There is an Alternative
Dank gemeinsamem Kochen, Pingpongrunden und angeregten Diskussionen
An den Universitäten kaum unterrichtet, aber vielleicht Lösungen bietend, die
die Welt verändern könnten: Wer mehr über Plurale Ökonomik wissen will,
konnte dieses Jahr wieder eine Sommerschule besuchen. Der Erfahrungsbe–
richt einer neoklassisch geschädigten Studentin.
Die Plurale Ökonomik hat zum Ziel, dass nicht nur neoklassische Wirtschaftstheorie, sondern auch andere Theorien, wie zum Beispiel die ökologische, die feministische oder marxistische Theorie an den Universitäten unterrichtet werden. Das ist dringend nötig, denn wie wir spätestens seit der Finanzkrise 2007/08 wissen und wie uns die Klimakrise oder ganz aktuell auch die Turbulenzen an den Strommärkten immer deutlicher vor Augen führen, hält die neoklassische Wirtschaftstheorie mit ihrer Maxime des freien Marktes und schlanken Staates auf viele brennende Fragen keine Antworten bereit. Die Wirtschaft könnte von mehr Theorien- und Methodenvielfalt in der Lehre also nur profitieren.
Trotzdem wird zumindest an der Uni Bern die neoklassische Theorie – und nur diese – weiterhin unbeirrt und unkritisch unterrichtet. Den Studierenden wird beispielsweise im Einführungssemester allen Ernstes erzählt, dass Mindestlöhne einen Eingriff in den Preismechanismus darstellen und deshalb immer tunlichst zu vermeiden seien. Als gute Studentin, die an die Uni gekommen ist, um zu hinterfragen und um später mit ihrer Ausbildung tatsächlich etwas zum Gemeinwohl beitragen zu können, reicht mir eine so einseitige Lesart des ökonomischen Systems aber nicht. Und so habe ich mich schon vor Ostern für die Summer School der Pluralen Ökonomik angemeldet – und würde es gleich wieder tun.
Zusammensetzung und Aufbau
Ein Grossteil der sechzig Teilnehmenden waren Wirtschaftsstudierende, über alle universitären Stufen hinweg von Bachelor bis und mit PhD. Daneben waren aber auch weitere Studienrichtungen vertreten, von Anthropologie über Architektur bis hin zu Betriebswirtschaft. Geeint hat uns der Eindruck, dass das jetzige Wirtschaftssystem grosse Mängel aufweist sowie die Hoffnung, dass es jenseits der neoklassischen Theorie andere Wirtschaftstheorien gibt, die holistischere Ansätze und nachhaltigere Lösungen für aktuelle Probleme liefern.
«Im Einführungssemester wird erzählt, dass Mindestlöhne einen Eingriff in den Preismechanismus darstellen und deshalb immer tunlichst zu vermeiden seien.»
Unsere Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Unter anderem erhielten wir eine Einführung in die verschiedenen wirtschaftlichen Denkschulen, ebenso wie in die Geschichte des wirtschaftlichen Denkens und in die Methoden der Wirtschaftslehre. Am Dienstag und Mittwoch folgten diesen Basiskursen verschiedene Workshops.
Partizipativ lernen
Im ersten Workshop, den ich besuchte, behandelten wir Ansätze der marxistisch-ökologischen Theorie. Diese Theorie kann vor allem bei der Analyse von Umweltproblemen im Produktionsprozess hilfreich sein. Denn die marxistisch-ökologische Theorie fokussiert sich auf Fragen, woher Ressourcen kommen und unter welchen Bedingungen sie zu Besitz werden und in den Produktionsprozess gelangen. Das steht in starkem Gegensatz zur neoklassischen Theorie, in der die Ressourcen für die Produktionsfunktion als gegeben vorausgesetzt werden.
Obwohl ich und einige Teilnehmende zu Beginn kaum etwas über die marxistisch-ökologische Theorie wussten (wie auch, wenn einem die Uni kaum Zeit für eigene Recherchen lässt und selbst diese Theorien nie auch nur im Ansatz streift), fühlte ich mich bei meinem Wissenstand abgeholt und wohl genug, um bei Unklarheiten Fragen zu stellen und eigene Ideen zu teilen. Dieser partizipative, kollaborative Lernprozess, bei dem man gemeinsam neues Wissen erarbeitet, war für mich ein ganz besonderes Erlebnis und steht in besonderem Kontrast zum Lernen an der Uni, wo ich manchmal lieber schweige, um nicht aufzufallen und es in Diskussionen allzu oft von vornhinein richtige und falsche Ideen und Meinungen gibt (insbesondere am Wirtschaftsdepartement wo nahezu alle Ideen, die den freien Markt behindern, besser nicht weitergedacht werden sollen.)
«Wie kommt es, dass von den USA über
Europa bis nach China alle Studierenden
dieselben Lehrbücher lesen müssen?»
Wert und Besitzansprüche
Der zweite Workshop wurde von einer PhD-Studentin geleitet, die zusammen mit ihrer Professorin und der Weltbank eine Studie zum Gender-Wealth-Gap in Tansania geschrieben hat. Nachdem wir kurz in die Problematik des Gender-Wealth-Gap eingeführt wurden, hat mir dieser Workshop vor allem Einblick in die «echte» Forschungstätigkeit gegeben und aufgezeigt, wie schwer Eigentum messbar, und wie wichtig diese Frage aber für eine feministische Wirtschaftstheorie ist. Verfolgt man sie, stellen sich Fragen wie: Wie viel Wert hat ein Gegenstand oder ein Stück Land? Wem glaubt man, wenn zwei Personen dem gleichen Objekt unterschiedliche Werte geben? Und wer ist Besitzer*in, wenn etwas von mehreren Personen genutzt wird und beide Besitzansprüche erheben? Diese etwas theoretisch anmutenden Fragen haben durchaus praktische Relevanz. Je nach Messung ist der Wealth-Gap unterschiedlich und es werden andere politische Massnahmen ergriffen.
«Wie viel Wert hat ein Gegenstand oder ein
Stück Land? Wer ist Besitzer*in, wenn etwas
von mehreren Personen genutzt wird und
beide Besitzansprüche erheben?»
Kritisch hinterfragt
Am Nachmittag folgten jeweils zwei weitere Unterrichtsblöcke, die gefüllt waren mit spannenden Diskussionen: Bietet die Uni Raum, das Gelernte kritisch zu hinterfragen? Besteht überhaupt ein Bedürfnis dazu? Und wie kommt es, dass von den USA über Europa bis nach China alle Studierenden dieselben Lehrbücher lesen müssen und wie haben die Theorien, die darin zu finden sind, ihren Weg in besagte Lehrbücher gefunden? Ausserdem hatten die Organisator*innen bekannte Gastdozentinnen eingeladen: Prof. Mascha Madörin und Prof. Alyssa Schneebaum referierten zu feministischer Ökonomie und Prof. Irmi Seidl und Prof. Julia Steinberger zu ökologischer Ökonomie. Dr. Johanna Herrigel zeigte in ihrem Vortrag auf, wie Erkenntnisse aus beiden Theorien im Kontext einer nachhaltigen Landwirtschaft angewendet werden können und PhD-Kandidat Florian Rommel erzählte davon, wie er eine plurale Ökonomik Universität (Cusanus Universität) gegründet hat.
Weiterdenken
Die beiden letzten Tage waren grösstenteils dafür reserviert, eigene Projektideen zu finden und daran zu feilen, wie die Plurale Ökonomik unter anderen Studierenden, aber auch unter einem breiteren, nicht-akademische Publikum noch bekannter gemacht werden könnte. Ein Beispiel ist das Projekt «Bye bye TINA («There is no Alternative», für alle, die wie ich bei TINA zuerst an die Sängerin denken). Das Projekt möchte zeigen, dass es sehr wohl viele umsetzbare Ideen für eine bessere Wirtschaft gibt, die einfach zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit bekommen.
Andere möchten sich dafür einsetzen, dass Schülerinnen und Schüler bereits im Gymnasium oder in der Oberstufe zum ersten Mal mit pluraler Ökonomik in Berührung kommen. Und schliesslich haben motivierte Menschen zusammengefunden, die neue Plurale-Ökonomik Studierendenvereine an ihren Universitäten gründen wollen. Zu diesen gehöre auch ich: Zwar besteht an der Uni Bern bereits ein Rethink-Economics Verein, aber es gibt noch viel zu tun. Deshalb setzen wir uns mit «Rethink Economics Bern» nun dafür ein, dass es möglichst bald eine Einführungsvorlesung zur pluralen Ökonomie geben wird und möchten bis dahin Workshops und Vortragsreihen organisieren.
Alles in allem war die Summer School für mich eine sehr inspirierende und motivierende Erfahrung. Im Austausch mit Gleichgesinnten habe ich gemerkt, dass nicht nur ich so meine Probleme mit der neoklassischen Theorie habe. Ich kann sie also allen empfehlen, die sich für eine Wirtschaft interessieren, über die man nichts in den Mainstream-Zeitungen und Lehrbüchern lesen kann. Und wenn man keinen Wirtschaftshintergrund hat, ist das nicht schlimm. Im Gegenteil – der Wirtschaftslehre würde es guttun, zwischendurch über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.
«Im Einführungssemester wird erzählt,
dass Mindestlöhne einen Eingriff in den
Preismechanismus darstellen und deshalb
immer tunlichst zu vermeiden seien.»
Kann es kaum glauben, dass dies so gesagt wurde..
Hatte in meinem Ökonomiestudium an der Uni Bern ganz etwas anderes dazu gelernt