Mula machä mit Mundart

Breitbild: «Zu neunt von der Musik leben zu können, wäre unmöglich gewesen.» (Foto: zvg)

12. Mai 2021

Von und

Hip-Hop auf Schweizerdeutsch gibt es seit 30 Jahren. Wie geht es der Szene heute? Wo will sie hin? Wir haben nachgefragt.

«Chlini Schwiz, du bisch tschuud a auem – wärsch du interessanter wäri interessanter», rappt die Berner Rap-Combo Iwan Petrowitsch. Das Phänomen Mundartrap wird dieses Jahr dreissig und die Szene ist grösser denn je. Dennoch tut sie sich schwer damit, aus dem Jugendzimmer zu treten und in der Schweizer Mainstreamkultur Fuss zu fassen. Ganz im Gegensatz zu Rap aus dem Ausland: Sowohl Deutscher Rap als auch US-amerikanische Rapmusik sind mittlerweile sowohl in der Heavy-Rotation der Mainstreamradiosender als auch im Feuilleton präsent.

«Diejenigen, die es zu unserer Zeit geschafft haben berühmt zu werden, mussten unglaublich grosse Kompromisse eingehen. Das hätte ich nicht gewollt.»

Ist schweizerdeutsche Rapmusik schlicht zu wenig interessant qua Herkunft, wie es die oben zitierte Line nahelegt? Oder liegt ihre Stärke gerade darin, sich ein Stück Subkultur erhalten zu haben? Anders gefragt: Ist der Schritt in den Mainstream so erstrebenswert?

Kein Glanz & Gloria

Egal ob Luuk, Steff la Cheffe, Breitbild oder Migo & Buzz – das Fazit über die Möglichkeiten in der Schweizer Rap-Szene fällt ernüchternd aus: Keine*r der Künstler*innen macht sich Illusionen, jemals wirklich von der Musik leben zu können. Das sei höchstens ein naiver Kindertraum, konstatieren sie. Luuk hat sich zwar ausgerechnet mit dem Start der Pandemie selbstständig gemacht, jobbt aber nebenbei immer noch bei Coop und gibt Workshops. «Zum Glück habe ich nicht das Bedürfnis, mir Champagner oder irgendwelche teuren Autos zu kaufen», fügt er an. Steff schreibt Kolumnen für Greenpeace und arbeitet als Botschafterin für diverse Projekte, um ihr Einkommen aufzubessern. Die Rentabilität des Mundartraps hat sich interessanterweise seit den Anfängen kaum verändert. So meint auch Valerio von Breitbild: «Hätte ich von der Musik leben wollen, hätte ich ein Solo-Projekt starten müssen. Zu neunt wäre das unmöglich gewesen.»

Gleichzeitig sind sich die Künstler*innen einig, dass es durchaus seine Vorteile hat, nicht zu berühmt zu sein. «Diejenigen, die das zu unserer Zeit geschafft haben, mussten unglaublich grosse Kompromisse eingehen. Das hätte ich nicht gewollt», meint Valerio. Wer underground ist, kann sich mehr erlauben und ist freier im künstlerischen Schaffen.

Das Geld reicht nicht: Steff la Cheffe schreibt zusätzlich zur Musik Kolumnen. (Foto: Andrin Fretz)

Zu diesem Schluss kommen auch die Berner Migo & Buzz, wenn sie rappen: «I mache lieber es paar Lieder, we mi öpis würk beschäftigt und de hani ke Ferrari, sondern Message i de Texte. […] Doch uf Schritte wo mi stresse hani vou nid Bock – Lug, Sache wo mi aakackä, machi scho im Job gnue.» Daher bleiben die beiden ganz bewusst unter dem Radar des Mainstreams, auch wenn sie manchmal mit der mageren Ausbeute ihrer Kunst hadern: «Wir sind jetzt beide 29 – es nervt schon, wenn man langsam gegen die 30 geht und andere sich viel weniger Gedanken machen müssen um ein paar Franken. Wir investieren so viel Zeit in etwas, und dass dabei kaum etwas herausspringt, ist schon schräg.»

Ungemütliche Wahrheiten

Einen Grund für die kleinen Chancen auf das grosse Geld sehen die meisten der Rapper*innen im sprachlich und demographisch begrenzten Schweizer Markt. Martin Geisser, Geschäftsführer des Indie-Labels Bakara-Music, das unter anderem Steff la Cheffe, Nemo und Lo & Leduc managt, führt das geringe Wachstum der Szene noch auf zwei weitere Aspekte zurück: Einerseits sei Schweizer Musik teilweise immer noch schlechter produziert als beispielsweise US-Songs – was unter anderem mit hohen Produktionskosten zu tun hat. Andererseits stehe den Rapper*innen manchmal die Schweizer Mentalität im Weg: «Fast kein Musiker, den ich kenne, nutzt Social Media so intensiv, wie man es sollte. Eigentlich müsste man sein ganzes Leben präsentieren, aber das ist vielen unangenehm.»

«Merci Giele für die gute Zeit, aber ich bin imfall erwachsen und ich habe meine eigene Definition von Musik und Rap.»

Darüber hinaus sei die Schweizer Kultur mit so manchem Aspekt im Hip-Hop nicht vereinbar. Über Geld wird hierzulande nur ungern gesprochen, Bescheidenheit und Zurückhaltung hingegen sind keine Eigenschaften eines Gangsta-Rap-Posers. «Hip-Hop ist direkter, roher und brachialer als alle anderen Musikrichtungen und transportiert ungemütliche gesellschaftliche Wahrheiten» erklärt Pablo Vögtli, SRF-Virus Moderator und Rapper. Mit diesen Wahrheiten wollen manche sich vielleicht lieber nicht konfrontiert sehen.

Ähnlich argumentieren einige Vertreter*innen des Schweizer Raps in der SRF-Virus Dokserie «Uf Takt»: Die in der Musik häufig angesprochenen Themen wie Armut, Struggles und Gewalt würden zu wenig Publikum finden, da es kaum Ghettos gäbe. Allerdings krankt dieses Argument gleich an zwei Stellen, denn erstens existieren, auch wenn nicht auf den ersten Blick ersichtlich, in der Schweiz sehr wohl Armut und prekäre Verhältnisse. Zweitens ist Rap aus Deutschland und den USA in der Schweiz gar beliebter als sein Mundart-Bruder. Dies obwohl er häufig von Gangs, Gewalt und schwierigen Lebensverhältnissen handelt. Diese Themen scheinen die Schweizer Hörer*innen also durchaus anzusprechen.

Das Schweizer Hip-Hop-KMU

Umgekehrt schaffen es Schweizer Rapper*innen kaum, über die Landesgrenzen hinaus Erfolg zu haben. Wenn, dann wechseln sie gleich auf Hochdeutsch, wie beispielsweise Loredana. Dadurch finde die Karriere aber von Beginn weg hauptsächlich in Deutschland und nicht in der Schweiz statt, meint Pablo Vögtli. Die Fanbase wird also eher ausgetauscht als erweitert. Valerios Fazit in diesem Hinblick: «Schweizer Rap hat es bisher noch nicht geschafft, einen Trend zu setzen, der von hier nach draussen geht.» Oder wie Luzi der Luzernischen Rap-Crew «GeilerAsDu» es schon einmal benannte: «Immer noch emene Johr adaptiert die ganz Schwiiz, was Dütschland kopiert het vo Frankrich.»

Laut Pablo ist das Schweizer Rap-Publikum zwar grösser geworden, «aber seichter». (Foto: Hannah Gottschalk)

Einige argumentieren, dass die Sprachgrenze ein Durchstarten im Ausland verhindere. Schliesslich ist Rap stark textgebunden und will Messages transportieren. Der Markt in Deutschland ist allerdings zu einem guten Teil schon mit Künstler*innen aus den eigenen Reihen gesättigt. Auf der anderen Seite hat die überschaubare Szene auch Vorteile: «Ich weiss gar nicht, ob die Schweizer Hip-Hop Industrie überhaupt eine Industrie ist – wohl eher ein KMU», meint Luuk. Die Welt ist hier noch anders als in den Haifischbecken der Musikindustrie-Giganten in Frankreich, Deutschland und den USA. Ein eigener Song ist einfacher aufgenommen und eine treue Zuhörer*innenschaft schneller gewonnen – dafür ist es aber umso schwieriger, im Anschluss über einen gewissen Bekanntheitsgrad hinauszukommen.

Wer ist Nestbe­schmutzer*in?

Wer von der Musik leben kann, hat sich nach den Ansichten einiger Rapper*innen von der Kultur entfernt, sich verkauft – beispielsweise Bligg oder Lo & Leduc. So disst der Zürcher Rapper Xen die beiden Berner Musiker «…denn Schwiizer Hip-Hop isch kei Lo und kei Leduc.» Xen’s Standpunkt ist klar: Wer 90 Prozent des Songs singt, macht keinen Rap. Daran scheiden sich in der Schweizer Rap-Szene jedoch die Geister: Steff la Cheffe begrüsst die Diversität, die in den letzten Jahren zugenommen hat. «Ich musste merken, dass es gewisse Szene-Regeln gibt, die fast schon wie kulturelle Einschränkungen anmuten. Und wenn ich etwas anderes mache, bin ich eine Nestbeschmutzerin für den Hip-Hop. Da finde ich dann irgendwann: Merci Giele für die gute Zeit, aber ich bin imfall erwachsen und ich habe meine eigene Definition von Musik und Rap.»

«Ich weiss gar nicht, ob die Schweizer Hip-Hop Industrie überhaupt eine Industrie ist – wohl eher ein KMU.»

Solche Eingrenzungen bauen auch enormen Druck auf, wie Steff weiter ausführt: «Ich dachte, ich müsse wissen was läuft, wer fresh ist, welches Album rauskommt. Ich hatte diesen Druck, dass meine Musik relevant sein und wahrgenommen werden muss von meiner Szene. Das habe ich nicht mehr, das ist sehr befreiend.» Auch Luuk sieht das Rap-Game etwas entspannter. «Mir ist völlig egal, was jemand macht. Rap ist komplett offen und es gibt so viele verschiedene Richtungen. Mir ist wichtiger, wie Personen der Szene gegenüberstehen. Man sollte einfach nicht vergessen, wo die Wurzeln liegen», meint er.

Realness is Key

Auch wenn mit viel Rücksicht und Liebe für die Szene ein kommerzieller Weg eingeschlagen wird, trifft dies den Geschmack der ursprünglichen Hörer*innen nicht mehr. Lo & Leduc werden respektiert von Hip-Hop-Fans, aber weniger aktiv von ihnen konsumiert. Das erklärt möglicherweise auch das Phänomen der vermehrten Verwässerung der Fanbase an Konzerten, wie Pablo Vögtli dies bezeichnete: «Ich denke, das Publikum für Schweizer Rap ist grösser geworden, was sich auch in Konzertsälen zeigt. Aber es ist seichter, viele konsumieren casual – nicht die-hard, die ganze Zeit im Pit und jede Line schreiend.»

Diese eingefleischten Hip-Hop Enthusiast*innen sind geblieben und zeigen nach wie vor grossen Support. Sie kaufen Merch, besuchen Konzerte und sind gewillt, Alben oder Vinyl zu kaufen anstatt die Musik nur über Streamingdienste zu beziehen. Das reicht allerdings nicht für den Lebensunterhalt. Wer auch die Konzerthallen im Berner Oberland füllen will, muss über den Szenen-Tellerrand hinaussehen. Ein mögliches Sprungbrett liefern dafür die populären Radiostationen. Radiomusik zu produzieren hat jedoch ihre Tücken: «Überspitzt gesagt sollte man bei der Radiomusik nicht zu sehr zuhören, aber auch nicht zu sehr weghören. Du darfst nicht etwas zu Seltsames, Kritisches, Anstössiges machen», meint Migo.

«Mir ist wichtiger, wie Personen der Szene gegenüberstehen. Man sollte einfach nicht vergessen, wo die Wurzeln liegen.»

Müsste sich die Rapszene auf einen gemeinsamen Nenner berufen, dann diesen: Rap ist anstössig. Das Anstössige muss nicht in der klischierten Form von Texten über Money, Bitches und Cash erfolgen. Es kann auch politisch, gesellschaftskritisch sein oder von Lebenswelten, die nicht der absoluten Norm entsprechen, handeln. Und wer sich mit der Musik der Populärkultur annähert, wird als weniger anstössig angesehen – kurz: büsst den Edge ein, der Rap ausmacht.

Die Debatte um Kredibilität und Realness treibt bisweilen aber seltsame Blüten: «Ein Capital Bra in Deutschland beispielsweise bringt eine eigene Eistee-Linie raus und verliert bei seinen Fans kaum an Glaubwürdigkeit», so Label-Inhaber Geisser. Das kontrastiert scharf mit der starken Kritik, die einige nicht ganz so puristisch vorgehende Rapper*innen in der Schweiz einstecken, obwohl sie textlich gerade im politischen Bereich weiterhin «real» bleiben.

Wer hat, dem wird gegeben

Es scheint, als ob das Streaming-System bereits erfolgreiche Grössen der Musikszene belohnt, während jene mit mittlerem Bekanntheitsgrad stets zu kurz kommen. Dabei seien gerade die Grossen nicht mehr unbedingt auf die Streamingeinnahmen angewiesen. Ab einer Million Streams lohnten sich Streaming-Zahlungen, heisst es oft. Meist sind sie aber von so geringer Relevanz, dass selbst die Künstler*innen sie nicht benennen können, meint Geisser. Im Vergleich zu den Einnahmen aus Zeiten des CD-Verkaufs seien sie schon sehr gering. Labels wie auch Künstler*innen konnten mit physischen Medien enorm viel Geld generieren.

Luuk: Geringer Lebensstandard, dafür selbstständig. (Foto: zvg)

Breitbild hat diese Veränderungen über die Jahre hautnah miterlebt: «2004, 2006, 2008 und 2010 haben wir CDs herausgegeben. In dieser Zeit wurde der Markt ungefähr halbiert. 2004 musste man für Goldstatus noch 20’000 CDs verkaufen. Innerhalb von 6 Jahren sank das auf 10’000», sagt Vali. Heute wird diese Zahl wohl noch einmal deutlich tiefer sein. Eine Rückkehr in diese Zeiten ist aber schlicht nicht realistisch. Es bleibt kaum eine Möglichkeit, sich den neuen Medien zu entziehen, denn zuletzt will man einfach auf möglichst praktikablem Weg gehört werden. Der Berner MC Tommy Vercetti beschreitet momentan einen Mittelweg: So stellt er seine Alben erst eine Weile nach der Veröffentlichung auf Spotify. Wer dieses sofort hören möchte, muss das Album kaufen. Ein solches Vorgehen wird jedoch eher die Ausnahme als die Regel bleiben.

Was ist eine anständige Gage?

Wenn Streaming so unrentabel ist, wovon leben Schweizer Rapper*innen dann überhaupt? Eine Möglichkeit besteht in höheren Gagen für Live-Auftritte, die durch Künstler*innen gefordert werden. Das ist jedoch nicht Gesetz. Honorare sind stark davon abhängig, wie sehr die Verhandlungspartner*innen für sich selbst einstehen. Die Interessen sind gegensätzlich: Booker*innen möchten einen Liveact möglichst günstig buchen können und zugleich abgesichert sein, dass diese Bezahlungen durch den Ticketverkauf wieder (über)kompensiert werden. Musiker*innen möchten ihre Kosten decken, den Veranstalter*innen gegenüber aber nicht abgehoben wirken und damit Gefahr laufen, in Zukunft nicht wieder spielen zu dürfen.

«2004 musste man für Goldstatus noch 20’000 CDs verkaufen. Innerhalb von 6 Jahren sank das auf 10’000.»

«Obwohl sie immer sehr freundlich sind, sind sie einfach nicht auf deiner Seite. Sie profitieren davon, wenn du zu früh «ja» sagst», gibt Migo zu bedenken. Hier herrscht seiner Meinung nach Nachholbedarf. «Wir sind weit entfernt davon, eine Schweizer Hip-Hop-Gewerkschaft zu haben und der private Austausch über realistische Ansprüche und Bezahlungen findet kaum statt», meint er.

Wer im Radio läuft, hat ein Grundeinkommen

Eine weitere Einkommensquelle sind Zahlungen durch die sogenannte SUISA. Dabei handelt es sich um die Genossenschaft der Urheber*innen und Verleger*innen von Musik in der Schweiz. Sie bezahlt alle Texter*innen, deren Song entweder im Radio oder an einem Live-Konzert zu hören ist. An Auftritten errechnet sich das anhand der Ticketverkaufszahlen – ein Festival ist folglich um einiges lukrativer als ein kleines Clubkonzert. Da die Zahlungen auf dem Urheberrecht basieren, ist nicht jede*r Künstler*in automatisch SUISA-Bezüger*in. «Wer das Lied schreibt, ist nicht immer die gleiche Person, die ihr Gesicht zeigt. Es könnte jemand sein, der gerade in LA hockt», erklärt Martin Geisser.

Wer im Radio gespielt wird, hat also dort eine Art regelmässiges Grundeinkommen. Dieses ist jedoch deutlich weniger zu gewichten als die Einkünfte durch Konzerthonorare. Und auch hier gilt: Wer viel im Radio gespielt wird und den Sprung auf die Playlists privater Sender schafft, erhält mehr. So profitieren hier sehr erfolgreiche Musiker*innen wieder einmal überproportional. Es lässt sich auch darüber streiten, ob die Radiospielzeit wirklich die Bekanntheit erhöht. Gerade Künstler*innen mit einem jungen Zielpublikum wird kaum geholfen sein, wenn sie in die Heavy-Rotation von SRF3 aufgenommen werden.

Im Hinblick auf die Repräsentation der Diversität der Schweizer Mundartmusik­szene wäre es dennoch wünschens­wert. «Für die Gewöhnung der Gesellschaft an Mundartrapmusik braucht es Interaktion und Kontakt mit dieser. Sie muss in die Wahrnehmung der Personen kommen. Erst dann kann positive Resonanz entstehen statt Befremdung» sagt Pablo Vögtli, der sich für genau diese Repräsentation immer wieder einsetzt. Mit seinen Formaten auf SRF Virus und der Bounce-Cypher schafft er eine Plattform für Schweizer Hip-Hop. Ein weiterer grosser Wegbereiter ist auch Uğur Gültekin mit dem mittlerweile abgesetzten Format «joiz in the hood».

«Für die Gewöhnung der Gesellschaft an Mundartrapmusik braucht es Interaktion und Kontakt mit dieser.»

Der junge Bieler Rapper Nemo ist das beste Beispiel, wie viel ein guter Part an der Bounce Cypher wert sein kann. Mit 16 Jahren konnte er so innerhalb von etwa einer Woche seine Follower*innen verfünffachen und ist heute ein überall bekannter Name in der Schweizer Musikindustrie. Kommerzieller Erfolg bis hin zum Goldstatus braucht heute also auch gar nicht mehr unbedingt Repräsentation durch die traditionellen Medien. XEN beispielsweise konnte diesen Meilenstein ganz ohne deren Beihilfe erreichen.

Seiltanz zwischen Kommerz und Subkultur

Geld ist Zeit, die man in die eigene Musik investieren kann. Auch ohne den Wunsch, von der Musik leben zu können, ist die Situation in der Schweiz nicht zufriedenstellend. Musik zu machen bedeutet, teures Equipment und Geld in die Nachbearbeitung zu stecken. Gewisse Investitionen lassen sich langfristig tätigen, andere Ausgaben, wie beispielsweise das Abmischen, fallen für jeden Track aufs Neue an. Das bedeutet, entweder enorm viel selbst aus der Tasche bezahlen zu müssen, viel Zeit in kreative Selbstvermarktung zu stecken oder den gesamten Lebensstandard auf ein gewisses Niveau herunterzufahren.

Es mögen mehr Möglichkeiten herrschen in der Selbstproduktion von Musik und in der Verfügbarkeit von Ressourcen, finanzielle Fragen sind dennoch immer ein Thema. Labels schiessen heute kein Budget mehr vor, sondern entscheiden anhand des fertigen Produktes, ob sie etwas vertreiben können und wollen. Der Quersubventionierungsgedanke bleibt.

Aufgrund der vielen internationalen Player, die diesen Markt beherrschen, besteht kaum Handlungsspielraum und Aussicht auf Besserung. Spotify wird nicht von heute auf morgen beginnen, ordentlich zu bezahlen. Daran würde auch keine Schweizer Rap-Gewerkschaft etwas ändern können. Der ewige Seiltanz zwischen Kommerz und Subkultur wird daher wohl bestehen bleiben. Mit einem Fuss «psychopathisch nischig» und mit dem anderen «der nächste Schlager», wie es Pablo Vögtli es beschreibt. Mit Musiker*innen, die ihre Arbeit aufrichtig lieben, aber kaum von ihr leben können.

Das kann sich auf die Kunst zum einen einengend aber auch befreiend auswirken: Wer den Anspruch, von der Kunst leben zu können, aufgibt, muss sich auch um Markttauglichkeit keine Gedanken machen. Doch ob kommerziell erfolgreich oder nicht, mehr Aufmerksamkeit und Resonanz hat CH-Rap nach 30 Jahren alleweil verdient.

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