Der Kampf um die Podcasts
«Wo bleiben eigentlich die Podcasts, die während der Pandemie so rege genutzt und geschätzt wurden?» Eine Frage, die seit geraumer Zeit unterschwellig aber teils auch laut und fordernd die Gänge der Universität Bern erfüllt. Dass diesbezüglich hinter den Kulissen schon jede Menge lief, dürfte vielen gar nicht bewusst sein.
Fangen wir vorne an…
Die Corona- Pandemie brach anfangs 2020 über unsere Welt hinein wie eine Welle. Reisserisch machte sie unsere Vorstellungen von einem eingespielten und strukturierten Alltag, an dem so schnell nichts verändert werden kann und muss, binnen eines Wimpernschlags zunichte. Das Gesundheitswesen stand einem Kollaps nahe und die Wirtschaft sah sich grundlegend ethischen Fragen bezüglich der Gesundheit Dritter gegenüber. Nicht zuletzt wurden auch die Schulen und Universitäten weltweit von der unsichtbaren Gefahr in Form eines Virus hinterrücks überrascht.
Es ging ein Beben durch die über Monate, Jahre und Jahrzehnte sorgfältig erprobten und lang bewährten Unterrichtsmethoden. Die epidemiologische Lage verunmöglichte den herkömmlichen Unterricht. Lernenden, von der frisch gebackenen Erstklässlerin bis zum Studierenden, der kurz vor dem Masterabschluss stand, blieb der altbekannte Frontalunterricht und persönliche Besprechungen vor Ort vom einen auf den anderen Tag verwehrt.
Auch an der Universität Bern mussten sich Studierende der neuen Ausgangslage stellen.
Wie ein Rettungsring tauchten plötzlich Podcasts, Livestreams, Online-Foren und was das Reich der Digitalisierung noch so zu bieten hatte, aus den pandemie-bedingten Problemfluten auf.
Wagemutig stürzten sich Dozierende und Assistierende in die Tiefen der Informatik, um die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit der Unterricht und der Austausch mit und unter Studierenden in einem digitalen Paralleluniversum am Leben gehalten werden konnte.
Doch ebenso schnell, wie sie aufgetaucht sind, waren diese technischen Hilfsmittel auch wieder verschwunden – zumindest an den meisten Fakultäten. Andere hingegen, sahen die neuen Methoden als Chance und behielten sie fast flächendeckend bei. Dritte nutzten Podcasts und Livestreams nur noch vereinzelt, wie etwa bei krankheitsbedingten Ausfällen von Dozierenden.
Die Motion der SUB
Wenig verwunderlich führte die ungleiche Handhabung digitaler Methoden zwischen den Fakultäten bald schon zu einem gewissen Unmut unter den Kommiliton*innen. Insbesondere für Studierende, für die eine stetige Anwesenheit an der Universität nicht zuletzt durch die Pandemie erschwert wurde, hinterliessen die fehlenden technischen Hilfsmittel zum Aufholen des Stoffes ein dunkles Loch.
Ob krankheits- oder unfallbedingt, auf Grund eines Nebenjobs oder anderen zeitkonsumierenden Beschäftigungen, oder wegen eines Anreiseweges, der mit der Veranstaltungszeit in keinem Verhältnis stand: Es gab und gibt viele Gründe, warum Studierende nicht immer anwesend sein können. So würde zum Beispiel auch eine Familiengründung oder -erweiterung durch das Angebot von digitalen Hilfsmitteln wesentlich unterstützt. Veranstaltungen überschneiden sich ausserdem vermehrt, weshalb es ebenfalls praktisch wäre, ein Seminar oder eine Vorlesung per Podcast nachholen zu können.
Nicht nur für Studierende, die nicht an allen Vorlesungen teilnehmen können, fehlen die Podcasts. Auch für diejenigen, welche die digitalen Hilfsmittel regelmässig zum Repetieren des Stoffes nutzten, als diese noch zur Verfügung standen, haben sich solche Instrumente, namentlich Podcasts, zu einem elementaren Bestandteil des Lernens entwickelt.
Wie sogar die Universität Bern auf ihrer Website schreibt, können Podcasts von Studierenden beim Wiederholen des Stoffes insbesondere dafür eingesetzt werden, selektiv bestimmte Abschnitte, die während der Vorlesung nicht verstanden wurden, zu repetieren. Dabei sind insbesondere die Rückspul- und Pause- Funktionen von zentraler Bedeutung, weil sie es ermöglichen, einerseits über Gesagtes zu reflektieren und andererseits gute Notizen zu machen. Für lernschwache Studierende, aber auch für solche, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, stellen diese neuen Methoden damit eine riesige Chance dar. Auch für Menschen, welche in der Vorlesung schnell eine Sinnesüberflutung haben, wären Podcasts eine grosse Unterstützung. Weiter schreibt die Universität in dieser Auflistung von Pro-Argumenten, dass die Einbindung der Podcasts in die Lernplattform ILIAS eine einfache Aufzeichnung der Vorlesung ermögliche, die sogar vollautomatisch durchgeführt werden könne.
Die Studierendenschaft der Universität Bern beschäftigt sich schon seit Anfangs 2021 mit der erläuterten Thematik. Im Mai 2021 nahm der Studierendenrat der SUB eine Motion an, welche die Universität dazu aufforderte, Podcasts zu Vorlesungen, Kongressbeiträgen oder anderen nicht-interaktiven Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen. Die Podcasts sollten laut der Motion regelmässig aktualisiert werden, den Präsenzunterricht aber keineswegs ersetzen, sondern bloss ergänzen. Betreffen sollte diese Regelung laut der Motion lediglich Veranstaltungen von mehr als 50 Personen, die dementsprechend zur Aufzeichnung von Podcasts geeignet wären.
Vernehmlassung der Motion
Nach den rechtlichen Abklärungen und der Beratung der Universitätsleitung wurden im März dieses Jahres zwei mögliche Umsetzungsvarianten den Fakultäten, den Fachschaften und der SUB zur Vernehmlassung vorgelegt.
Erste Variante: Empfehlung, Lerninhalte, welche nicht-interaktiv und dadurch zur individuellen Nachbearbeitung geeignet sind, digital zur Verfügung zu stellen.
Zweite Variante: Verpflichtung, alle Lerninhalte, die zur individuellen Nachbereitung geeignet sind, digital zur Verfügung zu stellen.
Als Mittel der digitalen Aufbereitung wurden in beiden Varianten Podcasts, Zoom-Aufzeichnungen, Ausformulierte Rede-Manuskripte und Lehrbücher, welche der Vorlesung zu Grunde liegen, genannt.
Insgesamt nahmen neun Einheiten Stellung zu den beiden vorgelegten Varianten:
Die Variante 1, welche die Einführung von Podcasts etc. als Empfehlung formulierte, wurde von insgesamt 4.5 Einheiten (eher) bevorzugt: Darunter die Theologische Fakultät, die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, die Philosophisch-humanwissenschaftliche Fakultät, die Philosophisch-naturwissenschaftliche Fakultät und ein Teil der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Der Teil der RW-Fakultät und die Phil.-nat.-Fakultät merkten allerdings an, dass auch diese Variante noch Anpassungen beziehungsweise Überarbeitung bedürfe.
Die Variante 2 wurde von der SUB und der Vetsuisse klar befürwortet. Die Medizinische Fakultät nahm zwar nicht ausdrücklich zur Vernehmlassung Stellung, da sie aber die Variante 2 schon umsetzt, indem Podcasts und teilweise zusätzlich Live-Streams für alle Vorlesungen angeboten werden, wurde sie ebenfalls als deren Befürworterin klassifiziert.
Vollständig abgelehnt wurden beide Varianten von der Philosophisch-historischen Fakultät und der Mittelbauvereinigung (MVUB). Auch ein Teil der Rechtswissenschaftlichen Fakultät sprach sich ausdrücklich gegen beide Varianten aus.
Argumente aus der Vernehmlassung
Die Argumente für die Einführung von Podcasts, insbesondere aus der Sicht der Studierenden, wurden schon erläutert.
Die Einheiten, welche bei der Vernehmlassung die Variante 2 bevorzugten, betonten erneut die Flexibilität der Studierenden, welche durch digitale Lerninhalte geschaffen würde und berichteten von positiven eigenen Erfahrungen im Zusammenhang mit Podcasts.
Auf der Gegenseite haben sich gegen die Empfehlung oder gar der Verpflichtung zu Podcasts oder anderen digitalen Lernmittel insbesondere folgende Argumente herauskristallisiert:
Von der Phil.-nat. und der Phil.-hum Fakultät und von der MVUB wurde betont, die Studierenden der Universität hätten sich bewusst für eine Präsenzuniversität entschieden, es sollen keine Anreize für Fernbleiben geschaffen werden.
Auch wurden Bedenken deutlich, dass die Lehrqualität durch digitale Lerninhalte beträchtlich abnehmen könnte. Die WiSo-Fakultät argumentierte, die Leistungen der Studierenden hätte seit Einführung von Podcasts markant abgenommen.
Weiter schrieben sowohl die Theologische wie auch die Phil.-nat. Fakultät, es sei nicht klar abgrenzbar, ob eine Veranstaltung interaktiv oder nicht-interaktiv sei und damit sei es schwierig festzulegen, für welche Veranstaltung Podcasts oder Ähnliches zur Verfügung gestellt werden müssen und für welche nicht.
Die Theologische Fakultät machte ausserdem geltend, die Infrastruktur für die Umsetzung von Podcasts fehle teilweise.
Laut Stimmen aus der rechtswissenschaftlichen Fakultät seien nur Dozierende in der Lage, die Zweckmässigkeit des Einsatzes digitaler Mittel zu beurteilen. Digitale Mittel stellen ausserdem eine Gefahr für leistungsschwache Studierende dar.
Die MVUB warf den Mehraufwand für Dozierende in die Waagschale, für den keine Entlastung vorgesehen sei.
Die Phil.-hist. Fakultät hatte Bedenken zu heruntergeladenen und weiterverbreiteten Podcasts und Hass-Mails, die sich auf online zur Verfügung gestellte Podcasts beziehen würden. Anzumerken ist hierzu laut Rechtsdienst, dass eine Veröffentlichung der Podcasts gar nie zur Diskussion stand. Nur Studierende, welche sich für die entsprechende Lehrveranstaltung angemeldet hätten, könnten auf die digitalen Inhalte zugreifen. Ausserdem ist es laut ILUB möglich, Podcasts so einzustellen, dass sie nicht heruntergeladen werden können.
Die Phil.-hist. Fakultät merkte an, Podcasts werden von Studierenden der Phil-hist. Fakultät nicht breit gewünscht, sondern lediglich ausführliche Foliensätze würden im Wesentlichen geschätzt.
Und jetzt noch etwas für die Paragraphenreiter*innen unter uns: Von fast allen Einheiten wurden berechtigterweise eine Vielzahl von rechtlichen Bedenken im Vernehmlassungsverfahren geäussert. Diese wurden vom Rechtsdienst fundiert abgeklärt – und weitgehend auch gleich wieder entkräftigt.
Eine Auswahl davon:
Lehrfreiheit: Vermehrt wurde in der Vernehmlassung hervorgehoben, die in Art.20 der Bundesverfassung ausdrücklich verankerte Lehrfreiheit dürfe nicht eingeschränkt werden. Dozierende sollen nach wie vor die volle Entscheidungsgewalt darüber haben, ob und wie sie ihre Lerninhalte digital zur Verfügung stellen und aufbereiten wollen.
Der Rechtsdienst betonte hierzu, das Recht der Dozierenden, selbst über Inhalt, Methode oder Ablauf einer Lehrveranstaltung entscheiden zu können, werde durch formale und organisatorische Vorgaben durch die Universität nicht eingeschränkt.
Urheberrechte: Auch wurde wiederholt auf die Beachtung des Datenschutzes hingewiesen, der durch eine Verpflichtung von Podcasts etc. aussen vorgelassen würde.
Die Abklärungen des Rechtsdienstes ergaben Folgendes: Nach Art.70 Abs.1 UniG gelten immaterielle Arbeitsergebnisse, welche die Mitarbeitenden in Erfüllung ihrer dienstrechtlichen Verpflichtungen und in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit schaffen als an die Universität Bern abgetreten. Wenn eine Lehrveranstaltung, welche von Dozierenden gehalten wird, als Podcast aufgenommen wird, entsteht ein urheberrechtlich geschütztes Werk, welches gemäss Art.70 Abs.1 UniG an die Universität Bern abgetreten wird. Die Urheberrechtspersönlichkeitsrechte verbleiben dabei aber selbstverständlich bei den Dozierenden.
Datenschutz: Auch wurde von verschiedenen Einheiten erwähnt, Bestimmungen aus dem Datenschutzgesetz würden durch die Einführung einer «Podcast-Pflicht» verletzt, es fehle insbesondere die gesetzliche Grundlage und die Verhältnismässigkeit werden nicht gewahrt.
Eine Nachfrage des Rechtsdiensts bei der Datenschutzaufsichtsstelle des Kanton Berns hat ergeben, dass gar keine formell-gesetzliche Grundlage für die Aufzeichnung von Lehrveranstaltungen erforderlich sei. Das gilt zumindest falls nur die Folien mit der Stimme der dozierenden Person zu hören ist. Höchstens aus Transparenzgründen sei eine gesetzliche Grundlage empfehlenswert, die dann aber auch nicht formell-gesetzlich sein müsse. Die Verhältnismässigkeit würde ersten Abklärungen zu Folge ebenfalls gewahrt.
Die SUB betonte im Vernehmlassungsverfahren erneut, es sei nicht zwingend ein Rückgang der Präsenz zu erwarten. Schliesslich bliebe es im Ermessen der Studierenden, welche sich weiterhin mehrheitlich Präsenzunterricht oder eine Mischform wünschen, zu entscheiden, ob sie im Einzelfall die Vorlesung besuchen können und wollen.
Auch hat die Erfahrung aus der medizinischen Fakultät gezeigt, dass der Vorlesungsbesuch zwar insgesamt zwischen 10-20% sinkt, wenn Podcasts zur Verfügung gestellt werden, aber dieser Rückgang eher vom Studienabschnitt abhängig ist. Im Masterstudium besuchen ohnehin nur noch ca. 30 – 50% der Studierenden die Vorlesungen mit Präsenz, dies war aber auch schon vor der Pandemie der Fall.
Zu betonen sei insbesondere die Wichtigkeit der Podcasts zur Schaffung einer Flexibilität der Studierenden. Die Mehrarbeit für Dozierende werde beispielsweise an der medizinischen Fakultät grösstenteils nicht durch Dozierenden selbst, sondern durch angestellte Studierende geleistet.
Die Fachschaften sprachen sich verschiedentlich für die Variante 2 aus. Die Fachschaft Rechtswissenschaft forderte beispielsweise, die Digitalisierung voranzutreiben, wollte die dauerhafte Einführung hybriden Unterrichts und argumentierte, unterschiedliche Lerntypen bräuchten auch unterschiedliche Lehrformen. Ausserdem könne es auch positiv sein, weniger Studierende vor Ort zu haben, weil dies eine höhere Interaktivität gewährleiste.
Die Fachschaft Geschichte und SoWi befürworten die Variante 2 insbesondere wegen der hohen Flexibilität und der Ortsunabhängigkeit der Studierenden, die damit verbunden wäre.
Die Fachschaft Physik und Astronomie sprach von Überschneidungen von Mathematik und Physik Vorlesungen, welche ohne Podcasts schwierig aufzuholen seien.
Entscheid der Universitätsleistung
Anfangs September dieses Jahres entschied die Universitätsleitung endgültig, eine Empfehlung an alle Dozierenden im Sinne der ersten Variante herauszugeben. Begründet wurde diese Entscheidung, indem gesagt wurde, eine Empfehlung könne den unterschiedlichen Interessen am besten Rechnung tragen. In ihrer Stellungnahme betonte die Universitätsleitung ausserdem, die Universität Bern verschliesse sich damit keineswegs die Möglichkeit der Digitalisierung, sondern digitale Elemente sollen zukünftig verstärkt und verbessert werden.
Somit gilt seit diesem Semester eine Empfehlung, Lerninhalte digital zur Verfügung zu stellen, falls diese zur individuellen Nachbearbeitung geeignet sind.
Und jetzt?
Die SUB bedauert den Entscheid der Universitätsleitung. Offensichtlich haben sich die Studierenden mehr als nur eine Empfehlung erhofft. Dementsprechend ist es aber von umso grösserer Wichtigkeit, dass die Dozierenden sich diese Empfehlung auch zu Herzen nehmen und sie nach bestem Wissen und Gewissen umsetzen. Die Pandemie hat uns in aller Deutlichkeit aufgezeigt, wie unabdingbar digitale Hilfsmittel heutzutage sind.
text und fotos: noëlle schneider
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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #30 Dezember 2022
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