Mein Block, dein Block
Die Wohnungen von Studentlodge werden nur an Studierende vermietet. Aufgrund der Pandemie stehen viele gerade leer. (Bild: Janine Schneider)
Auf Anregung von aussen ging die bärner studizytig studentischen Wohnsituationen in Bern auf den Grund. Und siehe da; es kreucht und fleucht, aber scheinbar glitzert’s jetzt seit kurzem wieder.
Es ist Donnerstagabend, 19:15 Uhr, und ich muss noch kurz raus etwas einkaufen. Draussen ist es bereits dunkel. Da ich den Ladenschluss nicht verpassen will, stolpere ich etwas überstürzt ins Treppenhaus. Erst auf der dritten Stufe merke ich, dass der Lichtschalter noch immer nicht geht und alles dunkel bleibt. Es hiess, das werde diese Woche noch repariert. Heute ist Donnerstag. Mal sehen.
Non-Profit-Verein als Verwalterin
Lange Wartezeiten oder sogar Knatsch zwischen Verwaltung und Mieter*innen ist nichts Ungewöhnliches. Studierende, die oft neu in einer Stadt sind, in ihre erste eigene Wohnung ziehen und sich mit dem Mietrecht noch nicht besonders gut auskennen, sind dabei schnell mal in einer schwächeren Position als die Vermieter*innen. Wird das von Vermieter*innenseite ausgenutzt? Auf den Verein Studentlodge scheint das auf den ersten Blick zuzutreffen. Dieser 1962 gegründete Non-Profit-Verein verwaltet verschiedene Immobilien in der Stadt Bern und vermietet möblierte Einzelzimmer in Wohnheimen, diverse Studios sowie ganze Wohnungen zur WG-Nutzung an Studierende. Die Universität Bern ist eine der Hauptpartnerinnen des Vereins – sucht man über die Universität nach Wohnmöglichkeiten, wird als erstes Studentlodge angezeigt, danach folgen
weitere Anbieter. «Studentlodge bietet mit einem einfachen und unkomplizierten Service rund um Bern günstigen Wohnraum an», so wirbt der Verein auf der hauseigenen Hochglanzwebsite für sich.
«Junge, unerfahrene Studierende – die kann man gut ein bisschen abzocken.»
Von Seiten der Studierenden wird aber teilweise Kritik laut. Ganz so unkompliziert scheint der angepriesene Service wohl doch nicht immer zu sein. «Die Verwaltung wirkt einfach inkompetent», so Jasper, der in einer WG in einem von Studentlodge verwalteten Hausblock wohnt. Sie sei nicht präsent, Kontaktmöglichkeiten im Verhältnis zu vergleichbaren Mietverhältnissen kaum vorhanden. Mit Wünschen oder Anregungen laufe man immer wieder auf, egal ob es nun um Grünabfuhr oder einen dringend nötigen Anstrich gehe. Mit der für das Gebäude verantwortlichen Person komme man zwar gut aus, erklärt Chloé aus demselben Hausblock wie Jasper. «Aber auch von ihr hören wir oft: Da können wir leider nichts machen.» Ob das Überlastung oder Ignoranz ist, sei schwierig festzustellen. «Es gibt uns auf jeden Fall das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden», so Chloé. Diesen Winter verbrachte sie gar zwei Wochen lang ohne Heizung, weil die Verwaltung ihre Nachfrage nach der Reparatur nicht ernst nahm. Wer sich beschwert, bekommt als erste Reaktion oft zu hören: Man soll halt künden, wenn es einem nicht passt.
Wer muss zahlen?
Irritierend ist auch der wiederholte Versuch vonseiten der Verwaltung von Studentlodge, Rechnungen auf die Mieter*innen abzuwälzen, die diese eigentlich nicht zu tragen hätten. Auch hier gilt: «Schwierig zu sagen, ob es Unvermögen oder Absicht ist», so Pascal, ein weiterer Blocknachbar, «Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem.» Er ist jedenfalls froh, dass diese Probleme endlich angesprochen werden. Auch in Google Rezensionen über andere von Studentlodge verwaltete Immobilien taucht oft der Kommentar auf, es würden Kosten veranschlagt, für die eigentlich die Verwaltung aufkommen müsste. Pascal findet: «Das gibt den Eindruck, als würde Studentlodge denken: Das sind ja junge, unerfahrene Studierende, die kann man gut ein bisschen abzocken». Und es ist tatsächlich ein Problem: Viele Studierende kennen sich nicht aus mit dem Mietrecht, sind unsicher, welche Rechnungen sie wirklich selbst begleichen müssen, was alles noch unter «kleinere Reparaturen» fällt. «Ich möchte gar nicht wissen, wie viel ich schon bezahlt habe, was ich gar nicht hätte bezahlen müssen», so Chloé. Es sind kleine Missstände, die noch vielen Mieter*innen begegnen werden. Aber sie summieren sich auf – sowohl finanziell als auch emotional.
«Man soll halt künden, wenn es einem nicht passt.»
Manchmal formiert sich dann auch Widerstand. So funktionierte beispielsweise das Licht im Fahrstuhl nicht mehr. Doch nachdem endlich ein Elektriker kam, erhielt jede der 36 Parteien im Haus eine Rechnung von rund 34 Franken, die sie für die Reparatur zahlen sollten. Der Grund: Das Licht sei aufgrund mutwilliger Sachbeschädigung zu Schaden gekommen und die Mieter*innen seien dafür verantwortlich. Die Ironie dabei: Die Eingangstür des Hauses war über zwei Monate lang kaputt gewesen und konnte nicht abgeschlossen werden. Die Verwaltung kümmerte sich trotz wiederholter Meldung nicht darum. Mehrmals mussten sogar fremde Personen, die sich illegal im Hauseingang aufhielten, von der Polizei weggebracht werden. Es könnte also auch eine Drittperson gewesen sein, die für den Schaden verantwortlich war. Erst als die Studierenden sich zusammengetan, brieflich gewehrt, und sogar rechtliche Konsequenzen angedroht hatten, hat sich die Verwaltung bereit erklärt, die Kosten selbst zu übernehmen. «Eigentlich wissen sie ganz genau, dass wir das nicht übernehmen müssen», so Pascal, «aber sie versuchen es halt mal.»
Dieses Verhalten kontrastiert scharf mit dem gemeinnützig orientierten Bild, das der Verein von sich selbst gibt. So schreibt die Geschäftsführerin Renate Ledermann in einer Mail an die bärner studizytig: «Unser optimales und günstiges Vereins-Geschäftsmodell ist auf das Wohl der Studierenden ausgerichtet und nicht gewinnorientiert.» Sie betont weiter, dass der Verein sich immer innerhalb des Mietrechts bewege: «Bei unterschiedlichen Auffassungen versuchen wir in erster Linie den kooperativen und aussergerichtlichen Weg mit den Mieterinnen und Mietern zu finden, was ja im Normalfall auch gelingt.» Sie betont auch, dass die Sorgfalt vonseiten der Mieter*innen in den letzten Jahren abgenommen habe und sie als Verein natürlich auch ein Interesse daran hätten, dass keine Langzeitschäden entstünden.
Wohnheime als Brennpunkt
Bezüglich Sorgfalt gegenüber der Mietsubstanz und dem Verhältnis zwischen Verwaltung und Mieter*innen sind Studierendenwohnheime ein besonderer Brennpunkt. Wer schon einmal in einem Austauschsemester war, weiss: eine Unterkunft in einer fremden Stadt zu finden ist gar nicht so leicht. Preis, Lage und Wohnsituation müssen passen und oft kann man die Liegenschaften im Voraus nicht persönlich besuchen, sondern ist auf die Ehrlichkeit der Internetfotos und die Empfehlungen der Gastuniversität angewiesen.
Eines der bekanntesten Studierendenwohnheime in Bern ist das Fellergut in Bümpliz Nord, das ebenfalls von Studentlodge verwaltet wird und gerade erst umfassend renoviert wurde. Der hohe Betonklotz wurde bisher vor allem von Austauschstudierenden bewohnt. Die Googlemaps-Rezensionen sind vernichtend: Sie bemängeln Infrastruktur, Sauberkeit, Preis, beanstanden Fremdenfeindlichkeit des Personals und ungerechtfertigte Rechnungen. Sogar Ungeziefer scheint immer wieder ein Problem gewesen zu sein. Tanja, eine niederländische Studentin, die 2017 in Bern einen Austausch machte, bestätigt dies und beschreibt die damalige Situation als sehr unzumutbar. Für das kleine Zimmer sei der Preis viel zu hoch gewesen und auf 18 Personen kamen nur drei Duschkabinen. Auch die Reinigung der Küche durch eine Putzkraft reiche bei so vielen Benutzer*innen nicht mal ansatzweise aus, um für länger als drei Stunden einen Eindruck von gut gemeinter Sauberkeit zu vermitteln. Wobei die fehlende Hygiene sicher auch mit einem fehlenden Verantwortungsgefühl seitens der Studierenden zusammenhängen dürfte. Dass direkt nebenan ein Altersheim steht, trug auch nicht gerade zur Konfliktvermeidung bei – es gab einige Male Beschwerden wegen Ruhestörung.
Wohnen auf der Baustelle
Die aus Konstanz stammende Studierende Amira war zwei Jahre nach Tanja im Austauschsemester in Bern und beschreibt ähnliche Zustände. Gerade in der Schweiz hätte sie für den vergleichsweise hohen Mietpreis (630 Fr. für 12 Quadratmeter) eine bessere Wohnsituation erwartet. 2019 habe dann die Renovierung begonnen und es kam zu hohen Lärmbelastungen. Da sie als Austauschstudierende keinen anderen Rückzugsort besass, forderte sie eine Mietszinsreduktion ein. Die Antwort der Verwaltung: Wer das nicht einstecken könne, müsse sich halt eine neue Lösung suchen. Harte Worte für eine Verwaltung, deren Hauptmieter*innen aus Studierenden bestehen, die bekannterweise finanziell eher eingeschränkt sind. Amira erstaunte diese unfreundliche und abweisende Kommunikation, insbesondere da die
Universität Bern sich als Hauptpartnerin der Wohnvermittlung ausweist. Gerade für ausländische Studierende sollte das ein Vertrauenshinweis sein.
«Wir haben keine Hinweise auf systematische Diskriminierung von Studierenden.»
Kritik an der Infrastruktur ist seit der Renovierung redundant. Die neu angebotenen Zimmer überbieten das durchschnittliche Studierendenheim an Komfort, Luxus und modernem Charakter wohl bei weitem. Unter 700 Fr. findet sich zwar keines der 209 Zimmer und Studios, dafür sind darin Bettwäsche mit Wäscheservice, Möblierung, Nebenkosten und WLAN wie auch Anteil am Badezimmer und der Küche mitsamt Kochutensilien inklusive. Studentlodge-Geschäftsführerin Ledermann meint dazu, der «All-inclusive»-Preis liege unter vergleichbaren Marktangeboten. Das mag stimmen. Doch auch die WG-Zimmer an Standorten wie der Bümplizstrasse kosten die Studierenden durchschnittlich 600 Fr. im Monat. Was in einem Quartier wie der Länggasse oder der Lorraine preiswert wäre, scheint an so peripheren Standorten wie Bethlehem und Bümpliz dennoch überteuert. Dies war auch der Grund für die Aufkündigung der Zusammenarbeit vonseiten der SUB. Studentlodge wird in dieser Debatte wohl aber nicht der einzige Player sein. Auch die Berner Immobiliengenossenschaft Fambau, der einige der von Studentlodge verwalteten Wohnblöcke gehören, wird wahrscheinlich ihren Teil zum kontroversen Preis-Leistungsverhältnis beitragen.
Tolerantes Zusammenleben
Der Ton ist aber nicht durchwegs negativ. Für viele Studierende sind die Wohnmöglichkeiten von Studentlodge ein Zuhause wie jedes andere auch. Manche sind geradezu begeistert. «Ich finde es ein super System», meint Joanne, die ebenfalls in Bethlehem in einer von Studentlodge verwalteten WG lebt. «Es leben so viele Studierende hier, sowohl in Bethlehem selbst als auch in meinem Block. Und es herrscht eine Riesentoleranz. Die Verwaltung scheint wirklich darauf eingestellt, mit Studierenden zu tun zu haben.» Schlechte Kommunikation oder Missstände bei Rechnungen seien ihr bisher noch nie begegnet. Im Gegenteil, mit der für das Haus verantwortlichen Person hätten sie es sehr gut und es wären auch schon oft Rechnungen übernommen worden. Das Zimmer, das sie für etwa 600 Fr. mieten kann, findet sie sehr preisgünstig. Dass der Verein im selben Gebäude sein Büro hat und damit auch jederzeit direkter Ansprechpartner für die Studierenden sein kann, könnte natürlich mit ein Grund für die gute Kommunikation und das entspannte Verhältnis sein.
«Es ist wichtig, dass man genau hinschaut und sich wehrt, nachhakt. Sonst passiert gar nichts.»
Auch für Studierende wie Pascal oder Jasper, die regelmässig Missständen begegnen, ist Ausziehen keine Option. Abgesehen von den Problemen mit der Verwaltung sind sie mit der WG und ihren Mitbewohner*innen sehr zufrieden. Aber was tun, wenn man sich nicht alles gefallen lassen will?
Informieren und Einfordern
Der MieterInnenverband Bern ist der Ansprechpartner für alle Mieterinnen und Mieter. Während viele ihrer Angebote den Mitgliedern vorbehalten oder zumindest für diese vergünstigt sind, stellt der Verband auf der Webseite einen Ratgeber für Mietrecht zur allgemeinen Verfügung. Dieser hält für jede Phase eines Mietverhältnisses (vor und auch nach dem Mietantritt) Hinweise bereit. Sabine Meier, Geschäftsführerin des MieterInnenverbandes, sieht die WG-Situation als eine klassische und gute Wohnlösung für Studierende. Die Vorgänge zur Beantragung und Auflösung eines Mietverhältnisses seien natürlich besonders für ausländische Studierende eine Herausforderung, diese würden sich daher oft beim Verband melden. Studierenden, die sich in ihrem Mietverhältnis ungerecht behandelt fühlen, rät Meier, sich ausführlich zu informieren und auch zu wehren. «Wir haben zwar keine Hinweise auf systematische Diskriminierung von Studierenden, aber es ist eine Tatsache, dass junge Leute, WG’s und Leute mit niedrigem Einkommen nicht überall willkommen sind», stellt sie fest. Als Mitglied einer WG sollte man folglich von Vornherein klären, wer welche Verantwortung trägt und vor allem auch wer die Kommunikation mit den Vermieter*innen übernimmt.
Sich beim MieterInnenverband zu informieren oder wenn nötig sogar eine Rechtsberatung zu Rate zu ziehen, ist eine gute Möglichkeit, sich zu informieren und so gegebenfalls wehren zu können. Auch die Stadt Bern bietet Unterstützung und Schlichtung bei Streitfällen zwischen Verwaltung und Mieter*innen an. Telefonisch können dort kostenlos Auskünfte bezüglich Mietrecht eingeholt werden. Komplizierte Fälle können auch in einer persönlichen Beratung besprochen werden. Als Studierende dürfen wir uns nicht nur im Unrecht sehen, sondern sollten auch aktiv eine faire Behandlung einfordern. Das sieht auch Chloé so, die Neuzuziehenden immer wieder die Spielregeln erklärt: «Es ist wichtig, dass man genau hinschaut und sich wehrt, nachhakt. Sonst passiert gar nichts.»