Irdische Fragen, astronomische Antworten

Raketen haben wir alle schon gesehen. Doch wer sind die Menschen dahinter? (Bild: ESA – M. Pédoussaut)

17. Mai 2023

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Angesichts der JUICE-Weltraummission zum Jupiter haben wir Studierende um ihre Fragen rund um die Weltraumforschung gebeten. 6 Astrophysiker*innen sind Rede und Antwort gestanden.

Am 14. April ist die JUICE-Mission Richtung Jupiter und dessen Monde gestartet. Während Forscher*innen der Uni Bern an einem eigens für die Mission entwickelten Massenspektrometer arbeiteten, haben wir Fragen und Meinungen gesammelt. Die Antwortgeber*innen sind drei Astrophysiker*innen, die bei JUICE involviert sind (Audrey Vorburger, André Galli & Andreas Riedo) und 3 Studierende mit dem Schwerpunkt Astronomie (Audrey Aebi, Aaron Werlen & Seraphine Marti). Um einen Überblick zu vereinfachen, verwenden wir bei der JUICE-Equipe die Nachnamen und bei den Studierenden die Vornamen.

Wer bist du?

Aaron: Ich habe ursprünglich eine Lehre zum Mediamatiker gemacht. Jetzt gerade bin ich Beobachter in der Sternwarte Zimmerwald und Hilfsassistent am Astronomischen Institut.

Audrey: Ich arbeite zurzeit als Beobachterin in der Sternwarte Zimmerwald und studiere Physik und Astronomie an der Uni Bern.

Seraphine: Ich schreibe meine Bachelorarbeit beim Institut Space und studiere Physik mit dem Nebenfach Astronomie.

Galli: Ich bin Weltraumphysiker an der Universität Bern und arbeite in verschiedenen Forschungsprojekten zur Erforschung unseres Sonnensystems.

Riedo:Ich bin Privatdozent an der Uni Bern, in der Gruppe Weltraumforschung und Planetologie. Ich habe mich spezialisiert auf die Suche nach Leben in unserem Sonnensystem.

Vorburger: Ich bin Naturwissenschaftlerin und erforsche unser Sonnensystem und extrasolare Planeten und Monde. Und die Mama von drei Kindern.

Weltraumkolonialisierung ja oder nein? Wär das was für dich? Warum?

Aaron: Ich persönlich würde es befürworten, eine interplanetare Spezies zu werden. Persönlich sehe ich mich aber eher auf der Datenauswertungsseite.

Audrey: Wenn mir jemand anbieten würde, ins Weltall zu gehen, könnte ich glaub nicht nein sagen. Aber ich finde es auch wichtig, Lösungen zu finden, damit wir auf der Erde bleiben können.

Galli: Das Wort Kolonialisierung ist natürlich historisch extrem belastet. Es war der Versuch, Rohstoffe aus anderen Ländern zu günstigen Konditionen und ohne Rücksicht auf die ansässige Bevölkerung zu extrahieren. All dies unter dem Primat der Wirtschaft. Auch bei der Weltraumkolonialisierung wird zum Teil wirtschaftlich argumentiert: Die sogenannten Weltraumressourcen müssten vom Mond abgebaut und für die Menschheit nutzbar gemacht werden. Doch wir müssen uns gut überlegen, was wir auf Himmelskörpern machen – oder nicht machen.

Was können wir von einem Gasplaneten mit -150°C Aussentemperatur über uns und für unser Leben auf der Erde lernen?

Riedo: Jupiter besitzt Eismonde, die unter kilometerdicken Eisschichten flüssige Ozeane und vermutlich Black Smokers beherbergen. Wir hoffen, dort Spuren von Leben zu finden. Sollten wir es schaffen, könnten wir zum ersten Mal klar aufzeigen, dass es weiteres Leben im Weltall gibt. Und das finde ich überaus wichtig für unsere Gesellschaft, dieses Wissen zu haben.

Vorburger: Ich denke, es liegt in der Natur des Menschen, wissen zu wollen: Sind wir einzigartig? Gibt es noch mehr Leben da draußen? Durch die Erforschung des Jupiter und seiner Monde könnten wir der Antwort auf diese Frage ein Stück näher kommen. Wir gehen diesen Fragen nach, weil wir wollen, nicht weil wir müssen.

Aaron: Ich denke, dass Wissenschaft zum Zweck der Wissenschaft selbst gemacht werden darf.

Wie relevant sind Nachhaltigkeitsgedanken bei der Weltraumforschung?

Vorburger: Bei der Materialauswahl für das Massenspektrometer der JUICE-Mission waren wir leider sehr eingeschränkt. Es durfte keine Gase produzieren im Vakuum und es musste geeignet sein für einen Flug im Weltraum. Und es gab auch nur ein Raketenmodell, welches im Stande war, JUICE auf die richtige Bahn zu bringen. Wir wollen nachhaltig sein, aber in diesen Bereichen haben wir kaum Handlungsspielraum.

Seraphine: Es gibt sehr viel Weltraumschrott im Orbit der Erde, was mittlerweile immer mehr ein Thema wird. Forscher*innen versuchen, die Bahnen von Weltraumschrott zu bestimmen, denn Kollisionen mit Satelliten würde die Anzahl des Weltraumschrott noch erhöhen. Manche überlegen sogar, die Erdumlaufbahn zu entmüllen.

Galli: Wichtig ist die Frage: Können wir die Veränderungen, die wir anstreben, rückgängig machen oder überdauern sie kommende Generationen? Wenn das der Fall ist, müssen wir uns gut überlegen, was wir tun. Welche Folgeschäden sind möglich bei einem Bergbauprojekt auf dem Mond? Was für „ästhetische“ Veränderungen können wir dulden? Was bedeutet das für die Menschen, die dem Mond eine kulturelle oder spirituelle Bedeutung zuordnen? Das ist der Komplex, wenn wir darüber reden, wie die Weltraumfahrt in der Zukunft nachhaltig betrieben werden kann.

Kurz nach dem Start wirft JUICE einen Blick zurück auf die Erde… (Bild: ESA/Juice/JMC)

Kann Weltraumforschung einen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise leisten?

Seraphine: Ich denke ja. Beispielsweise gibt es Annahmen, dass auf der Venus zu einem früheren Zeitpunkt lebensfreundlichere Bedingungen herrschten. Zu verstehen, wie und warum die Venus zu einem lebensfeindlichen Umfeld wurde, könnte uns helfen, die Prozesse auf der Erde besser zu verstehen oder abschätzen zu können, wie viel Zeit wir noch haben, bis es kritisch wird.

Galli: Steigt der Meeresspiegel? Wie steht es um El Niño? Wenn wir all dies wissen wollen, dann brauchen wir heutzutage Satelliten. Ohne Satelliten hätten wir zum Beispiel das Ozonloch nicht einmal entdeckt, geschweige denn verstanden.

Audrey: Ein Beispiel: Wir wollen künftig auf dem Mars Gemüse anbauen. Die gleichen innovativen Technologien könnten uns auf der Erde helfen, effizient und nachhaltig Gemüse im Keller anzubauen.

Vorburger: Die 10 Instrumente auf JUICE laufen mit 900 Watt. Das ist etwa die Leistung eines Haarföhns auf niedrigster Stufe. Der technische Fortschritt und die Energie-Effizienz, die im Rahmen der Weltraumforschung entstehen, können in alltäglicheren Produkten auf der Erde Verwendung finden.

Artemis, Jupiter, Minotaur I – V … Warum dieses Faible für griechische Mythologie? Sind diese Namen nicht etwas altbacken?

Aaron: Die Astronomie selbst ist eine sehr traditionsbehaftete Wissenschaft. Space X folgt dieser Tradition aber zum Beispiel nicht und nennt seine Raketen z.B. Starship oder Falcon Heavy.

Galli: Griechische und lateinische Namen sind nach wie vor beliebt, aber es gibt Bestrebungen in letzter Zeit bei der Benennung von Himmelskörpern auch aus aussereuropäischen Kulturkreisen zu schöpfen. Ich denke da an den Zwergplaneten Weywot, welchen die Tongva First Nation benannt haben.

Riedo: Jein. Bei JUICE zum Beispiel, da denke ich gleich an Orange Juice. (Anmerkung der Redaktion: JUICE steht für “JUpiter ICy moons Explorer)

Wie würdest du Jupiter und die Jupiter-Monde umbenennen?

Seraphine: Keine Umbenennung! Ich habe selber ein Faible für griechische Mythologie. Aber zugegeben, Europa ist schon sehr auf griechische Mythologie fixiert.

Aaron: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter (zählt)… Ich würde Jupiter „Sun-5“ nennen und seine Monde „Sun-5a“, „Sun-5b“, „Sun-5c“ und „Sun-5d“.

Riedo: Das ist eine brutale Frage! Ich bin aufgewachsen mit Jupiter und auch mit Pluto, der für mich irgendwie immer noch als Planet zu unserem Sonnensystem dazu gehört. Finde die Namen gut!

Vorburger: Am liebsten gar nicht! Aber wenn es sein muss: Io à “Vulkanmond”, Europa à “der Habitable”, Ganymed à “der Magnetische”, Calisto à “der Alte” und Jupiter à “der Riese”

Galli: Die Namen der Monde könnten passend zur Benennung ihrer Oberflächenstrukturen aus dem jeweiligen Kulturkreis gewählt werden: Beispielsweise “Pele” für Io (Namen der hawaiianischen Göttin der Vulkane), “Heth” für Europa (“Frost” auf walisisch und vermutlich auch Inspiration für den Eisplaneten in Star Wars) und “Fenris” für Kallisto.

Europa. Lebensversprechend, aber auch eurozentrisch. (Bild: NASA, JPL-Caltech, SETI Institute, Cynthia Phillips, Marty Valenti)

Warum sind so viele Männer in der Weltraumforschung?

Vorburger: Ich denke, die Schweiz hat noch immer ein klassisches Bild von der Aufteilung zu Hause, Beruf und Familie. Mein Mann zum Beispiel arbeitet 100%. Ich selber arbeite 70% und frage mich trotzdem häufiger als er, ob ich genug Zeit mit meinen Kindern verbringe. Er stellt sich diese Frage viel weniger. Vielleicht liegt das auch an unseren Charakteren, aber ich beobachte das auch im Freundeskreis häufig so. Ich kenne zudem hauptsächlich Frauen, die Teilzeit arbeiten – die Männer, die ich kenne, arbeiten meist 100% – und da beginnt das Problem, denn die Weltraumforschung ist ein sehr kompetitives Gebiet. Wenn du nicht bereit bist, 100 % Einsatz zu geben: Jemand anderes ist es.

Audrey: Ich habe das Gefühl, dass es sich viele Frauen nicht zutrauen, weil es bisher an weiblichen Vorbildern im Vergleich zu männlichen mangelt. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass sich dies in den kommenden Jahren ändern wird.

Riedo: Ich denke, die erhöhte Männerquote ist auch in anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen zu beobachten. Es gibt jedoch auch Fachrichtungen, wie die Astrobiologie, wo das umgekehrt ist.. Aber im Grunde genommen fängt die Problematik schon in der Grundschule an: Buben gehen “lieber” ins Handwerken und die Mädchen ins Basteln. Eventuell sollte man schon dort viel früher ansetzen und den jungen Personen beide Seiten ermöglichen.

Menschen, die ins Weltall reisen, werden sich der Zerbrechlichkeit der Erde bewusst und sie lernen, wie verschwindend klein wir sind. Wie können wir Demut auf Erden lernen?

Seraphine: Eine schwierige Frage! …denkt nach… Ich denke, indem wir uns mit der Frage auseinandersetzen, was für ein kleiner Teil des Universums wir eigentlich sind. Es gibt tausende Sterne und um jeden Stern kann ein eigenes Planetensystem kreisen. Wir sind nichts Spezielles, die Erde ist nicht die einzige Erde im Weltall. Die Möglichkeit auf weiteres Leben im Universum ist riesig…

Galli: Wir sollten uns bewusst sein, dass weitherum rund um die Erde einfach wirklich nur Wüste ist. Absolut lebensfeindliche Wüste, Schwärze und für uns komplett unbewohnbare Monde und Planeten. Dann tragen wir auch mehr Sorge zum Leben hier auf der Erde.

Riedo: Ich denke, es fängt im Kleinen an. Ich sage meinem Sohn zum Beispiel, dass eine Biene wichtig ist. Wir sollten demütig sein für alle kleinen Sachen, die wir haben, so klein sie auch sind.

«Ich stelle mir Astronom*innen als eine Gruppe von Nerds vor, für die ferne Galaxien spannender sind als unsere Erde.» – Was denkst du dazu?

Seraphine: Ich selbst bin fasziniert vom Unbekannten. Woher kommen wir? Woher kommt das Leben? Vielleicht ist das Leben auf der Erde durch einen Asteroideneinschlag gekommen. Es gibt so vieles, was wir nichts wissen.

Aaron: Ich bin einverstanden, wir sind “Nerds”. Wir sind uns aber auch bewusst,dass z.B. mit den Daten des James Webb Space Telescopes soziale Probleme sowie der Welthunger nicht gelöst werden können.

Audrey: Was ist denn überhaupt ein Nerd? Jeder Mensch, der sich für etwas interessiert, ist ein Nerd!

Galli: Wir interessieren uns für viele verschiedene Themen ausserhalb der Erde, aber auch auf der Erde. Aufs Etikett „Nerd“ sind wir sogar stolz.

Riedo: Es braucht Astronom*innen, die ins Weltall schauen. Sie geben uns eine Idee, was uns erwartet, hier auf der Erde. Ich denke da zum Beispiel auch an Sonneneruptionen, welche unsere Elektronik lahmlegen können.

Vorburger: „Nerds“ ja, „ferne Galaxien“ ja, aber „spannender als die Erde“? Nein!

text: florian rudolph

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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #32 Mai 2023

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Eine Photomontage von Jupiter und seinen 4 grössten Monden: Io, Europa, Ganymed and Kallisto (von oben nach unten. Bild: NASA/JPL/DLR)

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