Fast Fashion furious
Als Gesellschaft kaufen wir heute 400% mehr Kleidung als noch vor 20 Jahren. Social Media ist bei der Entwicklung dieses gesteigerten Konsumverhaltens nicht ganz unschuldig. Ein Einblick in die Welt von TikTok, «Aesthetics» und was wir dagegen unternehmen können.
Text: Tabea Geissmann
Bilder und Illustrationen: Fashion Revolution, Lisa Linder
Cottagecore, E-Girl, Dark Academia und Indie Kid, die Liste könnte endlos weitergehen. Der Algorithmus leistet seinen Beitrag und zeigt mir weiter passenden Content, hangelt sich entlang der Hashtags und füllt meinen Feed Video um Video. Irgendwann brummt mir der Schädel von all den neuesten «Aesthetics» und Trends. Zeit, das Handy wegzulegen und mich ein weiteres Mal zu fragen, warum ich die App eigentlich nicht längst gelöscht habe.
TikTok ist einerseits eine Inspirationsquelle ohne Ende mit vielen tollen Content-Creator*innen, andererseits eine Plattform, welche mir immer wieder den Eindruck vermittelt, nichts zum Anziehen zu haben, obwohl ich vor einem vollen Kleiderschrank stehe. Das wäre nicht weiter schlimm, ginge es dabei nur um mich. Da ich aber eben eine von vielen bin, die sich auf der Plattform herumtreibt, wird es doch zu einem Problem. Wo früher oft Zeitschriften den Ton angaben, was im Moment «in» oder «out» sei, sind es mittlerweile die Sozialen Medien, welche Trends diktieren, und das in einem immer rasanteren Tempo.
Fatale Fast Fashion
Fast Fashion sollte mittlerweile wohl den meisten ein Begriff sein. Dass dieser Teil der Modeindustrie schwerwiegende Konsequenzen für Mensch und Umwelt hat, ist auch nicht mehr neu. Dennoch hat sich die Situation in den letzten Jahren verschärft. Insbesondere Online-Riesen wie Shein und Co schreiben massive Gewinne und werfen wöchentlich ganze neue Kollektionen auf den Markt, wobei die Kleidung zu Spottpreisen verkauft wird. Und das, obwohl das Bewusstsein für Nachhaltigkeit eigentlich zugenommen haben soll in den letzten Jahren.
Davon merke ich wenig, wenn ich durch die Stadt gehe und Läden wie H&M und Zara nach wie vor voll sind. Wichtig ist mir noch festzuhalten, dass der Kauf von Fast Fashion nicht negativ pauschalisiert werden darf. Fair produzierte Mode können sich viele Menschen nicht leisten. Vielmehr geht es mir darum, den übermässigen Konsum von Fast Fashion kritisch zu betrachten.
Ein Blick hinter die Kulissen
Doch wie wird die Problematik innerhalb der Branche wahrgenommen? Und welche Massnahmen werden dagegen ergriffen? Nadine Sterren konnte mir einige Einblicke gewähren; sie hat ihren Bachelor of Arts in Fashion Design in Genf abgeschlossen. Als ich nach ihren ersten Assoziationen mit Fast Fashion frage, kommt sie schnell zum Punkt: Fast Fashion sei ein No-Go. «Das soll aber nicht heissen, dass ich in meinem Kleiderschrank keine Sachen von Zara, H&M, usw. habe.»
Welche Konsequenzen Fast Fashion hat und weshalb man diese nicht ignorieren sollte, musste auch sie zuerst lernen. Fast Fashion wurde in ihrem Studium zwar thematisiert, doch die Info-Inputs blieben oberflächlich: «Das waren nur drei oder vier Nachmittage im fünften Semester und das ist einfach zu wenig. Und wenn ich das sage, die Modedesign studiert hat, dann ist es logisch, dass andere Menschen noch weniger darüber wissen.» Das Bewusstsein sei noch lange nicht ausreichend in der Gesellschaft angekommen. Stattdessen wachsen wir mit extrem billiger Kleidung auf und sind uns so daran gewöhnt, dass uns Fair Fashion-Marken viel zu teuer erscheinen.
Mittlerweile sind es die Sozialen Medien, welche die Trends diktieren, und das in einem immer rasanteren Tempo
«Dabei sind die Preise total gerechtfertigt», so Nadine. Auch sie selbst greife nur selten zu Fair Fashion. Stattdessen kauft sie so viel wie möglich Secondhand. «Das hat schon früher damit angefangen, dass ich viele Sachen von meiner Mutter angezogen habe. Später kam ich dann zu Secondhand-Läden. Wenn man die Zeit hat zu stöbern, findet man viele tolle Sachen, die noch in einem guten Zustand sind.»
Aufstieg der Microtrends
Während meiner Recherche bin ich auf den Begriff «Microtrends» gestossen. Damit sind all jene Trends gemeint, welche schnell an Popularität gewinnen, dann aber auch bald wieder verschwinden. Dieser Trendzyklus besteht in der Regel aus fünf Stadien: der Vorstellung eines neuen Trends, dem Aufschwung und der Akzeptanz des Trends von der breiten Mehrheit, bevor die Popularität wieder abnimmt und zum Schluss ein Trend obsolet wird. Bis vor wenigen Jahren konnte ein solcher Zyklus noch bis zu 20 Jahren dauern. Dann kamen Soziale Medien ins Spiel, die einzelnen Stadien rückten immer näher zusammen und verkürzten so die Lebensdauer von Trends.
Heute dauert ein Trendzyklus oft nur noch wenige Monate, sogar Wochen. Eine gefährliche Entwicklung, denn diese schnellen Veränderungen heizen die Produktion von Fast Fashion zusätzlich an, da die Unternehmen mithalten müssen und ihre Gewinne steigern, indem mehr Kollektionen auf den Markt gebracht werden. Auch Nadine nimmt diese schneller werdenden Trendzyklen wahr, insbesondere seit der Pandemie. «Ich hatte einen Hoffnungsmoment und dachte mir, dass jetzt endlich einmal alles zur Ruhe kommen kann. Stattdessen habe ich nun das Gefühl, dass alles noch schneller ist. Das macht mir ein wenig Angst, denn irgendwann werden wir davon übermüdet sein und was passiert dann?» Eine gute Frage, auch in Anbetracht dessen, dass bislang kein nahes Ende von Fast Fashion in Sicht scheint. Shein und Co produzieren munter weiter, ständig werden neue Designs auf ihren Webseiten aufgeschaltet. Gleichzeitig taucht auf meiner TikTok-ForYou-Page täglich ein neues Must-have oder ein Stil auf, welcher von hunderten kopiert und reproduziert wird.
«Ich glaube, wir hätten alle viel mehr Freude an Mode, wenn wir innehalten und mehr auf uns selbst eingehen würden.»
Dabei wäre es so wichtig, einmal einen Schritt zurückzutreten und sich zu fragen: Brauche ich das wirklich? Muss ich diesen Trend mitmachen? «In meiner Abschlussarbeit habe ich darüber geschrieben, was Kleidung verkörpern kann, wie Emotionen und Gefühle damit ausgelebt werden können und wie wichtig es ist, eine Connection zu der eigenen Kleidung zu haben. Ich glaube, wir hätten alle viel mehr Freude an Mode, wenn wir innehalten und mehr auf uns selbst eingehen würden.»
Nadine ist zwiegespalten, als ich sie nach der Zukunft der Modeindustrie frage: «Ich sehe immer mehr Leute auf Social Media, welche die Industrie kritisieren und sich für nachhaltige Mode einsetzen. Trotzdem ist das Verhältnis zu den Influencer*innen, die für Fast Fashion werben, nicht ausgeglichen. Es ist keine Veränderung, die von heute auf morgen passieren kann, auch wenn wir uns das alle wünschen würden. Nachhaltigkeit geht viel weiter: Arbeitsbedingungen, Diversity, Inklusivität, das ist alles mit im Begriff drin. Das braucht viel Zeit. Aber die haben wird leider nicht.»
Warum TikTok Teil des Problems ist
Der Content auf TikTok ist darauf ausgelegt, die Trends mitzuprägen. Das wurde mir bewusst, als ich nach dem ersten Lockdown wieder zurück in die Schule kam und man vielen ansah, wer die Zeit zuhause auf TikTok verbracht hatte und wer nicht. Der Kleidungsstil hatte sich verändert und plötzlich schienen alle die Hosen zu tragen, welche mir in den letzten Wochen so oft auf TikTok begegnet waren.
Doch TikTok ist eine schnelllebige Plattform: Wer nicht von der Bildfläche verschwinden will, muss täglich neuen Content posten. Damit dieser abwechslungsreich bleibt, werden ständig neue Produkte gekauft. Für 500$ drei riesige Kartons mit Kleidung bestellen und diese als Haul vorzustellen? Unternehmen wie Shein machen es möglich, überhaupt erst solche Mengen an neuen Teilen regelmässig zu kaufen. Auch das Konzept von «Aesthetics» wurde durch TikTok populär. «Aesthetics» sind sehr spezifische Kleidungsstile, welche, wie ihr Name bereits verrät, auf eine ganz bestimmte Art von Ästhetik abzielen.
Da wäre Cottagecore, ein «Aesthetic», welches das ruhige Leben auf dem Land romantisiert: lange, geblümte Kleider, weiche Strickwaren und helle Stoffe. Oder Gorpcore, welches die einst so peinlichen Wanderhosen und Regenjacken als Outfits für den Alltag etablierten. Die Liste ist endlos lange, man braucht sich nur durch die zahllosen Hashtags zu klicken und findet für so ziemlich alles einen bestimmten Namen. Fast Fashion-Marken haben auch hier den Braten längst gerochen und kreieren Kollektionen eigens auf «Aesthetics» abgestimmt. Doch auch diese sind eben nur Microtrends: Genauso schnell wie sie aufgetaucht sind, verschwinden «Aesthetics» wieder und weichen neuen Stilen.
Der Beitrag von uns allen zählt
Dass sich trotz Warnzeichen unseres Planeten und schockierenden Berichten aus Textilfabriken im globalen Süden auf der politischen Ebene nichts zu rühren scheint, beunruhigt mich. Letztendlich wird die Veränderung teilweise durch uns Konsument*innen passieren müssen. Davon ist auch Ursina überzeugt. Als Mitglied der Lokalgruppe von Fashion Revolution im Raum Bern setzt sie sich mit der Problematik besonders auseinander und damit, wie wir aktiv Veränderung herbeiführen können: «Die Konsument*innen haben die Macht, Einfluss zu üben, in dem sie Forderungen an ihre Brands stellen.
Im Endeffekt ist es ganz einfach: Jede Konsumhandlung ist wie eine Stimme, die man abgibt. […] Wenn man das System verändern will, muss man dies von innen heraus machen. Die Kund*innenschaft ist Teil des Systems, denn ohne sie funktioniert es nicht – und das gibt ihr Macht.» Fashion Revolution ist eine internationale Bewegung mit Ursprung in London, die mittlerweile in über 100 Ländern aktiv ist. Der Schweizer Ableger ist seit 2016 aktiv. Ursina plant bei der Lokalgruppe unter anderem die Aktionen, die Inhalte kämen dabei vorwiegend aus der Community.
Es wird viel mit lokalen Shops, Labels und Ateliers zusammengearbeitet. «Wir wollen mit unseren Aktionen sensibilisieren, aufklären, den Konsument*innen wichtige Themen näher bringen und gleichzeitig – oder als Antwort darauf – aufzeigen, wie Mode Spass machen, zelebriert werden und Ausdrucksweise sein kann, ohne dass dabei Mensch, Tier und Umwelt ausgebeutet werden.» Dies geschehe unter anderem in Form von Workshops, Panel-Diskussionen, Strassenaktionen, Kleidertauschs oder Filmscreenings.
Wichtig sei Fashion Revolution dabei, negative Protestarten wie das Blossstellen von bestimmten Firmen zu vermeiden. Vielmehr fokussieren sich die Forderungen an die Unternehmen auf Transparenz, damit auch wir als Konsument*innen besser nachvollziehen können, wo und unter welchen Umständen die Kleidung hergestellt wurde.
Die ökologisch nachhaltigsten Kleider sind die, die bereits zuhause im Kleiderschrank hängen.»
Die Bewegung ist davon überzeugt, dass es besser ist, kleine Dinge umzusetzen, anstatt angesichts der vielen Probleme in der Modeindustrie die Hände zu verwerfen und nichts zu tun. «Die ökologisch nachhaltigsten Kleider sind die, die bereits zuhause im Kleiderschrank hängen», antwortet Ursina auf meine Frage, wo man als Einzelperson ganz einfach beginnen kann, Nachhaltigkeit im Kleiderschrank umzusetzen. «Ich finde die Buyerarchy of Needs ein super Tool, das als Leitfaden für das eigene Konsumverhalten auch über die Mode hinaus sehr hilfreich ist.» Kleine Veränderungen, die aber grosse Auswirkungen haben können, je mehr diese in ihren Alltag integrieren. «Als zweitgrösste Umweltverschmutzerin, direkt nach der Ölindustrie, ist die Modeindustrie einer der grössten Hebel, die wir haben, um sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltiger zu werden.»
Einerseits eine Mega-Aufgabe, andererseits auch ein Hoffnungsschimmer, wenn man sich bewusst wird, wie bereits unsere täglichen Kaufentscheidungen ein Signal setzen können. Wenn wir also auf Social Media über den nächsten Microtrend stolpern oder im H&M vor der Sale-Abteilung stehen, lohnt es sich einen Moment innezuhalten und sich mehr als einmal zu fragen, ob man dieses Teil in ein paar Monaten noch anziehen würde oder nicht bereits ein ganz ähnliches zuhause hat.
Wenn der Kleiderschrank nicht wegen zahlreichen kaum getragenen Teilen aus allen Nähten platzt, lernen wir umso mehr, die Kleidung zu schätzen. «Ich wünsche mir, dass wir als Konsument*innen wieder lernen, dass Produkte einen Wert haben, der über den Kaufpreis hinausgeht. Und dass wir mit diesen Produkten auch entsprechend umgehen. Eine Modeindustrie, die weder Mensch, noch Tier oder Umwelt ausbeutet.»
Infobox – Fast Fashion: Ein Phänomen in Zahlen
150 Mia. Kleidungsstücke werden jährlich neu produziert, Tendenz steigend.
35% des Mikroplastiks in Meeren ist auf Kunstfasern von Textilien zurückzuführen, welche sich bei jedem Waschgang herauslösen.
Die Produktion eines T-Shirts benötigt ca. 2’700l Wasser. Das reicht einer Person als Trinkwasser für zweieinhalb Jahre.
Für die Produktion von Kunstfasern wurde 2015 98 Mio. Tonnen Öl benötigt.
Die Modeindustrie ist für ca. 3% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. Das sind mehr als Schifffahrt und Luftverkehr zusammen.
In Bangladesch verdienen Textilarbeiter*innen im Schnitt 44£ pro Monat. Das ist nur ein Viertel des Existenzminimums.
Quellen: fashionrevolution.ch, fairlier.de (Stand Mai 2023)