Bunnies blowen up und ich bin blown away. Eine Buchrezension.
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Ein Buch, das sich liest, wie ein Fiebertraum. Verwirrend, vage und so abstrus, dass es sich beim Lesen oft anfühlt, als würde einem*r gleich der Kopf explodieren – natürlich im übertragenen Sinn. Ein Buch, das sich mit Einsamkeit, Agency und Elitismus beschäftigt, während nebenher Körper erschaffen werden und Köpfe explodieren – dieses Mal im wortwörtlichen Sinn.
Text: Alisha Hörr
Illustrationen: Luana Genge
Mona Awads preisgekröntes Buch «Bunny» aus dem Jahr 2019 hat auf den sozialen Buch-Katalogisierungs-Plattformen Storygraph und Goodreads mittelmässige Bewertungen. Doch der Schein trügt. Mittelmässig ist Bunny für die wenigsten. Dieses Buch polarisiert. Für manche ein neues Lieblingsbuch, für andere ein absoluter Flop. Mit folgender Rezension helfe ich dir dabei, herauszufinden, ob Bunny für dich in erstere oder letztere Kategorie fällt.
Bunny. Ich weiss gar nicht, wo ich anfangen soll.
Samantha Heather Mackey ist die Protagonistin dieser Schwarzen Komödie. An der erfundenen Universität Warren (Englisch für «Kaninchenbau») studiert sie in einem Master of Fine Arts literarisches Schreiben. Ihre Kommilitoninnen formen eine exklusive Clique, von anderen die «Bunnies» genannt, da sie sich gegenseitig mit «Bunny» ansprechen.
Samantha gehört als Aussenseiterin nicht zu dieser Gruppe; ganz im Gegenteil macht sie sich über die Bunnies lustig und verfällt somit in die stereotypische Trope «not like other girls».* Doch unter Samanthas Spott verbirgt sich auch eine Eifersucht. Die Bunnies sind reich, konventionell attraktiv, weiss und eingebunden in ein soziales Netzwerk.
Schon nach wenigen Seiten, gleich zu Beginn des Buches, ändert sich die gesamte Situation: Samantha wird von den Bunnies zu einer ihrer «Partys» eingeladen. Was folgt, lässt sich kaum in Worte fassen. Die Bunnies bilden so etwas wie einen Kult, wo Kaninchen geopfert werden, um aus den Tieren Männer zu erschaffen. Ja, dieses Buch gehört definitiv zum magischen Surrealismus – ein explodiertes Kaninchen später und Beowulf oder Ikarus oder James Dean klopft an die Tür, so funktioniert das hier.
Bald schon wird Samantha selbst zu einem Bunny und die Handlung des Buches schlängelt sich irgendwo zwischen Drogentrip und dem Bewusstsein als Hive Mind* durch. Die Realitätsgrenze verschwimmt bis zur Unkenntlichkeit und die Unreliable Narrator* verwirrt zusätzlich mit falschen Erinnerungen, Lügen und Auslassungen.
«Why do you lie so much? my mother always asked me. I don’t know, I always said. But I did know. It was very simple. Because it was a better story.»
Mehr will ich zur Handlung an sich aber jetzt wirklich nicht sagen, denn dieses Buch verlässt sich stark auf den Shock Value. In vielen Kritiken wird sogar gesagt, dass dies das einzige ist, worauf das Buch fokussiert: Die Leser*innen schocken, ohne wirklich auf den Inhalt oder die Message der Geschichte zu achten.
Ganz unterschreiben kann ich das so aber nicht. Bunny ist eine Satire. Und zwar vollumfänglich – da sind nicht einfach nur vereinzelte satirische Elemente im Buch. Der offensichtlichste satirische Fokus sind die Bunnies in ihrem «Mean Girls»-Stereotyp. Doch auch Samantha, die Ich-Erzählerin, ist vor der Satire nicht sicher.
Der Schreibstil des Buches ist nicht nur ein wirrer Stream of Consciousness, sondern macht auch von vielen blumigen Metaphern und Beschreibungen Gebrauch, die in vielen Rezensionen als «awkward» und «cringy» verurteilt werden. Doch wenn mensch bedenkt, dass Samantha literarisches Schreiben studiert, und Bunny aus Samanthas Perspektive erzählt wird, liegt die Theorie nicht fern, dass dieses Buch als Abschlussarbeit ihres Masters «eigentlich von Samantha» geschrieben ist. Somit werden auch universitärer Elitismus und literarisches Schreiben satirisiert.
«I watch them hold hands. A swell of longing rises in me like a red wave. Wait. Me too in the circle. Me, me. I hold my own hands in the corner and try to make myself into a circle.»
In Bunny werden Reichtum und Armut, soziale Beziehungen, Körper und Agency auf einer Metaebene* behandelt. Immer wieder durchbrechen Figuren die vierte Wand* und machen Bemerkungen über die Handlungen, respektive die fehlenden Handlungen der Charaktere, und somit einen Kommentar über das Buch selbst.
Kommen wir gleich zu diesen fehlenden Handlungen und sprechen über Samanthas Agency. Agency kann mit Handlungsmacht übersetzt werden und eben diese Macht zu handeln scheint Samantha nicht zu haben. Sie lässt die Dinge einfach passieren, der Plot treibt sie voran, nicht sie den Plot. Viele Leser*innen mögen das nicht. Doch vergesst nicht, dass Bunny eine Satire ist. Die fehlende Agency wird genauso kritisiert, wie der Elitismus an den Universitäten.
Dieses Buch legt einen starken Fokus auf den Körper. Nicht nur werden Körper erschaffen, auch die Körperlichkeit der bestehenden Figuren wird immer wieder betont. Während die Erzählstimme sich über diese «Neuentdeckung des Körpers» lustig macht, bleibt der Plot unbeirrt bei seinem Thema.
«I record the number 1098 in my notebook. Which is the number of times I’ve heard ‘the Body’ mentioned since being at Warren.»
InfoBox:
- Not like other Girls ist eine Trope, die einen weiblichen Charakter erhöht, indem sie die anderen weiblichen Charaktere heruntersetzt und schlecht macht. Bekannte Beispiele dafür sind Janis Ian aus Mean Girls oder Arya Stark in der zweiten Staffel von Game of Thrones.
- Hive Mind ist vor allem in Science-Fiction bekannt. Ein Hive Mind («Schwarmbewusstsein») ist die Partizipation von Individuen an einem übergreifenden Bewusstsein. Individuen können je nach Umsetzung der Trope zum Beispiel Erinnerungen, Gefühle, Gedanken oder sensorische Eindrücke teilen und sich selbst nicht mehr als eigenständige Akteur*innen wahrnehmen.
- Unreliable Narration ist ein Erzählstil. Hierbei entspricht die erzählte Handlung nicht zwingend den tatsächlichen Ereignissen. Durch Auslassungen, bewusste Lügen oder unbewusste falsche Erinnerungen kann eine Erzählung erschaffen werden, welche komplex und verwirrend ist und die Leser*innen zwingt, sich aktiv mit dem Text zu befassen.
- Die Vierte Wand ist, was die Rezipient*innen von den fiktiven Figuren trennt. Wenn sie durchbrochen wird, kann entsprechend ein Austausch auf der Metaebene stattfinden.
- Auf der Metaebene kommentieren Figuren aus einem Medium hinaus über ebendieses Medium. In diesem Moment stehen sie in direktem Kontakt zu den Rezipient*innen.
Du bist noch nicht wirklich schlüssig geworden, ob du Bunny lesen willst? Finde es mit diesem Flowchart heraus: