Ritalin als Lerntrick – Mythos oder Strategie?

07. März 2024

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Lernstress, die Zeit zu knapp und Mühe mit dem Fokus. Das Gemunkel um die Lerndroge Ritalin als Trick für effizientere Lernphasen an der Uni ist wohl so manchen bekannt. Doch was hat es mit der Wirkung auf sich? Und verspricht Ritalin bessere Noten oder ist das alles doch nur ein Mythos? Unsere Autorin hat das Gespräch mit dem Experten gesucht und Antworten bekommen.

Text: Lisa Linder
Illustration: Laura Godel

Schnell mit Lärm oder Eindrücken überfordert sein, sich nicht konzentrieren oder lange stillsitzen können, das sind Einschränkungen, die Menschen mit ADHS in ihrem Alltag oft erleben. Das wohl bekannteste Medikament gegen diese Einschränkungen heisst Ritalin. Dies ist jedoch nur eines von unterschiedlichen Medikamenten mit dem Wirkstoff Methylphenidat, der unser Gehirn auf der neuralen Ebene beeinflusst. Er bewirkt die Ausschüttung von Dopamin und Noradrenalin, wobei die Wahrnehmungskapazität an Fokus gewinnt.

An solche Medikamente kommt legal nur, wer sie von einem Arzt oder einer Ärztin verschrieben bekommt. Mittlerweile gibt es aber auch online viele «Schattenmarktplätze», die das Beziehen von Ritalin und ähnlichen Neuro-Enhancern, also Medikamenten mit neural effektiven Wirkstoffen, auch Rezeptlosen zugänglich machen. An Unis hört man unter Studierenden nicht selten von Fällen, in denen diese Neuro-Enhancer als «Lerndrogen» eingesetzt werden. Wieviel an diesem Mythos um bessere Lerneffizienz dank Methylphenidat dran ist, wollten wir von Prof. Dr. Quednow der Universität Zürich wissen.

Quednow forscht zu Effekten und Risiken von Neuro-Enhancern und interessiert sich besonders für deren Wirkung auf die menschliche Aufmerksamkeit und die chemischen Prozesse im Gehirn. Bereits vor Jahren gab es Fälle von Ritalinmissbrauch in den USA und mittlerweile scheint es auch in Deutschland und in der Schweiz kein Geheimnis mehr zu sein, dass solche «Tricks» bei den Studierenden Anklang finden, so Quednow. Die Mythen, dass eine bessere Hirnleistung erzielt werden könne, hielten sich dabei hartnäckig. Dabei komme es aber auf einige Faktoren an, ob die Einnahme von Methylphenidat eine positive oder negative Auswirkung erziele: Zum einen ist die Dosierung zentral, dann natürlich die Reinheit des Medikaments und nicht zuletzt der individuelle Energiehaushalt und Konzentrationsfähigkeit der konsumierenden Person.

Die Dosierung sei das Wichtigste, erklärt Quednow, weil man von einer inversen U-Kurve ausgehe. Es gebe den Punkt des optimalen Peaks, an dem die Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin die Hirnleistung ankurbeln. Wird dieser Punkt jedoch verfehlt, so falle die Leistungskapazität auf der U-Kurve wieder hinunter und man könne sich schnell deutlich schlechter konzentrieren als ohne Neuro-Enhancer.

Weiter besteht immer die Frage nach der Reinheit der Wirkstoffe. Ersteht man eine solche «Lerndroge» über Dritte, weiss man nie, wie sauber der Inhalt ist, und ob keine negativen Nebenwirkungen erwartet werden müssen. Nicht zuletzt sei erwiesen, dass Menschen mit einer grundsätzlich starken Konzentrationsleistung ohne Aufmerksamkeitsstörung kaum von Ritalin & Co. profitieren können, da sie auf der U-Kurve bereits nahe am Maximum stünden.

Am deutlichsten würden die Stimulanzien auf solche Menschen beispielsweise nur bei Schlafmangel wirken, so Quednow, weil der Körper dann nicht in einer leistungsstarken Verfassung sei und die Wirkstoffe in diesem Falle am meisten greifen würden. Dabei steigerten diese Wirkstoffe jedoch vor allem die Motivation und die Wachheit. Auch die Affektivität, also emotionale positive Gefühle, würden beeinflusst. Man fühle sich sicherer und die eigene Selbstwirksamkeit werde höher wahrgenommen. Der Übertrag ins Langzeitgedächtnis werde aber meist deutlich schlechter, auch wenn man sich eigentlich wacher fühle.

 

Die Dosierung ist zentral, die Reinheit des Medikaments und der individuelle Energiehaushalt.

 

De facto muss man also bei Menschen ohne wirkliche Konzentrationsdefizite von einer schlechteren Lernleistung unter Ritalineinfluss ausgehen. Am Schluss sei die tatsächliche Wirkung bei jeder Person individuell und auch negative Effekte könnten je nach Ausgangslage eine Gefahr sein: negative bis depressive Verstimmungen und im Ernstfall gar psychotische Reaktionen.

Auf die Frage, ob sich eine Abhängigkeit der Substanzen entwickeln könne, vergleicht Quednow das Risiko mit Alkohol oder Cannabis, ca. eine Person von zehn gelange in eine Abhängigkeit. Wobei Personen, die eigentlich keine medizinische Verschreibung von Ritalin hätten, oft stärker in die Abhängigkeitsspirale hineingezogen würden. Es komme bei solchen Personen öfter zu starken Aufdosierungen, oder gar Substanzenkombinationen, beispielsweise zusammen mit Alkohol oder Härterem. Bei zu hohem Überkonsum oder unkontrollierten Fehlkombinationen könne gar die Gefahr von epileptischen Anfällen oder Störanfälle1 des unmittelbaren Nervensystems (Blutdruck, Puls, Atemfrequenz, Verdauung) bestehen.

Bei chronischer Einnahme könne auch das Herz-Kreislaufsystem in Mitleidenschaft gezogen werden, da müsse man aber deutlich mehr als ein oder zweimal im Jahr vor den Prüfungen Ritalin einnehmen. Studien zu Langzeiteffekten gäbe es dazu aber noch nicht, da solche Studien mit gesunden nicht-ADHS-diagnostizierten Menschen ethisch kaum begründbar wären. Wer Neuro-Enhancer im Internet bestellt, sollte also stets beim Drug-Checking vorbeigehen und sich über die Zusammensetzung informieren. Die gesteigerte Lerneffektivität ist oft eher ein Gefühl als eine Tatsache. Wachheit und das Gefühl der Selbstwirksamkeit können jedoch im Individualfall die Lernaktivität klar stimulieren. Zuletzt rät der Experte Prof. Dr. Quednow uns Studierenden zu genügend Schlaf und einer Tasse Kaffee oder Grüntee statt Neuro-Enhancern, da die Lang- zeitwirkungen deutlich besser und die Nebenwirkungen viel einschätzbarer seien.

 

Zuletzt bleibt man lieber bei Kaffee oder Grüntee.

Podcast:

Hier kannst du den Podcast zum Artikel hören:

Für alle, die lieber hören wollen als lesen 😉

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