Studiratswahl? Allen egal.

09. März 2025

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Alle zwei Jahre können die Mitglieder der SUB den Studierendenrat wählen. Der Grossteil der Studierenden der Universität Bern macht von diesem Recht jedoch keinen Gebrauch. Auch in der nationalen Politik wird jungen Menschen nachgesagt, nicht wählen zu gehen. Was es mit diesem Phänomen auf sich hat und was dagegen unternommen werden kann und soll.

Wahlbeteiligung im Sinkflug 

Als 1976 die ersten Wahlen des Studierendenrats (SR) der Universität Bern stattfanden, lag Enthusiasmus in der Luft. 42.6 Prozent aller Wahlberechtigten nahmen an der Wahl teil. Doch schon bald ging es steil nach unten mit der Partizipation bei den SR-Wahlen. 2013 war schliesslich der Tiefpunkt bei 9 Prozent erreicht.  

In den folgenden Wahlen stieg die Beteiligung zwar wieder ein wenig an, hoch ist sie aber nach wie vor nicht. Bei den letzten Wahlen, die im Jahr 2023 stattfanden, lag die Wahlbeteiligung erneut bei desillusionierenden 13.83 Prozent, was nur gerade 1’575 von 11’389 wahlberechtigten Studierenden entspricht. 

Auch an anderen Schweizer Universitäten lässt sich eine tiefe Wahlbeteiligung bei den SR-Wahlen feststellen. An der Universität Zürich wählten 2023 nur 11.9 Prozent der Studierenden ihren Rat. An der Universität Freiburg lag die Wahlbeteiligung bei den SR-Wahlen 2024 bei nur gerade 10.6 Prozent. Die Universität Luzern kam bei den Wahlen 2024 immerhin auf eine Beteiligung von 21.29 Prozent. Berauschend ist aber auch diese Zahl nicht.

«Bei den letzten SR-Wahlen, die 2023 stattfanden, lag die Wahlbeteiligung bei desillusionierenden 13.83 Prozent.» 

Nur ein kleiner Bruchteil aller Studierenden nimmt an den SR-Wahlen teil.

Höhere Beteiligung auf nationaler Ebene 

Auf nationaler Ebene ist die Beteiligung an Wahlen im Allgemeinen deutlich höher. An den Nationalratswahlen im Jahr 2023 nahmen 46.6 Prozent aller Wahlberechtigten teil.  Früher lag die Wahlbeteiligung teilweise sogar weit über 50 Prozent. Selbst die tiefste Beteiligung, die im Jahr 1995 erreicht wurde, lag bei 42,2 Prozent.  

Die Wahlbeteiligung unterscheidet sich von Kanton zu Kanton stark. Während sie bei den Wahlen 2023 in Schaffhausen, der als einziger Kanton eine Stimmpflicht kennt, bei 61.6 Prozent lag, nahmen in Appenzell Innerrhoden nur gerade 24.5 Prozent aller Wahlberechtigten an den Nationalratswahlen teil. Abgesehen von einzelnen Ausreissern unter den Kantonen zeigt sich im Durchschnitt eine deutlich höhere Wahlbeteiligung an nationalen Wahlen als an den SR-Wahlen der Universität Bern. Warum ist das so? Weshalb interessiert sich kein Mensch für die SR-Wahlen? Diese Frage hat mich umgetrieben. 

Politisch, aber anders 

Auf der Suche nach Antworten, kommt mir, beeinflusst durch das Narrativ der Medien, sofort eine These in den Sinn: Junge Menschen interessieren sich generell weniger für Politik und beteiligen sich daher kaum an Wahlen. 

Ob diese breite Auffassung stimmt, frage ich Marc Bühlmann, der seit 2013 Professor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern ist.  

Ja und nein, antwortet er mir. Auch wenn meine These nicht völlig falsch sei, greife sie zu kurz.  Zwar stimme es, dass sich in der institutionalisierten Partizipation, das heisst bei Wahlen und Abstimmungen, grosse Unterschiede zwischen den Altersklassen feststellen lassen. Junge Menschen gehen weniger abstimmen und wählen als ältere Menschen. Allein daraus dürfe aber nicht geschlossen werden, dass sich junge Menschen nicht für Politik interessieren. Sie partizipieren auf andere Weise, gehen etwa an Demos oder bekleben ihre Laptops mit provokanten Stickern. Dass sich junge Menschen oft durch diese sogenannte nicht-institutionalisierte Partizipation politisch bemerkbar machen, rühre daher, dass sie das Gefühl haben, Abstimmen und Wählen bewirke ohnehin kaum etwas. 

Bühlmann stellt fest, dass sich junge Menschen zwar weniger an Wahlen und Abstimmungen beteiligen, politische Entscheidungen fällen sie aber trotzdem. Selbst alltäglich wirkende Handlungen haben oft einen politischen Kern, erklärt der Direktor von Année Politique Suisse, der Chronik zur Schweizer Politik. Politik fange schon beim Zähneputzen an. «Ob ich mir am Morgen die Zähne mit einer Plastikzahnbürste oder mit einer Holzzahnbürste putze, ist bereits eine politische Entscheidung», führt er aus. Auch bestimmte Läden, Restaurants oder Produkte zu boykottieren, sei eine politische Verhaltensweise, die jüngere Menschen öfter zeigen als ältere.  

Ich fasse zusammen: Jüngere Menschen interessieren sich nicht generell weniger für Politik und sie beteiligen sich auch nicht grundsätzlich weniger an der politischen Entscheidungsfindung, einfach anders. Um auf meine anfängliche These zurückzukommen, stimmt es aber zumindest, dass sich jüngere Menschen, zu denen der Grossteil der Studierenden gehört, institutionalisiert weniger beteiligen. Dass die Wahl des SR eine solche institutionalisierte Partizipation darstellt, ist somit ein erster Grund dafür, dass die Partizipation so tief ist.  

«Wenn ich finde, es ist alles gut, so wie es ist, fühle ich mich nicht betroffen und gehe auch nicht wählen.» 

Keine Betroffenheit, keine Partizipation 

Mit dieser Antwort gebe ich mich noch nicht zufrieden. Ich will besser verstehen, weshalb die SR-Wahlen an den meisten Studierenden komplett vorbeigehen.  

Dass junge Menschen ungern institutionalisiert partizipieren, sei nicht die einzige Begründung dafür, dass die Wahlbeteiligung bei den SR-Wahlen so tief sei, sagt mir Bühlmann. Politische Partizipation habe viel mit politischem Interesse zu tun. Die geringe Wahlbeteiligung bei den SR-Wahlen weise darauf hin, dass das Interesse von Studierenden an Universitätspolitik nicht sonderlich hoch sei. 

Damit einher gehe der zweite Faktor, der sich massgeblich auf die Partizipation an Wahlen und Abstimmungen auswirke – die Betroffenheit: «Wenn ich finde, es ist alles gut, so wie es ist, fühle ich mich nicht betroffen und gehe auch nicht wählen. Wenn ich mich aber unfair behandelt fühle, informiere ich mich, wie ich meine Interessen durchsetzen kann und gehe wählen», so Bühlmann. Dass sich viele Studierende nicht an den SR-Wahlen beteiligen, und sich somit nicht betroffen fühlen, könne dafürsprechen, dass die Universität vieles richtig mache und sich die Studis gar keine Veränderung wünschen. Die tiefe Wahlbeteiligung könne aber auch dahingehend ausgelegt werden, dass die Studierenden mit den Entscheidungen und dem Engagement des SR zufrieden sind und deshalb an der Zusammensetzung des Gremiums nichts ändern wollen. Was davon stimmt, sei eine Frage der Perspektive. Die Wahrheit liege wohl irgendwo dazwischen.  

Als dritter Faktor, der sich auf die Wahl- oder Abstimmungsbeteiligung auswirkt, nennt mir Bühlmann die (fehlende) Aufmerksamkeit. Bei Abstimmungen auf nationaler Ebene lasse sich beispielsweise gut feststellen, dass die Stimmbeteiligung daran gekoppelt sei, wie stark das Thema von den Medien aufgegriffen und hochgeschaukelt werde. Von der Hornkuh-Initiative seien zum Beispiel nur wenige Menschen betroffen gewesen. Das Thema wurde in den Medien aber so intensiv thematisiert, dass die Stimmbeteiligung trotzdem erstaunlich hoch war.  

Die tiefe Partizipation kann ein Indiz für die Zufriedenheit der Wahlberechtigten sein.

Zuckerbrot oder Peitsche 

Nachdem ich die Gründe für die tiefe Wahlbeteiligung bei den SR-Wahlen in Erfahrung gebracht habe, nimmt es mich wunder, wie die SUB die Wahlbegeisterung der Studierenden neu entfachen könnte. 

Dass das Erzeugen von Medienereignissen, die Partizipationszahlen in die Höhe schiessen lassen würde, leuchtet mir ein. Da die SUB aber nicht vorhat, das ganze Hauptgebäude grün zu bemalen, die Unileitung zu entführen oder alle Bäume auf dem Plantanenhof zu fällen, ist bis im März wohl nicht mit massenhaften Schlagzeilen über die SUB zu rechnen. 

Bühlmann hilft mir beim Brainstormen. Eine Möglichkeit, die Stimmbeteiligung ankurbeln, wäre natürlich, eine Stimmpflicht einzuführen, wie sie der Kanton Schaffhausen kennt, meint er. Er verwirft den Vorschlag aber gleich wieder. Die Umsetzbarkeit sei das Problem. Eine Geldstrafe für Personen einzuführen, die der Wahlpflicht nicht folgen, wäre nicht verhältnismässig und würde mehr Aufwand als Nutzen generieren. Und auch eine anderweitige Bestrafung, wie etwa der Abzug von ECTS-Punkten bei der Stimmverweigerung, würde bei den Studierenden kaum gut ankommen.   

Denkbar findet Bühlmann aber zum Beispiel ein Anreizsystem. So steige die Partizipation erfahrungsgemäss bei Gemeindeversammlungen, bei denen im Anschluss ein Apéro für alle Teilnehmenden offeriert werde. 

Am effektivsten wäre für die SUB aber wohl, sich sichtbar(er) zu machen. Das könnte zum Beispiel erreicht werden, indem sie an Einführungsveranstaltungen oder am Bachelor-Infotag einen prominenteren Slot bekommen würde.   

Eine tiefe Wahlbeteiligung ist nicht unbedingt schlimm», sagt Marc Bühlmann.

Alles beim Alten  

Am Ende meiner Recherche angekommen, muss im zum Schluss kommen, dass die Erfolgsaussichten auf eine deutlich höhere Stimmbeteiligung bei den nächsten SR-Wahlen gering sind. 

Ich frage Bühlmann, ob eine tiefe Partizipation denn überhaupt schlimm sei. Sein Nein kommt wie aus der Pistole geschossen. Als ich ihn etwas ungläubig anschaue, präzisiert er seine Antwort: Unter dem Gesichtspunkt, dass das Wahlrecht stets auch das Recht beinhalte, nicht zu partizipieren, sei eine tiefe Wahlbeteiligung nicht schlimm, erklärt er. Niedrige Partizipation könne immer auch als ein Zeichen von Zufriedenheit der Wahlberechtigten gewertet werden.  

Stirnrunzelnd frage ich ihn, weshalb der Kanton Schaffhausen sich denn für eine Partizipationspflicht entschieden habe, wenn es doch ohnehin egal sei, dass kein Mensch wählen gehe. «Aus demokratiepolitischer Perspektive kann eine tiefe Partizipation bei Wahlen schon als schlecht bezeichnet werden», antwortet er, «gerade bei nationalen Wahlen gehen plakativ gesprochen vor allem alte, weisse, politikinteressierte Männer wählen. Dadurch werde nur eine Art von Präferenzen abgebildet.» Durch eine Partizipationspflicht können die Präferenzen der Wahlberechtigten gleichmässiger abgebildet werden. Zudem habe das Beispiel Schaffhausen gezeigt, dass sich die Wahlberechtigten auch mehr informieren, wenn sie zur politischen Partizipation gezwungen werden. Das wiederum führe oft zu einem höheren Interesse an der Politik.  

Als ich wieder zu grübeln beginne, ob es nicht doch eine Möglichkeit wäre, eine Wahlpflicht für die SR-Wahlen einzuführen, bremst mich Bühlmann: Die Taktik der Partizipationspflicht könne leicht ins Auge gehen, gibt er zu Bedenken. Gerade bei Partizipationspflichten, die Verstösse mit hohen Strafen sanktionieren, könne dies den Effekt haben, dass die Menschen einfach irgendetwas abstimmen oder wählen, das im Endeffekt überhaupt nicht ihren Präferenzen entspricht. Das wäre dann aus demokratiepolitischer Sicht völlig widersinnig. Bühlmann hält fest: Zwang könne zwar helfen, gleichmässigere Repräsentation herzustellen und das politische Interesse der Wahlberechtigten und -verpflichteten anzukurbeln, könne aber auch dazu führen, dass das Gegenteil erreicht werde, weil die Menschen sich nicht mit der Materie auseinandersetzen wollen und in der Folge einfach unüberlegt wählen.  

Studiratswahl? Nicht egal! 

Eine Wahlpflicht wäre nach dem Gesagten wohl kaum zielführend. Auch wenn wir dich somit nicht zwingen wollen, bei den nächsten Studierendenratswahlen wählen zu gehen – mach es doch trotzdem. Vom 24. März bis zum 14. April 2025 hast du die Chance, deine Legislative zu wählen. 

In der letzten Ausgabe der BSZ findest du eine Übersicht über die Fraktionen und ihre politische Ausrichtung. Da ist sicher auch etwas für dich dabei. Oder in den Worten von Bühlmann, da gibt es bestimmt auch Kandidierende, die deine «politischen Präferenzen» abbilden. Für eine möglichst akkurate Abbildung der Präferenzen der Studierenden der Uni Bern im SR braucht es deine Stimme.  

Du kannst deine Stimme für die SR-Wahlen ganz einfach online abgeben.

text: noëlle schneider
illustrationen: yema salzmann

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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #39 März 2025

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