Endlich grünes Licht für Klimaneutralität?
Obwohl die Datenerhebung zu Dienstreisen noch nicht abgeschlossen ist, will die Uni Bern in viereinhalb Jahren klimaneutral sein. Gerade das neu eingeführte Ampelsystem könnte an diesem Ziel vorbeischiessen.
Es war ein erfreulicher Tag, als die Uni Bern Ende 2020 offiziell verkündete, sie wolle innerhalb von fünf Jahren klimaneutral werden. Und noch erfreulicher: Auf ihrem Weg ist die Uni Bern nicht allein. Bereits 615 Bildungsinstitutionen haben den globalen Klimabrief (global climate letter) unterzeichnet und sich darin bis allerspätestens 2050 zu Klimaneutralität verpflichtet. Acht Unterzeichnerinnen sind aus der Schweiz, unter anderem die Universität Luzern, die Berner Fachhochschule und die ZHdK. Andere Hochschulen haben den Klimabrief zwar nicht unterzeichnet, verfolgen aber ähnliche Ziele: Die ETH Zürich will ihre Flugemissionen bis 2025 um bis zu 22% senken. Die Uni Genf will sie bis 2030 halbieren. Und die Uni Zürich will bis 2030 klimaneutral sein. Nur die Uni Bern will es bereits bis 2025 schaffen. Das ist ein Wagnis sondergleichen, denn im Gegensatz zur ETH, wo seit Jahren ein Monitoring der Mobilität existiert, hat die Uni Bern erst vor ein paar Monaten damit angefangen.
Dennoch ist die Uni Bern schon um einige Grüntöne bunter. Eingeführt wurden umweltfreundliche Menüs (mit einem Erde-Icon gekennzeichnet), Nachhaltige Entwicklung als Doppelstunde im ersten Bachelorjahr jedes Studiengangs (beschwert euch, falls dem nicht so ist), und ganz frisch: das neue Ampelsystem! Besonders kurze Dienstflüge sollen damit aus dem Uni-versum geschafft werden. Der Kindergartenreim «Grün heisst gehen, rot heisst stehen» wird zu «Grün heisst Zug, rot heisst Flug.» In der von der Uni Bern erstellten Grafik umgeben die zunehmend bedrohlichen Farben die Schweiz in konzentrischen Farbklecksen. Im grünen Licht erstrahlen Städte wie Paris, München und Salzburg (Stand 26.04.2021). Wird die Boardingtime mit einberechnet, ist der Zug dorthin sogar schneller als das Flugzeug. Etwas entferntere Städte wie Berlin, Wien und Rom leuchten gelb. Zu diesen Destinationen werden Zugfahrten empfohlen, Flüge sind aber erlaubt. Der ganze Rest der Welt ist in Braun- und Rosatöne getaucht – denn zu abgelegenen Orten wie Prag oder Barcelona dauert die Zugfahrt mehr als 3.5 Stunden länger als der Flug und insgesamt länger als 7 Stunden. Flugreisen dorthin seien «zumeist unvermeidlich», schreibt die Uni Bern in einem Informationsblatt.
«Dieses Ampelsystem gibt das Gefühl, nur Kurzstreckenflüge seien ein Problem.»
– Héloïse Calame
Ob die 7-Stunden-Grenze hoch genug angesetzt ist, werden wir erst nach Beendigung der Datenerhebung zu Mobilität an der Uni Bern wissen. Die SUB war in ihrem Positionspapier etwas strenger und forderte den Finanzierungsstopp für Kurzflüge mit Destinationen, die mit einem Tageszug innerhalb von 8 Stunden oder mit einem Nachtzug innerhalb von 14 Stunden erreichbar sind. Momentan wird die Nutzung von Nachtzügen von der Uni lediglich «empfohlen». Die SUB findet jedoch, dass mehr möglich sei – gerade angesichts der Tatsache, dass wir momentan alle lernen, von überall zu lernen, und Züge vermehrt W-Lan anbieten.
Héloïse Calame, Vorstandsmitglied von BENE, ist dem Ampelsystem gegenüber skeptisch eingestellt: «Dieses Ampelsystem gibt das Gefühl, nur Kurzstreckenflüge seien ein Problem. Jedoch geht es nicht darum, Kurzstreckenflüge zu verbieten, sondern allgemein Dienstreisen zu überdenken und Flüge zu reduzieren.» Sind nämlich die meisten Flüge der Uni Bern keine Kurzstreckenflüge, wird das aktuelle Ampelsystem trotz seiner ausgeprägten Ästhetik keine nachhaltige Veränderung im CO2-Haushalt mit sich bringen. Hierzu ein Vergleich: Bei den Mitarbeitenden und den Studierenden der ETH Zürich entstehen rund 90% der Flugemissionen durch Langstreckenflüge. Das macht sie zum Hauptregler für die angestrebte Emissionsreduktion. Studien an der University of British Columbia haben ausserdem ergeben, dass 8% der befragten Uniangehörigen für die Hälfte der erhobenen Flugemissionen verantwortlich sind – und das obwohl keine Korrelation zwischen Vielfliegerei und wissenschaftlicher Exzellenz gefunden wurde. In anderen Worten gesagt, sind es eine Handvoll an Vielfliegenden, die die Emissionswerte in die Höhe schnellen lassen.
Nebst dem Monitoring der Mobilität ist auch die seit 2020 laufende CO2-Bilanzierung der Uni Bern noch ausstehend. Und das obwohl noch in diesem Jahr das Reduktionspotential analysiert werden soll. Es drängen sich also Zweifel auf. Wird die Uni Bern bis in viereinhalb Jahren klimaneutral sein, wenn heute noch die grundlegenden Daten zur Bestimmung des Ist-Zustands fehlen?
Thomas Stocker, Präsident vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung, meint dazu: «Klimaschutz ist eine langfristige Aufgabe, die nicht in 4 Jahren zu erledigen ist.» Wichtig sei jetzt, dass Rahmenbedingungen zur Erreichung der Emissionsreduktion aufgestellt werden, wie beispielsweise Gesetze. Darum sei es unerlässlich, dass Studierende am 13. Juni vollzählig an die Urne gingen, damit das CO2-Gesetz mit einem klaren Ja angenommen werde. Auch Karin Ingold, die an der Uni Bern die Professur für Policy Analysis and Environmental Governance leitet, steht der näherrückenden Frist bis 2025 kritisch gegenüber: «Um Mobilität zu reduzieren, brauchen wir global betrachtet eine digitale Infrastruktur. Corona hat uns gezwungen, dies voranzutreiben, aber wir sind bei weitem noch nicht dort, wo wir sein sollten.»
Zwischenresultate zur aktuellen CO2-Bilanzierung oder dem Mobilitätsmonitoring sind noch nicht verfügbar. Um Klimaneutralität bis 2025 zu erreichen, sei unter anderem aber ein gemeinsamer Einsatz gefragt, sagt die Medienstelle der Uni Bern: «Das Ziel der Klimaneutralität fordert von allen – ob von Forschenden, Mitarbeitenden oder Studierenden – die Bereitschaft, gewohnte Aktivitäten und eingespielte Abläufe zu hinterfragen.» Die Welt liegt also wieder einmal in unseren eigenen Händen. Trotzdem findet Héloïse Calame, dass dies keine Ausrede fürs Nichtstun sein dürfe: «Klar, es braucht eine Mischung aus top-down und bottom-up Bewegungen. Aber eben nicht nur jede Person, sondern auch jede Institution sollte im Rahmen ihrer Möglichkeiten handeln.»
«Die Uni Bern soll nicht nur mit uns kommunizieren, sondern mit uns arbeiten.» – Karin Ingold
Gehen wir davon aus, dass sich das Flug-Monitoring der ETH auf die Uni Bern übertragen lässt und auch hier die grosse Mehrheit der Flugemissionen durch Langstreckenflüge verursacht werden. Bewahrheitet sich der Vergleich, wird das Ampelsystem an seinem Ziel vorbeischiessen. Spätestens dann muss sich die Uni Bern die Frage stellen, ob – zum Wohle des Klimas – nicht auch achtstündige Zugfahrten oder Nachtzüge zumutbar sind. Ausserdem müssen alternative Lösungen jetzt auf den Tisch gebracht werden: Die Studie der University of British Columbia eröffnet die Möglichkeit, dass auch an der Uni Bern eine kleine Gruppe an Vielfliegenden für den Grossteil der Emissionen verantwortlich sein könnte.
Angesichts der Tatsache, dass es um das Überleben von (unserer) Spezies geht, müssen wir jetzt schon alternative Lösungen andenken. Gemäss Karin Ingold sollten internationale Reisen zwar nicht komplett gestrichen werden, aber trotzdem: «Nur für einen Apéro muss man nicht eine internationale Konferenz in Kuala Lumpur durchführen.» Wenn die technischen Möglichkeiten gefördert würden – auch in weniger gut angebundenen Ländern –, dann könnten Präsenzkonferenzen zumindest halbiert werden.
Als zusätzliche Lösung zu einem konsequenten Ampelsystem bietet sich ausserdem ein Carbon-Budget an, welches die Flugemissionen pro Person limitiert. Durch «Flugzertifikate» könnten die Umweltkosten der Treibhausgasemissionen monetarisiert und greifbarer gemacht werden. Voraussetzung dafür wäre jedoch eine restriktive Ausstellung solcher Zertifikate und die Möglichkeit, diese zu handeln. Dadurch, so Karin Ingold, würden effektive, finanzielle Anreize zur Flugreduktion gesetzt.
Genauso wichtig sei jedoch, was aus der momentan entstehenden CO2-Bilanzierung gemacht würde: Es reiche nicht, sie bei den Entscheidungsträger*innen auf den Tisch zu legen und Informationsbroschüren in Willkommenstüten zu stecken. Es sei wichtig, dass ein direkter Austausch zwischen der Unileitung, den zentralen Diensten, den Studierenden und den Mitarbeitenden gefördert und gelebt wird. Karin Ingolds konkludiert: «Die Kommunikationsabteilung sagt, es komme auf uns alle an – das stimmt. Deshalb möchte ich mit ins Boot geholt werden. Die Uni Bern soll nicht nur mit uns kommunizieren, sondern mit uns arbeiten.»
text: florian rudolph
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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #24 Mai 2021
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