«Chi va piano va sano e lontano»
Francesco Moser während seines zweiten Auslandsaufenhalts in Bologna.
Reisen war in den letzten eineinhalb Jahren nur sehr eingeschränkt oder gar nicht möglich. Viele Studis mussten ihr Austauschsemester absagen oder verschieben. Die SUB-Seiten haben mit einem erfahrenen Austauschstudi gesprochen. Eine Bestandsaufnahme und Schritt für Schritt Anleitung für Austauschinteressierte.
Vor einem Jahr schrieb die SUB über Erasmus+ und die Schweizer Alternative, das Swiss-European Mobility Programme (SEMP). Dabei handelt es sich um ein für die Studierenden fast deckungsgleiches Programm – bloss hinter der Fassade steckt eine andere Organisationsstruktur. Statt einer Assoziierung am europäischen Austausch- und Bildungsprojekt Erasmus+ geht die Schweiz den gewohnten bilateralen Weg.
Aus Studisicht gibt es beim SEMP eventuell etwas weniger Auswahl bei den Partneruniversitäten, sagt Flavio Caluori. Er ist der Verantwortliche der Uni Bern für SEMP Outgoing Studierende sowie die bilateralen SEMP-Verträge mit anderen Universitäten. «Zudem gibt es für Erasmus+ Studierende an manchen Partneruniversitäten Begleitangebote, wie z.B. kostenlose Sprachkurse, welche SEMP-Studierende nicht besuchen können.»
Aber eins nach dem anderen oder «Chi va piano va sano e lontano», wie Francesco sagen würde. Der 22-jährige Italienisch- und Französischstudent hat schon ein Austauschsemester in Paris hinter sich und befindet sich gerade in seinem zweiten in Bologna, Italien. Er bemerkt für sich keinen Unterschied zu assoziierten Erasmus+ Austauschstudierenden.
«Wenn du schon die Chance hast, dann nutze sie!»
Francesco empfiehlt eine Bewerbung auf ein SEMP-Austauschsemester ganz generell: «Sobald du im Ausland erstmal im Flow bist, ist es eine sehr lehrreiche Erfahrung!» Er muss für sein Studium sowieso ein Semester im jeweiligen Sprachgebiet verbringen und hätte auch in der Schweiz bleiben können. «Mein Anreiz ist ganz klar, dass ich die Schweiz bereits kenne – die Schweiz ist schön – aber ich wollte mal raus, neue Kulturen, neue Menschen und generell ein neues Land kennenlernen.»
Er habe im Ausland viele Menschen kennengelernt, die ihm sagten: Was für ein Glück er habe, während des Studiums im Ausland studieren zu können, sie hätten das früher nicht gekonnt.
Also was braucht es für einen Auslandsaufenthalt konkret? Francesco hat die administrativen Aufgaben als keine allzu grossen Hürden wahrgenommen: «Ein paar Formulare gehören immer dazu, aber das ist machbar. Du folgst einfach dem Plan auf der Mobility-Online Website.»
«Ich konnte das berühmte Paris kennenlernen, das auch oft in der Literatur erwähnt wird.» Francesco Moser, momentan Austauschstudent in Italien
Auf besagtem Portal werden im ersten Schritt mittels diverser Filter gleich alle Austauschmöglichkeiten auf einer Weltkarte angezeigt. Kriterien, ob sich ein passender Platz findet, sind das Studienfach, Land und die Ausbildungsstufe. Ein Klick auf eine potenzielle Partneruni gibt weitere Informationen preis und lässt die Möglichkeit, Erfahrungsberichte durchzulesenDanach gilt es Formulare einzuholen und die generellen Anmeldebedingungen zu erfüllen.
Zu Beginn des Auslandsaufenthalts muss ein Studienjahr im Bachelor oder ein Semester im Master abgeschlossen sein. Den Master direkt mit einem Auslandsaufenthalt beginnen kann nur, wer den Bachelor vorher an der Uni Bern abgeschlossen hat. Administrative Notwendigkeiten sind z.B. das Learning Agreement, sprich Kurse aus der Uni im Ausland auswählen, welche an das Studium an der Uni Bern angerechnet werden können. Themen wie Wohnungssuche oder Billetkauf sind Sache der Studierenden.
Bei weiteren Fragen zur Planung des Aufenthalts bietet sich auch eine Sprechstunde bei Flavio Caluori an.
Geheimtipp: Workaway
Francescos Zauberkarte ist eine Plattform, die Reisenden gratis Kost und Logis bietet. Im Gegenzug arbeiten die Besuchenden circa vier Stunden täglich, exklusive Wochenende. «Das mache ich wegen Corona, da ich wusste: Es wird nicht mehr so viele Events geben, vielleicht ab und zu sogar Lockdowns und die Vorlesungen werden online sein», so Francesco. «Also brauchte ich einen anderen Weg, Leute kennenzulernen.»
Für den Literatur- und Linguistik-Student spielt auch der sprachliche Aspekt eine Rolle. Während an den Unis in offizieller Landessprache unterrichtet und in Wohnheimen manchmal auch nur Englisch verwendet wird, lässt eine Gastfamilie ein tieferes Eintauchen in die Kultur zu und ermöglicht zum Beispiel, Dialekte kennenzulernen. Dieser sprachliche und kulturelle Umgang, der auch den eigenen Horizont für traditionelle Gerichte erweitert, sagt Francesco sehr zu: «Das ist das Wertvollste für mich gewesen an meiner Planung, dass ich irgendwo in einem sozialen Kontext bin und nicht alleine in einer Wohnung.» Woher weiss ich aber, für welche Kultur ich mich entscheiden sollte?
Stadt, Land, Uni
Lieber zukünftige Jobchancen erhöhen oder bewusst andere Bräuche und Lebensformen kennenlernen? Bei der Wahl der Destination gilt es viele Pros und Kontras gegeneinander abzuwägen, erläutert Flavio Caluori: «Manche Studierende wollen in der Zeit möglichst viele ECTS Punkte machen, andere vermehrt die Kultur kennenlernen.» Für den ersten Fall wäre es relevant, eine Uni mit möglichst breitem Angebot an anrechenbaren Lehrveranstaltungen auszuwählen, unabhängig vom Land. Weiter kommt der Kommunikationsaspekt ins Spiel: Lieber eine neue Sprache erlernen oder eine bestehende ausbessern und wie Francesco Dialekte verstehen lernen? Die Humboldt Uni in Berlin mag renommiert sein und Wege für spätere Arbeitsstellen eröffnen, das eigene italienisch oder französisch wird dabei wohl aber kaum fliessend. «Das Studium für Austauschstudierende findet an vielen Unis auf Englisch statt», so Caluori.
Die Destinationswahl hängt massgeblich von individuellen Wünschen und Erwartungen an den Austausch ab.
Für Francesco kamen nur der Italienisch- und Französischsprachige Raum in Frage: «Ich habe bei Französisch direkt an Frankreich gedacht, und dann wiederum sofort an Paris. Da ist das Zentrum für Kultur, Wirtschaft, Politik und auch für die universitäre Lehre. Daher ist das der Ort, wo du sein musst, um eine Sprache zu studieren». Hier decken sich kulturelle Vielfalt mit einem guten universitären Angebot. «Ausserdem konnte ich so das berühmte Paris kennenlernen, das auch oft in der Literatur erwähnt wird.»
Fazit: Die Destinationswahl hängt massgeblich von individuellen Wünschen und Erwartungen an den Austausch ab.
Jedem Fach seinen Deckel
Was sich wie ein roter Faden durch alle Austauschsemester zieht ist der Fakt, dass jeder Aufenthalt hochgradig individuell ist. So gibt es für Austauschinteressierte fast keine allgemeinen Ratschläge, fast alles ist fachspezifisch und hängt von persönlichen Motiven ab. Beispielsweise gibt es in der Psychologie offiziell erst im Master die Möglichkeit zum Austauschsemester, und auch nur für 20 ECTS im Pflichtbereich. Diese Beschränkungen sind auch nicht komplett sinnfrei, wie beim Jurastudium, wo ländergebundene Inhalte vermittelt werden. Gerade für Studis, die im Ausland Punkte sammeln wollen, ist Planung der Schlüssel zum Erfolg. Vor dem Aufenthalt sollten sich alle Austauschinteressierten bereits einen ersten Überblick über die Lehrveranstaltungen machen, die sie gern besuchen möchten (zu diesem frühen Zeitpunkt sind Veranstaltungsverzeichnisse vergangener Semester mögliche Orientierungsstützen). Essentiell ist hier, lieber zu viele Veranstaltungen rauszusuchen, als genau passend viele ECTS, da immer mal eine Veranstaltung ausfallen kann oder gar nicht den Vorstellungen entspricht. «Weiterhelfen können dort die Fachkoordinator*innen», empfiehlt Caluori, «Gerade bezüglich taktischer Fragen macht es Sinn, dies direkt mit dem eigenen Fach abzuklären.» Ausserdem sind bezüglich genereller Uniwahl die Erfahrungsberichte auf dem Mobility-Portal Gold wert. Sie stammen von Studis, die frisch aus dem Aufenthalt zurückkommen. Ersichtlich ist die Fachrichtung der ehemaligen Austauschstudis und der Gesamteindruck des Aufenthalts, Infos zur Vorbereitung und zur Gastuni selber, sowie beispielsweise der Unterkunft vor Ort.
text: julia beck; foto: francesco moser
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Der Bewerbungszeitraum für einen Austausch im HS22 und FS23 beginnt Mitte November 2021 und geht bis 1. März 2022 (oder 1. Februar für Geschichte und Rechtswissenschaft). Sorgfältige Planung zahlt sich aus, daher lieber zuerst mit der Fachkoordination sprechen und dann über das Mobility-Portal bewerben. Mit einem SEMP-Austausch kommt ein Stipendium, das es Teilnehmenden ermöglichen soll, Wohn- und Ernährungskosten zumindest teilweise zu decken. Statt ausländischer Semestergebühren werden die Berner Immatrikulationsgebühren bezahlt. Alle Infos zu SEMP, dem Schweizer Erasmus+, und anderen Austauschformaten findest du hier.
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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #25 Oktober 2021
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