Randspalte #1
Abstimmen lassen oder nicht abstimmen lassen, das ist hier die Frage
In unserer Serie «Randspalte» nehmen wir einmal pro Woche relevante, triviale, spannende oder komische Meldungen aus Massendruckerzeugnissen a.k.a. «Zeitungen» auf und kommentieren diese
Während in Deutschland und der Schweiz Wahlen beziehungsweise Abstimmungen stattfanden, soll in Spanien eine wegweisende Entscheidung gefällt werden. Katalonien will zum wiederholten Male über seine Unabhängigkeit abstimmen. Der Regierung in Madrid hingegen passt das nicht, weshalb letzte Woche der Konflikt eskaliert ist – einige katalanische Unabhängigkeitspolitiker sowie Beamte wurden durch die Guardia Civil verhaftet, Internetseiten gesperrt und Versammlungsverbote ausgesprochen (Der Bund vom 21.09.2017). Bereits im Jahr 2014, als die katalanische Regierung eine «Volksbefragung» zur katalanischen Unabhängigkeit durchführen lassen wollte, kam es zu Problemen mit der Zentralregierung in Madrid. Diese «Volksbefragung» hätte keine rechtliche Wirkung entfaltet, und doch stellte sich die spanische Regierung bereits gegenüber diesem Anspruch quer.
Eingreifen der EU?
In dem Rechtsstaat, der Spanien sein sollte, ist diese Vorgehensweise doch eher unverständlich, die getroffenen Massnahmen erinnern vielmehr an einen repressiven Polizeistaat. Anstatt eine konstruktive Lösung zu finden, wird mit konstanter Verweigerung gearbeitet, was die Fronten auf beiden Seiten immer mehr verhärtet. Die Katalanen tragen seit der Franquismo-Zeit ein starkes Gefühl der Unterdrückung und Vernachlässigung mit sich umher, welches durch die sträflich vernachlässigte Aufarbeitung dieser Periode verstärkt wird. Die spanische Regierung ihrerseits hat jedes Begehren auf mehr Autonomie der katalanischen Provinz abgeschmettert, was die Unabhängigkeitsansprüche der Katalanen erst in diesem Ausmass hervorgerufen hat. Wegen der grossen Reichweite des Konflikts verlangt Thomas Urban in seinem Kommentar im Bund vom 21.09.2017 ein Eingreifen der EU, macht jedoch keine Vorschläge, in welcher Form dies geschehen soll. Hinter eine Interventionspolitik ist meiner Meinung nach grundsätzlich immer ein grosses Fragezeichen zu stellen, angesichts der an diktatorische Methoden erinnernden Vorgehensweise der Zentralregierung in Madrid wäre ein gewisser Druck auf die spanische Regierung aber vielleicht doch wünschenswert. Schliesslich brüstet sich die Europäische Union mit ihrer hohen Gewichtung der Meinungsfreiheit, und dieser Grundsatz sollte nicht nur für Aspiranten und östlich gelegene Mitgliedstaaten der EU gelten, sondern auch für seit langem aufgenommene, südeuropäische Länder. In diesem Sinne wäre eine Rüge der EU an Spanien begrüssenswert.
Stärkerer Föderalismus
Eine nachhaltige, aber schwierig umzusetzende Lösung, die sich für diesen Konflikt anbieten würde, wäre ein stärker föderalistisch orientiertes Staatsmodell. Dadurch würde den einzelnen Regionen mehr Autonomie zugestanden und ihre jeweilige Kultur und Sprache besser vertreten. Dieser Kompromiss würde wahrscheinlich auch den meisten Katalanen zusagen, denn die Autonomiebewegung ist lange nicht mehr so breit abgestützt wie vor einigen Jahren, knappe 50% hatten sich bei diesen Wahlen noch für Parteien ausgesprochen, die eine Unabhängigkeit anstreben. Ein Entgegenkommen der spanischen Regierung ist in diesem Konflikt auf jeden Fall unbedingt nötig, schliesslich möchte wohl niemand eine Wiederholung der baskischen Geschichte riskieren.