Auf dem eigenen Mist gewachsen

09. März 2023

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Wir wollen wissen, kennen, lernen, können… Doch pausenloser Input wirkt schliesslich nur wie Treibsand und du ertrinkst in zu viel Neuem, ohne je daraus etwas Eigenes geschaffen zu haben. So fühlt sich unsere Autorin dieses Essays. Gedanken zu Treibsandwirkungen für Wissbegierige in unserer gefährlich kontraproduktiven Leistungsgesellschaft.

Im Zeitalter des unermesslichen Angebots ist es schwer, nicht zu konsumieren. Schaue ich mich in meinem ‘postliberalen’ Freund*innenkreisen um, würde ich sagen, die Heuchelei erreicht mittlerweile ein Niveau der Lächerlichkeit, das einen nur noch dasitzen und seufzen lässt. Was will mensch schon tun. Auch wenn du noch so vegan, bio, umweltbewusst, öko, sparsam, secondhand lebst – konsumieren tust du ja doch.

Klar kam hier und dort auch öfters schon die Wunschidee des Selbstversorgertums auf. Der Traum vom kompletten Unabhängigsein von der Gesellschaft. Doch welch’ Illusion bleibt dieser Jugendtraum, wenn wir doch in einer Dienstleistungsgesellschaft aufwachsen, in der unser Survival-Index auf dem Grad unserer Ausbildung basiert – je höher umso überlebensfähiger. Wer kann heute noch ein Feuer machen, ohne Kohle aus der Landi und Bic-Feuerzeug?

Unser Survival-Index ist abhängig von Landi Kohle und Bic-Feuerzeugen.

 

Keine Ahnung, wie man Fische fängt oder welche Pilze im Wald tatsächlich essbar sind und welche einen langen, qualvollen Tod mit sich bringen. Gut. Solche Dinge könnte man ja ziemlich einfach wieder lernen, danke YouTube!

Materieller Konsum ist eins. Aber geistiger Konsum, das Aufsaugen von Informationen durch die ständige Konfrontation mit Nachrichten, virtuellen Inhalten, Werbungen und Ratschlägen von Freund*innen kann irgendwann zu viel sein. Mein persönliches Dilemma ist mein Wissensdurst, der mir manchmal komplett den Raum stiehlt, überhaupt noch irgendetwas mit dem Wissen anzufangen. Wann warst du das letzte Mal wirklich offline?

Nie nicht konfrontiert mit Inhalten.

 

Auf dem Fahrrad und unter der Dusche höre ich immer Musik, beim Mittagessen schaue ich das 10vor10 von gestern und in der Pause rauche ich eine Zigarette und schaue mir dazu bereits wieder die Story einer Freundin an, die gerade das viel geilere Leben hat als ich, irgendwo in Griechenland am Strand. Konsumierend – keine Lernzeit in der Bibliothek ohne ElTonyMate – oder News konsultierend verbringe ich den Alltag. Nie nicht konfrontiert mit Inhalten, die andere mit mir teilen, seien es Freund*innen oder das SRF. Manchmal bleibt mir dann einfach die Luft weg. Dann weiss ich, es ist Zeit wieder mal die Seite zu wechseln. Von der Konsument*innenseite an das Ufer der Produzierenden zu schwimmen.

Klar, ich teile ja auch meine Stories auf Instagram und schreibe meinen Freund*innen tagtäglich. Aber es geht um richtigen Inhalt. Um Inhalt, der sich nur erschaffen lässt, wenn man alle anderen Einflüsse mal kurz kappt. Dafür muss ich bei mir selbst sein. Manchmal zwinge ich mich sogar, keine Musik dazu zu hören, um wirklich ganz bei mir zu sein. Momente des eigenen Schaffens zu finden, ohne dass es Arbeit ist, ohne dass es einen intellektuellen oder finanziellen Zweck hat, ist schwierig in einer Effizienzgesellschaft, die Leistung über das Glücklichsein stellt und keine Zeit für einfache Zufriedenheit hat. Wer zu zufrieden mit sich selbst ist, bleibt stecken, so der unausgesprochene Tenor.

Eine Effizienzgesellschaft, die Leistung über das Glücklichsein stellt.

 

Diesen kann ich oft sehr schlecht ausblenden. Immer bin ich auf der Mission der perfekten Verwertung meiner Zeit, stillstehen ist für mich die Ausnahme und macht mir sogar ein bisschen Angst. Doch es gibt auch einfach zu viele tolle Dinge, die man im Leben lernen und leisten kann, so treibe ich mich selbst stets an. Ich schaffe es also selten bis nie, mich vom gesellschaftlichen Imperativ der Leistung als Massstab für die eigene Identität zu distanzieren. Selbst wenn ich mir vornehme, mal eine Pause zu machen, muss dabei noch etwas entstehen – einfach nur sein, das geht nicht. Doch zuletzt schöpfe ich aus diesen Momenten, in denen ich immerhin selbständig etwas produziere, auch Energie.

Ob es zeichnerisch, musikalisch oder literarisch ist, was ich zu kreieren versuche, hängt jeweils davon ab, wo ich mich gerade befinde, sowohl physisch wie mental. Manchmal helfen Worte mehr, doch manchmal braucht es einfach eine leere Seite in einem Skizzenbuch und einen dicken schwarzen Fineliner, der ungnädig durch das Papier hindurch schwärzt und deutliche Spuren hinterlässt. Sich die Zeit zu nehmen, Abstand vom alltäglichen Rhythmus zu finden, und sich einfach mal wieder auf die eigene Kreativität zu verlassen, das braucht für mich gezielte Überwindung. Doch ist es wieder einmal geschafft, so lässt sich daraus viel neue Energie gewinnen.

Text und Illustration: Lisa Linder

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