Zu Besuch in der Zwischenwelt

Gelegte Orakelkarten auf dem Tisch

17. Mai 2023

Von

In diesem Artikel nehmen wir dich mit auf eine zauberhafte Reise nach Luzern in einen Hexenshop. Zusammen lernen wir über moderne Hexerei und was es heisst, eine Hexe im 21. Jahrhundert zu sein.

Text: Laura Godel und Joel Sivakumaran
Illustrationen: Lisa Linder
Bilder: Emilie Aebischer

Ein Eintreten in magische Welten

Spricht man von Hexen, tauchen bei vielen Menschen wohl Erinnerungen von Filmen, Märli-Geschichten und Erzählungen über die historischen Hexenverbrennungen auf. Aber wusstest du, dass es heute noch reale Hexen gibt? In den letzten Jahrzehnten erlebt die Hexerei ein Comeback. Auf allen sozialen Medienplattformen sind Hexen-Persönlichkeiten und Communities vorzufinden und auch offline gibt es einige Versammlungen, Events und Gemeinschaften, wo Hexerei auf verschiedene Arten ausgelebt wird. Es gibt eine grosse Vielfalt an Zweigen und Ausprägungen der Hexerei.

Eine der wohl bekanntesten Strömungen ist die «Wicca» Religion. Wicca lebt nach dem Glauben an natürliche Harmonie, strebt Toleranz an und ist durch und durch naturverbunden. Nach diesen Grundsätzen wird das Hexenhandwerk gelehrt und praktiziert. Wie Wicca-praktizierender Wilhelm Haas auf seiner Webseite schreibt, ist dabei die individuelle Verantwortlichkeit und das eigene Wachstum des Praktizierenden sehr wichtig, damit man mit Magie sein Bewusstsein erweitern kann.

Kleine wie auch grosse Sorgen sind wohl allen bekannt. Hat man zum Beispiel Liebeskummer, eine Identitätskrise oder muss eine schwere Entscheidung treffen, wendet man sich vielleicht an seine Freund*innen und Familie, geht in die Therapie oder nimmt sich eine Auszeit von der Arbeit.

Hexen haben in schwierigen Situationen zusätzliche Methoden, auf die sie zurückgreifen können. Zum Beispiel führen einige von ihnen Karten-Lesungen durch, um Einsichten über eigene Muster und Gewohnheiten zu gewinnen, wie auch über ihre mögliche Zukunft. Genau das machen wir, zwei Journalist*innen der Studizytig zusammen mit einer Hexe.

Angekommen in der Zwischenwelt

Wir dürfen Wilhelm Haas´ Zaubershop, Zwischenwelten genannt, in der Luzerner Innenstadt besuchen, mit ihm ein Interview führen und zum Schluss bekommen wir je eine kurze Kartenlesung von ihm. Wilhelm machte bereits in seiner Kindheit Erfahrungen mit sogenannten übernatürlichen Kräften und entwickelte schon früh ein Interesse für Spiritualität und Ritualistik. Mit Wicca fand er schliesslich seinen Match und leitet heute als ausgebildete Hexe seinen Laden.

Das Geschäft ist in süsslichem Räucherstäbchen-Duft gekleidet und die Regale an den Wänden sind ausgestattet mit einer Varietät an Orakelkarten, Schmuck, märchen- und sagenhaften Figürchen, Met-Wein, Düften und vielem mehr. Eine abstrakte, mittelgrosse Statue einer Göttin sticht ins Auge.

Wilhelm erzählt, wie für ihn Gott immer schon weiblich erschien. Heute sieht er im Göttlichen eine natürliche Balance von weiblicher und männlicher Energie und wendet sich in seinen Ritualen und Praktiken oft an verschiedene Götter und Göttinnen.

Vom Pfarrer zur Hexe

Wenn man sich den Werdegang einer Hexe vorstellt, denkt man nicht an das katholische Priestertum oder an DJs, die zu Raves auflegen. Umso interessanter war es, als Wilhelm uns erzählte, wie er zur Wicca-Hexe wurde. Seine Beziehung mit der Zwischenwelt hat früh angefangen, nämlich schon in der Kindheit.

Mit einem katholischen, aber offenem Elternteil und der Jungschar (christliche Jugendgruppe) war das Umfeld zwar christlich geprägt, aber das verhinderte die ersten Kontakte mit der Zauberwelt nicht, wie Wilhelm sagt:
«Ich habe schon damals Besuch von der anderen Welt bekommen, konnte es aber als Kind noch nicht einordnen». Wenn das christliche Umfeld und die Bibel behaupten, man käme für dies und das in die Hölle, dann schreckt man von der Magie ab, erzählt Wilhelm. Aber ganz losgelassen hat es ihn dann trotzdem nicht. Bevor man aber zum Ort ankommt, den das Universum für einen vorbereitet hat, schreitet man manchmal noch auf Abwegen.

«Ich habe schon damals Besuch von der anderen Welt bekommen, konnte
es aber als Kind noch nicht einordnen»

 

So war es auch bei Wilhelm: Die Kirche imponierte ihm und er mochte die Rituale, was zur Entscheidung führte, Priester zu werden. Allerdings war das eine temporäre Angelegenheit: «Irgendwann habe ich angefangen zu verstehen, was die da alles reden. Ich habe kritische Bücher angefangen zu lesen und ich habe gemerkt, nein, das ist nix für mich».

Wenn eine Türe geschlossen wird, öffnet sich ein Fenster: der Musikkarriere stand nichts mehr im Weg. Wilhelm wurde Musiker, spielte in Bands, schrieb okkult-angehauchte Texte, wurde später Musikjournalist und kam von Wien in die Schweiz, wurde DJ und spielte die ersten Raveparties in der Schweiz und war auch mal ein Manager.

Ein erstes magisches Erwachen hatte Wilhelm durch die Lektüre des Fantasy-Roman «Die Nebel von Avalon» von Marion Zimmer Bradley. «Boiiiiing! Damit ist für mich eine neue Welt aufgegangen. Ich habe noch nicht gewusst, dass ich Wiccaner werde. Aber damals waren die ersten Weichen gestellt.» Okkultismus, die Kelten, Parapsycholgie, Magie und antike Mythologie waren die Hauptinteressen. Viele Bücher wurden gelesen, rückblickend sagt Wilhelm jedoch: «Aber ich habe auch viel Seich gelesen – heute muss ich eingestehen, dass auch viel Blödsinn dabei war aber als ich noch nicht so viel wusste, war alles so wow».

Spiritualität war zwar immer Teil seines Lebens, aber geriet für eine Zeit lang in den Hintergrund. Ein Comeback in sein Leben hatte die Spiritualität, wie das halt so ist, erst als er in Florida lebte und in einer verheissungsvollen Nacht schaltete er mit einem Fernseher in eine Talk Show ein und das Universum entschied, dass drei Priesterinnen interviewt werden sollen.

«Magie funktioniert, aber sie funktioniert nichtimmer so, wie man’s sich vorstellt»

 

Diese Sendung imponierte ihm entscheidend: «Und dann machte es bei mir wush wush, weil ich dann für alles, was ich gespürt, erlebt und gefühlt habe, was mich fasziniert hat, für das alles hatte ich plötzlich eine Schublade (im guten Sinne).» Die Tür zur Zauberwelt wurde schlussendlich komplett aufgebrochen mit dem Buch “Wicca. A Guide for the Solitary Practitioner” von Scott Cunningham.

«Und bei dem Buch wusste ich: Das is es». Ein Ereignis führte zum anderen und über Bücher, nette Konversationen mit Fremden (oder networking, wie es BWLer*innen nennen), Einladungen zu Hexentreffen und neue Freund*innen machen im Internet, kam es dann schlussendlich zur Hexenausbildung. «Dann ist es halt so weitergegangen und habe den Weg eingeschlagen, den ich jetzt gehe.»

Ethisches Hexen

In so manchen Hollywood-Filmen wird gerne mal die böse Hexe gezeigt, die toxische Tränke braut, um unschuldige Menschen zu verhexen. Tatsächlich gibt es Hexen, welche sich dunkleren Kräften bedienen. Die meisten Hexen, oder zumindest die meisten Wicca-Praktizierenden, sind sich jedoch einig über den ethischen Grundsatz «Tue was du willst, solange es niemandem schadet».

Liebeszauber, zum Beispiel, gilt kaum als schwarze Magie, spielt aber doch mit der Manipulation Anderer gegen ihren Willen. Es gebe eine Balance der Natur, durch die sich mit der Zeit solche Ungleichgewichte auspendeln, so Wilhelm. Er habe zum Beispiel schon einige Male miterlebt, wie Leute Liebeszauber benutzen, um die Liebe einer anderen Person zu gewinnen, der Zauber dann aber nicht so wirkte wie geplant. Die zweite Person wurde mit der Zeit unerträglich für die erste Person, welche den Zauber dann so schnell wie möglich wieder loswerden wollte. «Magie funktioniert, aber sie funktioniert nicht immer so, wie man’s sich vorstellt», erzählt Wilhelm.

Verhexte Psychologie

Für Wilhelm hat die Hexerei viel mit der Psychologie der Menschen zu tun. «Magie fängt in einem selbst an und nicht irgendwo da Draussen», sagt er uns. Tatsächlich wurde das erste Tarot-Deck nicht fürs Wahrsagen, sondern für psychoanalytische Zwecke genutzt. Es wurde ähnlich wie ein Rorschach Test angewendet, um einen besseren Einblick in die Psyche der Patient*innen zu erlangen.

Ein Schwerpunkt der Hexenausbildung nach der Wicca-Tradition ist auch die Arbeit an den eigenen Selbstkenntnissen – also die Arbeit am Vertrauen und Glauben an die eigenen Kräfte. Im Interview verweist er mehrmals auf die Meditation als hilfreiche und lohnende Praxis zur Selbstentwicklung und Selbstkenntnis, sowie als simple, zugängliche Methode, um die eigene Spiritualität mit dem Alltag zu verbinden.

Blick in die Zukunft

Wie funktionieren jetzt diese Wahrsagekarten? Können sie dir verraten, welches massive Objekt in 3 Tagen dir auf den Kopf fällt oder welche Zahlen du für das Lotto brauchst? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Die Zukunft ist und bleibt für uns Menschen wohl für immer ein Mysterium und nichts kann mit Sicherheit vorhergesagt werden. Der Anspruch der Karten ist es aber, dir eine ersichtliche Darstellung deiner Situation zu bieten.

Diese Darstellungen können dir Klarheit geben und möglicherweise für Dinge Bestätigung bieten, die du intuitiv schon wusstest, aber noch nicht fassen konntest oder dir noch nicht zugestehen konntest. Die Karten zeigen oft Verhaltensmuster und Gewohnheiten auf, die dich auf deinem Lebensweg begleiten. Davon kann die kartenlesende Person dann ableiten, was möglicherweise in der Zukunft zu erwarten ist. Nach der Kartenlesung entscheidet man aber immer noch selbst, wie man im Lichte dieser Informationen handelt.

“Auch wenn man sich dann für eine eher unintelligente Handlung entscheidet”, meint Wilhelm, “tut man dies doch mit einem grösseren Bewusstsein und nimmt die Konsequenzen der Handlung in Kauf – das macht den Unterschied”. Lebt man nach dieser Philosophie, sorgt man dafür, dass das Leben nicht einfach geschieht, sondern dass man zu eine*r aktiven Akteur*in im Prozess wird.
Ja, und was ist bei unseren Kartenlesungen passiert? Das ist ein Geheimnis, dass wir nie verraten werden, xoxo;)

 

Witchcraft Starter-Kit
Hat dich dieser Artikel überzeugt und du möchtest so schnell wie möglich auch mit dem Hexen anfangen? Wilhelm rät interessierten Leuten Folgendes:

1.Beginne mit Meditation und versuche diese in deinen Alltag zu integrieren. Damit wird sich nach und nach das Chaos in deinem Gehirn legen und du kannst dich mehr aufs Wesentliche konzentrieren.

2.Wilhelms persönlicher Tipp: übe Dankbarkeit. Es gibt immer und überall etwas, worüber man dankbar sein kann. Das macht einem das Leben auch in schwierigen Zeiten etwas süsser. Wenn du möchtest, kannst du dazu Dankensrituale ausüben.

3.Beim Wicca-Pfad ist die Nähe und die Verbundenheit zur Natur sehr wichtig, also ab ins Grüne! Das Handy zuhause lassen! Nimm dir Zeit, um dich ganz bewusst auf die verschiedenen Naturelemente und -phänomene einzulassen.

4.Lies Bücher, Internetseiten und Artikel, um ein besseres und umfassenderes Verständnis von Witchcraft zu erlangen. So findest du vielleicht auch eine Strömung oder Philosophie, die dich am meisten anspricht. Nimm die Elemente, die dir sinnvoll erscheinen mit, und lasse die anderen zurück.

5.Halte dich offen gegenüber Neuem – neuen Menschen, neuen Ideen, neuen Lebenswegen etc. und gegenüber Veränderungen. Denn zur Natur des Universums gehört, dass alles einem konstanten natürlichen Wandel unterliegt.

 

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments