Glanz und Schein

Ein viel verwendetes Motiv für Christbaumschuck aus Lauscha sind Vögel (Foto: Maria Schmidlin).

29. Januar 2023

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Deko gehört zu Weihnachten wie Santa Claus zu Coca-Cola. Doch woher stammen die farbig glitzernden Kugeln, die die Rot- und Weisstannen in unseren Stuben schmücken?

Es ist andächtig still, die Tür öffnet sich langsam von innen, der Geruch von Tannennadeln breitet sich aus und der geschmückte Baum wird sichtbar. Der Schein der Kerzen widerspiegelt sich in den Christbaumkugeln und lässt diese ihren vollen Glanz entfalten. Alle, die Weihnachten feiern, tun dies auf ihre Weise. Doch ohne Dekorationen geht es selten. Wie ungewohnt, ja schon fast, trist wäre es, würden  wir dem Fest durch üppigen bis kitschigen Baumschmuck nicht einen gewissen Pathos verleihen.

Der «Fressbaum»

Vergoldete Eier, Äpfel, Zuckerwerk, Datteln, Nüsse und Gebäck hingen an den ersten Weihnachtsbäumen Europas. Solche «Fressbäume» wurden im 16. Jahrhundert in den Häusern des Adels und des Patriziats aufgestellt.

Zeitgleich entstand in Thüringen eines der ersten Industriegebiete Deutschlands: Zwei Glasmeister erhielten die Konzession, eine Glashütte im Tal des Lauschabaches zu errichten. Das Gebiet lag nicht nur an wichtigen Handelswegen, sondern war reich an Holz und Mineralien. Die Glasherstellung bedarf beider Ressourcen in rauen Mengen. In den folgenden Jahrhunderten entstanden so im Thüringer Wald Flaschen, Kelche, Krüge und Butzenscheiben.

Rote und goldene Kugeln

Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Weihnachtsbaum in den Stuben der bürgerlichen Gesellschaft Einzug gehalten. Selbst hergestellte Dekorationen aus Holz, Papier und Wachs ergänzten und ersetzten die essbaren Köstlichkeiten. Für die Äpfel hingen rote, für die Weihnachtseier goldene Kugeln am Baum.

In Lauscha derweil war die Siedlung um die Glashütten zur kleinen Stadt angewachsen. Die Bevölkerung hatte sich vervielfacht und Hunger bedrohte die grossen Familien. Die Glasproduktion konnte wegen ihres enormen Holzverbrauchs nicht weiter gesteigert werden. Andere Erwerbsquellen waren von Nöten. Eine technische Neuerung, die Glasbläser von Reisen mit nach Lauscha gebracht hatten, versprach Abhilfe: Die Glasbläserei vor der Lampe. An einer mit Talg, Paraffin oder Petroleum gespiesenen Flamme konnten aus Glasröhrchen Perlen geblasen werden. Auf Schnüre aufgezogen entstanden dekorative Ketten.

Christbaumschmuck aus der kleinen Stube

Das Glasblasen vor der Lampe brauchte nur wenig Platz und Infrastruktur. Heimarbeit wurde möglich und mit ihr entstand um 1850 ein neuer Produktionszweig in Lauscha: Die Fabrikation von Christbaumschmuck. Die kinderreichen Glasbläserfamilien richteten an den Esstischen in den beengten Stuben einen Arbeitsplatz ein und produzierten bis tief in die Nacht Glasperlen und dickwandige, kleine Kugeln.

Ab 1867 versorgte ein Gaswerk die Haushalte über Rohrleitungen mit Leuchtgas, das Bunsenbrenner spiess. Bei der nun erreichten Brenntemperatur von 1400 Grad Celsius konnten grössere, dünnwandige Hohlkörper hergestellt werden. Dazu wurden die Glasröhrchen in Gipsnegative geblasen und es entstand Baumschmuck in allen erdenklichen Formen, von Pilzen über Tiere bis hin zu etwas unheimlichen Clownsköpfen. Die Frauen und Kinder der Glasbläser bemalten und verzierten den Christbaumschmuck. Für den Silberglanz liessen sie flüssiges Blei in die Formen laufen, die Aussenseiten verzierten sie dekorativ mit weiteren Farben und Glitzer.

Von Lauscha in die Welt

Der in den Wohnstuben der Glasbläserfamilien entstandene Christbaumschmuck wurde über ein Verlagssystem vertrieben. Das 20 Kilometer von Lauscha entfernten Sonneberg war ein Zentrum der Spielwarenherstellung. Die dortigen Händler waren schnell auf die neuen Erzeugnisse aus Lauscha aufmerksam geworden. Über und über mit Schachteln voller Weihnachtsschmuck beladene Botenfrauen reisten mit dem Zug nach Sonnenberg, wo sie die Fabrikate aus der Heimarbeit an die Verleger verkauften.

Der Grossteil des thüringischen Kunsthandwerks gelangte nach Hamburg, aus dessen Hafen es in alle Welt, vor allem in die vereinigten Staaten von Amerika, verschifft wurde. Die Zerbrechlichkeit der Ware garantierte die stete Nachfrage. Um 1900 besass Lauscha zusammen mit der böhmischen Glasbläserstadt Gablonz das weltweite Monopol auf Christbaumschmuck.

Ende und Wiederbelebung des Handwerks

Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen sich die selbstständigen Glasbläser mit Schwierigkeiten und Repressalien konfrontiert. In der DDR wurde Christbaumschmuck industriell als Automatenware, hergestellt, die Betriebe wurden verstaatlicht. Aus der Sowjetischen Besatzungszone geflohene Glasbläser siedelten sich im Westen an und es entstand eine neue Heimindustrie.

Nach der Wiedervereinigung gingen einige von ihnen zurück und gründeten neue Klein- und Heimbetriebe in Thüringen. In diesen stellen die Familien bis heute Christbaumschmuck her, zum Teil mit den alten Gipsformen aus dem 19. Jahrhundert. Seit 1991 existiert die Firma Lauscha Glas Création, die in der herkömmlichen, traditionellen Technik Christbaumkugeln herstellt. Daneben produzieren die 150 Mitarbeitenden auch Maschinenware, die günstiger verkauft wird.

Von Yiwu in die Welt

Trotz der Wiederbelebung der Tradition besitzt Lauscha schon lange kein Monopol auf Christbaumschmuck mehr. Wie bei so vielem, das in Massen produziert werden kann, hat sich auch die Herstellung von Weihnachtskugeln in das Reich der Mitte verlagert. 60% der weltweit verkauften Weihnachtsdeko stammt heute aus einer Stadt in Ostchina. In Yiwu gibt es über 600 Fabriken, in denen Baumschmuck, Santa-Mützen und schier jede andere erdenkliche Form kitschiger Weihnachtsdeko hergestellt wird.

Die Produktion einer Christbaumkugel aus Plastik kostet hier drei Cent. Glaskugeln werden nur in kleinen Mengen fabriziert, sie gelten in Yiwu als Luxusartikel. So war es wohl auch bei den Lauschaer Glasbläserfamilien, aus deren kleinen, rauchigen Stuben die filigranen Kugeln paradiesischen Glanz in die Welt brachten.

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