jil den unstrukturierten Alltag. Der theoretische Stundenplan lässt sich mit Podcast-Lösungen nicht immer einhalten: «Die Podcasts kommen entweder einen Tag, oder bei technischen Problemen auch mal eine Woche später. Das braucht zehnmal mehr Selbstdisziplin.» Auch die Interaktion mit anderen Studis fällt fast gänzlich weg: keine Pausengespräche und auch kein Weg in den Hörsaal, um schmerzlich vermisste Belanglosigkeiten auszutauschen. Und nicht nur die sozialen Kontakte, auch die Lerninhalte gehen unter diesen Bedingungen schneller verloren. Die Hemmschwelle, Fragen zu stellen, ist viel höher oder bei Podcasts teils gar nicht gegeben. Das macht es für mich schwieriger, den Inhalten geistig zu folgen, als wenn andere Studis auch konzentriert im Hörsaal sässen; es geht wortwörtlich um die Lernatmosphäre. «Du bist in deinen vier Wänden oder gehst allein in die Bibliothek», so Jil, «da braucht es einen sehr gesunden Menschenverstand und Disziplin, um zu wissen, wann du Pause machen solltest.» Arbeiten könnte sie schliesslich immer, jetzt wo sie keine fixen Uhrzeiten und Pausen mehr habe. Das andere Extrem, den Absprung vom Pause machen zum Lernen nicht zu finden, mag ebenso schwer sein.
«Ob es die gesparte Zeit Wert ist, ist schlussendlich die Frage.» – Jil Bürki
Auf die Frage, ob sie durch die Online-Lösung Zeit spare, wägt Jil Bürki ab. Tatsächlich fielen pro Strecke über eine Stunde Wegzeit weg, auch hätte sie keine ungenutzten Wartezeiten zwischen Vorlesungen und Praktika oder Zugverbindungen mehr. Bei Podcasts könne sie die Zusammenfassung gleich dazu schreiben und spare sich den Mehraufwand später – jedoch käme es auch vor, dass Professor*innen statt 45 Minuten auch anderthalb Stunden lang erklären, schliesslich brauche niemand den Saal nach ihnen. «Unterm Strich spare ich also schon etwas Zeit. Aber ob es die gesparte Zeit Wert ist, all das andere Drumherum aufzugeben, ist schlussendlich die Frage.»
Trotz aller Nachteile empfindet Jil die Prüfungen an der medizinischen Fakultät als gerecht und fühlt sich gut vorbereitet, wie sie in unserem Gespräch betont. Um selbst Lösungen auf angesprochene Probleme zu bekommen, klinke ich mich beim Online-Austauschforum «Wie läuft es bei dir?» ein.
Teil 2 – Prüfungstipps in der Zoom-Ära
Alle zwei Wochen am Freitag um 13 Uhr können Studis dem Austauschforum via Zoom beitreten. Dr. Barbara Studer von Synapso, der Fachstelle für Lernen und Gedächtnis, steht als professionelle Ansprechperson im Forum bereit. Dort möchte ich der Sache auf den Grund gehen, wie es anderen Studis neben Jil mit der Situation geht.
Mit einem mulmig-neugierigem Bauchgefühl logge ich mich ins Zoom-Meeting ein: Ausser mir sind noch sechs weitere Menschen im Zoom-Meeting. Es ist 12:58 Uhr und Dr. Barbara Studer unterhält sich noch freundlich mit einer Teilnehmerin. Anonymität ist hier gewährleistet. Wer möchte, kann auch im Chat mitreden, ohne Kamera oder Ton aktivieren zu müssen. Auch muss niemand den eigenen Namen bei Zoom eingeben.
Das Gespräch ergibt sich erstaunlich natürlich, zu Beginn können alle Teilnehmenden, die wollen, kurz erzählen wie ihr Tag bisher war und welche Emotionen sie erlebt haben. Danach sprechen wir über aktuelle Probleme oder auch positive Entwicklungen, die wir in letzter Zeit bei uns bemerkt haben. Im Forum lassen wir Platz für bedrückende Erfahrungsberichte sowie allgemeine Lacher. Dass beidem Raum gegeben wird, ist wichtig. Barbara Studer ermuntert jedoch dazu, nicht in den Gefühlen stehen zu bleiben: «Ich bin nicht die Emotion, ich habe die Emotion.» Will heissen: Aktuell bin ich vielleicht gerade frustriert, traurig oder demotiviert, aber dieses Gefühl determiniert mich nicht, ich kann meine Gefühle proaktiv beeinflussen. Ob ich dafür die Situation neu (und zu meinem Besseren) evaluiere oder einer aufmunternden Tätigkeit nachgehe, die mich ein Kontrollgefühl erfahren lässt, ist dabei nebensächlich.
Der ganze Studiengang musste vor der Geräuschkulisse eines startenden Düsenjets mathematische Beweise aufzeigen.
Ein grosses Thema dieser Sitzung sind die anstehenden Prüfungen. Zu Beginn des Semesters, wo genug Zeit gewesen wäre, sich auf eine bestimmte Prüfungsmodalität einzustellen, wurden Fragen diesbezüglich noch nicht von allen Dozierenden gleichermassen ernst genommen. Mit den Lösungen aus dem letzten Semester sind auch nicht alle zufrieden: Die genauen Bedingungen wurden teils erst zwei Wochen vor dem Prüfungstermin kommuniziert und manche Institute bestanden auf eine Überwachung der Studierenden mit eingeschalteter Kamera und Mikrofon. Tatsächlich fanden sich die Studis dann während der Prüfung in einer Zoom-Konferenz wieder, in der niemand das Mikrofon deaktivieren durfte. Dadurch konnte nicht nur der*die Besitzer*in des uralten Laptops dessen enorm leistungs- und lautstarke Lüftung bezeugen, sondern musste der ganze Studiengang vor der Geräuschkulisse eines startenden Düsenjets mathematische Beweise aufzeigen. Neben aller Kritik ist aber auch wieder Platz für Humor, Einsicht und konstruktiven Austausch – zumal Barbara Studer auch die Perspektive einer Dozierenden einbringen kann.
Die Hürden, auf die Jil gestossen ist, können die anderen Studis hier auch bezeugen: Zeit sparen ist nicht möglich, wenn Podcasts Überlänge bekommen, und die permanente Verfügbarkeit von Wissensinhalten ohne Freizeittermine macht es schwer, einen Schlussstrich zu ziehen, um sich Pausen zu gönnen. All das braucht ungewohnt hohe Dosen an Selbstdisziplin. Um als Studi Kontrolle über den Alltag ausüben zu können, ist Prioritäten setzen ein Muss. «Es ist ein super erster Schritt, wenn du dir deiner Situation bewusst wirst und sie als schwierig anerkennst», erklärt Barbara Studer. Nötig seien jetzt gute Strategien, «indem du zum Beispiel mit anderen einen Plan definierst, den ihr einhalten wollt und euch damit gegenseitig Rechenschaft schuldig seid.» So einen Plan lässt sich für ein Semester oder die kommende Lernphase aufstellen, die in Wochen und Tage aufgeteilt und beispielsweise alle Mittwoche bis zur Prüfung einem Fach X zugewiesen werden. «Dann guckst du, wie du diese Tage geschickt mit dem Stoff füllen kannst. Und ganz wichtig: Wie kannst du Pausen einplanen?» Hier sei es besonders wichtig, sich zu überlegen, wie ich die Pausen verbringen will, so Studer. Möchte ich an meinem Handy hängen oder verabrede ich mit mich jemandem – auch nur für ein Telefonat? Denn kein Mensch kann 24/7 ohne Pause produktiv arbeiten. «Das Ziel ist hier, Panik zu vermeiden, denn die blockiert», betont Studer.
Im Zusammenhang mit sozialen Kontakten sind wir uns einig, dass wir ebenfalls froh um a priori gebildete Lerngruppen wären, wie Jil sie auch schätzt. «Wenn Studierende sich zum Stoff austauschen können und müssen, verfolgen sie die Veranstaltung mit mehr Interesse und Wissen», so eine Teilnehmerin. Aber auch das Belanglose fehle: Sich in der Vorlesung neben eine unbekannte Person zu setzen und nach Studienfach und Namen zu fragen, war schon zu Präsenzzeiten mit Abstandsregelung schwer – jetzt wildfremde Menschen privat über Zoom anzuschreiben scheint auch nicht die rettende Option. Dieser ach so verpönte Smalltalk liefere unserem Hirn Inspiration, die aktuell fehle, erklärt Studer: «Unser Hirn ist danach wieder bereit zu lernen und neuen Stoff anzugehen. Wir müssen diese Inspiration jetzt aktiv suchen. Früher konnten wir das passiv konsumieren.» Es hilft beispielsweise, in die Natur oder ins Museum oder Kino zu gehen, um uns wieder zu inspirieren und zu motivieren.
«Davon profitieren wir noch ein Leben lang!» – Dr. Barbara Studer
Alles führt schlussendlich zum Problem der Struktur im Homeoffice. Auch wenn Zoom-Sitzungen zumindest bei uns im Austauschforum mehr geschätzt werden als Podcasts, verlangen sie uns Aufmerksamkeitsressourcen und Disziplin ab, die für die Lernblöcke ausserhalb der festen Unitermine fehlen. Barbara Studer spricht davon, sich eine Kämpfer*innenhaltung zuzulegen: «Wir haben jetzt auch die Chance fürs Training metakognitiver Fähigkeiten, davon profitieren wir noch ein Leben lang!» Es geht vor allem um ein Erfolgserlebnis. Denn, wenn ich diesen Berg an Arbeit geschafft habe, der sich vor mir aufgetürmt hat, dann kann ich sehr stolz sein. Jedoch, so Studer, durchlebten wir aktuell unfreiwillig auch ein Intensivtraining für Selbstwirksamkeits- und Managementfähigkeiten, «ich verstehe, dass die Motivation mal im Keller ist.» Im Forum sind wir uns einig: Um die Motivation wieder in Schwung zu bringen, könne ein Zoom-Meeting mit Kamera bereits helfen, da wir uns so insgeheim verpflichten uns zurechtzumachen – und dann auch aktiver arbeiten. Und falls niemand die Kamera aktiviert, oder es aufgrund mangelnder Internetstabilität nicht möglich ist, liefert die gewonnene Privatsphäre eine Chance, Balanceübungen zu machen. Eine andere Teilnehmerin berichtet: «Ich laufe gern mit Bluetooth-Kopfhörern durch die Wohnung, um mir zur Vorlesung einen Tee zu kochen und mich zu bewegen.»
Nach einer guten Stunde Erfahrungsaustausch, herzhaften Lachern sowie kollektivem Jammern, um sich anschliessend wieder Mut zuzusprechen, landen wir beim digitalen Alltag, und wie wir diesen nach Corona vielleicht wieder abzulegen lernen müssen. Frei nach dem Motto «Ich habe die Emotion, ich bin nicht die Emotion» ermuntert uns Barbara Studer ein letztes Mal, nicht in unseren negativen Gedanken zu verharren. Und wenn ich grade demotiviert bin, ist das kein dauerhafter Zustand, sondern ein momentanes Empfinden, aus dem ich rausfinden kann. Wir verabschieden uns. Meeting beenden. Ich klappe den Laptop mit einem Gefühl der Erleichterung zu.
Das Angebot des Austauschforums gibt es seit dem Herbstsemester 2020. Der nächste Termin ist der 14. Mai 2021. Weitere Infos zu Lerntipps gibt’s auf Unibe.ch, bei der Beratungsstelle der Berner Hochschulen und bei Synapso. Und für Digital Natives, die weniger nach Beratung und mehr nach Selbsthilfe suchen, finden hier ein paar hilfreiche Apps & ein kurzer How-To-Guide:
Digitale Karteikarten
– AnkiApp Flashcards
– Tinycards
Abruf
– Card2brain
– Quizlet
– Cerego
– Simple Club
Pausen machen & Produktivität
– Pomo Timer
– Focus Keeper
– Productivity Timer
– Forest
Die Arbeit türmt sich auf und die Zeit rennt davon: Wenn sich dieses Gefühl einstellt, kann es sich nur um eine nahende Prüfungsphase handeln. Hier ein paar Tipps, was dir helfen könnte zu tun:
1. Verschaff dir einen Überblick: wie viele Tage oder Wochen habe ich bis zur Prüfung? Wie viel Stoff muss ich bis dahin gelernt haben? Verteile den Stoff realistisch. Tipps zum Planen findest du hier.
2. Plane Pausen ein: wann sackt meine Konzentration ab? Welche Aktivitäten kommen für eine kurze oder längere Pause infrage? Womit möchte ich meinen Tag abschliessen? Zum Kopf frei bekommen eignen sich Spaziergänge prima – suchst du Inspiration, tut es vielleicht ein Museumsbesuch oder ein Gespräch auf Augenhöhe unter vertrauen Menschen.
3. Tricks dich in den Lernmodus: kannst du deinen Stoff durchgehen und dich dazu bewegen? Auf einem Bein stehen? Durch’s Zimmer laufen und dir Zusammenhang X laut erklären? Falls du unmotiviert bist, versuch dir den Stoff schmackhaft zu machen. Frag dich: Welche Vorteile ergeben sich mir beim Lernen der Inhalte? Wie deckt der Stoff sich mit meinem Interesse am Studienfach ab?
4. Belohne dich und stärke dein Selbstvertrauen: gönn dir genug Pausen zum Abschalten – vielleicht findest du ein wohltuendes Abendritual? Schreibe dir auf, was du schon alles (in Bezug auf die anstehende Prüfung) erreicht hast.
5. Morgen ist die Prüfung? Dann fange keinen dir unbekannten Stoff an. Das Ziel ist, mit einem Gefühl der Sicherheit in die Prüfungssituation zu gehen. Alles, was deine gelernten Inhalte jetzt noch durcheinander bringen könnte, ist ratsam zu meiden. Du bist dir in manchem noch nicht sicher? Dann nimm dir 1-2 Stunden Zeit zu repetieren und schliesse diesen Tab.
text: julia beck
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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #24 Mai 2021
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