«Fehler liegen nicht drin»
Anfang November dieses Jahres erschien die Auswertung der SUB Umfrage 2023. Die Resultate sind desillusionierend – den Studierenden der Universität Bern geht es alles andere als gut.
Alle drei Jahre führt die Studierendenschaft der Universität Bern (SUB) eine Umfrage durch, welche die Lage der Studierenden ermitteln soll. In diesem Jahr hatte die Umfrage erstmals zum Ziel, einen Überblick über die mentale Gesundheit Studierender zu schaffen.
Erschreckend tiefe Werte
Um die psychische Gesundheit der Studierenden zu ermitteln, wurde im Rahmen der Umfrage der WHO-5 Index herangezogen, der durch fünf Fragen Aufschluss über das Wohlbefinden geben soll und auf Depressionen oder Burnouts hinweisen kann. Ein Wert von kleiner oder gleich 50 von 100 deutet dabei auf ein schlechtes Wohlbefinden hin und fordert weitere Untersuchungen.
Der Durchschnittswert unter allen befragten Studierenden der Universität Bern erreichte gerade einmal 50,8. Dieses Resultat sorgte nicht nur auf den Gängen der Universität für Gesprächsstoff, sondern erregte auch die mediale Aufmerksamkeit. 20 Minuten folgerte, die Uni Bern sei wohl keine Wohlfühloase. Berner Zeitung und Bund schrieben nüchtern, den Berner Studierenden könnte es besser gehen und hoben dabei insbesondere hervor, dass es den Studierenden der theologischen Fakultät der SUB Umfrage zufolge deutlich besser gehe als dem Schnitt, Studierenden der Vetsuisse-Fakultät dagegen schlechter.
Auffallend ist nebst den grossen Unterschieden zwischen den Fakultäten insbesondere, dass der Wert betreffend die mentale Gesundheit bei den weiblichen und nicht-binären Studierenden mit 48,6 respektive 43,1 deutlich tiefer liegt als bei den männlichen mit 55,5.
«Auffallend ist, dass der Wert bei den weiblichen und nicht-binären Studierenden mit 48.6 respektive 43.1 deutlich tiefer liegt als bei den männlichen mit 55.5.»
Nicht nur unter Studierenden geht es den Frauen schlechter
Das gleiche Bild bezüglich der Unterschiede in der mentalen Gesundheit bei den Geschlechtern kristallisierte sich in der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2022 heraus, welche durch das Bundesamt für Statistik alle fünf Jahre durchgeführt wird und die Gesundheit der ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz ab 15 Jahren abbildet: Während 21 Prozent der Frauen über eine hohe oder mittlere psychische Belastung berichteten, waren es bei den Männern nur 14 Prozent.
Laut der im Herbst 2022 durchgeführten Omnibuserhebung Psychische Gesundheit, welche vom Schweizerischen Gesundheitsobservatorium (Obsan) herausgegeben wird, hat sich die psychische Gesundheit im Vergleich zur Situation vor der Pandemie in der Bevölkerung ebenfalls eher verschlechtert und nicht erholt. So sind die Einsamkeitsgefühle bei jungen Frauen (15- bis 24-jährig) von 14 Prozent im Jahr 2017 auf 32 Prozent im Jahr 2022 gestiegen, bei jungen Männern von 5 auf 22 Prozent.
Laut der Omnibuserhebung kann ausserdem festgestellt werden, dass die psychische Gesundheit mit dem Alter steigt.
Bezüglich der Geschlechter zeigen sich auch in dieser Studie deutliche Unterschiede: Während nur 34,7 Prozent aller Befragten in den letzten zwölf Monaten ein psychisches Problem erlebten, waren es bei den Frauen zwischen 15 und 24 Jahren 61 Prozent. Der Begriff «psychisches Problem» wurde dabei als negative Empfindungen oder Gedanken, wie beispielsweise psychische Belastung, Stress oder psychische Erkrankungen, beschrieben. Auch Selbstverletzungen kommen bei jungen Frauen zwischen 15 und 24 Jahren mit elf Prozent deutlich häufiger vor als beim Rest der Bevölkerung. Bei den gleichaltrigen Männer, die sich von allen befragten Gruppen am zweithäufigsten selbst verletzen, sind es 5,2 Prozent.
Zu sagen, dass junge Frauen in der Schweiz psychisch in jeder Hinsicht stärker belastet sind als junge Männer, wäre trotz den obigen Zahlen zu undifferenziert. So ist beispielsweise zu beobachten, dass Männer häufiger Suizid begehen als Frauen und weniger über ihre psychischen Probleme sprechen. Die zuvor erwähnte Omnibuserhebung ergab, dass 85 Prozent der jungen Frauen mit psychischen Problemen Hilfe in irgendeiner Form suchten, während es bei jungen Männern nur 69 Prozent waren.
Umstrittene Aussagekraft der SUB Umfrage
Was die Frage der Repräsentativität der SUB Umfrage angeht, gehen die Meinungen an den Fakultäten auseinander. Die Rücklaufquote der SUB Umfrage beträgt knapp 11,1 Prozent. Wie die Berner Zeitung berichtete, kritisierte der Dekan der Veterinärmedizinischen Fakultät, David Spreng, die Rücklaufquote als zu tief, die Resultate seien nicht repräsentativ. Benjamin Schliesser, der Vizedekan der theologischen Fakultät hingegen, finde die Umfrage durchaus repräsentativ: Eine Rücklaufquote von 10 Prozent bei sozialwissenschaftlichen Umfragen sei üblich. Bemerkenswerterweise wird damit die Umfrage von der Seite kritisiert, welche die schlechtesten Resultate aufweist und von der Seite anerkannt, die gute Resultate erzielt hat.
Vergleiche mit den Statistiken der Universität Bern zeigen, dass die Umfrage die Studierendenschaft der Universität Bern grundsätzlich gut repräsentiert. Eine Rücklaufquote in diesem Bereich ist ausserdem branchenüblich. So hat beispielsweise das Bundesamt für Statistik in der oben erwähnten Schweizerischen Gesundheitsbefragung 2022 21’930 Personen befragt, während die Schweiz in diesem Jahr bereits weit über acht Millionen Einwohner*innen zählte.
Doppelbelastung setzt vielen Studierenden zu
Dass junge Menschen sich in einer bewegten Lebensphase befinden und es eine Herausforderung ist, ein Studium zu absolvieren, ist kein Geheimnis. Über die Faktoren, welche in der SUB Umfrage zu derart schlechten Ergebnissen bezüglich der psychischen Gesundheit unter Studierenden führten, lässt sich jedoch nur spekulieren.
Gründe wie Klimaängste, Druck durch soziale Medien, finanzielle Ängste, Leistungsdruck und damit verbundener Stress, Prüfungsängste, emotionale Erschöpfung und lange Bildschirmzeiten sowie Care- und ehrenamtliche Arbeit könnten das tiefe Wohlbefinden begründen.
Die SUB Umfrage liefert einzelne Anhaltspunkte, woran die missliche Lage der Studierenden allenfalls liegen könnte. So scheint die Doppelbelastung von Arbeit und Studium vielen Studierenden zuzusetzen: Mehr als 80 Prozent der Umfrageteilnehmenden gaben an, neben dem Studium erwerbstätig zu sein und sich mehrheitlich damit den Lebensunterhalt zu finanzieren. Von fast einem Drittel der Umfrageteilnehmenden, welche neben dem Studium arbeiten, wird die Arbeit dabei als Belastung für das Studium wahrgenommen.
Auch könnte einen Einfluss haben, dass in den Fächern Veterinärmedizin, Biochemie und Molekularbiologie, Mathematik und Pharmazie mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmenden das Anspruchsniveau des Studiums als zu hoch oder sogar viel zu hoch einschätzen.
Grosse Unterstützung an der theologischen Fakultät
Bei den Resultaten zur psychischen Gesundheit der SUB Umfrage fallen besonders die Werte zweier Fakultäten ins Auge: Der Wert der theologischen Fakultät liegt mit 63,8 weit über dem Durchschnitt und derjenige der Vetsuisse Fakultät mit 44,7 klar darunter.
Joana Mayer, die Mitglied der Fachschaft der theologischen Fakultät und Studentin im fünften Semester ist, zeigt sich über die Resultate der Umfrage wenig überrascht. «Die gegenseitige Unterstützung unter Studierenden und durch die Dozent*innen ist gross, deshalb geht es vielen Studierenden der theologischen Fakultät in der Regel gut», meint Joana Mayer. Hinzu komme, dass Studierende der theologischen Fakultät sich von ihren Professor*innen und Dozent*innen gehört fühlen, nicht zuletzt, weil die Fachschaft sich für die Anliegen der Studierenden stark mache. «Wenn einem etwas nicht passt, ist die Chance gross, dass das früher oder später auch bei der Fakultätsleitung ankommt.», so Joana Mayer. Hinzuzufügen sei aber, dass auch in der theologischen Fakultät nicht immer alle Anliegen umgesetzt würden, teilweise auch, weil gar nicht alle umsetzbar seien. An Personen mit Einfluss zu gelangen, sei aber einfach. Joana Mayer kann sich gut vorstellen, dass es auch anderen Fakultäten helfen könnte, wenn niederschwellige Anlaufstellen zur Meldung von psychischen und anderen Problemen oder Herausforderungen zur Verfügung stünden.
«Die gegenseitige Unterstützung unter Studierenden und durch die Dozent*innen ist gross, deshalb geht es vielen Studierenden der theologischen Fakultät in der Regel gut.» – Joana Mayer
Es gibt an der theologischen Fakultät zudem viele Begegnungsorte, wo sich Studierende austauschen können und Veranstaltungen, wie der Kleinkunstabend, an dem nebst den Studierenden sogar Angestellte der Universität anwesend sind. Dadurch werde die Stimmung an der Fakultät aufgelockert und der Zusammenhalt und der Austausch der gesamten Fakultät gefördert.
Hohe Ansprüche an die eigene Arbeit
Gefasst auf die Resultate der Umfrage reagiert auch Alea Fiechter, ehemalige Präsidentin der Fachschaft Vetsuisse. Sie befindet sich im letzten Studienjahr an der Vetsuisse-Fakultät. Es sei allgemein bekannt, dass die Gesundheit in der Tiermedizin ein grosses Problem darstelle. Das Studium sei von Anfang an fordernd; in den unteren Jahren stellen die Prüfungen die Herausforderung dar, später im Studium machen die Nacht- und Wochenenddienste und die hohe Arbeitslast den Studierenden zu schaffen. «Es muss immer sichergestellt werden, dass es den Tieren, mit denen schon früh im Studium gearbeitet wird, gut geht. Das ist eine grosse Verantwortung − Fehler liegen da nicht drin.», meint Alea Fiechter. Dazu komme, dass viele angehende Tierärzt*innen eine von Grund auf hohe Leistungsbereitschaft hätten und daher ambitionierte Ansprüche an sich selbst und ihre Arbeit stellen.
«Es ist gut, dass im Vergleich zu den vorgängigen Generationen von Tierärzt*innen allmählich ein Umdenken stattfindet.» – Alea Fiechter
Dass die Arbeit in den Kliniken während des Studiums nicht entlöhnt werde, setzt vielen Studierenden zusätzlich zu. Weil das Praktikum insbesondere in den letzten eineinhalb Jahren des Studiums viel Zeit einnimmt, müssen, falls einem etwas an Freizeit und sozialen Kontakten liegt, sämtliche Nebenjobs gekündigt werden. Dies kann zu finanziellen Problemen führen, wenn nicht die Eltern einspringen.
Schon bei ihrem ersten Praktikum wurde Alea Fiechter gefragt, ob sie sich eigentlich bewusst sei, auf was sie sich da einlasse. Über die Jahre konnte sie eine gesunde Selbstfürsorge entwickeln. Sich nicht zu viel Druck zu machen und nicht zu streng mit sich zu sein, rät sie auch anderen angehenden Tierärzt*innen. Die Universität bemühe sich zunehmend, unterstützende Angebote und Strukturen zu schaffen.
«Es ist gut, dass im Vergleich zu den vorgängigen Generationen von Tierärzt*innen allmählich ein Umdenken stattfindet und die Studierenden auch bereit sind, über psychische Probleme zu sprechen und nicht einfach arbeiten, bis sie tot umfallen», sagt die angehende Tierärztin. Sie beschreibt ihr Studium, welches sich nun allmählich dem Ende zuneigt, als eine Lebensschule. Gerade deshalb findet sie es schade, beobachten zu müssen, wie andere Studierende sich von negativen Erfahrungen oder der hohen Arbeitslast verunsichern oder gar entmutigen lassen und mit psychischen Problemen kämpfen.
Auch wenn weder im Studium noch später im Beruf alles rosa sei, bleibe Tierärztin respektive Tierarzt für Viele ein Traumberuf seit dem Kindesalter, der einem auch viel zurückgibt. Im Studium helfe besonders der Austausch mit anderen Studierenden.
Vorhandene Hilfsangebote
Die Universität Bern nimmt die psychische Gesundheit Studierender ernst, denn es bestehen bereits professionelle Angebote, die unterstützen sollen. So bietet die Beratungsstelle der Berner Hochschulen Einzelsprechstunden und Workshops an, welche sich mit der psychischen Gesundheit befassen.
Was die Psyche der Studierenden angeht, besteht aber noch immer Handlungsbedarf ‒ das belegen die Zahlen der SUB Umfrage in aller Deutlichkeit.
Ein Tropfen auf dem heissen Stein stellt ausserdem der Verein Mindbalance dar, der sich für die mentale Gesundheit Studierender einsetzt, hierbei aber primär präventiv und aufklärend arbeitet.
text & bilder: noëlle schneider
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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #34 Dezember 2023
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