Be better: Wissenschaft rebranded
Schneller! Schneller! Schlechter!? So lässt sich die heutige Wissenschaftskultur plakativ beschreiben. Es gilt Quantität statt Qualität und Zeitdruck statt Work-Life-Balance. Die Better Science Initiative versucht das zu ändern.
https://betterscience.ch. Enter. Ein aufforderndes Gelb erstreckt sich über das ganze Fenster. Darauf steht in fetten schwarzen Buchstaben «Unsere Initiative fordert ein Umdenken in der akademischen Welt hin zu mehr Nachhaltigkeit, Diversität und Chancengleichheit.» Nachhaltigkeit meint hier die zwischenmenschliche Dimension: wie können wir miteinander umgehen, auf dass wir noch länger gemeinsam arbeiten wollen und Kraft aus unserem Schaffen schöpfen können? Einmal nach unten gescrollt eröffnet sich die Möglichkeit, mehr zum Hintergrund der Initiative zu erfahren. Ich möchte mehr erfahren! Klick. Die Better Science Initiative geht davon aus, dass unsere Hochschulen in Zukunft weiter neoliberalisiert werden. Das heisst, dass die Unis zunehmend wie Unternehmen strukturiert sind, Wettbewerb untereinander an Bedeutung gewinnt und die Quantität im Zweifelsfall wichtiger wird als die Qualität von Forschungspublikationen. Die Wichtigkeit von Publikationen – und welche Gefahren diese Beurteilung birgt – betont auch Lilian Fankhauser von der Abteilung für Gleichstellung an der Uni Bern und Projektleitung der Initiative: «Unser Ziel ist aufzuzeigen, dass man in der Wissenschaft auch erfolgreich sein kann, wenn man nicht 12 Stunden pro Tag arbeitet.» Der Slogan «be better» appelliert: Auch Familie und Freiwilligenarbeit sollen mit der Arbeit vereinbar sein. Überstunden oder eine hohe Doppelbelastung für – meistens – Frauen*, die Care-Arbeit leisten, seien aber an der Tagesordnung. Das führe zu grossen Stresssituationen: «Grade die kommende Generation kann und will diesem Druck nicht mehr gerecht werden.»
«Wir brauchen eine neue, inklusive Wissenschaftskultur.»
Resilienz als neues Motto
Gleichzeitig ist Fankhauser sehr dankbar, dass der Schweizerische Nationalfonds verkündet hat, nun Fördergelder für die Forschung nicht mehr nach dem Impact Factor vergeben zu wollen. Dieser hatte berücksichtigt, wie oft eine Publikation zitiert wurde – hat mit Qualität aber wenig am Hut. Stattdessen solle neu die DORA Deklaration bestimmen, welche Projekte finanzielle Unterstützung erhalten. Die neuen Bewertungskriterien schliessen auch unbezahltes Engagement und die Qualität von Publikationen mit ein. «Ich denke wir sind im richtigen Moment am richtigen Ort, wenn wir sagen: ‹Wir brauchen eine neue, inklusive Wissenschaftskultur›.» Die Initiative soll nicht nur den Status Quo verbessern, sondern die Hürden in der Wissenschaft abbauen und Resilienz schaffen. Damit sorgt sie vor, für Situationen wie während des Corona-Lockdowns, als plötzlich viele Frauen* wieder rund um die Uhr für die Kinder da waren und den Haushalt geschmissen haben. Tatsächlich haben Frauen* in dieser Zeit weniger produktiv gearbeitet, während Männer* sogar effizienter waren als normalerweise, das hat eine noch unveröffentlichte Studie aus Zürich ergeben. Diese These wird auch von anderer Forschung zur Anzahl Publikationen während 2020 unterstützt wird. Diese Situation zeigt exemplarisch ein weiteres Problem der Wissenschaft auf: die Fristen.
Kooperation statt fixen Deadlines
«Ich habe ein Mobilitätsstipendium für die Vereinigten Staaten bekommen um Feldforschung zu betreiben und kann nicht hin – wie mache ich das?» Das sind für Fankhauser Stressfaktoren, die behoben werden können. «Wir versuchen diese Coronaverzögerungen gesamtschweizerisch zu koordinieren», sagt sie. Wichtig sei, dass sich die Unis untereinander absprechen und alle dieselben Chancen bekommen. Die Fristen können aber auch ohne dass es einer Pandemie bedarf verlängert werden. Das gilt nicht nur für Auslandsaufenthalte sondern auch für sogenannte Assistenzprofessuren mit Tenure-Track. Das bedeutet, dass Promovierende vier Jahre Bewährungszeit haben für ihre Assistenzprofessur, und in dieser Zeit ihre Habilitation oder den Post-Doc fertig machen. «Diese klaren Fristen lassen sich nicht immer einhalten, z.B. mit einem Neugeborenen Zuhause – dadurch fallen viele gute Frauen* aus der Wissenschaft raus». Fankhauser nennt das leaky pipeline. Doch nicht nur Menschen weiter oben auf der akademischen Leiter können von der Initiative profitieren, betont Joel Schaad, Projektkoordinator der Initiative: «Durch die Handlungsaufforderungen können Studierende ihre Dozent*innen und Profs* in die Verantwortung ziehen, gerade was die Betreuung anbelangt». Das sei insbesondere wichtig, da Studis so ihr zukünftiges Arbeitsumfeld schon heute mitgestalten können, «dieses ‹Drauf-Aufmerksam machen› hilft, den Thematiken, die Better Science aufzeigt, Relevanz und Sichtbarkeit zu verleihen.»
«Dann sind sie mit über 40 erst zu spät an dem Punkt, wo sie Professor*in werden könnten.»
Langfristige Vielfalt statt langwieriger Doppelbelastung
Fankhausers Beobachtung: Generell bleiben Frauen* relativ lange an der Uni. «Erst als Student*in, dann als Promovierende, anschliessend als Post-Doc, vielleicht habilitieren sie noch», das sieht soweit ganz gut aus, doch sie bleiben nicht lange in diesen Positionen. «Plötzlich sind alle Frauen* weg, weil sie inzwischen schon zwei Kinder bekommen haben und ausgebrannt sind von dieser Doppelbelastung. Das ist schade, weil sie gut wären!» Durch diese Arbeitslast ist es Frauen* nicht möglich, so viel zu publizieren. Und damit verzögert sich die Karriere: «Dann sind sie mit über 40 erst zu spät an dem Punkt, wo sie Professor*in werden könnten.» Trotzdem ist es Fankhauser wichtig zu betonen, dass sich die Better Science Initiative nicht explizit an Frauen* richtet, sondern an alle Menschen, die etwas an der «Ellenbogen-Kultur» in der Wissenschaft ändern wollen. «Damit ist es explizit kein Gleichstellungsprojekt», sagt sie, «sondern es geht um eine Vielfalt von Menschen, die sich nicht des Bildes des sozial völlig inkompetenten Wissenschaftlers bedient, der nur an die Forschung denkt.»
Zeitarmut in den Top 10 der Stressfaktoren
Der Algorithmus auf der Website fragt mich zu meinen Arbeitsalltag. Ich kann mich selten lange auf dieselbe Aufgabe konzentrieren. Klick. So ginge es vielen: «Fragmentierung von Arbeit», lautet das Stichwort auf der Website. Sie mindert Produktivität und Arbeitszufriedenheit. Dazu kommt der Druck durch viele Wochenarbeitsstunden. Tatsächlich leidet gerade der Mittelbau, also z.B. die Assistierenden, unter vielen Überstunden – teilweise unbezahlt. Auf der Website steht, dass eine Umfrage unter Nachwuchswissenschaftler*innen mit Vollzeitstelle auf Arbeitspensen von 46 Stunden bei Doktorand*innen und 55 Stunden bei Assistenzprofessor*innen kommt. Somit schafft es Zeitarmut unter die traurigen Top 10 der Stressfaktoren in der Wissenschaft. Aber wie steht es um die Arbeitsplatzsicherheit? Ich möchte noch mehr wissen. Klick: «In einer internationalen Umfrage gaben 84% der Forscher*innen an, stolz darauf zu sein, in der Forschung zu arbeiten; aber nur 29% fühlen sich abgesichert, um eine Forschungskarriere zu verfolgen.» Die 10 Handlungsaufforderungen der Initiative wollen daran etwas ändern. Sie sollen Druck von unten nach oben aufbauen, verfolgen einen bottom-up Ansatz. Fankhauser stellt sich das folgendermassen vor: «Wenn ein Professor oder eine Professorin die Handlungsaufforderungen zur Better Science Initiative unterzeichnet und dann als Verweis unten in die E-Mail-Signatur schreibt: ‹Better Science, mehr Qualität statt Quantität, ich beantworte meine Mails nur unter der Woche› heisst das, von mir wird als Hilfsassistent*in nicht erwartet, dass ich am Wochenende Zuhause meine Mails lese.» Es sei völlig klar, dass die Vorgesetzen mit gutem Vorbild voran gehen. «Die Erwartungen ans Gegenüber ändern sich. Das ist ein Kulturwandel!»
Verantwortung in Aussicht
Es bleibt eine Sache der Eigenverantwortung. Vorerst lautet das Ziel: 5‘000 Unterschriften im nächsten halben Jahr und 20‘000 in vier Jahren. Das sei erst noch hochgegriffen, eine Tour d‘Horizon komme aber noch, während der sich die Better Science Initiative schweizweit bekannter machen möchte. Solange bleibt zu hoffen, dass sich auch die Universitätsleitung diesen Handlungsaufforderungen anschliesst, so Fankhauser: «Dann müsste die Uni Kriterien festlegen, die knapp 600 Professuren mit ins Boot holen und sagen: ‹Wir erwarten, dass diese Kriterien berücksichtigt werden›.» Das heisst zum Beispiel Workshops zur Work-Live-Balance zu implementieren, Führungsseminare anzubieten und die Menschen in Diversität zu schulen. Bis dahin bleibt, die Handlungsaufforderungen durchzulesen und sich diese zu Herzen zu nehmen: Das heisst konkret, auch Freiwilligenarbeit sichtbar zu machen; sich Zeit zum Denken zu nehmen, um Qualität zu wahren; bewusst zu priorisieren und unsere Entscheidungen achtsam zu kommunizieren – sich selbst und anderen zuliebe. Durch Kritikfähigkeit und Wertschätzung ermöglichen wir eine gesunde Wissenschaftskultur, die es wiederum ermöglicht ganzheitlich zu bewerten; Grenzen von Mitarbeitenden zu wahren; und ein «Nein» zu Zusatzbelastungen zuzulassen. Denn die heutigen Mitarbeitenden sind die Führungskräfte von morgen.
text: julia beck; bild: screenshot betterscience.ch
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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #21 Oktober 2020
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