Die Panik und die Angst davor
«Dieses Bild zeichnete ich, inspiriert von einem Fotobild. Ich gehe gerne in der Natur und im Wald spazieren, wo ich oft inspiriert werde.» Bild: Fränzi
«Ich kriege keine Luft, ich ersticke hier und jetzt.» Immer wieder öffnete Fränzi De Zoysa das Fenster, um nach frischer Luft zu schnappen, doch die Atemnot verging nicht.
Das Herz raste, als würde es bald aus der Brust springen. Ein lähmendes Kribbeln kroch ihr in die Glieder. «Jetzt breche ich zusammen, ich kann nicht mehr.» Während sieben Wochen litt Fränzi Todesangst. Immer wieder überfiel sie die Panik wie eine Welle, ebbte ab um mit Wucht erneut hereinzubrechen – bis zu zehn Mal am Tag und teilweise stundenlang.
Angefangen haben die Angstzustände in kleinerem Ausmass bereits ein halbes Jahr früher. Nach einem Klinikaufenthalt wegen einer Erschöpfungsdepression, auch Burnout genannt, pendelte Fränzi deswegen regelmässig zu ihrer Psychologin nach Bern. Bis sie eines Tages urplötzlich die Angst überfiel. «Es war am RBS-Bahnhof in Bern. Mir wurde ganz schwindelig und ich dachte, ich schaffe es nicht mehr bis zur Praxis.» Ab diesem Zeitpunkt wurde jede Zugfahrt zum Horror. Die Angst vor der Ohnmacht überfiel Fränzi bereits zwei Tage vor der Reise nach Bern. «Einmal rief ich einen Kollegen an und bat ihn, mich von der Psychologin abzuholen. Ich wäre sonst nicht mehr nach Hause gekommen.» Eine Zeit lang ging Fränzi gar nicht mehr aus dem Haus.
Jede/r Zehnte leidet an Dysregulation der Angst
Eine Panikattacke tritt aus heiterem Himmel auf. Treffen kann sie, so wie jede psychische Krankheit, theoretisch jede und jeden. Alle Menschen haben eine individuelle Vulnerabilität, das ist eine bestimmte Grundanfälligkeit für psychische Krankheiten. Diese hängt zum Beispiel von der genetischen Anlage, von Charaktereigenschaften, von der Lebenssituation oder von persönlichen Erfahrungen ab. Je nach Vulnerabilität erträgt eine Person also mehr oder weniger Stress und Belastungen, bis dass ein Ausbruch einer psychischen Krankheit drohen könnte. Laut einer Studie der Universität Zürich, die 2008 in der Zeitschrift «Swiss Medical Weekly» veröffentlicht wurde, litten 2004 rund zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung an einer Angststörung, Tendenz steigend. Davon sind rund ein Drittel Betroffene einer Panikstörung, Fränzi war eine von ihnen.
«Dieses Bild malte ich aus Wut, Verzweiflung, Entäuschung und Ablehnung heraus. Danach malte ich eine «harmonische» Blume und das Symbol «Feuer», welches bei mir für Kraft steht.» Bild: Fränzi
Ein Teufelskreis aus Fehlinterpretationen
«Die Angst zusammenzubrechen, zu sterben, die Angst, dass niemand da ist, der mir helfen kann, die Angst nie mehr nach Hause zu kommen – die Ängste können in ganz verschiedenen Formen auftreten», weiss Patrick Figlioli, Psychotherapeut an der Tagesklinik im Lindenhofspital Bern und Forschungsassistent an der Universität Bern. Die Ursache der Panik könnten die meisten nicht genau erfassen, jedoch «empfinden die Betroffenen die Angst in diesem Moment als extrem real.» Tatsächlich ist sie aber die Folge einer Fehlinterpretation von körperlichen Symptomen. Ein Signal des Körpers wird übermässig wahrgenommen und dann generalisiert mit einer schlimmen Krankheit verglichen. Beginnt beispielsweise bei schnellem Laufen das Herz stärker zu schlagen, wird fälschlicherweise abgeleitet, dass mit dem Herz etwas nicht stimmt. Durch einen Generalisierungsfehler wird aus diesem Zeichen auf einen bevorstehenden Herzinfarkt geschlossen, was schliesslich die Todesangst auslöst. Diese Angst regt wiederum die körperliche Reaktion an, das Herz schlägt umso schneller und stärker und die Annahme der drohenden Gefahr wird bestärkt.
Eine mögliche Ursache für Angststörungen sieht Figlioli in nicht oder ungenügend verarbeiteten emotional belastenden Erlebnissen. Oft seien Menschen betroffen, die Vermeidungstendenzen aufweisen, die Probleme eher nicht ansprechen oder es verpasst haben, im richtigen Moment ihre Gefühle zu zeigen. Menschen, die sehr hohe Ansprüche an sich selbst setzen, eine sehr genaue Selbstbeobachtung betreiben und eigene Schwächen eher verdrängen. Wenn sich mit der Zeit zu viele Emotionen anstauten, könne es zu einer vegetativen Überreaktion kommen. «Der Körper weiss nicht, wie er mit all den inneren Erregungen umgehen soll und versetzt sich in eine absolute Alarmbereitschaft, beginnt zu schwitzen, der Puls steigt, die Blutgerinnung wird aktiviert. Der Atem wird hektischer, allenfalls beginnt man zu hyperventilieren, was bis zu Lähmungserscheinungen führen kann.» Dieser Prozess des inneren Anstauens ziehe sich meist über einen sehr langen Zeitraum hin. «Viele Betroffene denken deshalb, es gehe ihnen gut, aktuell laufe ja gar nichts schief in ihrem Leben – und trotzdem haben sie plötzlich diese Panikanfälle.» Wird der innere Druck der unverarbeiteten Belastungen zu gross, reiche dann meist eine banale stressreiche Situation, um einen panischen Anfall auszulösen: Viele Leute im Bus, eine bevorstehende Prüfung, eine schwierige Entscheidung.
Junge Betroffene
Prof. Dr. med. Gregor Hasler sieht das fehlende Vertrauen in den eigenen Körper, auch verbunden mit einer allgemeinen Selbstunsicherheit, als einen zentralen Aspekt für das Auftreten einer Panikstörung. Hasler leitet die Abteilung der Molekularen Psychiatrie an der Universität Bern. Diese erforscht psychische Erkrankungen im genetischen, psychologischen sowie soziologischen Kontext. «Es gibt viele Faktoren, die das Vertrauen in den eigenen Körper schwächen können. Das kann ein Todesfall im näheren Umfeld sein oder eine kürzlich erlebte Krankheit. Aber auch Einsamkeit oder eine längere Periode ohne positive Erlebnisse schwächen ein gesundes Körperbewusstsein.» Ausserdem würden Panikstörungen oft in einer Phase des Umbruchs auftreten, zum Beispiel während der Ablösung von den Eltern. «Wenn jemand von zu Hause auszieht bedeutet das ja auch: Ich traue mir zu, dass ich das alleine schaffen werde.» Wenn dabei etwas nicht so ablaufe, wie es sollte, könne dies schädlich für das Selbstvertrauen sein, auch für das körperliche. Nicht von Zufall scheint daher auch die Tatsache, dass Panikstörungen am häufigsten im Alter zwischen 20 und 35 Jahren auftreten – in einer Lebensphase, die von vielen Wandeln, Entscheidungen und neuen Herausforderungen geprägt ist.
«Es ist sehr wichtig, den Betroffenen klarzumachen, dass ihre Ängste nicht rational sind.», meint Figlioli. Ein essentieller Schritt in seiner Therapie sei deshalb, gemeinsam mit den PatientInnen den Denkfehler aufzudecken. «Wir betrachten dann gemeinsam, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, einen Herzinfarkt zu erleiden. Die meisten sind kerngesund und das Risiko, plötzlich zu sterben, ist extrem gering.» Eine verbreitete Methode zur Behandlung ist die Exposition. Dabei wird eine Panikattacke künstlich hervorgerufen. Mittels Treppenlaufen, Drehen auf dem Drehstuhl, oder das Atmen durch einen Strohhalm wird der Körper in den Zustand einer Panikattacke versetzt. «Die Angst kommt meistens sehr schnell. Ich versuche in diesem Moment, die Angst mit der Patientin auszuhalten und zu analysieren, bis diese begreift, dass keine Todesgefahr besteht. Irgendwann verschwindet die Angst wieder von selbst.» So lernten die Betroffenen, sich im Falle eines Panikanfalls selber zu beruhigen.
«Dieses Bild malte ich in einer Phase, in der ich mich sehr verletzlich und angegriffen fühlte. Es zeigt das Feuer und den Baum. Für mich beides Symbole der Kraft und des Schutzes.» Bild: Fränzi
Natur, Kunst und Electro
Panikstörung ist eine Krankheit mit sehr hoher Komorbidität und somit in den häufigsten Fällen mit anderen psychischen Erkrankungen verbunden. Fünfzig Prozent aller PanikstörungspatientInnen leiden zusätzlich an einer Depression oder ziehen eine solche nach. Dies ist einerseits genetisch erklärbar, als dass Depressionen und Angststörungen durch dieselben Gene begünstigt werden. Andererseits kann eine Folgedepression aus der mit Panikstörungen häufig einhergehenden Agoraphobie resultieren. Durch die Angst vor einer Attacke vermeiden Betroffene oft öffentliche Orte und Plätze mit vielen Menschen, ziehen sich zurück und sind dadurch vom sozialen Umfeld isoliert. Ein anderer Risikofaktor ist die Abhängigkeit von Substanzen wie Beruhigungsmitteln, insbesondere von Temesta oder Valium mit dem Wirkstoff Benzodiazepin, aber auch von geläufigeren Mitteln wie Alkohol und Cannabis, welche eine angsthemmende Wirkung haben.
Im Frühling 2015 begab sich Fränzi in eine Entzugsklinik, um von den Beruhigungstabletten Temesta wegzukommen. Zu diesem Zeitpunkt nahm sie bereits während sechs Monaten ein bis zwei Temesta pro Tag, doch die Unruhe blieb, die Angst wurde stärker, die Tabletten wirkten nicht mehr genug. Über die Tatsache, dass das Medikament bereits bei einer regelmässigen Einnahme während ein bis zwei Wochen zu einer Abhängigkeit führen kann, wurde sie von ihrer Psychiaterin nicht informiert. Den Entzug bekam Fränzi bitter zu spüren: Ihr Körper reagierte mit so heftiger und anhaltender Panik, wie nie zuvor.
Unterdessen ist Fränzi wieder regelmässig im Bonsoir anzutreffen. Sie fühlt sich genug stabil, um sich wieder einer ihrer Leidenschaften zu widmen: zu Electro tanzen. In der schwierigen Zeit hat sie vor allem gelernt, auf sich zu hören. «Ich merke viel besser, was mir gut tut und was nicht.» Gut tue zum Beispiel, sich in der Natur zu bewegen oder zu malen. Seit ihre Tochter ausgezogen ist, hat sie sich in deren früherem Zimmer ein eigenes Kunstatelier eingerichtet.
Danke Liebi Rahel für di autentisch Artiku.Ig bi froh mini Panik – u Angscht Atagene mit der Öffentlechkeit ts teile.Wüu ig dänke das es no immer es Tabu Thema isch,ir Öffentlechkeit über Psychischi Erkrankige u Störige ts rede.U ig hoffe das ig angerne wo ou dervo betroffe si, cha Muet mache.Es cha jede träffe u es isch würklech ke Schang oder ou kes Zeiche vo schwechi.Drüber ts rede isch sehr befreiend u hiufrich.
Liebs Grüessli
…von dieser Rahel Schaad habe ich also schon so viele gute Artikel gelesen! LG
Danke für diesen spannenden Artikel
Schade, dass ein Daumen „DOPE“ verschwindet, wenn jemand einen „NOPE“-daumen gibt…
Ich will nicht nur ausgleichen, ich will MEIN EIGENES Zeichen setzen, liebe BSZ