First Impressions – eine Erzählung aus zwei Blickwinkeln
Erste Eindrücke können uns massgeblich beeinflussen. Wie genau das ablaufen kann, was an ersten Begegnungen stressig ist und wie man sich auf diese am besten vorbereitet, erörtern unsere beiden Autorinnen in diesem Essay mit Happy Ending.
Text: Jona Herrmann und Tara Kokot
Illustrationen: Lisa Linder und Lucy Kopp
Ob wir uns auf ein Gespräch mit jemandem einlassen, an welche Uni wir gehen und sogar welches Sandwich wir im Coop kaufen, hat zu einem grossen Teil mit dem ersten Eindruck zu tun. Den ersten Unitag könnte man dabei als einen Höhepunkt der ersten Eindrücke betrachten: ein brandneues Umfeld mit Gebäuden, Professor*innen, Mitstudierenden. Ein Tag des puren Grauens oder ein Tag der endlosen Möglichkeiten? Eines haben alle Neueinstiege gemeinsam: Eine absolute Ungewissheit. Um diesem Unbehagen zu entkommen, sehnen wir uns nach etwas, an dem wir uns halten können. Das Einzige, was wir in dieser Rolle als “Neuling” tatsächlich beeinflussen können, ist uns selbst. Wir schrauben und feilen an unserem Image, denn schon lange wird es uns eingeprägt: Der erste Eindruck zählt. Doch wie viel Wahrheit steckt dahinter? Wie viel bringt es uns, zu überlegen, was wir anziehen oder wie wir uns in einer Situation verhalten? Wie viel Kontrolle haben wir tatsächlich über unseren ersten Eindruck auf andere? Liegt es vollkommen an unserem Gegenüber zu urteilen, wie wir wirken, oder können wir da etwas beeinflussen?
«Wie viel Kontrolle haben wir tatsächlich über unseren ersten Eindruck auf andere?»
Der Unialltag ist voll mit neuen Unbekanntheiten, doch keine kommt an den allerersten Uni-Tag heran. Wir beide – Jona und Tara – haben nun diesen Tag hinter uns und konnten etwas Positives daraus mitnehmen: eine Freundschaft. Wir erinnern uns an die ersten Momente und fragen uns, ob wir dies mit dem ersten Eindruck schon hätten erahnen können. Mit Hilfe eines Gedanken-Dialogs stellen wir unsere Erfahrungen dar.
Ping-Pong-Spiel der Gedanken
Die Vorbereitung – Jona
Den Wecker stelle ich bewusst eine halbe Stunde zu früh. Ich weiss, wenn ich mich am Morgen schon beeilen muss, wird sich dieses Gefühl durch den ganzen Tag ziehen. Über die letzten Wochen wurden von mir einige mehr oder weniger bewusste Vorbereitungen getroffen. Ich war bei der Coiffeuse, ich habe seit langem wieder auf Instagram gepostet, ich habe mir überlegt, was ich anziehen soll. Ich weiss, was ich sagen werde, wenn mich jemand nach meinem Musikgeschmack fragt, schon lange war ich mir meinem Steckbrief nicht mehr so bewusst. Ich bereite mich vor, wie für ein Vorstellungsgespräch, bei dem es darum geht, möglichst viel von mir zeigen zu können. Ich will authentisch sein, die richtigen Leute anziehen, denn ich habe richtig Lust darauf, an der Uni neue Freund*innen zu finden.
An der Uni bin ich viel zu früh, was zum Teil meiner Zugverbindung geschuldet ist, aber auch daran, dass ich ankommen will, so richtig, bevor ich mich in den Strom stürze. Ich habe das Gefühl, dass ich den Unialltag von da an nicht allein meistern muss. Und ich lag richtig, denn bereits vor meiner allerersten Vorlesung treffe ich eine erste verlorene Forelle und zusammen kämpft es sich ganz leicht durch die ersten zwei Stunden. Doch es bleibt nicht lange dabei, schon am Mittag wird aus unserem Duo ein kleiner Schwarm, denn aus zwei wurden drei und zu dritt kann man sich in diesem Meer von Menschen schon ziemlich gut zurechtfinden. Ich bin zufrieden mit den Ereignissen des Vormittags, als die Menge noch jemand weiteres zu uns an den Tisch spült: Tara.
«Ich habe das Gefühl, dass ich den Unialltag von da an nicht allein meistern muss.»
Die Vorbereitung – Tara
Es ist soweit, endlich wird der Sommerlangeweile ein Ende bereitet: Der erste Uni-Tag ist da. Ich kann es kaum erwarten, endlich wieder neue Inputs zu bekommen, mich mit mehr als nur meiner Lieblingsserie zu beschäftigen. Lustigerweise bin ich kaum aufgeregt, trotz der nervösen Chat-Nachrichten meiner Freund*innen, welche diesen neuen Abschnitt heute ebenfalls beginnen. Ich glaube, dass ich mir alles gut überlegt habe: Mein Outfit ist ausgewählt, mein Make-Up subtil gemacht, mein neuer Rucksack gepackt. Ich will zwar auffallen, aber trotzdem unbedingt ich selbst bleiben und mich nicht verstellen müssen. Bern, ich komme.
Nach langer Pendelreise bin ich endlich an der Uni – natürlich mit Absicht etwas zu früh, um die Gebäude auch sicher zu finden. Im letzten Moment steigt dann doch meine Nervosität, die ich zuvor so gut in Schach halten konnte: so viele plaudernde, lachende und vor allem brandneue Gesichter. Im Moment fühle ich mich noch wie eine Aussenseiterin, die noch nicht dazugehört. Werde auch ich bald eines dieser Gesichter sein, die sich so natürlich in die noch unvertraute Umgebung einfügen? Ich will unbedingt daran glauben. Ich will hier Menschen finden, die meine Interessen teilen, mit denen die zahlreichen Vorlesungen, Abgaben und Kurse etwas erträglicher werden. Bald schon entdecke ich drei halbwegs bekannte Gesichter, die ich bereits aus der Einführung meines Studiengangs kenne. Und dann ist da noch eine Person, die ich noch nie gesehen habe: Jona.
Das Treffen – Jona
Tara fällt mir gleich auf, als sie sich zu uns setzt. Ich mag ihr Outfit, besonders ihr Schmuck gefällt mir gut. Auf mich wirkt sie cool und gelassen, ganz und gar nicht so verloren, wie ich mich zu Beginn gefühlt habe. Mir bleibt jedoch nicht wirklich Zeit, mir darüber gross Gedanken zu machen, denn eine Freundin und ich sind gerade auf eine Goldmine der Gemeinsamkeiten gestossen; unsere leidenschaftliche Passion für das Zusammenstellen von Playlists. Als Tara sich wie selbstverständlich ins Gespräch einklinkt, bin ich ein wenig überrascht. Tara strahlt Selbstbewusstsein aus, ihr scheint alles leicht zu fallen und ich freue mich insgeheim, dass sie uns anspricht. Je mehr sie von sich erzählt, desto grösser wird die Bewunderung meinerseits. Im Gespräch stellt sich heraus, dass hinter den coolen, beeindruckenden Eckdaten ein offener, lieber und zuverlässiger Mensch steckt.
«Werde auch ich bald eines dieser Gesichter sein, die sich so natürlich in die noch unvertraute Umgebung einfügen?»
Das Treffen – Tara
Jona unterhält sich völlig begeistert mit einer Freundin über ihren jeweiligen Musikgeschmack. Zuerst bin ich ziemlich eingeschüchtert; ihre Ausstrahlung scheint so selbstbewusst und entschieden zu sein. Ich fühle mich etwas zu farblos. Jona’s Kleidung und ihre ganze Erscheinung sind so individuell, dass ich mich daneben ganz unscheinbar fühle. Als mich sowohl Jona als auch ihre Freundin ziemlich erstaunt anblicken, bereue ich fast die Entscheidung, die beiden angesprochen zu haben. Allerdings wollte ich Jona näher kennenlernen, weil sie mich mit den wenigen Details – Schmuck vom Flohmarkt, ein grüner Rucksack, eine Handyhülle voll mit Stickern – die mir bereits aufgefallen sind, ziemlich neugierig gemacht hat. Schnell stellt sich heraus, dass hinter dieser neuen, beeindruckenden Bekanntschaft ein spannender und offener Mensch steckt, mit dem ich mich liebend gern noch ein paar Stunden über Lieblingsfingerringe, Dialekte und die besten Party-Orte in Luzern unterhalte. Schon jetzt werden Pläne für den gemeinsamen Ausgang geschmiedet und wir bleiben mit Absicht etwas länger, um noch mehr miteinander reden zu können. Ich freue mich riesig darüber, dass Jona sich genauso sehr über unsere neugewonnene Freundschaft freut, wie ich es tue.
Eindruck hinterlassen?
Auch wenn wir es nicht immer wollen: der erste Eindruck hat Gewicht. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass bei uns der erste Eindruck der anderen Person grundlegend war, um erstmals in Kontakt zu kommen. Man spricht jemanden an, setzt sich bei jemandem dazu, der einem sympathisch erscheint, ohne dabei die Persönlichkeit des Gegenübers zu kennen. Man gibt sich – zu einem gewissen Grad – den eigenen Vorurteilen hin, denn man weiss eigentlich nicht viel über das Gegenüber, geschweige denn über dessen Interessen. Zu Beginn selektiert man ausschliesslich danach, wie die Person auf einen wirkt. Das mag ziemlich oberflächlich und willkürlich erscheinen, aber die meisten Menschen haben einen gewissen Freiraum, in dem sie sich entscheiden können, wie sie sich kleiden, welchen Schmuck sie tragen, wie sie sich präsentieren. Auch Unsicherheiten und eigene Vorurteile können schnell einmal versteckt werden. Doch genau das ist der Grund, weshalb der ersten Beurteilung einer Person trotzdem Bedeutung zukommen darf: Jede*r entscheidet selbst, was sie oder er nach aussen tragen will. Wie und ob man sich vorbereitet, beeinflusst und spiegelt die Haltung, mit der man sich in diese Art von unbekannten Situationen begibt.
«Jede*r entscheidet selbst, was sie oder er nach aussen tragen will.»
Trotz alledem – nicht selten kommt es vor, dass sich die eigene Meinung über eine Person nach näherem Kennenlernen noch grundlegend ändert, entgegen des ersten Eindrucks. Wir sind uns allerdings einig darin, dass wir auch in anderen Umständen Freundinnen geworden wären. Denn trotz unseres überlegten Handelns, hat sich unsere Persönlichkeit gezeigt, welche auch bei innerer Nervosität noch durchzudringen vermag. Es kommt also vielleicht gar nicht so stark darauf an, ob man sich nun die Gedanken macht oder nicht, das Resultat wird womöglich dasselbe sein – vorausgesetzt, man verstellt sich nicht zu sehr. Wir können also erkennen: Am ersten Tag an einer neuen Universität sind wohl alle nervös. Welchen ersten Eindruck wir vermitteln, soll dabei aber nicht unsere Sorge sein, denn er ist weniger wichtig, als man sich vor lauter Aufregung denkt.