Von der Schnapsidee zur Kollektivgemeinschaft 

Illustration: Lisa Linder

06. Oktober 2022

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Drei Studierende der ETH Zürich suchen ihren Ausgleich zum Studium nicht im Unisport, sondern nehmen sich der Kreation einer «Ingwerer»-Alternative an. Schnell wird ihnen klar – die eigene WG-Küche ist nicht genug.

Er ist gelb, matt und undurchsichtig, fruchtig und scharf im Abgang. Der Ingwerlikör «Orsini» ist eine neue Alternative zu dem weit verbreiteten «Ingwerer» und unter anderen in der Asino Bar beim Zytglogge geniessbar. «Orsini soll geshotet werden, gemixt. Er soll warm oder kalt getrunken werden, mit Eis oder ohne. Und das alles, ohne bei jedem Schluck die Franken zu zählen!», so steht es auf der Webseite der „Orsini“-Crew. Das Projekt von drei ETH Studierenden steckt noch in seinen Anfängen, nimmt aber an Fahrt auf und wird mittlerweile auch schon von Gastrolieferanten angeboten, die in die ganze Schweiz liefern. Doch wie anspruchsvoll ist es wirklich, einen neuen Likör auf den Markt zu bringen? Gerade weil doch der etablierte «Ingwerer»-Shot von Peppe-GmbH in der Berner Ausgangs- und Barszene das must have Absackerli ist. Welche Chancen sehen die Gründer*innen von «Orsini» für ihren neuen Marktkandidaten? Und wird das Studi-Projekt auch nach dem ETH-Diplom eine Ambition bleiben oder ist es eben doch bloss eine Schnapsidee, die mit dem Studienabschluss in den Hintergrund rücken wird?
Erschwinglicher Ingwerschnaps
Das Geheimrezept für eine neue knallig gelbe Variante von alkoholisiertem Ingwer ist das Projekt von Lukas, Sophia und Oliver, drei Freund*innen, denen der steigende Preis des «Ingwerer-Schnaps» nicht mehr gerechtfertigt erschien, die das scharfe Vergnügen aber nicht missen wollten. «Guter Ingwerschnaps sollte für Studierende genauso erschwinglich sein und so hatten wir kurzerhand entschieden, einen eigenen Likör auf den Markt zu bringen», so der «Orsini»-Mitgründer Lukas Walker. Angefangen habe das Ganze als Projekt in der Gross-WG-Küche des Studierendenhauses «Orsini», daher der Name der Marke. Er und Oliver hätten Nächte lang Ingwer geschält und mit Zitronen eingekocht. Anfangs war es lediglich ein Geschenk an Freund*innen und Familie, doch die beiden tüftelten immer weiter an der richtigen Schärfe, an der Siedezeit, an den richtigen Mengen an Zucker und Alkohol, bis sie schliesslich mit dem Geschmack komplett zufrieden waren. Neben seinem Informatikstudium an der ETH hat Lukas lange in einer Bar in Zürich gearbeitet und regelmässig «Ingwerer» ausgeschenkt und auch gekostet. Die Flasche «Ingwerer» kostet mittlerweile 50.- Franken, was sich gerade Studierende kaum leisten können. Da der Likör an sich aber eigentlich etwas richtig Gutes wäre, meinte Lukas: Na los, das schaffen wir auch selbst, wenn nicht besser! Beim alljährlichen WG-Hausfest wurde auch Sophia Skorik auf das Ingwergemisch der beiden aufmerksam. Sie begeisterte sich ebenfalls für die Herausforderung und gestaltete kurzerhand das Etikett mit der Illustration des WG-Hauses. Weder Oliver noch Sophia hatten, abgesehen von durchgefeierten Tanznächten an der Langstrasse, bis dahin viel mit Alkohol(re)produktion am Hut.

«Der Preis pro Flasche war vielen fast zu verdächtig günstig.»

Vertrieb im Rucksack
Es sei eine spannende Herausforderung gewesen das Rezept skalierbar zu machen, so dass es schliesslich aus der WG-Küche in die Grossproduktion verlagert werden konnte. Mittlerweile ist «Orsini» in verschiedenen Bars in Zürich (unter anderen Gerold Chuchi und Safari Bar), mit der Asino Bar auch einer Bar in Bern und mit Le Métropole in Montreux erhältlich. Der Vertrieb der Flaschen geschah bis vor kurzem noch per Velo und mit dem Rucksack. So kam es schonmal vor, dass Lukas oder Sophia vollbepackt mit Flaschen nach Montreux reisten, um ihr flüssiges Glück zu verteilen. Dabei sei es aber sehr schwierig mit den richtigen Leuten in Kontakt zu kommen, weil sich die Gastroszene sehr schnell verändern würde und da keines der drei Gründungsmitglieder aus Zürich stamme, müssten alle Kontakte neu geknüpft werden, so Sophia. Es sei sehr schwer gewesen, Getränkelieferanten zu finden, die bereit waren, den «Orsini» in ihr Sortiment aufzunehmen. Besonders, weil das Getränk mit einem Preis von 26.40 Franken pro Flasche fast zu verdächtig preisgünstig schien. Lukas ist aber überzeugt, dass es möglich und nur fair ist, einen Ingwerlikör zu produzieren, der preiswert und gut ist. Die «Orsini»-Crew strebe nicht hauptsächlich danach, Gewinne zu erzielen, sondern wolle lediglich ihre Unkosten zu decken. Was sie abzweigen, fliesse direkt in die Weiterentwicklung des «Orsini». Es sei ein Herzensprojekt, aus Spass an der Herausforderung und an gutem Likör. Aktuell verkaufen die drei Gründer*innen das Getränk an Gastrobetriebe und über den Verteiler Intercomestibles, der Einzige, der ihnen das Vertrauen schenkte, und erst seit kurzem auch online über yourbarmate.ch.

Orsini-Team: Oliver, Sophia und Lukas (v.l.n.r.)

Von der WG in die Brauerei
Die WG-Brauerei sei zunehmend an ihre Grenzen gestossen. Der erste Verkauf im November 2021 – noch im sehr kleinen Rahmen – war ein Motivationsschub für die «Orsini»-Crew. Im Mai 2022, nach ca. fünf Monaten des Tüftelns, wurde die Produktion des «Orsini» von der Hausfabrik an eine professionelle Brauerei übergeben. Das erarbeitete Rezept mit Bio-Ingwer, Zitronen und Kurkuma wurde nun auf die Grossproduktion ausgelegt. Nach Angaben der Webseite lief «Orsini» anfänglich unter dem wohlklingenden Label «handgemacht». Doch mittlerweile mussten die Produzent*innen sich eingestehen, dass dieses Gütesiegel für das Prinzip einer tiefen und verkaufbaren Preisleistung nicht aufrechterhalten werden kann. Dies im Unterschied zu der Berner – «Ingwerer»-Produktion der Peppe GmbH, die gerade diese Eigenheit auf ihrer Webseite doppelt unterstreicht. Spürbar wird dies auch im Preis. Für «Orsini» sei es nie zentral gewesen, mit dem Aushängeschild «handgemacht» zu punkten. Es habe viele Ungenauigkeiten und Schwankungen bei der Herstellung zur Folge gehabt, so Lukas. Auch die Bio-Zertifizierung bleibe wohl noch länger aus, auch wenn die «Orsini»-Gründer*innen so weit als möglich lokale und biologische Produkte verwenden wollen. Hier fehlen die finanziellen Ressourcen.
Zukunftspläne
So wie die Produktion werden auch die Ferienpläne der drei Gründer*innen nicht mehr dem Zufall überlassen. Sie sprechen mittlerweile immer ab, wer vor Ort in der Schweiz als Kund*innenkontakt erreichbar sein kann, wenn die anderen in den Semesterferien mal verreisen wollen. Momentan sind die drei Studierenden auch mit dem Kornhauskeller Bern im Gespräch und setzen auf den Kund*innenkontakt bei Marktständen, wobei sie sich von der Weihnachtmarktzeit viel versprechen. Zwar gibt es in ihrer Grössenordnung noch keine richtigen Verträge für fixe Bestellmengen und die Nachlieferungen seien vom Geschmack der Barchef*innen abhängig. Viel Luft über mündliche Komplimente und Zusicherungen, über kostenlos zugestellte Probier-Flaschen seitens der Marke und unverbindliche Ansagen bezüglich zukünftiger Bestellungen. Eine grosse Unsicherheit und doch: die drei Freund*innen arbeiten am Zusammenschluss zu einer Kollektivgesellschaft, um dem Unternehmen nun auch endlich rechtlich Hände und Füsse zu geben. Auch wenn sich der Vertrieb noch mühsam, die Preissicherheit doch eher unsicher und das freiwillige Engagement neben dem Studium sehr hoch gestalten, sind Lukas, Sophia und Oliver überzeugt, dass «Orsini» auch nach dem letzten obligaten Semester an der ETH noch als Projekt fortbestehen wird. Vielleicht wird es sogar noch mehr ins Zentrum ihrer Tätigkeiten rücken. Ob «Orsini» es im nächsten Sommer sogar auf den Gurten schafft, steht aber noch in den Sternen.
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