Grüner Baum, rote Wurzeln
Der Journalist George Will bezeichnete den Klimaschutz als «grünen Baum, mit roten Wurzeln», um auf die sozialistische Gesinnung hinzuweisen, die seiner Meinung nach hinter dem Klimaschutz stecke. Bild: Sam von Dach
Der Klimaschutz stellt eine Bedrohung für den Neoliberalismus dar. Schon seit dem Beginn der Klimaforschung geht die Angst um.
Bereits als die Klimaforschung noch in den Kinderschuhen steckte, war klar, dass der Klimawandel nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein ökonomisches Problem darstellte. Eine der ersten grossen Studien zum Klimawandel wurde von der amerikanischen «National Academy of Science» verfasst. Sie erschien 1983 unter dem Titel «Changing Climate» und bestand aus sieben Kapiteln: fünf waren von Naturwissenschaftlern abgefasst worden, zwei von Ökonomen.
Einer der Ökonomen, die an der Studie arbeiteten, war der Nobelpreisträger Tom Schelling. Er sollte herausfinden, ob es finanziell sinnvoller sei, den Klimawandel durch Regulierungen zu bekämpfen, oder einfach abzuwarten und die Folgen zu tragen. In seiner Expertise kam Schelling zum Schluss, dass das Abwarten ökonomischer sei. Man müsse sich entweder um die Modifizierung des Klimas bemühen oder sich auf ein Leben bei hohen Temperaturen einstellen, so Schelling.
Zum Wohl der Gesamtwirtschaft
30 Jahre später findet Schellings Meinung kaum noch Zustimmung. Die Frage, ob der Klimaschutz finanziell lohnenswerter sei, als abzuwarten und die Folgen zu tragen, wurde mittlerweile eindeutig bejaht. Der ehemalige Weltbank Chef-Ökonom Nicholas Stern berechnete, dass sich Massnahmen zur Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration auf ungefähr 1% des globalen Bruttoinlandprodukt beliefen, wohingegen beim Nichthandeln Kosten in der Höhe von bis zu 20% oder mehr des globalen Bruttoinlandprodukts entstehen könnten. Andere kamen zu ähnlichen Ergebnissen, so der Weltklimarat oder das deutsche Umweltbundesamt.
Mit den Berechnung war es selbst jemandem, der sich keinen Deut um das Klima scherte, fortan erlaubt, sich aus einer rein ökonomischen Perspektive für staatlichen Klimaschutz einzusetzen. Mehr noch: wer sich um das Wohl der Gesamtwirtschaft sorgte, war geradezu berufen, sich für den Klimaschutz einzusetzen. Trotzdem rückten bis heute die wenigsten wirtschaftsnahen Politikerinnen von ihrer antiregulatorischen Position ab.
Man befürchtet, dass der Neoliberalismus erodiert.
Ein Grund zur Sorge
Natürlich sind da die Partikularinteressen. Böse Zungen sagen, der Horizont eines Politikers reiche nur bis zur nächsten Legislatur. Es ist unattraktiv, für Regulierungen zu werben, die sich erst in fünfzig Jahren auszahlen. Und weil gerade das Schweizer Milizparlament eine lange Tradition der Interessensvertretungen hat, fühlen sich einige Politiker und Politikerinnen ausschliesslich dazu berufen, die Bedingungen für eine spezifische Branche zu verbessern und lehnen Regulierungen deshalb ab. Man muss nicht zwingend das Wohl der Gesamtwirtschaft im Sinne haben, um sich «wirtschaftsliberal» auf die Stirn zu schreiben.
Andererseits lässt sich aus der kategorischen Ablehnung von Klimaschutzregulierungen durch selbsterklärte «Liberale» eine Besorgnis lesen: Man befürchtet, dass durch die Marktregulierungen, die der Umweltschutz mit sich bringt, der Neoliberalismus erodiert. Die neoliberale Ideologie verspricht die Lösung von Problemen durch das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Beim Klimawandel hat dieses Zusammenspiel versagt. Das Akzeptieren von staatlichen Regulierungen kommt dem Eingeständnis einer Niederlage gleich.
Kettenreaktion
Der Umstand, dass staatliche Umweltregulierungen ökonomischer sind als die Mechanismen des freien Marktes, rüttelt an den Stereotypen des effizienten Marktes und der ineffizienten Behörden. Und was auf den Klimawandel zutrifft, könnte schliesslich auch auf andere Bereiche zutreffen. Vielleicht liesse sich die Einkommensschere durch höhere Steuern schmälern, Kinderarbeit in der Dritten Welt durch strenge Sanktionen hiesiger Firmen eingrenzen, die ungezügelten Finanzmärkte durch starke Behörden und eine Finanztransaktionssteuer lenken.
Das Akzeptieren von staatlichen Regulierungen kommt dem Eingeständnis einer Niederlage gleich.
Möglicherweise ist es diese Kettenreaktion, welche die Neoliberalen fürchten. Der amerikanische Atmosphärenphysiker Fred Singer, einer der prominentesten und berüchtigtsten Gegner des Klimaschutzes, glaubte schon in den 90er Jahren, dass die Umweltschützer und Umweltschützerinnen eine versteckte politische Agenda hätten und die schleichende Einführung des Sozialismus beabsichtigten. So befürchtete Singer, dass der Umweltschutz eine Kaskade weiterer Regulierungen in allen Lebensbereichen auslösen würde. Die demokratische Gouverneurin Dixy Lee Ray sprach im Vorfeld des Weltklimagipfels in Rio sogar davon, dass die Agenda des gesamten Gipfels sozialistisch sei und auf eine Änderung des gegenwärtigen Systems abziele.
Klimaschutz und Sozialismus
Der Journalist George Will hatte den Klimaschutz einst als «grünen Baum, mit roten Wurzeln» bezeichnet, um auf die sozialistische Gesinnung hinzuweisen, die seiner Meinung nach hinter dem Klimaschutz stecke. Diese Angst, dass der Klimaschutz sozusagen über die Hintertür den Sozialismus einführen könnte, ist offenbar noch nicht verschwunden. Es ist auffällig, wie häufig Klimaschutz in Zusammenhang mit Sozialismus, insbesondere mit Planwirtschaft, gebracht wird. Als im September 2016 über die «grüne Wirtschaft» abgestimmt wurde, schrieb die Economiesuisse, die Wirtschaft müsse sich «gegen das unnötige grüne Diktat und die linke Planwirtschaft wehren». Auch der FDP-Nationalrat Peter Schillinger gab zu bedenken, ein «Ja» zur Initiative würde auf eine «linke Planwirtschaft» hinauslaufen. Bereits ein halbes Jahr zuvor hatte Markus Schär in der Weltwoche die Schweizer Energiepolitik ebenfalls der Planwirtschaft bezichtigt und sich darüber beklagt, dass in der Energiepolitik niemand mehr etwas von Marktwirtschaft verstehe.
Vielleicht liesse sich die Einkommensschere durch höhere Steuern schmälern, Kinderarbeit in der Dritten Welt durch strenge Sanktionen hiesiger Firmen eingrenzen, die ungezügelten Finanzmärkte durch starke Behörden und eine Finanztransaktionssteuer lenken.
Natürlich war es in jedem dieser Fälle absurd, von Planwirtschaft zu sprechen. Mindestens ebenso absurd ist die Befürchtung, Befürwortende des Klimaschutzes wollten den Sozialismus einführen. Etwas kann man der offensiven Rhetorik aber abgewinnen: Die Exponenten des Neoliberalismus sehen in den strikten Regulierungen, die ein effektiver Klimaschutz nach sich zieht, eine Bedrohung, einen Angriff auf ihr System. Jede neue Abgassteuer, jede Erhöhung der Subventionen für grüne Energie, jede staatlich verordnete Senkung der Emissionen kratzt eine Kerbe in die Fassade, denn wo der Staat eingreifen muss, hat der Markt versagt. Nicholas Stern hat den Klimawandel einst als die Folge des grössten Marktversagens, welche die Weltgemeinschaft je in Kauf genommen habe, bezeichnet. Die Profiteure des Neoliberalismus fürchten sich jetzt vor den Konsequenzen dieses Marktversagens. Vielleicht zu Recht.
Alternative Fakten!! Haha nei, geile Text!