Lieber Experte #7
Illustration: Tobias Bolliger, www.tobiasbolliger.ch
Amy (23) aus Bolligen fragt: Warum reden soviele Leute so viel und sowenige so wenig?
Liebe Amy,
nun, die ewige Rederei ist so eine Sache, die man den Menschen nur sehr schwer austreiben kann. Die Tatsache, dass die Menschen den lieben langen Tag reden, ist ja erst mal nicht unbedingt negativ. Vorausgesetzt sie sagen dabei auch etwas, verleihen einem Gedanken Ausdruck. Dass man sich darauf aber nicht unbedingt verlassen kann, ist eine sehr zahme Untertreibung. Allzuoft mag einen der Eindruck überkommen, dass ein Grossteil der Mitmenschen das Geschenk der Sprache hauptsächlich dazu verwendet, die Luft mit ihrem Ersprochenen aufzuwärmen, bevor sie diese dann einem ausgewiesenen Experten für spontanitären Postnihilismus und Schnabelpflege wegatmen. Denn ich als Experte rede nicht – ich erkläre, bin besorgt, schlage Alarm und warne. Als solcher hatte ich kürzlich die zweifelhafte Ehre, als unfreiwilliger Zuhörer mitzubekommen, wie eine junge Dame neben mir wortwörtlich zu ihrem Gegenüber sagte «Ja, weisch, isch irgendwie chly wie… oder? Und we de er o nid meint, dass es für ihn ke Sinn machi, de isch das ja o chly wie… aber schiinbar het er ja o nid – aso i weiss nid, aber isch doch chly wie… ja weiss o nid… versteisch?»
Der fassungslose Experte hätte besagter Dame am liebsten wortlos den Kopf in die Lasagne gedrückt, die sie gerade im Begriff war zu verspeisen. Dies ist zwar eine sehr effiziente Methode, um jemanden vom Reden abzuhalten, jedoch aber nicht die feine Englische. Darum hat sich der Experte darauf beschränkt, stellvertretend einen Alarm zu schlagen: Zusehends ist ein frappantes Missverhältnis zwischen Reden, Nachdenken und Zuhören auszumachen. Experten sind besorgt. Deine Frage – die gleichzeitig eine Feststellung ist – bezieht sich indirekt auf dieses Missverhältnis. Viele Leute reden viel, wenige reden wenig oder gar nichts, was ein Indiz dafür ist, dass sie wohl gerade zuhören oder nachdenken. Die logische Folge davon ist, dass viele Leute wahlweise viel unreflektierten Bockmist salbadern oder aneinander vorbei, wenn nicht gleich gegen eine Wand, reden. In ganz krassen Fällen schleudert man sich die verbale Scheisse gegenseitig um die Ohren, ohne zu treffen. Der Experte rät an dieser Stelle, ein Auge darauf zu haben, dass sich Reden, Zuhören und Nachdenken die Waage halten – ein sicheres Rezept, um mehr Redenswertes zu reden und mehr Hörenswertes zu hören. Ich hoffe, ich konnte helfen. Und wieso der Experte die Angewohnheit hat, sich wortwörtlich zu merken, was andere sagen, ist eine ganz andere Frage.
Lapidare Grüsse,
dein Experte
Auch wenn es die Dozierenden zu Semesterbeginn kollektiv und repetitiv abstreiten – es gibt sie, die dummen Fragen! Unser ExpertInnenteam nimmt sich ihrer an: eloquent, sachkundig und auch durchaus verständnisvoll. Sende jetzt deine Frage an frage@studizytig.ch und GEWINNE zwei Tickets für einen Eintritt in den Dachstock.