Randnotizen: Alternative Fakten und das digitale Simulacrum

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08. Februar 2017

Von und

Kellyanne Conway, die Frau hinter Donald Trumps Wahlerfolg, ist eine Grossmeisterin der rhetorischen Unschärfe. Bereits im Wahlkampf demonstrierte sie ihre Fähigkeit, sich in atemberaubender Manier aus den unmöglichsten Widersprüchen herauszuwinden und Fragen so gekonnt auszuweichen, dass selbst gestandene Moderator_innen und Journalist_innen ratlos zurückblieben. Nun führt sie als Beraterin des bizarren Commander-in-Chief ihr mediales Vexierspiel fort. Kaum im Amt sah sie sich schon mit der schier unlösbaren Aufgabe konfrontiert, die abstrusen Ausführungen des neuen Pressesprechers Sean Spicer ins rechte Licht zu rücken. Wo andere schlicht kapituliert hätten, griff Conway zu einer sophistischen Exit-Strategie: sie deklarierte Spicers dummdreiste Lügen kurzerhand als „Alternative Fakten“ und prägte so einen Begriff, der wohl bereits auf der Shortlist für das Unwort des Jahres 2017 steht.

«Wo andere schlicht kapituliert hätten, griff Conway zu einer sophistischen Exit-Strategie»

Viel Häme musste Kellyanne Conway für diese Äusserung einstecken und manche Kommentare verglichen das Konzept von „alternative facts“ mit der Geschichtsklitterung des Wahrheitsministeriums in George Orwells dystopischem Roman 1984. Diese Anspielung verfehlt jedoch den Kern der Sache. Orwell beschrieb ein totalitäres System, das jegliche oppositionellen Meinungen gewaltsam zu unterdrücken sucht. Gewiss gehen die Angriffe rechtspopulistischer Kräfte auf Medien und Bildungsinstitutionen in diese Richtung, doch ihre eigentliche Strategie ist wesentlich perfider.

In Zeiten der digitalen Nachrichtenverbreitung, die eine totale Kontrolle des Informationsflusses durch staatliche Institutionen beinahe verunmöglichen, nutzt die neue Rechte jene Mechanismen, die wir mit Begriffen wie „postfaktisch“, „filter bubble“ oder „fake news“ zu fassen versuchen. Die Strategie besteht im Wesentlichen darin, die Öffentlichkeit in einen konstanten Zustand der Ungewissheit zu versetzen – und das Internet als Medium des unüberschaubaren Datenflut bietet dafür die ideale Plattform. Negative Meldungen über die eigene Seite werden nur halbherzig dementiert – im Wissen darum, dass die eigenen Aussagen meist kaum haltbar sind – stattdessen wird auf Inkonsistenzen der Gegenseite verwiesen. Das steigert nicht die eigene Glaubwürdigkeit, schwächt aber die des Gegners. Trumps Kampagne vermittelte erfolgreich den Eindruck, dass keiner Institution der medialen Öffentlichkeit zu trauen ist, da jede Berichterstattung (auch die eigene) ideologisch kontaminiert wird.

«Für die Reflektion politischer Skandale bleibt meist keine Zeit»

Das Problem dabei ist, dass die Medienschelte der Rechten einen wunden Punkt trifft, denn in Zeiten blinder Effizienzmaximierung wird fundierter Recherchejournalismus zunehmend schwierig und so sind auch traditionelle Zeitungen nicht vor fake news gefeit. Ein weiteres Problem besteht in der Schnelllebigkeit des öffentlichen Diskurses. Für die Reflektion politischer Skandale bleibt meist keine Zeit, da schon die nächste Sensation ansteht. So kommt es zur paradoxen Situation, dass das Internet zwar nicht vergisst, die digitale Gesellschaft jedoch sehr schnell. Man nahm es zum Beispiel hin, dass mit Rick Perry ein Mann, der Trumps Kandidatur als „cancer on conservatism“ bezeichnete, nun zum Minister des Departments ernannt wurde, dessen Abschaffung er vor acht Jahren gefordert hatte.

Alles, was Conway und ihr Team machen mussten war also, den Nachrichtenfluss hoch zu halten – je widersprüchlicher die Meldungen, desto besser – und die Medien, darum bemüht auf die Widersprüche hinzuweisen, machten sich zu Gehilfen dieses Spiels.

In diesem digitalen Simulacrum, um hier auf einen Begriff Jean Baudrillards zu verweisen, suchen wir alle nach ordnenden Kräften und verlässlichen Quellen, denn selbst sind wir meist nicht in der Lage, Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Sobald die traditionellen Institutionen der Meinungsbildung an Glaubwürdigkeit verlieren, verliert die Öffentlichkeit jene ordnenden Instanzen, die über die politischen Lager hinweg eine akzeptierte Diskussionsgrundlage schaffen können. Daraus resultieren dann jene in sich abgeschlossenen Wahrheitssysteme, die es ermöglichen, von „alternativen Fakten“ zu sprechen.

Ob gewollt oder ungewollt, hat Kellyanne Conway so einen Begriff geprägt, der die aktuelle Problematik des poltisch-sozialen Diskurses äusserst treffend beschreibt. Um dieses Phänomen genauer zu verstehen müssten wir jedoch auch Begriffe wie „filter Bubble“ und „postfaktisch“ analysieren und in Beziehung zu diesem Konzept „alternativer Fakten“ setzen im Hinblick auf die Frage, was das Internet und die sozialen Medien denn genau mit dieser Fragmentierung der Wahrheit zu tun haben und inwiefern dieses Phänomen wirklich etwas Neues ist. In diesem Sinne: Fortsetzung folgt.

Der zweite Teil dieses Texts erscheint in zwei Wochen.

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Cicero
16. Februar 2017 20:24

Dass Effizienzmaximierung Recherchejournalismus schwieriger machen soll ist ein klassischer Non Sequitur, thematisieren sollte man viel eher ob Journalismus als vierte Gewalt der Gesellschaft im freien Markt funktioniert (hint: hängt von der Gesellschaft ab). Die geschilderten Vorkommnisse um Rick Perry zeigen doch ironischerweise gerade nicht, dass die Medien von Sensation zu Sensation springen, denn es handelt sich dabei nur schwerlich um eine Sensation; […]

Cicero
16. Februar 2017 20:25

[…] Perry beward sich auch als Präsidentschaftskandidat der Republikaner und war somit direkter Gegenkandidat von Trump. Zudem verhält sich der Begriff der Sensation immer relativ zu anderen gegenwärtigen Vorkommnissen der Zeitgeschichte, und da kann in Zeiten von ‚muslim bans‘ etc. bei Perry’s vergangenen Bemerkungen von einer Sensation nun wirklich keine Rede sein.