Es hat sich auserklärt
Gastautor*in SchwarzRund hält am 25. März einen Online-Workshop für SUB Mitglieder. (Bild: zvg)
SchwarzRund ist Autor*in, Aktivist*in und Künstler*in aus Berlin. In ihrem Gastartikel spricht sie über Erfahrungen an einer weiss geprägten Hochschule als Schwarze Femme und den ermüdenden Diskurs über strukturellen Rassismus in akademischen Institutionen.
In einem Raum sitzen Masterstudierende der Physik kurz vor dem Abschluss. Dies ist die letzte Veranstaltung, die sie besuchen müssen, bevor sie offiziell beginnen dürfen, ihre Masterarbeit zu schreiben. Die Dozentin betritt den Raum, in der Hand einen Apfel. Ohne etwas zu sagen, hält sie den Apfel hoch in die Luft, lässt ihn fallen, zieht die Augenbrauen hoch: «Das nennt mensch Schwerkraft!».
Ein Gedankenexperiment, ein Versuch der Übersetzung dessen, was meinen akademischen Alltag prägt. So habe ich das Gefühl, seit Beginn meines Studiums, wenn es um Schwarze Perspektiven geht, stets dasselbe zu lernen. Es ist intellektuell frustrierend, am Ende meines Masterstudiums zu stehen und weiterhin erklären zu müssen: Rassismus? Ja, den gibt es! Auch an der Uni? Gerade dort! Der Apfel? Fällt hinunter – es ist Schwerkraft.
Was für weisse Studierende ein aufschlussreiches Seminar war, lässt mich erschöpft und ratlos zurück.
Mein Studiengang hat sich auf die Fahnen geschrieben, neben Geschlechtergerechtigkeit auch Rassismus und andere Unterdrückungsformen zu fokussieren und doch wird stets von vorne angefangen. Was für weisse Studierende ein aufschlussreiches Seminar war, lässt mich erschöpft und ratlos zurück. Jetzt könnte gesagt werden: «Da muss doch was getan werden! Warum tust du nicht selbst etwas?»
Genauso habe ich auch gedacht, als ich meinen Traumstudiengang an einer kleinen Fachhochschule ergattert hatte. Es war genau mein Ding, Praxis und Theorie – alles gemeinsam. Doch schon bei der Eröffnungsfeier des Semesters, bei der alle 3000 Studierenden versammelt waren, blickte ich mich um. Sah genau eine weitere sichtbar Schwarze Person. Alle Dozierenden waren weiss. Ich kramte routiniert nach einem Haarband, um meinen Afro einzufangen.
Als ich drei Semester später an die Humboldt-Universität zu Berlin wechselte, stand im Attest gegenüber dem BaföG-Amt: «Unaushaltbarer expliziter Rassismus erzwingt einen Universitätswechsel.» Beratungsangebote, Workshops, Weiterbildungen. All das habe ich angeleitet parallel zum Studium, habe methodisch durchforstet, wie es Studierenden of Color und Schwarzen Studierenden ergeht in der deutschen Akademie. Ich habe nach Heilung gesucht, stattdessen nur Erklärungen gefunden.
Dr. Auma verdeutlichte in einem Interview mit dem Tagesspiegel: Die Universitäten sind nur bei Tag weiss. Reinigungskräfte sehen aus wie meine Familie.
Wissen ist geprägt durch die physische Umgebung, in der es entsteht; es kann nur bedacht werden, was der forschenden Person begegnet. Dieses Wissen, das somit zwangsläufig auf der Lebensrealität der globalen Minorität der weissen Menschen basiert, prägt wiederum, was als Wissen gesehen wird. Und wer eben jenen verstellten Blick auf Wissen erfüllt, betritt Räume, in denen dann wiederum Wissen reproduziert wird.
Die Universität hat kein kleines, individuelles Rassismus-Problem. Die Aufklärung, die Sternstunde der Akademisierung, gab der kolonialen Gewalt ihre moralische Legitimation. Die Universität ist somit nicht aus Versehen rassistisch, sondern als Struktur in der westlichen Gesellschaft so präsent, finanziert und wertgeschätzt als theoretisierte Legitimationsstelle der Unterdrückung.
Die Universität ist struktureller Rassismus und zugleich der Ort, an dem Schwarze Menschen wie ich Wissen für Interventionen gegen rassistische gesellschaftliche Strukturen finden können.
Ist dies hier also ein Plädoyer gegen die Universität in Gänze? Oder für mehr Schwarze Dozent*innen? Oder gar Quoten in der Auswahl der Studierendenzulassungen?
Ja! Nein! Absolut!
Die Schwarze Lyrikerin und Akademikerin Sarah Mouwani schrieb: «Sie müssen eine akademische Trennung vornehmen.»
All das sind kolonial geprägte Ideen von Modernität.
Eine analytische Trennung als Ideal, die gute Universität mit den wenigen, aber schädlichen rassistischen Tendenzen. Die schlechte Universität, die der Wandlung nicht bedarf – all das sind kolonial geprägte Ideen von Modernität, von analytischer Trennung zwischen grundlegend gut oder schlecht.
Universität ist, Schwarze Akademiker*innen sind und der Widerspruch, dass dies nicht zusammen kommt, ist ein Problem. Dr. Kelly beschreibt in einem Interview mit der Vogue, wie die analytische Trennung zwischen Universität, Aktivismus und Kunst in Europa ein Arbeiten ausschliesslich in der Universität für sie verunmöglicht.
Dabei kann ich nur schlucken, schliesslich hängt dies alles damit zusammen, ob ich mir zutraue zu promovieren – in Deutschland – als Schwarze Femme. Dass wir uns nicht visualisieren können als Gutverdiener*innen in der Akademie, prägt die Entscheidungen meiner Generation. Und dadurch jene der nachfolgenden Generation. Wir sehen uns in den prekarisierten Berufen in altehrwürdigen Gemäuern, in denen wir sonst nicht zu finden sind.
Mein Vater reinigte Universitätsgebäude, bevor er in eine Fabrik wechselte. Er ertrug die Attitüde verzogener weisser Studierender nicht. Letztendlich weiss mein Vater nicht nur wie die Schwerkraft funktioniert, es ermüdet ihn, wenn ich davon berichte, wie eloquent ich im Abschlusssemester des Masters der Dozentin Rassismus erklärt habe.
«Was erklärt mensch da, das erklärt doch das Leben!», schimpft er. Ich schlucke. Struktureller Rassismus bedeutet auch, dass demselben Wissen in verschiedenen Köpfen einen anderen Wert beigemessen wird. Oral History, Alltagserfahrung ist es unter seinen Locken, ein Zertifikat in Diversitätstraining unterm Dutt einer weissen Kommilitonin.
Der Apfel, der fällt, ist es für mich. «Schwerkraft!», rufen die anderen stolz, ich schweige. Zumindest nicht mehr erklären, als kleiner Moment des Widerstandes.
text: SchwarzRund
***
SchwarzRund verhandelt mehrdimensionale Lebensrealitäten inner- und ausserhalb von Communities in Performance-Texten, Vorträgen und ihrem Roman Biskaya, der Novelle Quasi und dem Titel gebenden Gedichtband «es hat sich auserklärt», der im Winter 2021 im Ach Je Verlag erscheint. Im Rahmen der Aktionswoche der Stadt Bern gegen Rassismus führt SchwarzRund am 25. März den Online-Workshop «Surviving White Academia», ein Empowerment-Workshop für Schwarze Menschen und People of Color, durch. Weitere Infos zum restlichen Programm der Aktionswoche und der Anmeldung findest du auf sub.unibe.ch.
***
Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #23 Mai 2021
Die SUB-Seiten behandeln unipolitische Brisanz, informieren über die Aktivitäten der Studierendenschaft der Uni Bern (SUB) und befassen sich mit dem Unialltag. Für Fragen, Lob und Kritik zu den SUB-Seiten: redaktion@sub.unibe.ch
Die Redaktion der SUB-Seiten ist von der Redaktion der bärner studizytig unabhängig.