Standpunke: Zum Wert von Bildung
View Point Ahead. Bild: Public Domain
Die StudentInnenschaft der Uni Bern (SUB) setzt sich für Chancengleichheit und einen freien Zugang zu Hochschulen ein. Die SUB-Redaktion wollte wissen, wie ein ökonomischer Denker wie Michael Otsuka von der London School of Economics zu den aktuellen Bildungsfragen steht. Gleichzeitig befragten wir die Berliner Philosophieprofessorin Kirsten Meyer, die sich auf dieses Thema spezialisierte.
Michael Otsuka wurde 1964 in California geboren. Heute arbeitet der Philosophieprofessor an der London School of Economics (LSE). Er studierte in Yale sowie am Balliol College in Oxford. Aktuell befasst er sich unter anderem mit den Vorteilen von Kooperationen, Risiko-Pooling, Pensionen und Versicherungen, Eigentum sowie der Natur des Geldes.
Dear Mike, you reject a
general right for tuition
fee free higher
education which would
exist independently of the manner in which higher education is provided.
How then should higher education be organized?
In short, more like in German-speaking countries than in the UK. Universities in the UK are more hierarchical and exclusive. If, in a system such as the UK, higher education is paid out of general taxation, half of the population that goes to university is subsidized by the other half that doesn’t go to university and that will earn less, due to their lack of a university degree. Their non-participation is explained in large part by brute bad luck and lack of opportunities available to others. It has been estimated that the effect on earnings over a lifetime of having a degree, relative to not having a degree, is a 28% boost for men and a 53% boost for women on average.
This way it remains rational for the individual to spend money on education and not on cars.
Abolition of tuition fees in the UK would be justified only if higher education is reformed. It would have to be fatter and less hierarchical with no selective elite groups and should include academic and vocational education, as for instance the «Fach- hochschulen» in Switzerland. Basic, no frills higher education equally available to all could justifiably be funded entirely out of general taxation. This would amount to higher education similar to state funded highschools, though at a more advanced level. But more costly and exclusive higher education such as Oxford, Cambridge and the UK «Russell Group» more generally should be paid for by means of state-subsidized student loans if provided at all.
Students should then pay for their higher education if they decide to attend elite universities?
Not entirely. If someone has to decide on how to spend her money, she is most likely to spend it in such a manner as to obtain as much personal benefits as possible. The economic argument for subsidies runs as follows: Higher education benefits society as well as the individual student, since it produces positive externalities such as greater economic growth, less expenditure on healthcare, higher quality of democratic participation and a lower crime rate. As much of the benefits of higher education will not go to the individual, but spread to society as positive externalities, there is a justification of student loans even to attend these elite universities. This way it remains rational for the individual to spend money on education and not on cars for example. This is one justification for a state subsidy of student loans. Another justification for the subsidy of loans is to ensure equality of opportunity to go to an elite university, irrespective of one’s class background. In my view, the level of subsidy should depend on the extent to which higher education is a public good and the degree to which it is necessary to equalize opportunity.
If students would pay for their higher education instead of it being fully subsidized by all taxpayers, would they not lose every commitment to society as a whole?
Let’s make a comparison with a vaccination policy. Even if vaccinations need to be purchased by the individual instead of being provided free of charge, their positive effects for public health would still spread. Similarly the positive externalities of higher education would occur independently of the individual’s motivation.
Aren’t universities always of value for society?
Universities, like opera and the theatre, should not receive subsides on the grounds that these institutions are intrinsically valuable. The government should limit itself to the provision of what the philosopher John Rawls calls «primary goods», which are things that people «generally want in order to achieve their ends whatever they are». We shouldn’t expect others to foot the bill, however worthwhile and enriching the pursuits we would like them to subsidize.
But cannot, for example, research benefit society?
I haven’t focused on the role of research yet. But surely for example the sciences produce goods to society and may thus be subsidized.
You did devote yourself to the humanities. Why did you study in the first place?
Well, I knew I wanted to study at a fairly early age. I liked school and wanted to teach myself. I was very interested in politics, which I then chose to study. Shortly afterwards, I discovered philosophers such as John Rawls and Ronald Dworkin and then specialized on political philosophy.
Would you recommend the same to your children?
I do not have children, but if I did, I would tell them to do what they want to do.
Thank you.
Kirsten Meyer wurde 1974 geboren und kommt aus Bielefeld (DE). Sie studierte an den Universitäten Münster, Bielefeld und St. Andrews. Heute wohnt die Professorin für praktische Philosophie in Berlin, wo sie an der Humboldt Universität unterrichtet. Zurzeit befasst sie sich unter anderem mit Zukunftsethik, Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit.
Liebe Frau Meyer, befürworten Sie einen freien Zugang an die Hochschulen?
In Deutschland ist der Zugang zur Uni quasi kostenlos und ich finde dies gerade hinsichtlich der Chancengleichheit sehr wichtig. Gleichzeitig ist die Frage nach dem fairen Zugang zu Hochschulen immer auch eine Frage nach der Hoch-schulzugangsberechtigung. In Deutschland braucht es hierfür das Abitur. Ob ein solches absolviert wird, korreliert stark mit der sozialen Herkunft. Die Möglichkeit eines Abiturabschlusses steht offensichtlich nicht allen gleich offen.
Da eine Hochschulbildung später oft vergleichsweise gute Einkommensmöglichkeiten bietet, kann man sich in der Tat fragen, ob die Kosten von der Allgemeinheit übernommen werden sollten. Doch diese Gerechtigkeitslücke kann durch eine progressive Besteuerung ausgeglichen werden. Befürworter von Studiengebühren betonen oft, dass mit staatlich subventionierten Krediten der Chancengleichheit angemessen Rechnung getragen werden könne. Finanzschwachen Personen stünde so die Tür zu Hochschulen offen. Ich befürchte aber, dass solche Kredite gerade für sozial Benachteiligte ein Hindernis darstellen. Denn diese schrecken besonders davor zurück, sich zu verschulden. Der Vorschlag, diesem Problem könne entgangen werden, indem der Staat die Gebühren erst nachträglich, bei einem Mindesteinkommen, einfordere, überzeugt mich ebenfalls nicht. Ein pro- gressives Steuersystem scheint mir besser zu sein als eine solche nachträgliche Spezialsteuer. In einem System mit hohen Stu- diengebühren besteht meines Erachtens das Risiko, dass Bildung nur noch als Ware behandelt wird. Bei jeder Art der Bildungs- investition, ob staatlich oder individuell, fragt man dann, inwiefern sich das später ökonomisch auszahlt.
Worin besteht denn der Wert von Bildung?
Bildung ist nicht nur ökonomisch wertvoll, sondern an sich für das Individuum und die Gesellschaft. Sie trägt zum individuellen, guten Leben bei und die Gesellschaft hat ein Interesse an einer umfassenden Bildung des Einzelnen. Eine Ausbildung in den Geisteswissenschaften zum Beispiel kann jede einzelne Person für das eigene Leben nutzen und in gesellschaftlichen Diskursen einbringen. Damit geht nicht die Behauptung einher, dass nur UniversitätsabgängerInnen einen Beitrag zur Gesellschaft leisten würden oder der akademische Lebensstil der beste sei. Wichtig ist die Freiheit des einzelnen Menschen, seinen eigenen Bildungsweg zu wählen und dass ihm die Chancen dazu offenstehen. Dass gewisse Ausbildungsberufe nicht subventioniert werden, ist in dieser Hinsicht nicht gerechtfertigt.
In einem System mit hohen Studiengebühren besteht meines Erachtens das Risiko, dass Bildung nur noch als Ware behandelt wird.
Ökonomische DenkerInnen sehen den Wert, den Universitäten für die Gesellschaft haben können, ausschliesslich in deren positiven Externalitäten, so zum Beispiel in besserer Gesundheit und weniger Straftaten.
Wenn Bildung letztlich zu mehr Gesundheit führt, profitiert davon jeder und jede Einzelne. Das heisst, auch hier geht es um das individuelle Wohlergehen. Auch die ökonomischen Werte müssen sich letztlich daran messen lassen. Wenn sich die Diskussion über Bildung zu sehr auf ökonomische Massstäbe beschränkt, besteht aber das Risiko, dass die Studierenden diese Perspektive auf ihr Studium übertragen. StudentInnen befassen sich mit wissenschaftlichen Fragen, die sich nicht auf ökonomische Effektivitätserwägungen beschränken. Es braucht ein tiefes Interesse an den fachlichen Fragen und weniger an der Frage, inwiefern sich etwas auszahlt oder nicht. Eine derartige Einstellung verengt den Blick, sodass die notwendige Offenheit der Studierenden sich verringert. Als Dozentin wünsche ich mir StudentInnen, die sich für die Sache interessieren und sich nicht nur Techniken aneignen wollen, die eventuell auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind.
Wieso haben Sie selbst Philosophie studiert?
Ich studierte Biologie und wollte mich für Naturschutz einsetzten. Aber die Ziele, die im Naturschutz verfolgt werden, widersprechen sich manchmal – und sie widersprechen anderen Bestrebungen. Dem wollte ich genauer nachgehen. Das wurde dann mehr und mehr zu einer grundsätzlichen Frage über den Wert der Natur. Mein Interesse an solchen Fragen ist der Grund, weshalb ich Philosophie studierte und mich dann auf praktische Philosophie spezialisierte.
Würden Sie Ihren Kindern empfehlen, dasselbe zu tun?
Was heisst «empfehlen», ich würde meinen Kindern nichts empfehlen. Sie können jeden Weg einschlagen, den sie möchten. Wichtig ist, dass sie reflektiert entscheiden können und sich für das, was sie tun, begeistern können.
Danke.
Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #7 März 2017
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