Seid selbstbestimmt!

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Top: privat, Glitzerleggins: privat, Banane: Fr. 0.50 bei Coop. Bild: Sam von Dach.

20. Dezember 2016

Von und

Das «20minuten Friday» ist ein merkwürdiges Heft. Grob gesagt, scheint es über eine gespaltene Persönlichkeit zu verfügen: Es will, dass wir unabhängig und feministisch sind, aber nur, solange wir den Verhaltenskodex der cool kids einhalten. Doch das «Friday» ist so hübsch und sorglos bunt, dass seine Leserschaft diese Wider­sprüchlichkeit als blosse Koketterie mit dem Wochenende abtun kann.

Ja, das «20minuten Friday» ist dieses grell glänzende Heft, das freitags in den blauen Kästen für Gratiszeitungen liegt – oder in der Nacht auf Samstag dann zerfleddert auf den nassen Strassen klebt. Inhaltlich würde der versierte Kioskbesitzer es wohl in der Sparte «Frauenzeitschriften» verordnen: Das «Friday» setzt sich hauptsächlich mit Prominenten und Mode auseinander, dazwischen leicht verdauliche Reportagen oder Meinungsartikel zu Lifestylethemen. Im angemessen urbanen Jargon liesse sich das Heft hingegen mit den Schlagworten «Stars, Style und Psychoanalyse der Generation Y» zusammenfassen. Das »Friday» verzeichnet eine Auflage von stolzen 151’504 Exemplaren und wird gemäss der Medienkonsumstudie MACH von rund 425’000 Menschen gelesen.

In einer Modestrecke, die an die Selbstbestimmung der Leserin appelliert, hält sich das Model eine halbierte Grapefruit vulvagleich vor die Schenkel.

Es wäre wohl zu einfach, das «Friday» als durchwegs banales Coiffeur-Heftli abzustempeln – vielmehr scheint es ein Konsistenzproblem zu haben. Gemäss eigenen Angaben setzt «Friday» «einen Schwerpunkt auf Geschichten aus der Welt der nationalen und internationalen Stars». Offensichtlich will es trotzdem nicht die «GlücksPost» sein: Gerne gibt es sich einen feministischen Anstrich – in einer Modestrecke, die an die Selbstbestimmung der Leserin appelliert, hält sich das Model eine halbierte Grapefruit vulvagleich vor die Schenkel. In einer Sonderausgabe lobt das «Friday» Aktivismus, indem es dreissig Menschen vorstellt, die jünger sind als dreissig  Jahre und «etwas bewegen». Und mit einem interessanten Porträt einer jungen asexuellen Frau zeigt es sich als aufgeschlossener Freund der Diversität.

Doch aller Selbstbestimmung und Individualität zum Trotz betont das «Friday» fleissig, was wir besser tun und lassen sollen: Mit «IN» und «OUT» erklärt es sich zum Knigge der Coolen. Es erklärt uns nicht nur, was sich modisch nicht gehört («Nur Sneakers tragen»), sondern auch, welche Verhaltensweisen unangebracht sind («Anderen in den Einkaufswagen starren», «Ständig betonen, dass man keinen TV besitzt», «Im vollen Zug dinieren»). Ein Artikel widmet sich dem «Relationship-Shaming», dem Lästern über Pärchen und deren Beziehung. Die Autorin konstatiert, «dass wir uns mit fiesen Paar-Analysen in Zukunft vielleicht ein bisschen zurückhalten sollten» – in jenem Heft, das genüsslich Promibekanntschaften auseinandernimmt und die Beziehungen 19-jähriger Filmsternchen analysiert. In der Modestrecke zum Thema Selbstbestimmung wird das Wort «feministisch» noch in der Einleitung relativierend zu «selbstbestimmt» zurückkorrigiert: «Bist du souverän, trägst du was du willst – ohne dich in eine Rolle drängen zu lassen. Das kann man feministisch nennen. Uns gefällt «selbstbestimmt» besser.» Und einige Seiten weiter vorne kürt «Friday» zusammen mit Tally Weijl, der Modelinie, die alles «sexy» macht, die Miss Denim. Aber womöglich können Misswahlen ja besser legitimiert werden, wenn sie im Rahmen einer Partynacht mit B-Promis und 30 Prozent Rabatt für alle auf alles stattfinden. Ansonsten füllt das «Friday» seine Seiten mit Bildern von mehr oder weniger teuren Dingen, die uns schöner, glücklicher und vor allem cooler machen sollen.

Natürlich könnte man das alles als spassfeindlich und langweilig abtun – Friday will doch nur spielen! Gratiszeitungen müssen keine Feuilletons sein, schon gar nicht, wenn sie freitags erscheinen.

Selbstbestimmung und Feminismus sind nicht in erster Linie wichtig, sie sind cool, verdammt, und vor allem käuflich!

Aber vielleicht ist das «Friday» in seiner Widersprüchlichkei tatsächlich die Printversion unseres Zeitgeists: Es kokettiert mit Selbstbestimmung, solange diese ästhetisch bleibt. Es feiert Individualität, solange diese möglichst viele Likes bekommt. Selbstbestimmung und Feminismus sind nicht in erster Linie wichtig, sie sind cool, verdammt, und vor allem käuflich! Kauft euch die richtigen Kleider, eine Duftkerze, das K-Beauty-Original mit Bambuswasser und beruhigendem Hamamelis-Extrakt und doziert dabei mit erhobenem Zeigefinger, wie man sich zu verhalten hat. Bleibt dabei unabhängig, bleibt selbstbewusst, denn Feministisch-Sein ist zurzeit sehr badass!

Die Frage, wie man Themen wie Unabhängigkeit und Feminismus attraktiv macht, ist berechtigt – und nein, sie müssen nicht in bilderlosen Bleiwüsten bieder-intellektuell abgehandelt werden. Aber ein Minimum an Konsistenz und Glaubwürdigkeit, das hätten sie verdient!

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