Gemeinsam für mehr Bildung
Unitobler, Sitz der Philosophisch-historischen Fakultät. Bild: Angela Krenger
Als am 24. März 2015 wütende GymnasiastInnen gegen das Sparprogramm und die SUB für die Stipendieninitiative auf dem Rathausplatz demonstrierten, entstand die Idee eines breit abgestützten Zusammenschlusses für mehr Bildung.
«Im Moment arbeiten Vertreter unterschiedlicher Bildungsangebote an einem gemeinsamen Grundsatzpapier, um darin ihre Forderungen an das Bildungssystem festzuhalten», berichtet Julian Sonderegger vom SUB-Vorstand. Mitglied der Koalition seien nebst der SUB VertreterInnen aus der Politik und dem StudentInnenrat sowie GymnasiastInnen. Die Gewerkschaft Lehrerinnen und Lehrer Bern (LEBE) und die Mittelbauvereinigung der Universität Bern (MVUB) zum Beispiel seien informiert worden – die Koalition wachse.
Gegründet wurde die Bildungskoalition Mitte Oktober, nachdem Ueli Augstburger (SVP) mit seinem Vorstoss auf das Bildungssystem losging. Der SVP Grossrat schlägt vor, dass der Eintritt ans Gymnasium erschwert und der Zugang zu Geistes- und Sozialwissenschaften an der Universität beschränkt werden soll. Denn «Wirtschaft und Gesellschaft brauchen nicht Zehntausende von Psychologen, Ethnologen, Soziologen und dergleichen. Hingegen muss die Nachfrage nach Ingenieuren, Chemikern, Ärzten usw. vielfach aus dem Ausland abgedeckt werden. Hier gilt es, Gegensteuer zu geben», schreibt der Meisterlandwirt aus Gerzensee.
«Die FDP will am prüfungsfreien Hochschulzugang mit Maturität festhalten»
Schon heute sind nahezu die Hälfte der Jugendlichen zwischen 15 und 21 dauergestresst. Auslöser sind gemäss der Juvenir-Studie der Jacobs Foundation vor allem die Universität, Schule, berufliche Grundbildung, Leistungsdruck und Überforderung. Weil junge Menschen für die Wirtschaft rentieren sollen, soll ihre Ausbildung in den Dienst der Wirtschaft gestellt werden. Doch das heisst nichts anderes, als dass ihre Bedürfnisse den labilen Anforderungen des Arbeitsmarkts untergeordnet werden.
Hinsichtlich des Fachkräftemangels sollen die MINT-Fächer Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik schon bei der angeforderten Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium deutlicher ins Gewicht fallen. Auch soll durch einen Numerus clausus, strengere Selektion, ein Darlehenssystem und höhere Studiengebühren die Anzahl Geistes- und SozialwissenschaftlerInnen verkleinert werden. Gleichzeitig soll die Anzahl technischer sowie naturwissenschaftlicher Hochschulabgänger erhöht werden. So die Motion Augstburger.
Es ist unklar wie das Aussieben mathematisch Schwacher auf Sekundarstufe zu mehr MINT-Talenten oder Handwerkern führen könnte. Auch ein Numerus clausus für Geistes- und Sozialwissenschaften würde die Anzahl Technik-Begeisterter nicht erhöhen. »Aus der Wichtigkeit der MINT-Förderung im Umkehrschluss eine Forderung nach einem Numerus clausus für die Geistes- und Sozialwissenschaften abzuleiten, halten wir für nicht adäquat», so die Abteilung für Gleichstellung an der Universität Bern. «Junge Menschen sollen ihr Studienfach nach ihren Fähigkeiten und Interessen auswählen können.»
Solange der Hochschulrat keine Koordinationsmassnahmen erlassen hat, sind die Kantone frei, Studiengänge zu beschränken. Doch «Die Maturität ist der Abschluss einer intensiven Phase der Vorbereitung, sie bestätigt die Hochschulreife und berechtigt damit zum prüfungsfreien Zugang an Hochschulen», erklärt Natalie Imboden von der Grünen Partei. Besonders gravierend am Vorstoss Augstburger erachtet die Grossrätin die Forderung nach einer staatlichen Lenkung der persönlichen Wahl der Studienrichtung. Auch Nicola von Greyerz (SP) ist überzeugt, jeder müsse frei sein, zu studieren, was ihn interessiere.
«Die FDP will am prüfungsfreien Hochschulzugang mit Maturität festhalten», erklärt der Geschäftsführer der FDP Bern Stefan Nops. Auch die CVP möchte den universellen und prüfungsfreien Zugang zum Hochschulstudium mit einer gymnasialen Maturität langfristig aufrechterhalten, so Alexandra Perina-Werz, Präsidentin CVP Bern. Die Grossrat-Fraktionen der GLP und EVP wollen den prüfungsfreien Zugang im Grundsatz beibehalten. «Doch gegen das Prüfen eines Instrumentes zur Steuerung der Anzahl Studierenden bei «überlasteten» Studienrichtungen ist aus unserer Sicht nichts einzuwenden», ergänzt Christine Schnegg, Grossrätin und Präsidentin EVP Kanton Bern. Die BDP des Kantons Bern gab keine Stellungnahme ab.
«Doch gegen das Prüfen eines Instrumentes zur Steuerung der Anzahl Studierenden bei «überlasteten» Studienrichtungen ist aus unserer Sicht nichts einzuwenden»
Trotz grundsätzlicher Zustimmung zum freien Zugang, erachtet es die SVP für sinnvoll, die Anzahl der Studienplätze in gewissen Fächern zu reduzieren. Denn Allrounder etwa, wie es die Sozial- und Geisteswissenschaftler sind, seien heute nicht mehr so gefragt wie Fachspezialisten, so die SVP Kanton Bern.
Tatsächlich beträgt die Arbeitslosenquote von Geistes- und Sozialwissenschaftlern fünf Jahre nach Studienabschluss nur 2,8 Prozent; bei den exakten und Naturwissenschaften sind es 3,4 Prozent. Diese Werte liegen im Durchschnitt der Schweizer Arbeitslosenquote von momentan 3,3 Prozent. Die Wirtschaft lechzt also nach gut ausgebildeten Leuten, egal ob Natur- oder GeisteswissenschaftlerInnen.
Anstatt die Bildung zu schmälern, will sich die Bildungskoalition für den Erhalt und die Verbesserung des jetzigen Bildungsstandards einsetzen. Denn die Bildung bilde die Voraussetzung für das Verstehen von Zusammenhängen und bestehender Verhältnisse und ebne so den Zugang zur Beteiligung an gesellschaftlichen und demokratischen Prozessen. So die Einleitung zum entstehenden Grundsatzpapier.
Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #2 Dezember 2015
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