Klimaneutralität 2025 – Heisse Luft oder Tatsache?

Das Hauptgebäude der Universität

23. Mai 2023

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«Die Universität Bern hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2025 in allen Bereichen, in denen sie direkten Einfluss hat, als Institution klimaneutral zu werden», kündigte die Universität Bern im Dezember 2020 voller Enthusiasmus an. Mit viel Hoffnung und Zuversicht blickte die SUB in die Zukunft. Doch nach der Verkündigung dieser frohen Botschaft wurde es ruhig um das Projekt «Klimaneutralität 2025» der Universität – verdächtig ruhig. Ziemlich genau in der Mitte des Projekts ist es daher höchste Zeit, einen Blick auf die Hände der Abteilung für Nachhaltige Entwicklung der Universität Bern zu werfen.

Warum die Universität Bern sich damals so wagemutig in dieses Vorhaben stürzte, liegt auf der Hand: Es ging und geht um nichts Geringeres als die Glaubwürdigkeit der Universität. Helen Plüss, die Leiterin der Abteilung für nachhaltige Entwicklung der Universität Bern, meinte dazu, als eine der führenden Forschungsinstitutionen im Bereich der Nachhaltigkeit lege die Universität Wert darauf, nicht nur in der Erforschung des Klimawandels, sondern auch im Betrieb ihren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Ein Blick in die Vergangenheit

In der Medienmitteilung vom Dezember 2020 wurden für das Projekt «Klimaneutralität 2025» vier Phasen als tragende Pfeiler definiert: Als Ausgangspunkt sollte für eine erste Standortbestimmung eine Treibhausgasbilanz erstellt werden. Davon ausgehend sollte das Reduktionspotential ermittelt werden, um in einem darauffolgenden Schritt zu bestimmen, welche Reduktionsmassnahmen an der Universität Bern ergriffen werden können. In einem letzten Schritt sollten die verbleibenden Emissionen, die nicht oder noch nicht durch Reduktion eliminiert werden können, kompensiert werden.

Wo steht die Universität Bern heute? 

Nach der damals getroffenen Einteilung interessiert es zweieinhalb Jahre später, in welcher Phase sich das Projekt der Universität derzeit befindet. Helen Plüss zufolge seien diese Phasen voneinander abhängig und daher von Beginn an weitgehend parallel abgelaufen. Der aktuelle Umsetzungsstand stelle sich so dar, dass der Treibhausgasbericht für das Jahr 2019 erfolgreich erstellt und veröffentlicht worden sei und die Bilanzen für die Folgejahre in Arbeit seien. Was die Treibhausgasbilanzen betreffe, werde daran gearbeitet, die Datenerfassung weiter zu optimieren und Prozesse zu vereinfachen.

Was die Reduktionsmassnahmen angeht, liege nach Plüss der Blick insbesondere auf den Dienstreisen, weil dieser Sektor, wie der Treibhausgasbilanz zu entnehmen sei, die grösste Emissionsquelle an der Universität darstelle.

Helen Plüss spricht damit das Ampelsystem für universitäre Dienstreisen an, welches im August 2022 in Kraft getreten ist. (Siehe dazu BSZ #24, Mai 2021, «Endlich grünes Licht für Klimaneutralität»)

Derartige Einschränkungen für Mitarbeitende der Universität legen die Vermutung nahe, dass die neuen Dienstreiserichtlinien in den Reihen der Forschenden nicht nur auf Zuspruch stossen.

Silvia Schroer, Vizerektorin Qualität der Universität, verneint, dass sich der Widerspruch auf die gesetzten Ziele bezogen habe: «Es äusserte sich nie jemand von den Fakultäten kritisch gegenüber dem Anliegen, dass man für Klimaneutralität auch etwas im Dienstreisesegment verändern muss.»

Die Dienstreiseplattform habe zwar von allen Beteiligten viel Umsetzungsgeduld gefordert, da sie im Verbund mit Verwaltungsneuerungen einherging, daher sei es normal, dass es eine Weile brauche, bis sich alles einspiele. Rückfragen zur Thematik habe es daher verständlicherweise gegeben und gebe es immer noch.

Was die Kompensationsmassnahmen angehe, sei man gemäss Helen Plüss gegenwärtig noch an Abklärungen, damit sichergestellt werden könne, dass im Endeffekt geeignete und sinnvolle Kompensationsprojekte unterstützt würden.

«Es ist uns wichtig, die Grundlagen für die Kompensationsmassnahmen sorgfältig und gründlich zu definieren, weil es sich bei den Kompensationen um ein besonders komplexes Gebiet mit vielen verschiedenen Aspekten handelt», kommentierte Plüss dieses Vorgehen.

Kompensation statt Reduktion – Ein Etikettenschwindel der «Klimaneutralität»? 

Die Ausführungen von Helen Plüss und Silvia Schroer klingen zuversichtlich. Christian Leumann, der Rektor der Universität Bern, hielt einem ersten Anschein nach sein Versprechen, bereit zu sein, «gewohnte Aktivitäten und eingespielte Abläufe» an der Universität Bern zu hinterfragen, welches er in der Medienmitteilung vom Dezember 2020 machte.

Und doch bleibt nach den Ausführungen der beiden Verantwortlichen ein ungutes Gefühl. Kompensationsmassnahmen klingen, auch wenn man sich das noch so schönredet, doch irgendwie nach einer unerlaubten Abkürzung auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Plüss relativiert diese Bedenken: Für die Universität stehen die Reduktionsmassnahmen klar im Vordergrund. «Es soll nur kompensiert werden, was technisch oder wirtschaftlich nicht reduziert werden kann».

«Eine Universität, in der gar nicht mehr geflogen wird, ist nun mal nicht etwas, das man in den nächsten zwanzig Jahren als realistische Zielsetzung festlegen könnte», merkte Schroer an.

Als konkretes Beispiel, bei dem die vollständige Reduktion von Treibhausgasen nicht möglich sei, nennt Helen Plüss die Fernwärme. Es handle sich dabei zwar um eine umweltfreundliche Art, ein Gebäude zu heizen. Wenn man die Sachlage aber genau betrachte, werde ersichtlich, dass vielfach auch indirekte Emissionen involviert seien. Wenn Fernwärme beispielsweise durch eine Kehrichtverbrennungsanlage entstehe, werde diese oftmals nicht ausschliesslich durch Kehrichtverbrennung generiert, sondern es würden auch fossile Energiequellen herangezogen, um Spitzenlasten abzudecken.

Auf derartige externe Rahmenbedingungen könne die Universität Bern keinen Einfluss nehmen, so die Expertinnen.

«Es soll nur kompensiert werden, was technisch oder wirtschaftlich nicht reduziert werden kann.» – Helen Plüss

Härter durchgreifen für das Klima? 

Auf die Frage, ob die Reduktionsmassnahmen nicht verbindlicher durchgesetzt werden müssten, erwiderte Silvia Schroer, es entspreche nicht der Philosophie der Universität Bern, überall Obligatorien und Kontrollen einzuführen. So werde niemand gezwungen, Videokonferenzen abzuhalten, statt zu fliegen, sondern im Gegenteil werde an die Selbstdisziplin der Forschenden, Lehrenden und Mitarbeitenden und die Verantwortung von Teams und Instituten appelliert. «Wir machen da kein grosses Theater, diese Leute können selbst abwägen und entscheiden», stellte die Vizerektorin klar. Die Universität ihrerseits arbeitet kontinuierlich daran, die Infrastruktur für Videokonferenzen auszubauen.

Die Autonomie der Mitarbeitenden sei wichtig, weil von aussen oft nicht beurteilt werden könne, ob eine Dienstreise im Einzelfall durch eine Videokonferenz ersetzt werden könne oder nicht, fügte Plüss an.

Ganz freie Bahn hätten die Angestellten der Universität Bern dann aber doch nicht, schliesslich würden die Entwicklungen punkto Reduktion von Treibhausgasen generell überprüft. «Die Entwicklung ist im Grossen und Ganzen gut – schwarze Schafe gibt es aber überall», sagte Silvia Schroer.

«Die Entwicklung ist im Grossen und Ganzen gut – schwarze Schafe gibt es aber überall.» – Silvia Schroer

 Das Ziel nicht aus den Augen verlieren…

Für Helen Plüss und ihr Team gelte es sorgfältig zu recherchieren, welche Rahmenbedingungen und Formalitäten für die Erreichung des Ziels «Klimaneutralität 2025» erfüllt sein müssen. Muss die Universität Anfang 2025 die Treibhausgase, welche im Jahr 2024 anfallen, bereits kompensiert haben oder müssen die Treibhausgase des Jahres 2025 erst bis Ende 2025 kompensiert werden? «Herauszufinden, wie Klimaneutralität am besten umzusetzen ist, ist eine der zahllosen Fragen, mit denen wir uns tagtäglich auseinandersetzen», erklärte Plüss.

Die abschliessend zu stellende Frage ist evident: Wer bestimmt eigentlich im Jahr 2025, ob das Ziel nun erreicht wurde oder nicht? Helen Plüss zufolge gebe es an der Universität Bern interne und auch externe Qualitätssicherungssysteme. Die Universität Bern setze sich jeweils Ziele, definiere geeignete Massnahmen und im Nachgang erfolge eine Evaluation, in welcher überprüft wird, wie gut die entsprechenden Massnahmen umgesetzt wurden. So wird das Verbesserungspotenzial fortlaufend ermittelt. Auch dem Kanton werde jeweils Bericht erstattet, inwiefern die Universität bei der Erreichung solcher Ziele vorangekommen sei.

Auf die Frage, ob die Universität auch durch externe Überprüfungsmechanismen überwacht werde, meint Schroer: « Im Rahmen der institutionellen Akkreditierung der Universität wird intern und extern die Qualitätsentwicklung auf allen Ebenen und quer durch alle Bereiche überprüft. Wenn der WWF unsere Nachhaltigkeitspolitik von aussen anschaut und wir in der obersten Etage im Rating sind, ist das natürlich ebenfalls eine externe Sichtweise, aber es wird nicht jeder Schritt, den wir machen, ständig auch noch extern evaluiert.»

Schroer referenziert mit ihren Ausführungen hierbei auf das Nachhaltigkeits-Rating der Schweizer Hochschulen, welches der WWF im Jahr 2021 durchführte. «Am besten schneiden die ETH Zürich, die Universität Lausanne und die Universität Bern ab. […] Sie verfolgen gezielt eine Nachhaltigkeitsstrategie und setzen Massnahmen in allen Bereichen der Hochschulen um», schrieb der WWF in einer Medienmitteilung vom 25. August 2021.

Auf Kurs für die Klimaneutralität 2025 

Silvia Schroer bezeichnet das Ziel der Klimaneutralität 2025 nach wie vor als erreichbar. «Klimaneutralität wird nie ein Prozess sein, der als hundertprozentig abgeschlossen verstanden werden kann. Wir haben es mit einer Entwicklungsaufgabe zu tun.»

In den letzten zweieinhalb Jahren habe sich laut der Vizerektorin herauskristallisiert, wie viel sorgfältige Arbeit hinter solch einem bedeutungsvollen Projekt stecke. «Die Universität Bern ist halt keine kleine Bude», schliesst Schroer und lächelt.

«Die Universität Bern ist halt keine kleine Bude.» – Silvia Schroer

Damit die Erreichung des Ziels sichergestellt werden kann, bekam das Team von Helen Plüss Anfang April Verstärkung von zwei weiteren Mitarbeitenden, die sich um das Projekt «Klimaneutralität 2025» kümmern. Damit arbeiten mittlerweile nebst Helen Plüss und Silvia Schroer drei weitere Mitarbeiter*innen an dem Projekt. Aber auch die Bedeutung der Zusammenarbeit mit vielen anderen Personen und Abteilungen der Universität, insbesondere der Verwaltungsdirektion, dürfe nicht unterschätzt werden.

Klimaneutralität ist ein grosser, bedeutungsträchtiger Begriff.

«Klimaneutralität wird nie ein Prozess sein, der als hundertprozentig abgeschlossen verstanden werden kann. Wir haben es mit einer Entwicklungsaufgabe zu tun.» – Silvia Schroer

Darstellung zum Thema «Klimaneutralität»/ Quelle: Universität Bern

 

text: noëlle schneider

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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #32 Mai 2023

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