Now or never? – Was FOMO mit uns macht, und was wir dagegen machen können.

17. Mai 2023

Von

FOMO – Eine Krankheit der Mittzwanziger oder lediglich ein Modebegriff? Was steckt dahinter? Unsere Autorin überlegt sich, warum es sie gibt, die ständige Angst etwas zu verpassen, und wie man der eigenen FOMO entgegenhalten kann.

Text & Illustration: Lisa Linder

«The fear of missing out” – kurz FOMO – ist die Bezeichnung eines Phänomens, das vor allem als Folge von häufigem Social Media Konsum seit 2004 in verschiedenen Bereichen der Psychologie und Soziologie an Bedeutung gewonnen hat. FOMO wird beschrieben als die Angst, die die Leute verspüren, wenn sie merken, dass sie (meist in Bezug auf soziale Events) etwas verpassen könnten. Seit 2013 steht der Begriff auch offiziell im Oxford Dictionary und wird dort wie folgt beschrieben: «[…] a negative affect from unmet social needs, similar to theories about the negative emotional effect of social ostracism.» Im Eintrag wird weiter erläutert, dass FOMO oft an ein Gefühl sozialer Unterlegenheit oder Einsamkeit geknüpft sei und teils sogar zu intensiver Wut gegen sich selbst führen könne.

Doch wird der Abend dann wirklich einer, der dir bleibt?

 

Die Tatsache, dass immer mehr – beobachtbar eher junge – Menschen an diesem Phänomen zu leiden scheinen, steigerte das Interesse der Forschung, weitere Untersuchungen anzugehen. In erster Linie wird FOMO als die Angst definiert, wichtige (soziale) Möglichkeiten zu verpassen, und tritt meist auf, wenn sich jemand durch die Nutzung von sozialen Medien stetig darüber informiert, was gerade alle anderen tun und erleben. Diese Angst wird zu einem Teufelskreis, da man, egal wo man ist, ja immer an einem anderen Ort etwas zu verpassen scheint.

Wer kennt es nicht: Die Freundin hatte eingeladen zu der Geburtstagsparty, doch dann ist da noch die WG-Party bei den Studienkollegen und eigentlich wolltest du doch sowieso noch an das Konzert dieser neuen Band? Tja, dann wird das wohl ein bunter und anstrengender Abend… Doch wenn du mit dem Fahrrad losziehst, schaffst du es ja, überall eine halbe Stunde zu verweilen. Doch wird der Abend dann wirklich einer, der dir bleibt? Man wagt es, zu bezweifeln.

z’Füfi u z’Weggli

FOMO bedeutet meist, dass Menschen sich sozial an einem «mehr ist mehr»-Prinzip orientieren, um möglichst viel zu erleben ­– respektive wohl auch, um auf sozialen Medien zeigen zu können, dass sie viel erlebt haben. Ob die FOMO lediglich Folge von (viel) Social Media Konsum ist, oder ob eine grundsätzliche FOMO-Veranlagung Individuen nicht ebenso dazu bewegt, noch mehr Zeit auf Social Media zu verbringen, um ja nichts zu verpassen, bleibt unklar, so eine belgische Studie von Franchina et al. (2018). Auf Youtube gibt es diverse TedTalks und ähnliche populärwissenschaftliche Videobeiträge, welche das Phänomen FOMO erklären wollen.

In einem bereits älteren Beitrag dazu wies Barbara Krieger, ehemalige SRF My School Chefredaktorin, auf den einen Fakt hin, den wir wohl alle oft vergessen, der uns aber schliesslich alle die gleiche Chance gibt: Die Woche hat sieben Tage und der Tag hat vierundzwanzig Stunden und das ist für alle so. Klar bleibt dann die Frage, was wir aus dieser Zeit machen könnten, und ob mehr wirklich mehr ist. Fair enough, vielleicht gibt es Zeiten, in denen man gerade das braucht.

Dieses überall und nirgends sein, dieses Beschnuppern aller auftauchenden Möglichkeiten. Doch auf Dauer werden wohl die meisten merken, dass es auslaugend und unbefriedigend ist, nirgends wirklich zu sein oder alles was man tut nur mit halb so viel Einsatz zu tun, weil die restlichen Energieprozente noch in drei andere Projekte investiert werden – weil man sich nicht für eines entscheiden konnte. Es beherrscht einen der stetige Versuch “Z’Füfi und z’Weggli z’becho”. Doch meist schmeckt das Brötchen dann fad und das Füfi ist eben auch nur ein Füfi und keine 10 von 10, das Prinzip “mehr ist mehr” geht dann nicht mehr auf.

Erdbeeren im Dezember

Trotzdem, wir leben in einer Gesellschaft, in der der Grundsatz gilt: “Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.” Folglich bist du also selbst schuld, wenn du nicht versuchst immer das Beste und Grösste zu erreichen oder zu erleben. Hinzu kommt, dass die unglaublich “bereichernde” Plattform an Möglichkeiten, die wir mittlerweile nicht nur auf der Konsumebene haben – mit Erdbeeren zu allen Jahreszeiten – sondern auch bezüglich Partnerauswahl – danke Tinder und Co. – und bei Studiengängen oder Weiterbildungsoptionen, einfache Entscheidung zu einem ziemlichen Stressfaktor machen kann. Habe ich mich hier und heute richtig entschieden, mit Max F. und nicht Lukas B. ein Date zu vereinbaren? Wäre doch ein Jura-Studium mein Weg gewesen? Vielleicht lässt sich ja noch was anrechnen von den Philo-Seminaren?
Die Soziologin Eva Illouz bezeichnet die Konsequenz dieser unendlichen Wahlmöglichkeiten bezogen auf die Liebe als absolutes “disentchantment of love”. Alle würden wir nur noch logisch und praktisch denken, alles muss verfahrenstechnisch sinnvoll und am liebsten noch effizient sein, so Illouz.$

Gerade auf der Ebene von romantischen Beziehungen ist es durch das scheinbar unglaubliche Angebot an Begegnungsmöglichkeiten dank der vielen Dating-Apps doch fast schon unmöglich geworden, nicht mehr links und rechts zu schauen, wenn man mal jemanden tolles kennengelernt hat. Könnte sich nicht da der/die noch passendere Partner*in hinter dem nächsten Swipe verstecken?

Wie stark ist FOMO mit der Zunahme von Angst zuständen und Depressionen verbunden?

 

Doch diese Unfähigkeit, sich dann einmal wirklich auf eine Person einzulassen, mit der es eben gerade ziemlich gut stimmt, steht einem dann selbst im Weg, da man gar nicht erst bereit ist, in die Beziehung zu investieren. Würde man den Mut haben, sich zu sagen, es ist gut und jetzt will ich herausfinden wie gut es wirklich ist oder sogar noch werden könnte, dann heisst dies gleichzeitig, dass man aufhören muss, nach “besseren” Optionen Ausschau halten zu wollen. Philosophischer ausgedrückt ist es die Fähigkeit zufrieden zu sein und damit schliesslich einen Weg zum tatsächlichen Glücklichsein zu finden. Wer sich nie entscheidet in eine Beziehung (romantisch oder freundschaftlich) oder einen Ausbildungsweg (jedes erste Semester ist einfach ein “pain in the a**” – sind wir ehrlich) zu investieren, wird nie wissen, ob es sich lohnt.

Verlustaversion macht krank

Die stetige Angst, die falsche Entscheidung getroffen zu haben und etwas zu verpassen, wirkt sich nicht nur psychisch sondern auch physisch negativ auf einen aus. Bereits 2018 schrieb der Economist in einem Beitrag zu FOMO, wie stark dieses Phänomen mit der Zunahme von Angstzuständen und Depressionen verbunden sei.
Auf der verhaltenspsychologischen Ebene erklärt sich FOMO dadurch, dass der Mensch eher dazu neigt “Verlustaversion” stärker zu gewichten als Gewinne. Das heisst, die Angst, etwas zu verpassen (die Geburtstagsparty der Kollegin) wird höher gewichtet, als der eigentliche Mehrwert dessen oder der möglichen Alternative (mehr Schlaf…).

Hab ich FOMO?

Zu merken, ob man von FOMO tatsächlich betroffen ist, ist gar nicht mal so einfach. Es kann wohl auch phasenweise schlimmer oder weniger schlimm sein. Zum Beispiel im Sommer, mit all den tollen Festivals, die man besuchen könnte, aber das Geld reicht nur für ein oder zwei… da kann man schon mal ganz schön FOMO kriegen.

Die negativen Gefühle und Auswirkungen von FOMO machen sich besonders bemerkbar dadurch, dass man stets unsicher ist, ob man gerade am richtigen Ort ist. Sozialer Stress ist ein Symptom, immer das Gefühl zu haben, doch noch online gehen zu müssen, um keine Nachricht zu verpassen, oder eventuelle Hinweis auf alternative Parties an einem Samstagabend, als die, an der man sich gerade befindet.

Fomo macht sich auch bemerkbar, wenn man oft unzufrieden mit dem ist, was man hat. Dies deutet darauf hin, dass man sich stets mit anderen vergleicht und Orientierung darin sucht. Nicht zuletzt kann FOMO auch dadurch erkannt werden, dass man nicht auf das eigene Bauchgefühl hört. Man macht nicht das, worauf man gerade wirklich Lust hat, sondern das, was alle anderen auch als die beste Möglichkeit bewerten. Wir verlernen also in gewisser Weise auch, uns selbst zu vertrauen.

Fight the FOMO

Auch wenn die Tipps, wie man FOMO entgegenwirken kann, vielleicht banal klingen, so lohnt es sich doch, diese einmal selbst auszuprobieren. Nummer 1 wäre natürlich kompletter Social Media Detox, sich einfach mal eine Woche oder zumindest einen Tag lang nicht auf diese Plattformen begeben und nur mit den Infos leben, die einem so oder so zuschwirren. Da wird sich trotzdem eine tolle Partyoption oder Kaffe-Kuchen-Möglichkeit ergeben – und wenn nicht, dann bleibt mehr you-time aka me-time, die du mit genau dem füllen kannst, worauf du gerade Bock hast!

Einer der wohl effektivsten Tipps ist die Idee eines Dankbarkeits-Tagebuchs. Einfach mal jeden Tag etwas aufschreiben, wofür man gerade dankbar ist, sei es das schöne Wetter oder dass man noch Schokohase von der Oma übrig hatte und den verzehren konnte. Man könnte das Tagebuch auch als “Privilegien-Checkliste” nutzen und sich einfach jeden Tag mal wieder klar darüber werden, wieviel man im Vergleich zu andern hat, und wie gut es einem schon damit geht.

Und last but not least – aber schwierig ist’s – wäre es natürlich wichtig, einfach mehr auf das eigene Bauchgefühl zu hören und sich zu fragen, ob etwas nun wirklich gerade “so viel besser wäre”. Naja, und wenn das alles nichts nützt, dann hilft wohl nur älter werden und auf die Pension hoffen, denn wenn man so alte Pärchen in Cafés beobachtet – die haben echt keinen Stress mehr im Leben.

 

Unser aktueller BSZ-Podcast dreht sich auch um FOMO. Hör rein! 😉

auf Soundcloud unter: https://soundcloud.com/bsz-baerner-studizytig

 

oder gleich hier scannen…

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments