Du, darf ich Sie sagen?

08. März 2023

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Die «Du-Kultur» ist auf dem Vormarsch, so auch an den Universitäten. Doch nicht alle sehen diesem Trend gleich enthusiastisch entgegen… Eine Reflexion über duzende Eidgenossen, siezende Stiere und verschwimmende Grenzen.

Immer häufiger wird im Vorlesungssaal das «Du» angeboten. Dozierende wollen den Studierenden auf Augenhöhe begegnen und das Gefühl vermitteln, dass man ein Team ist, das nur gemeinsam mehr Erkenntnis erlangen kann. So weit so lobenswert. Es schiene irgendwie auch verkehrt, wenn die aufgeklärte Philosophieprofessorin, die weiss, dass sie im sokratischen Sinne eben nichts weiss, durch das Siezen den Anschein erwecken würde, sie wüsste mehr als ein*e Erstsemester-Student*in (auch wenn sie wahrscheinlich tatsächlich mehr weiss).

Für die einen geht es um nichts weniger als den Untergang der abendländischen Kultur, für die anderen um die Abschaffung einer hierarchischen Gesellschaft.

 

Bei so viel Wissen über das eigene Unwissen scheint sich das «Du» also nur so aufzudrängen. Bekanntermassen sind sich jedoch längst nicht alle darüber einig, ob das Vorantreiben der sogenannten «Du-Kultur» auch wirklich erstrebenswert ist.

 

Ob Siezer*in oder Duzer*in, die Debatte wird von beiden Seiten mit harten Bandagen geführt. Für die einen geht es um nichts weniger als den Untergang der abendländischen Kultur, für die anderen um die Abschaffung einer hierarchischen Gesellschaft. Die richtige Anrede ist also nicht nur reine Formsache, sondern scheint die Normen und Strukturen unserer Gesellschaft in ihrem Kern mitzubestimmen. Dementsprechend droht die Debatte öfters auch mal abzuschweifen oder gar auszuufern.

«Ein einig Volk von Brüdern» duzt sich

Es ginge darum, dass wir keine Adelige seien, sondern ein «Volk von Brüdern», schreibt beispielsweise ein duzendes Redaktionsmitglied des St. Galler Tagblatts – so sei es zumindest gang und gäbe im Appenzellerland. Man soll sich also bereits auf dem Rütli geduzt haben. So muss auch bei dieser Debatte der arme Tell hinhalten und’s bei der hohlen Gasse richten, die Armbrust auf all jene gerichtet, die sich für etwas Besseres halten und weiterhin das «Sie» erzwingen.

 

Auch der siezende Redaktionskollege bedient sich aus der Assoziationskiste der Schweizer Historie und argumentiert, dass das «Sie» Neutralität versprechen würde. Entgegen den Behauptungen der «Duzenden» sei es eben gerade das «Sie», das es uns ermögliche, auf Augenhöhe miteinander zu sprechen. Das «Du» störe diese Ausgewogenheit, würde erst eine Hierarchie herbeiführen und eine Nähe implizieren, die man gar nicht automatisch wolle.

Man soll sich also bereits auf dem Rütli geduzt haben.

 

Obwohl der argumentative Bezug zur Schweizer Mythologie bei eidgenössischen Debatten Tradition hat, finden sich auch aktuellere Bezüge zu dem ganzen Anredewirrwarr. So steht für ein Redaktionsmitglied der Zeitung Der Bund nicht das Rütli als Ort des Zusammenkommens im Vordergrund, sondern der digitale Raum, welcher uns zur Vorsicht ermahnt habe, dass ein gewisser höflicher Abstand durchaus wünschenswert sein kann. Deshalb tritt sie gegen ein übergriffiges «Du» an – schliesslich gehe es um Respekt, Höflichkeit und Anstand.

Ihr Redaktionskollege argumentiert hingegen, dass die Sprache unser Denken und Handeln beeinflussen würde, so auch das Siezen beziehungsweise Duzen. Dabei verspricht sich der duzende Journalist von der breiten Anwendung seiner Anredepraxis nichts weniger, als dass wir zu freundlicheren Menschen würden. Über diesen (Kurz-)Schluss lässt sich wohl streiten…

Manche versprechen sich vom Duzen, dass wir zu freundlicheren Menschen würden. Über diesen (Kurz-)Schluss lässt sich wohl streiten.

 

Etwas ausufernd äusserte sich auch die mit Vorliebe provozierende Kabarettistin Lisa Eckhart. In einer philosophischen Sendung des Schweizer Radio und Fernsehens erklärte sie, dass man ihr lieber an die Brüste fassen sollte, als sie zu duzen. Damit möchte sie darauf verweisen, dass das «Du» im Gegensatz zur woken Gesellschaft stehen würde, die sonst ein wachsendes Bewusstsein für übergriffiges Verhalten entwickelt habe.

Trotz bemühter Argumente scheint weder der Respekt automatisch mit dem Duzen über Bord geworfen zu werden, noch wird dessen Anwendung uns zu freundlicheren Menschen machen. Und jemandem an die Brüste zu fassen, hat auch hier keinen Platz. Klar wird jedoch: Die Ansprüche an beide Formen sind gewaltig.

Das «Du» als Zeichen einer egalitären Gesellschaft

Worum geht es also im Kern dieser Debatte? Das Duzen steht sinnbildlich für Gleichberechtigung, die Abschaffung von Hierarchien und einen Austausch auf Augenhöhe. Unternehmen, die sich mit einem hippen und jungen Image profilieren wollen, führen unter diesem Zeichen vermehrt eine «Du-Kultur» ein, die ein faires Arbeitsklima versprechen soll. Die Anwendung dieser Anredepraxis steht somit für einen grundsätzlichen Normenwandel hin zu einer egalitären Gesellschaft. Wir alle sind gleich, ob Lernender oder Chefin, Student oder Professorin.

Das hierarchische am «Siezen» ist nicht die Höflichkeitsform selbst, sondern die Regeln zu deren Auflösung.

 

Obwohl ich den Wunsch einer egalitären Gesellschaft teile, wage ich zu bezweifeln, dass das «Du» das richtige – oder gar notwendige – Instrument zur Erreichung eben dieses Ziels ist. Das hierarchische am «Siezen» ist nicht die Höflichkeitsform selbst, sondern die Regeln zu deren Auflösung. So sollten wir darüber nachdenken, ob der Schritt vom «Sie» zum «Du» nicht vielmehr eine gemeinsame Entscheidung sein sollte, anstatt, dass die ältere oder in der Hierarchie höher stehende Person das «Du» «anbietet» – ein «Angebot», das dann auch nur schwer ausgeschlagen werden kann.

Zudem bietet das «Sie» gerade im Arbeitsumfeld entscheidende Vorteile, die nicht so leicht aufgegeben werden sollten. Die stiere Anredeform ermöglicht es uns auf einer sachlichen Ebene zu diskutieren und Kritik zu üben, ohne dass das Gegenüber in seiner*ihrer Persönlichkeit angesprochen wird. Die Kritik betrifft nicht DICH als Person, sondern SIE als Arbeitskraft.

Das «Sie» als letzte Bastion des Privaten

Das «Du» steht für eine egalitäre Gesellschaft, aber auch für das Verschwimmen der Grenzen zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten. Die Unterscheidung, wann ich welche Person sieze respektive duze ist ein einfacher Weg, um diese Grenzen aufzuzeigen. Die Möglichkeit, sich auch im Arbeitsumfeld zu duzen, bleibt dabei bestehen. Die «Sie-Kultur» besagt nur, dass in erster Linie die etwas biedere Höflichkeitsform gilt. Gerade im Zeitalter der Sozialen Medien sollten wir aber nicht allzu leichtfertig die uns noch verbliebene Privatsphäre preisgeben.

Das «Du» steht für eine egalitäre Gesellschaft, aber auch für das Verschwimmen der Grenzen…

 

Ebenfalls nicht zu vernachlässigen ist die Tatsache, dass der Wert der «Du-Form» nur so lange Bestand hat, wie auch das «Sie» zur Anwendung kommt. Erst in seiner Abgrenzung vom Anderen erhält die persönlichere Anrede ihre Bedeutung. So signalisiert das «Duzis-Machen» einen bewussten Entscheid zu mehr Nähe, der andernfalls nicht möglich wäre. Und diesen Unterschied zu erhalten, erachte ich als wertvoll.

Das hierarchische «Du»

Und an der Uni? Ich finde es grundsätzlich nicht verkehrt, einen offeneren Umgang im universitären Alltag zu pflegen. Gerade in Seminaren ist es wichtig, eine entspannte und lockere Atmosphäre zu schaffen, die eine möglichst offene Diskussion ermöglicht. Das kann auch durch einen freundschaftlicheren Umgang erreicht werden, der auch mittels «Du-Kultur» vermittelt werden kann. Wir müssen uns aber eingestehen, dass trotz Duzen die Hierarchie zwischen einem Studenten und einer Professorin weiter bestehen bleibt. Denn auch wenn Sokrates sagt, dass er nichts wüsste, scheint er, und nicht seine Schüler, in all seinen Reden Recht zu behalten.

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