Einwegbecher im Gegenwind

Der Becher des Anstosses: An der Uni Bern wird über die Hälfte des Kaffees aus Einwegbechern konsumiert. bild: nils wyssmann

30. Mai 2018

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In den letzten Jahren hat sich der Einweg-Kaffeebecher hartnäckig in unserem Alltag festgesetzt. Doch wie werden wir ihn jetzt wieder los? Auf dem Campus sucht man nach Lösungen.

Sandra trinkt. Den ersten zuhause. Den zweiten zum Znüni. Einen weiteren nach dem Zmittag, manchmal auch zwei.

Sandra, das ist meine 26-jährige Kollegin. Sie studiert Politikwissenschaft. Und sie hat ein Problem. Mit ihrem Kaffee. Genauer: mit dem Drumrum. «Am schwierigsten ist es an der UniS», sagt sie: «Da gibt es den Kaffee fast immer im Pappbecher. Richtige Tassen geben sie nur morgens raus, später nicht mehr.» Am liebsten möchte Sandra ihren Kaffee immer aus dem Tas­sli trinken, denn Sandra weiss: Das ist ökologischer – und schmeckt erst noch feiner.

Tägliche Becherschlange von Basel bis Wien

Acht Millionen. So viele Einwegbecher werden in der Schweiz gemäss einer Hochrechnung täglich verbraucht. Würde man sie aneinanderreihen, käme man jeden Tag auf eine Becherschlange von 820 Kilometer. Das ist die Distanz von Basel bis Wien.

Das Geschäft mit Einweg-Kaffeebechern boomt weltweit. Der Coffee-to-go ist das Accessoire des flexiblen Grossstadtmenschen der Spätmoderne. Der Becher signalisiert: Ich habe es eilig, ich bin wichtig – und ich muss jetzt, sofort, produktiv sein.

Dabei ist der Einwegbecher eine relativ neue Erscheinung. In den USA begann 7-Eleven 1964 als erste grössere Kette, Kaffee in Styropor-Bechern zu verkaufen. In den 80-ern erfand Starbucks den Plastikdeckel. In die Schweiz gelangte der Trend erst Mitte der 90er-Jahre. Und mit ihm das Abfallproblem: Weil die meisten Einwegbecher mit Kunststoff beschichtet sind, können sie nicht rezykliert werden.

Schätzungen gehen davon aus, dass Mehrwegbecher aus Keramik oder Kunststoff bereits nach dem zehnten Gebrauch umweltfreundlicher sind.

Wie viel besser Mehrwegbecher gegenüber Einwegbechern abschneiden, hängt hängt vom Gebrauch ab. Betrachtet man nur die Herstellung und den Transport, kommen Einwegbecher um ein Vielfaches besser weg. Entscheidend ist die Gebrauchsdauer sowie die Frage, wie wasserarm die Mehrwegtassen gespült werden. In einer fast hundertseitigen Arbeit zur «Einwegbecher-Problematik an der Universität Bern» kommt eine Gruppe Studierender des Fachs Nachhaltige Entwicklung zum Schluss, «dass Mehrwegbecher bei einer sachgerechten Verwendung dem Einwegbecher in der Ökobilanz deutlich überlegen sind, Ressourcen schonen, geringere Klimabelastungen aufweisen und weniger Abfall produzieren.» Andere Schätzungen gehen davon aus, dass Mehrwegbecher aus Keramik oder Kunststoff bereits nach dem zehnten Gebrauch umweltfreundlicher sind als Einwegbecher.

Studierende gegen Müllberg

Meine Bekannte, Sandra, ist mit ihrer Sorge übrigens nicht allein. Auch Yasemin, Carina und Rivka von «BENE», dem Verein für nachhaltige Entwicklung an der Uni Bern, sind unzufrieden: «Uns nervt die Wegwerf-Kultur», erklären sie: «Monatlich geben die Mensen an der Uni Bern 40‘000 Pappbecher raus – obwohl der Kaffee häufig im Gebäude selbst konsumiert wird, also nicht wirklich to-go ist.»

Um auf das Problem hinzuweisen, haben einige BENE-Mitglieder anfangs Frühling einen grossen Baum aus braunen Cafeteria-Bechern gebastelt und ihn im Eingangsbereich des vonRoll-Gebäudes aufgestellt. An den Baum hängten sie Äpfel aus Papier. Darauf schrieben sie Dinge wie: «32 Mio. Bäume werden pro Jahr gefällt für Pappbecher-Produktion.» Mit ihrer Aktion wollten die Mitglieder von BENE für das Problem sensibilisieren: «Von Seiten der Mensa heisst es immer, das Problem müsse von unten angegangen werden, also von uns Studis selbst. Wir sollen ein Bewusstsein bei den Leuten schaffen. Dann sinke die Nachfrage nach Einwegbechern.» Einen Teilerfolg habe BENE bereits verbuchen können. In den Mensen der Uni Bern gibt es neu Stempelkarten: Wer seinen Kaffee aus einem mitgebrachten Mehrwegbecher trinkt, kriegt jeden 11. Kaffee gratis.

Trotzdem trinken Berner Studierende mehr als die Hälfte ihres Kaffees aus Einwegbechern. Das liegt unter anderem daran, dass in den Cafeterien an der Uni Bern oft standardmässig Einwegbecher herausgegeben werden sowie am Umstand, dass bei Selbstbedienungsautomaten nicht immer Keramiktassen bereitstehen.

Die ZFV-Unternehmungen, die Betreiber der Mensen und Cafeterien an der Uni Bern, begründen diese Praxis mit dem Verhalten der Kund*innen: Die Nachfrage nach Takeaway-Angeboten sei sowohl im Getränke- als auch im Essensbereich zunehmend. Man versuche diesem Bedürfnis nachzukommen und biete deshalb Pappbecher und Einweggeschirr an. Bei Engpässen von Porzellantassen werde ohne zu fragen in Pappbechern serviert. Leider komme es immer wieder vor, dass Tassen nicht zurückgegeben werden oder längere Zeit in Büros rumstehen. Deshalb komme es phasenweise zu Engpässen. Hinzu komme Diebstahl: Zum Beispiel beim Besteck würden jährlich rund 20% nicht mehr retourniert.

Ausserdem engagierten sich die ZFV-Unternehmungen allgemein stark für Nachhaltigkeit, zum Beispiel in den Bereichen Food-Waste und Regionalität. An der Uni Bern beispielsweise mit dem Nachhaltigkeitskalender, der sich monatlich einem Thema im Bereich der Nachhaltigkeit widmet – gerade im April wurde der Kaffee-Konsum thematisiert.

Eigentlich könnten die Becher samt Deckel kompostiert werden. Nur stehen leider keine Kübel für das Recycling bereit.

Tatsächlich berücksichtigen die ZFV-Unternehmungen beim Einkauf ihrer Einwegbecher auch ökologische Aspekte. Anders als in der herkömmlichen Version sind die braunen «Momento»-­Becher nämlich nicht mit Plastik beschichtet, sondern mit Polymilchsäure, einem nachwachsenden Rohstoff. Eigentlich könnten die Becher deshalb samt Deckel kompostiert werden. Nur stehen leider keine Kübel für das Recycling bereit. Die ZFV-Unternehmungen empfehlen auf Anfrage, den Becher im normalen Abfall zu entsorgen.

Kommt bald ein Mehrweg-System?

Einen anderen Weg geht die ETH Lausanne (EPFL). Dort läuft seit letztem Herbst ein Pilotprojekt mit Mehrweggeschirr: Für zehn Franken Depot erhält man an allen Essensständen ein wiederverwendbares Mehrwegbehältnis, genannt «reBOX». Wird sie nicht mehr gebraucht, nimmt sie die Verkaufsstelle zurück und händigt das Depot aus. Danach kommt die Box zurück in den Kreislauf. Zwar kommt es auch an der EPFL vor, dass die «reBOX» im Büro liegen bleibt. Es sei sogar vorgekommen, dass sich die liegengelassene Box nach einer gewissen Zeit gemeldet hätte – und zwar mit einem lauten Knall. Gärprozesse im Innern hätten der Box eines Büronachbarn den Deckel abgejagt, berichtet mir ein EPFL-Student. Abgesehen von solchen Zwischenfällen sei man mit dem Pilotprojekt jedoch sehr zufrieden. Ab September werde an die Uni Genf expandiert und auch in Basel und Zürich hätten die Uni-Mensen die «reBOX» bereits im Angebot. Und an der EPFL werde das Mehrwegsystem flächendeckend eingeführt und Tests mit Kaffeesystemen gemacht.

«Wir wären ab heute bereit, ein solches Projekt in Angriff zu nehmen», meint  die Geschäftsleiterin von «reCIRCLE».

Wäre ein ähnliches System auch für die Uni Bern denkbar? Geplant sei nichts, heisst es von Patrick Seiler, dem Betriebsleiter der Mensen an der Uni Bern. Die Entwicklung des Systems werde jedoch weiter beobachtet und regelmässig auf die Machbarkeit geprüft. Man darf gespannt sein: Die Firma «reCIRCLE», welche die Mehrwegsysteme um die «reBOX» anbietet, hat nämlich auch den «reCUP» für Heissgetränke im Angebot. Und in Bern, wo die kleine Firma ihren Sitz hat, machen bereits rund dreissig Takeaway-Geschäfte beim «reBOX»-Projekt mit, unter anderem auch die Migros-Take-Away. «Wir wären ab heute bereit, ein solches Projekt gemeinsam mit dem ZFV in Angriff zu nehmen», meint Jeannette Morath, die Geschäftsleiterin von «reCIRCLE» auf Anfrage.

Dass damit die Nachhaltigkeits-Problematik nicht gelöst ist, das wissen auch Yasemin, Carina und Rivka: «Das Ressourcenintensivste am ganzen Produkt ist ja eigentlich der Kaffee», sagt mir Yasemin zum Schluss. «Aber das kann man den Leuten ja schlecht sagen.»

***

Dieser Text erschien in der bärner studizytig #12 Mai 2018.

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Pocahontas
4. März 2019 18:52

Weshalb nicht einfach ein System einrichten, bei dem Kaffetrinker, die ihren Mehrwegbecher nicht mitbringen, 2.- extra bezahlen? Die armen Studis würden sich wohl bald einen Mehrwegbecher leisten können…