Lieber Experte #9
Illustration: Tobias Bolliger, www.tobiasbolliger.ch
Thomas (25) aus Bern fragt: Kann man den Medien noch trauen?
Lieber Thomas,
Auf was genau möchtest du denn gerne vertrauen? Es gibt in dem nebulösen Kosmos, der sich hinter dem Schlagwort «die Medien» verbirgt, so einiges, worauf du vertrauen kannst. Darauf, dass das, was das Medium deiner Wahl kolportiert, eine unverfälschte, objektive Wahrheit darstellt, ist jedoch das letzte, worauf du blind vertrauen solltest. Journalist_Innen sind nicht Herolde der Wahrheit. Es sind Menschen, die sammeln, selektieren, gewichten und präsentieren. Selbst wenn sie dies ausschliesslich von einem idealistischen Journalismusbegriff gelenkt tun, stellen sie selbst noch immer einen Filter dar, durch den die Realität gequetscht wird. Persönliche oder politische Befangenheiten, redaktionelle Zwänge, Zeitdruck und Ressourcenmangel sind hier noch gar nicht miteingerechnet. Du kannst den Medien vertrauen, wenn du sie bewerten kannst und weisst, aus was sich der Filter zusammensetzt, durch den du die Realität gerade präsentiert bekommst. Ähnlich wie bei Statistiken muss man Medien nicht nur konsumieren, sondern auch «lesen» können – und sie vor allem nicht unhinterfragt als Autoritäten akzeptieren. Bei diesem hinterfragenden Unterfangen sollte man jedoch aufpassen, dass man sich nicht von selbsternannten Renegaten übertölpeln lässt, die das Wettern über die «Systempresse» zum Geschäftsmodell gemacht haben. Diese erkennt man häufig daran, dass ein Grossteil des redaktionellen Schaffens aus subjektiven Meinungsbeiträgen besteht – wie zum Beispiel diese Kolumne. Auf der anderen Seite sind Kolumnen, Kommentare und ähnliches ex cathedra-Geschwafel billig und schnell geschrieben. Im Idealfall kannst du darauf vertrauen, dass mit ihnen nicht nur ein bestimmtes Narrativ beackert wird, sondern letztlich auch journalistisch wertvolle, relevante Inhalte «quersubventioniert» werden. Wenn du also eine Faustregel möchtest für den Grad an Vertrauen, den man einem Medienerzeugnis schenken sollte: Je mehr Ressourcen, desto weniger Zwänge. Je weniger äussere Zwänge, desto mehr Raum für die Entfaltung von ethisch-moralischen Journalismusambitionen.
Vertrauenswürdige Grüsse, Dein Experte
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