Liebe Expert*innen #31
Illustration: Tobias Bolliger, www.tobiasbolliger.ch
Melchior (30) aus Wolhusen fragt: Ist die eierlegende Wollmilchsau ein Säugetier?
Lieber Melchior Es freut mich, ist auch dir die Taxonomie gedankenexperimenteller Lebewesen ein Anliegen. Tatsächlich führt uns die Beantwortung dieser Frage vor interessante Probleme. Für Lai*innen mag die Antwort einfach erscheinen. «Da steht doch Milch drin, na logo ist sie ein Säugetier», hör ich sie sagen. Doch Obacht! Schon das Schnabeltier beweist, ganz so einfach, wie Carl von Linné sich das vorgestellt hat, gestaltet sich die Sache nicht. Kommen fiktive Wesen dazu, stossen wir schon arg an unsere Grenzen: Wo lässt sich die Sphinx einordnen, wo der Basilisk? Spätestens der Wolpertinger bringt uns ins Schwitzen vor dem metaphorischen Schubladenstock. Wir realisieren: Dieses System dient mehr als grobe Orientierungshilfe denn als sakrosanktes Modell biologischer Tatsachen. Da hilft nur noch eines: Wir zäumen die Sau von hinten auf! Oder eben von vorne, je nach Perspektive. Denn die Grundidee der eierlegenden Wollmilchsau ist ja gerade, dass sie verschiedene Bereiche zugleich abdeckt. Ein Paradox, ein intersektionales Wesen, Schrödingers Schwein oder ein nietzscheanisches Übertier, wenn mensch so will. Doch will tier auch? Letztlich ist die eierlegende Wollmilchsau doch der feuchte Traum aller industrialisierten Grosslandwirt*innen, die ihre Massenhaltung entsprechend optimieren würden, sobald die Gentechnik dies erlaubt. Doch was, wenn die eierlegende Wollmilchsau, wenn es sie denn gäbe, lieber hoch oben in den Baumwipfeln ein Nest bauen, chillen und ihre Kaffeelöffelsammlung polieren, statt Eier zu legen, gemolken zu werden, Wolle zu produzieren und als Dank am Ende geschlachtet zu werden? Und wer würde es ihr verübeln? Vielleicht sollten wir also nicht fragen «Was ist die eierlegende Wollmilchsau?», sondern: «Wer ist die eierlegende Wollmilchsau, wie geht es ihr und was will sie?» Mit hafermilchschäumigen Grüssen
Dein Expert*innen-Team
mho & nop
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