Klimastreik im Wandel der Zeit

Klimaaktivistin Hanna Fischer während eines Plenums am «Rise up for Change»

19. Oktober 2020

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Fussball, WG-Parties und Kino: Wo sich mehr als fünf Personen vereinten, hat Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Aber wie war das beim Klimastreik? Eine Aktivistin erzählt, wie die Bewegung hinter den Kulissen auf Eskalationsstufe zwei gestiegen ist.

Hanna Fischer ist 19 Jahre alt, Aktivistin beim Klimastreik, Medizinstudentin (zwecks Engagement momentan pausiert) und Mediensprecherin für «Rise up for Change», der Aktionswoche, die Mitte September auf dem Bundesplatz stattfand. Hanna hat eigentlich gar keine Zeit und unser Interview findet auf dem Weg vom Bahnhof zur Reitschule und zwischen zwei Besprechungen der Aktionswoche statt. Dann verschwindet sie im Zelt-Gewusel und bleibt für mich bis zur Räumung durch die Polizei unauffindbar.

Eine kurze Geschichte des Klimastreiks

An den ersten Schweizer Klimastreik erinnert sich Hanna noch sehr genau: Es war ein grauer Freitagnachmittag, als sie sich am 14. Dezember 2018 vor dem Zürcher Stadthaus für den ersten Schweizer Klimastreik einfand. «Am Anfang waren fast keine Leute da. Ich war enttäuscht. Doch dann kam eine ganze Schulgruppe und plötzlich waren wir 500 Leute. Zu sehen, dass sich so viele Andere für die Umwelt einsetzen, gab mir Hoffnung. Ich habe mir gesagt: ‹Wir können doch etwas bewirken›.» In den darauffolgenden Tagen wird der Klimastreik fast über Nacht zu einer nationalen Bewegung. Eine Woche nach dem 14. Dezember folgen Basel, Bern und St. Gallen mit einem Streik. Nur einen Monat später sind es 16 Schweizer Städte, die mitstreiken. Neun Monate danach vereinen sich in Bern etwa 100‘000 Menschen für die bis anhin grösste Klimastreik-Demonstration in der Schweiz. Instagram, Whatsapp und später Telegram hätten dieses Wachstum beflügelt, sagt Lena Bühler, Aktivistin vom Klimastreik Bern, und fügt hinzu: «Greta Thunberg zeigte vielen Menschen wie sie handeln können. Der Wunsch, etwas gegen die Klimakrise zu unternehmen, war da.» Es ist diese Sehnsucht nach effektivem Engagement und die Energie einer geteilten Vision, die Hanna dazu bewegen, sich aktiv beim Klimastreik zu engagieren. Anfangs noch recht unsicher, beginnt sie mit Flyern und Ordnungsdienst. Bald schon leitet sie die erste Sitzung und dann die erste Demo. Schon nach vier Monaten Engagement übernimmt sie schliesslich eine zentrale Rolle beim «Die-In» am Flughafen Zürich, wo sich rund hundert Menschen wie tot auf den Fussboden der Empfangshalle legen. Hannas Entschlossenheit festigt sich und mit ihr die Klimabewegung. Eine ihrer wichtigsten Forderungen: Klimaneutralität bis 2030

Corona – Frustration trägt Früchte

«Am Anfang waren viele von uns wenig vorsichtig und fanden: ‹Egal, wir machen trotzdem einen Streik›», sagt Hanna. Als ihnen aber klar wird, wie ernst die Corona-Pandemie ist, schliessen sie ihren Treffpunkt und beginnen mit Online-Sitzungen. Eine Demonstration, die für Ende März schon ins Detail geplant war, müssen sie eine Woche vor der Realisierung absagen. Auch der für den 15. Mai 2020 geplante «Strike for Future», ihre womöglich ambitionierteste Demo, fällt ins Wasser. Die Strassen bleiben leer; die Medienaufmerksamkeit geht den Bach runter. «Wir haben ein halbes Jahr Aktivismus verloren», sagt Hanna. Die Frustration darüber, dass die Klimakrise nicht angegangen wird, ist bei vielen Aktivist*innen gross. Corona sei ernst, aber auch die Klimakrise sei eine Krise und sollte als solche behandelt werden. Bei ungefähr 190 Klimastreik-Demonstrationen in über 60 Schweizer Städten und Ortschaften sind Menschen schon fürs Klima auf die Strasse gegangen, aber bisher ohne Erfolg. «In der Politik ist nichts passiert», sagt Lena. «Wir haben den Klimanotstand ausgerufen, aber das ist rein symbolisch. Auch das CO2-Gesetz ist viel zu schwach; die Treibhausgas-Emissionen sind weiter gestiegen.» Es ist die Dissonanz zwischen Dringlichkeit und politischer Passivität, die zu einem Umdenken in der Klimastreik-Bewegung führt. Es wird klar: Etwas muss sich ändern. So kommt nach fast zwei Jahren friedlicher Demonstrationen ein neuer Programmpunkt auf die Agenda: ziviler Ungehorsam. Ob Corona dazu beigetragen hat, ist unklar. Tatsache ist, dass die Idee einer gewaltfreien Aktionswoche schon seit längerem existiert. Nach monatelangem Planen kommt es Mitte September zum «Rise up for Change», wofür sich die Klimastreik-Bewegung erstmals mit Extinction Rebellion, Collective Climate Justice, Coalition Break Free und Greenpeace zusammenschliesst.

Wo beginnt «radikal»?

«Rise up for Change» sei ein Schritt ins Ungewisse, sagt Hanna am Morgen vor der Aktion: «Wir haben keine Ahnung, was wir bewirken werden.» Dennoch packen am frühen Morgen des 21. Septembers mehrere hundert Aktivist*innen ihre Zelte auf dem Bundesplatz in Bern aus. Das Ziel ist es, eine Woche zu bleiben. «Wir wollen die Politik und die Gesellschaft aufrütteln und wir wollen es dort tun, wo die Wurzeln des Problems sind: bei der Politik und dem Finanzplatz.» Die Stimmung innerhalb des Camps ist ansteckend. Doch auf der anderen Seite der Strohballenbarrikade im Bundeshaus wird die Aktionswoche sehr gemischt aufgenommen. Vor allem Mitglieder bürgerlicher Parteien üben scharfe Kritik aus. Unter #machenstattmeckern twittert FDP-Politiker Christian Wasserfallen: «Wir sind ein Rechtsstaat und keine Bananenrepublik.» Wie er, fordern auch Andere die Räumung des Bundesplatzes; vor allem weil gleichzeitig National- und Ständerat im Bundeshaus tagen und zu dieser Zeit grosse Kundgebungen grundsätzlich nicht bewilligt werden. Die Stimmung im Bundeshaus ist angespannt und so kommt es nach fast 48 Stunden zur Räumung durch die Polizei. Am Freitag endet die Aktionswoche mit einem Protestmarsch durch Bern. Traurigerweise war nicht das Klima, sondern das «Wo, Wie und Wann» der Aktionswoche Gesprächsthema. Wird der Klimastreik zu radikal? Rutscht er von einer Massenbewegung in eine Aktivist*innenbubble? Klar, gesteht Hanna, habe sie Angst davor, dass die Aufrüttel-Aktion Menschen abschreckt. Schlimmer wäre es aber, stillzustehen und ungehört zu bleiben. «Alle, die den Status Quo akzeptieren, akzeptieren auch den Tod und die Migration von vielen Menschen. Es wäre extremistischer, nichts zu tun.»

Zwei mögliche Wege

Und wie geht es weiter? In der Klimastreik-Bewegung gebe es eine grosse Diskussion, ob es einen Wandel mit oder unabhängig vom bestehenden politischen System brauche, sagt Hanna. Ein Teil der Engagierten will weiter streiken und die Politik so zu handfesten Massnahmen bewegen. Andere finden, es ist es an der Zeit für eigene, dezentrale Projekte, die unabhängig vom politischen Weltgeschehen eine Veränderung bewirken. Konkrete Ideen sind unter anderem Permakultur, Zusammenarbeit mit lokalen Geschäften, nachhaltige Geschäftsmodelle und Nachbarschaftsvernetzung. Was diese Diskussion mit der Bewegung macht, ist unklar. Im Falle der Aktionswoche hat sie jedoch zu einer schwer verdaulichen Kritik geführt: das politische System, in dem wir leben, sei gescheitert. Trotz internen Ungewissheiten und äusserem Druck bleibt Hanna aber positiv: «Etwas passiert, das wir nicht einfach ignorieren können. Ich glaube, das kann niemand. Auch wenn sie nicht gut finden, was wir machen.» Über die Mittel der Klimastreik-Bewegung lässt sich zwar streiten, aber über die Auswirkungen der Klimakrise nicht.

text & bild: florian rudolph

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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #21 Oktober 2020

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