« Hinweise auf rassistisches Verhalten werden oft als persönlicher Angriff wahrgenommen »
Im Gespräch mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Kathrin Kern von der Abteilung für Chancengleichheit unterhält sich unser*e Autor*in über das Ideal einer rassismussensiblen Hochschule und über die neue Anlaufstelle für rassistische Diskriminierung an der Uni.
Text: Mara Hofer
Fotos: Alina Rehsteiner
Sie arbeiten bei der Abteilung für Chancengleichheit an der Universität Bern. Was genau ist der Zweck dieser Abteilung?
Die Abteilung für Chancengleichheit (AfC) setzt sich dafür ein, dass an der Universität Bern in Lehre, Forschung und Arbeit die Chancengerechtigkeit gewährleistet wird. Dies setzt das Bewusstsein voraus, dass Uniangehörige, womit Angestellte als auch Studierende gemeint sind, individuelle Voraussetzungen mit sich bringen.
Seit wann gibt es diese Abteilung und wofür wurde sie geschaffen?
Die AfC wurde vor mehr als dreissig Jahren geschaffen, im Jahr 1991. Bis 2021 lag der Fokus auf der Gleichstellung von Frauen und Männern, erst in den letzten Jahren hat sich der Fokus auch auf weitere Diversitätskategorien erweitert.
Im Rahmen dieser Erweiterung wurde ihre Stelle mit dem Schwerpunkt Rassismus neu geschaffen. Was beinhaltet ihr Aufgabenbereich?
Zu meinen Aufgaben gehören zum einen die Entwicklung von antirassistischen Massnahmen an der Universität Bern. Zum anderen gilt es, präventiv wirkende Projekte zu realisieren, sodass Rassismen in unterschiedlichen Kontexten gar nicht erst entstehen oder unreflektiert reproduziert werden.
Was gibt es denn aktuell für Projekte?
Noch vor meinem Stellenantritt wurde beispielsweise die Kampagne «Wir müssen reden» lanciert. Im Rahmen dieser Aktion wurden zentrale Begriffe des antirassistischen Diskurses ausgesucht und mit ihren Definitionen auf Plakate gedruckt, die auf dem ganzen Campus verteilt wurden. Es geht dabei darum, eine rassismussensible Sprache zu etablieren und den dazugehörigen Wortschatz laufend zu erweitern.
Es geht darum, eine rassismussensible Sprache zu etablieren und den dazugehörigen Wortschatz laufend zu erweitern.
In Ihren Augen: Weshalb braucht es Ihre Arbeit an der Uni Bern?
Die Hochschulinstitution ist von tradierten Strukturen gezeichnet, die nicht auf die immer reicher werdende Diversität unter ihren Angehörigen angepasst sind. Aus diesem Grund entsteht Reibung. Reibung ist gut, da bin ich mit dem deutschen Soziologen und Autor Aladin El-Mafaalani einig. Reibung bedeutet in diesem Fall, dass mehr Menschen mit verschiedenen persönlichen Merkmalen Zugang in die akademische Welt erhalten. Hier Chancengleichheit herzustellen, indem Gewohnheiten, Umgangsweisen oder allfällige Hürden an der Universität kritisch betrachtet werden, ist mein Job.
Wer arbeitet sonst noch in der Abteilung?
Mein Team setzt sich aus unterschiedlichen Expert*innen zusammen, die jeweils verschiedene Schwerpunkte vertreten. Dabei ordnen sich die Diversitäts- bzw. Diskriminierungskategorien Geschlecht, Geschlechtsidentität, physische und psychische Beeinträchtigung, Alter, soziale Herkunft und Stellung, sexuelle Orientierung sowie in einer Kategorie zusammengefasst Sprache, Nationalität, Religion, Hautfarbe, Migrationserfahrung und Religion unter diesen Schwerpunkten an. Fühlt sich eine Person an der Universität Bern nun aufgrund eines oder mehrerer, fremd oder selbst zugeschriebener persönlicher Merkmale dieser Kategorien diskriminiert, kann sie mit der entsprechenden Ansprechperson der AfC in Kontakt treten.
Reibung bedeutet, dass
mehr Menschen mit ver-
schiedenen persönlichen
Merkmalen Zugang in die
akademische Welt erhal-
ten.
Sich melden kann man ja seit kurzem auch bei der neu geschaffenen Anlaufstelle für Rassismusvorfälle. Wie ist diese aufgebaut?
An die Anlaufstelle für Rassismusvorfälle können sich Uniangehörige wenden, wenn sie sich rassistisch diskriminiert fühlen. Es besteht die Möglichkeit, mich auf meiner persönlichen Mail-Adresse oder der offiziellen Adresse der AfC zu kontaktieren. Bei Bedürfnis besteht die Möglichkeit eines persönlichen Austausches. Die Meldeperson kann dann in Ruhe erzählen, was vorgefallen ist und wird von mir über die Möglichkeit weiterer Schritte aufgeklärt. Wichtig zu wissen ist, dass prinzipiell keine Vorkehrungen ohne das Einverständnis der beratenen Person getroffen werden.
Und falls man anonym bleiben möchte?
Dann besteht die Möglichkeit, ein Online-Meldeformular zu verwenden. Die Niederschwelligkeit dieses Angebots baut Hemmungen ab. Betroffene können beispielsweise Befürchtungen haben, Konsequenzen für die eigene Arbeit oder das Studium zu erfahren, wenn sie Zwischenfälle oder Beobachtungen melden. Ausserdem bietet dieser Weg eine Handlungsmöglichkeit, wenn man der Gefahr entgehen möchte, in einem Gespräch retraumatisiert zu werden. Aufgrund der Anonymität ist jedoch bei dieser Variante weder die Beratung noch die rechtliche Weiterverfolgung möglich.
In welchen Fällen kann man sich denn konkret dort melden?
Je nach Hautfarbe, gesprochener Sprache, Nationalität, Religionszugehörigkeit und Migrationserfahrungen herrschen Vorurteile und Stereotype, welche Betroffenen Individualität absprechen. Aus diesen Gründen können Menschen, die nicht weiss gelesen werden, nicht Deutsch/Italienisch/Französisch/Rätoromanisch sprechen und keine christlichen Schweizer*innen sind, im Alltag direkt oder indirekt rassistisch diskriminiert werden, auch in der Universität. Die Anlaufstelle schenkt diesen Menschen Gehör.
Was ist das Ziel der Anlaufstelle?
Mit der Anlaufstelle für Rassismusvorfälle signalisiert die Universität Bern, dass sie keinen Rassismus duldet. Die Anlaufstelle bietet rassifizierten Personen eine Gelegenheit, das Erlebte zu deponieren und Unterstützung zu erhalten. Auf der anderen Seite ist es so, dass wir durch die Meldung von Vorfällen zu wichtigen Daten gelangen. Je mehr Inputs wir bekommen, desto eher sind wir in der Lage,
Einzelfälle und Musterhaftigkeit festzustellen, gegen welche wir vorgehen können. Um das voranzutreiben, arbeiten wir auch an unserer Sichtbarkeit. Viele wissen gar nicht von unserer Abteilung und den Beratungsangeboten.
Die AfC beteiligt sich aber auch an einem Projekt, das viele kennen: Die Aktionswoche gegen Rassismus – was planen Sie?
Neben administrativen Projekten sind meine Kolleginnen und ich bereits in der Veranstaltungsplanung im Rahmen der 14. Aktionswoche gegen Rassismus. Diese findet jährlich rund um den 21. März, dem internationalen Tag gegen Rassismus, statt. Am Freitag, 15.03.2024 machen wir an der Universität Bern den Auftakt und laden zu einem spannenden Vortrag und einer anschliessenden Podiumsdiskussion ein. Aktuell sieht es so aus, dass wir Dr. Karim Fereidooni von der Ruhr-Universität Bochum engagieren können, an welcher er Professor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung ist. Das freut mich extrem, weil er zu einem rassismuskritischen Blickwinkel in Bildungsinstitutionen forscht.
Was können solche Aktionstage bewirken?
Nun, der Vorteil liegt natürlich in der gesteigerten Aufmerksamkeit und diese besondere Themenwoche lenkt den Fokus explizit auf Rassismus. Die Stadt Bern hisst sogar die Flaggen mit dem offiziellen Logo. Viele Menschen haben in ihrem Alltag wenig Berührungspunkte mit der Thematik und damit auch wenig Anlass sich damit zu beschäftigen. Während der Aktionswochen hingegen wird einem das Thema von aussen herangetragen. Zahlreich Aktivitäten wie Workshops, Vorträge, Lesungen etc. laden dazu ein, sich vielfältig mit Rassismus auseinanderzusetzen. Für diejenigen, welche die Aktionen anbieten, besteht natürlich das Ziel, nachhaltige Wirkung zu erzeugen. Das heisst, eine intrinsische Motivation bei den Teilnehmenden zu wecken, sich auch unter dem Jahr weiter antirassistisch zu sensibilisieren oder gar selbst Projekte anzustossen.
Reibung bedeutet, dass
mehr Menschen mit ver-
schiedenen persönlichen
Merkmalen Zugang in die
akademische Welt erhal-
ten.
Was ist Ihre intrinsische Motivation? Was hat Sie dazu veranlasst, diese Laufbahn einzuschlagen?
Meine gesellschaftliche Position als Schwarz gelesene Frau hat mich schon früh mit Formen der Diskriminierung konfrontiert. Obwohl ich einen weissen Elternteil habe, teile ich in der Schweiz die kollektive Diskriminierungserfahrung Schwarzer Personen. Dabei konnte ich diese nicht gleich von Anfang an klar artikulieren. Als ich mich jedoch zunehmend auf einer theoretischen Ebene mit der Wirkweise und Konstitution der rassistischen Ideologie in der Gesellschaft zu beschäftigen begann, ermöglichte mir das einen Weg aus dem Gefühl einer subjektiven Empfindung heraus.
Inwiefern?
Plötzlich konnte ich das Erlebte aus einer Metaperspektive betrachten und die strukturelle Veranlagung von Rassismus in unterschiedlichen Lebensbereichen erkennen. Im Zuge dieser persönlichen Weiterentwicklung entschied ich mich nach privaten Projekten, im Beruf antirassistisch tätig zu werden und absolvierte ein Hochschulpraktikum in der Fachstelle für Rassismusbekämpfung beim Bund. Nach dieser Zeit war mir klar, dass ich mich auf den richtigen Schienen befand. Ich bewarb mich auf die Stelle in der Abteilung für Chancengleichheit und jetzt bin ich hier. Besonders spannend finde ich, dass ich im institutionellen Kontext der Hochschule, wo Wissen produziert wird, eine Analyse machen darf, die potentielle Orte der rassistischen Diskriminierung untersucht.
Es muss in den Konsens
gelangen, dass wir uns
alle durch unterschiedli-
che äussere Prägungen
unbewusst rassistische
Vorurteile, Stereotype
und Wissensbestände
angelernt haben.
Sie sprechen die Institution Uni an. Wie würde eine rassismussensible Hochschule aussehen?
Meines Erachtens ist die Voraussetzung für diesen Idealzustandes einzusehen, dass jede einzelne Person unserer Gesellschaft rassistisch sozialisiert ist. Es muss in den Konsens gelangen, dass wir uns alle durch unterschiedliche äussere Prägungen unbewusst rassistische Vorurteile, Stereotype und Wissensbestände angelernt haben. Wenn ich sage «alle», meine ich mich selbst, dich und Sie, liebe Leser*innen. Wir ordnen und bewerten die Welt, worin sich auch die Universität Bern befindet, nach diesen unbewussten Annahmen, was rassifizierten Menschen zum Nachteil wird. Diese Einsicht erlaubt uns, Rassismus und die (Re-)Produktion von Rassismen nicht nur als bewusste Haltung und Handlung zu verstehen.
Eine solche Sichtweise stösst bei vielen Menschen auf Widerstand. “Ich bin ja kein Rassist” würden sie dann antworten.
Ja, weil wir das Thema jedoch vermehrt so angehen, ist mancherorts die Abwehr auch so gross, wenn auf rassistisches Verhalten oder Sprechen hingewiesen wird, da es oft als persönlicher Angriff wahrgenommen wird und den konstruktiven Dialog verhindert.