Wir sind reich – alles was uns fehlt ist Geld
Sera Hostettler war 24, als sie ganz ohne Portugiesischkenntnisse und nervös ins Flugzeug nach Mozambique stieg. Dort sollte die Agronomiestudentin Daten für ihre Bachelorarbeit erheben. Aus dem studienbedingten Abenteuer wurden prägende Freundschaften gewonnen und eine eigene NGO ins Leben gerufen. Die bärner studizytig erzählt ihre Geschichte.
Text: Lisa Linder
Fotos: Mosamsuisse und Simon Boschi
Heiss, trocken, gezeichnet von aktuellen Machtkämpfen der IS-Milizen und unglaublich reich an Ressourcen – das ist Mozambique. Das ostafrikanische Land mit 32 Millionen Einwohnern verfügt über einen besonders hohen Reichtum an Rohstoffen, allen voran Aluminium und Erdgas. Das Schweizerische Departement für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) zählt das Land jedoch zu den ärmsten Ländern der Welt. 2020 lebten laut dem DEZA rund 64% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze und das Land ist stark auf internationale Unterstützung angewiesen. Je nach Quelle liegt Mozambique aktuell (2023/24) zwischen dem zehnten und dem sechsten Platz auf der Liste der ärmsten Länder der Welt.
Mit Händen und Füssen
2021 reist die junge Schweizer Agronomiestudentin, Sera Hostettler, nach Nampula. Im Rahmen ihres Studiums soll sie dort mit lokalen Agronomen eine Saatgutstudie realisieren. Während 6 Monaten erhebt sie Daten für ihre Bachelorarbeit und lernt dabei die Lebensweisen der Menschen und täglichen Herausforderungen des Alltags vor Ort kennen. «Mit Händen und Füssen» habe sie sich erst durchschlagen müssen, meint Sera heute, da sie kein Portugiesisch sprach und die Leute vor Ort nur mässig Englisch verstanden. Es war aber auch in anderen Belangen eine sehr prägende und lehrreiche Zeit. Besonders fasziniert ist Sera von dem täglichen Optimismus, der Willenskraft, mit der die Leute vor Ort durch das Leben gehen, obwohl es an fast allem fehlt. «Ich habe mir jeweils etwas zu Mittag geholt und angeboten, auch den anderen im Forschungspool etwas mitzubringen, aber sie haben immer dankend abgelehnt. Sie tranken teils nur einen Tee bis zum Abend, weil für mehr reichte das Geld einfach nicht.», erzählt Sera weiter. Die Armut spürt Sera jeden Tag aufs Neue. Nach sechs Monaten reist sie wieder zurück in die Schweiz, doch die Erlebnisse in Mozambique lassen sie nicht mehr los.
«Mit Händen und Füssen» habe sie sich erst durchschlagen müssen.
Alle Projekte basieren auf dem Bottom-Up Prinzip.
Ganz falsch angefangen und alles richtig gemacht
Als Sera in Mozambique war, lernte sie schnell den eigentlichen Reichtum des Landes kennen. Sie habe bald gemerkt, dass eigentlich viele gut gebildete Agronomen vor Ort wären, um für eine sicherere Ernährungslage zu sorgen, doch einer von ihnen habe es auf den Punkt gebracht: «Wir sind reich, es fehlt uns nur noch das Geld.» Ohne Grundkapital könne man sich auch keine richtige Infrastruktur aufbauen und lebe jeweils von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, längerfristiges Denken sei kaum möglich. Das habe sie beeindruckt, meint Sera, und sie wollte von der Schweiz aus irgendwie dazu beitragen, mindestens einem kleinen Teil der Bevölkerung bessere Lebensumstände zu ermöglichen.
«Ig ha ganz fausch agfange!», meint Sera. Sie habe einfach mal drauflos gezeichnet und ein Logo entworfen für ihre noch sehr unscharfe Idee einer Impact-Organisation in Zusammenhang mit Mozambique. «Ich habe das Logo dann einer Freundin gezeigt und ihr kritischer Blick liess es mich gleich wieder verwerfen. Aber die Idee blieb», lacht Sera heute. Ihr Freund habe sie dann darauf gebracht, dass es gar nicht so schwer sei, in der Schweiz einen Verein zu gründen, und so kam der Stein ins Rollen. Heute gibt es den Verein Mosamsuisse seit 3 Jahren und er zählt 54 Mitglieder. Im Vorstand sitzen Sera, ihr Freund Basil und ihre Schwester Sabrina. Die drei haben sich die wichtigsten Aufgaben aufgeteilt. Während Sera mit ihrem Agronomiestudium und den Beziehungen zu Leuten vor Ort in Mozambique die Projektpläne entwickelt, regelt Sabrina die rechtlichen Vertragsangelegenheiten und Basil prüft Spendenzahlungen, Abrechnungen und koordiniert neue Chancen für die Zielsetzungen des Vereins.
Dank dem Ernährungsprojekt werden die Ernährungswerte bei Kindern gemessen.
Mehr Mehl und mehr Weitsicht
Mosamsuisse garantiert auf ihrer Webseite, dass der «Mitgliedschaftsbeitrag direkte Auswirkungen auf die Lebenssituationen» der Menschen habe. Eine transparente und offene Kommunikation ist dem Verein dabei wichtig, und sie informieren ihre Mitglieder regelmässig über aktuelle Projekte. Besonders im Fokus stehen Ernährungsprojekte, bei denen den Menschen vor Ort angereichertes Mehl verteilt wird und die konkrete Gesundheitsförderung für Frauen und Kinder. Bei Workshops wird den Menschen von Experten die korrekte Lagerung und Haltbarkeitsmachung sowie die dafür notwendige Zubereitung vermittelt. Ein anderes Projekt setzt sich für den Zugang zu Sehhilfen ein, wozu Sera und ihr Team Berner Optikergeschäfte um Spenden alter Secondhand Brillen angefragt haben – ein grosser Erfolg. Alle paar Monate wird eine Sendung «alter» Brillen losgeschickt, die dann in Mozambique den Leuten mit Sehschwäche, darunter vielen Kindern, gratis verteilt werden. Der Verein kommt dabei für die Unkosten von Versand, aber auch für die Sehtests durch professionelle Optiker vor Ort auf. «Es ist eine sehr konkrete Hilfe, und jedes Mal, wenn es ein Paket voller Brillen wirklich bis runter schafft – denn es muss an einigen Zollschranken vorbei – dann feiern wir das.», erzählt uns Sabrina, Seras Schwester.
Sera während ihrer Bachelorarbeit in Mozambique.
Vertrauen, Optimismus und Professionalität
Für Sera galt von Beginn an ganz klar das «Bottom-Up»-Prinzip: «Sie sagen uns, was sie als dringendste Investition bewerten und wo die Not am grössten ist. Wir sprechen nur das Geld.» Für die Finanzierungen müssten sich die lokalen Organisationen mit einem Konzeptschreiben und Finanzierungsplan bei dem Verein melden. Die Ideen kämen immer von den lokalen Partner:innen und nie von dem Verein. «Sie wissen am besten, was sie brauchen. Wir müssen die Aktivitäten lediglich überprüfen können, um auch unseren Mitgliedern nichts Falsches zu versprechen.», so Sera. Die enge Zusammenarbeit mit dem lokalen Koordinator, Ussene Francisco – Ernährungswissenschaftler und Projektleiter vor Ort – , den Sera in ihrer Forschungszeit in Mozambique kennenlernte, sei das wichtigste Standbein der Projektarbeit. In regelmässigen Video-Calls tauscht sich der Vorstand mit dem Koordinator aus und erfährt um die Erfolge und Schwierigkeiten der Projekte. «Wir begegnen uns dabei alle auf Augenhöhe und die Partnerorganisationen sind anspruchsvoll, sie wollen viel, und wir auch, das ist gut, aber nicht immer leicht», so die Vereinsgründerin. Mozambique kämpft mit weit verbreiteter Korruption und sichere Postsendungen sowie Geldsendungen sind keinesfalls eine einfache Sache. Der Verein garantiert kontrollierte Nachvollziehbarkeit der eingesetzten Mittel, doch ganz einfach sei das nicht. Teils müssten Unterschriften auf Dokumenten und Quittungen unglaublich kritisch überprüft werden, doch am Ende brauche es auch einfach ein gewisses Vertrauen in die Partnerorganisationen vor Ort. Vertrauen ist für die Vorstandsmitglieder das absolut Wichtigste, denn «am Ende gilt das gesprochene Wort», meint die studierte Wirtschaftsrechtlerin Sabrina. Oft scheitere ein vereinbarter Sitzungstermin per Zoom aufgrund fehlender Internetverbindung. Dann müsse man sehr flexibel sein und oft weiche man dann doch auf WhatsApp-Calls aus, weil diese einfach besser funktionieren würden, erklärt Sabrina weiter.
Mozambique kämpft mit weit verbreiteter Korruption – sichere Postsendungen sowie Geldsendungen sind keine einfache Sache.
Vom Studium direkt zur Gründung einer NGO
Die Tatsache, dass quasi alle drei Vorstandsmitglieder direkt nach dem Studium mit dem Aufbau des Vereins starteten, war kein leichtes Unterfangen. «Ich wusste einfach, ich muss etwas tun», so beschreibt es Sera gegenüber der bärner studizytig. Die grösste Herausforderung sei dabei gewesen, dass man sich kaum mit anderen ähnlichen Vereinen oder Gruppierungen habe austauschen können. Es fehle in Bern oder gar schweizweit immer noch an inspirierenden Plattformen, um sich mit gleichgesinnten Vereinen und Projekten im non-profit-Bereich zu vernetzen und Fragen zu klären wie: Wie macht ihr das mit den Spendenaufrufen? Welche Kanäle sind sinnvoll? Was sind gute Kontrollmechanismen oder vielversprechende Kommunikationsmittel für die Mitglieder, die uns Glaubwürdigkeit einräumen?
Frauen in Mozambique bei einem Ernährungsworkshop.
Auch bezüglich Rechtswesen, Steuerbefreiung von Spendengeldern und Social-Media-Tools hätten sich die drei ziemlich einarbeiten müssen. Das Führen eines offiziellen Kanals für einen spendenbasierten Verein sei definitiv aufwändiger und anspruchsvoller als das eigene Instagram-Profil zu betreiben, gibt Sabrina zu. Aktuell präsentiert sich Mosamsuisse hauptsächlich über Instagram und eine eigene Webseite, aber in Mozambique sei Facebook der wichtigste Kanal. Doch das Hosten der Kanäle und das Posten von möglichst sauberen und professionellen Inhalten sei noch immer ein grosses Lernfeld. Alle drei Vorstandsmitglieder arbeiten neben ihren jeweils 100%-Lohnarbeitstellen ehrenamtlich für Mosamsuisse. Sie liebe die Arbeit für Mosamsuisse und ist dafür wöchentlich sicher einen Tag ehrenamtlich im Einsatz, meint Sera. Die Überprüfung der Zahlungen und der aufrichtigen und effektiven Realisierung der Projekte vor Ort seien für den Verein eine Priorität. Doch die Aussicht darauf, das Unterfangen auf eine nächste Ebene zu heben, schüchtere sie auch ein. Momentan funktioniert der Verein nur, weil alle Mitarbeitenden bereit sind, die Arbeit ehrenamtlich zu realisieren. Würde sich Sera von ihren «Hauptberufen» als Bäuerin und Journalistin bei der Bauern-Zeitung hinwenden zu einem vollzeitigen Einsatz für Mosamsuisse, so würde das eine grosse Umstrukturierung und ein neues Lohnkostenkonzept bedeuten.
Von den «Hauptberufen» als Bäuerin und Journalistin hin zu einem vollzeitigen Einsatz für Mosamsuisse – das kann sich Sera nicht vorstellen.
Eine deutliche Expansion ihrer Tätigkeiten und damit verbundene entlöhnte Vereinsarbeit können sich die Vorstandsmitglieder heute noch nicht vorstellen. «Es geht uns wirklich darum, dass alle Spenden voll und ganz in Mozambique ankommen», begründet Sera diesen Stand. Ein weiterer Grund ist aber auch die Angst vor dem Verlust einer überschaubaren Identität der Vereinstätigkeit. Würde man expandieren und grössere Hilfsgüterlieferungen machen, wäre das aufgrund der starken Korruption und Zollschranken in Mozambique eine grosse Herausforderung, der sie sich nicht gewachsen fühlen. In diesem Jahr planen die drei Vorstandsmitglieder zum ersten Mal seit Seras Aufenthalt eine Reise nach Mozambique, um die Projektarbeit mit eigenen Augen zu sehen und neue Eindrücke zu gewinnen. Die politisch unsichere Lage verhindere momentan aber noch konkrete Planungen, da die Lage sogar für die lokale Bevölkerung deutlich gefährlicher sei, als noch 2021. Doch wie die Mozambiquer:innen das scheinbar so gut können, bleiben auch Sabrina, Sera und Basil optimistisch, dass ein Besuch ihrer Partnerorganisationen bald möglich sein wird.
Optiker untersuchen die Leute auf Sehschwächen.