Meine Homies tragen Nagellack und ich schneid mir die Haare ab
Männer tragen kurze Haare und Frauen lackieren sich die Nägel. Und was wenn nicht? Dieser Essay widmet sich dem gendernonkonformen Auftreten und fragt, weshalb das immer als Ausdruck einer bestimmten Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung interpretiert wird.
Wie wir durch die Welt gehen, ist in unserer Wahrnehmung Ausdruck der eigenen Individualität. Vielleicht machst du dir viele Gedanken darüber, wie du aus dem Haus spazierst, vielleicht ist dir das aber auch egal. Es ist dir mehr oder weniger bewusst, warum du tust was du tust, warum du willst was du willst und weshalb du dich so präsentierst wie du es eben tust. Du machst es nur für dich, oder weil du musst, weil du willst, weil du es immer so machst, aus Gewohnheit, oder einfach, weil alle es so machen. Und wer sind denn alle? Zu welcher Untergruppe gehörst du? Welches Label hast du dir, hat die Welt dir, aufgestempelt? Mindestens in der Kategorie Geschlecht musst du – noch fast überall – Stellung beziehen. Und dann haben Darstellungsformen plötzlich eine Gruppendynamik und scheinbar individuelle Entscheidungen sind normkonform. An der Universität sehe ich immer mehr männlich gelesene Personen mit lackierten Nägeln. Es fällt mir auf, weil es nicht typisch ist, die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Es fällt mir auf, weil ich es mag, weil das einen Ausbruch aus dem Gefängnis der binären Ästhetik darstellt. Und dennoch nerve ich mich: Weshalb ist das überhaupt ein Thema? Weshalb waren meine kurzen Haare ein Thema?
Soll ich dich jetzt «es» nennen?
Schon etwa drei Jahre bevor ich es dann wirklich tat, wollte ich mir den Kopf rasieren. Doch «der richtige Moment» für diese radikale Veränderung schien nie einzutreffen und so liess ich die Idee verpackt im Hinterzimmer meines Kopfes herumliegen, wie Zügelkisten, die nach dem Umzug einfach im Estrich vergammeln. Hätte meine Schwester mich nicht eines Abends spontan zu einer Metamorphose-Aktion aufgefordert, vielleicht hätte ich es nie getan. Die ganze Sache kostete eine grosse Portion Mut und Überwindung aber am Schluss war ich echt stolz. Doch ich weiss noch genau wie mich die Realität einen Tag später wieder einholte, als mein Stiefvater mich in einem Restaurant fragte, ob er mich nun «es» nennen sollte, oder ob er mir noch Tochter sagen dürfe und ich die Tränen zurückhalten musste.
Es gibt Ästhetik, die erlaubt ist und solche, die es nicht ist.
Genau deswegen hatte ich so lange gezögert. Weil mich die Frisur ein bisschen blossstellen würde, weil ich mich damit selbst aus der sicheren Komfortzone der genderkonformen Ästhetik heraus bugsiert habe. Zwischendurch gab es immer wieder solche Momente. So à la: «Eigentlich finde ich kurze Haare an Frauen ja nicht so toll, aber bei dir sieht es ganz gut aus.» OK, thanks – nobody asked. Plötzlich nehmen sich andere heraus, kommentieren zu dürfen, was sie zuvor stumm und selbstverständlich wahrgenommen und wohl auch einfach akzeptiert haben. Weil die Haare jetzt anders sind als zuvor, weil es untypisch ist für eine weiblich gelesene Person. Kurze Haare sind noch immer männlich konnotiert. Mir kommt die Erzählung einer Kollegin in den Sinn, die sich vor ein paar Jahren auch die Haare so kurz geschnitten hatte. Damals rief ihr irgendein Typ am Bahnhof «Lesbe» hinterher – einfach so.
Weshalb hat Stil eine Sexualität und ein Geschlecht?
Ähnlich verhält es sich bei männlich gelesenen Personen mit lackierten Fingernägeln. Eine Bekannte erzählte mal, dass sie früher immer geglaubt habe, dass das ein Erkennungszeichen schwuler Männer sei. Aber obwohl es für queere Menschen sicher auch immer eine Möglichkeit gewesen ist, subversiv aufzutreten, wollen viele Menschen damit einfach nur die eigene Identität zum Ausdruck zu bringen. Gendernonkonformes Aussehen muss nicht auf eine bestimmte Identität respektive die sexuelle Orientierung schliessen lassen. Meine Kollegen zum Beispiel, die sich die Nägel lackieren, machen das als Ergänzung zum Fit, weil’s toll aussieht, einfach weil sie Lust haben und warum auch nicht? Trotzdem meinte einer von ihnen, er werde deswegen auch immer wieder mit skeptischen Blicken konfrontiert. Es fällt auf jeden Fall auf, die Leute fragen nach und kommentieren. Ganz schön absurd eigentlich. Weshalb hat Stil eine Sexualität und ein Geschlecht? Und weshalb sind Männlichkeit und Weiblichkeit so fragil, dass sie keine kurzen Haare oder lackierten Fingernägel vertragen? Weshalb kann Fashion nicht einfach Ausdruck des Menschseins sein?
Normen im Wandel
Eigentlich ist das ja alles ganz lustig, schauen wir uns Portraits von Fürsten und Königen an, die vor nur knapp zweihundert Jahren noch mit viel Schminke, Röcken und Absätzen posierten. Die ersten Frauen trugen Hosen erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts und es wurde ein ziemlicher gesellschaftlicher Wirbel darum gemacht. Ganz schön absurd, wenn wir uns vor Augenführen, dass die Binarität ein soziales Konstrukt ist und sich die Art und Weise, wie wir Geschlecht ausdrücken, im Verlauf der Zeit immer wieder geändert hat. Geschlechternormen können sich also verändern. Und doch bleiben es Normen. Schon damals spielte es, wie heute, eine Rolle, wie wir uns präsentieren, wie wir uns kleiden, welche Frisuren und Farben wir tragen, welche Gestik wir anwenden, wie wir gehen – kurz: was wir mit unseren Körpern machen. Je nach dem werden wir auf diese oder jene Art wahrgenommen und behandelt. Je nach Ästhetik entsprechen wir den Erwartungen der Schublade, in die wir gesteckt werden. Es gibt Ästhetik, die erlaubt ist und solche, die es nicht ist. Und wenn du etwas Subversives machst, passt du plötzlich nicht mehr in das cis-heteronormative Identitätskonstrukt rein. Männer mit lackierten Nägeln sind in dieser Logik dann gleich schwul und Frauen mit kurzen Haaren Lesben.
Weshalb kann Fashion nicht einfach Ausdruck des Menschseins sein?
Sind wir so orientierungslos, dass wir alle Leute direkt mit irgendeinem Label abstempeln müssen? Vielleicht spielt es ja irgendwann keine Rolle mehr, wer sich wie farbig anzieht und wer was mit seinem Körper macht und wir schliessen nicht anhand von patriarchalen Stereotypen auf die Geschlechtsidentität oder sogar die sexuellen Vorlieben unseres Gegenübers. Meine Utopie – der frei fliessende, farbige Albtraum vieler SVP-Politiker*innen – in der alle Grenzen spielerisch ineinander übergehen und mensch sich nicht entscheiden muss, oder noch besser; dies jeden Tag aufs Neue tun kann und wir einander zuhören statt abstempeln.
Text und Bilder: Mara Hofer