Anton (21) aus Tirol fragt: Was geht ab?

Lieber Anton

Um es vorneweg zu nehmen, dieses Jahr geht erst mal gar nichts ab. Kein «und ich flieg, flieg», kein «geh mal Bier holen» und kein «Mamma Lauda». Keine Schraubdeckel von kleinen Schnapsfläschchen an der Nase, keine Polonaise und kein Shotski. Denn egal wie die Regierungen Europas über den Betrieb der Berg­bahnen diesen Winter entscheiden werden, Après-Ski gibt’s dieses Jahr nicht. Und daran könnte mensch sich glatt gewöhnen.

Klar, als eidgenössisch ausgewiesener allgemeiner Experte bin auch ich ein Freund des Schneesports. Und ja, das eine oderandere isotonische Hopfengetränk gehört da nach einem Tag voller geschnittener Schwünge, One-Eighties und halbspektakulärer Stürze selbstverständlich dazu. Doch was sich da alljährlich Abend für Abend in den Spunten und Festzelten der Schweizer Bergtäler zuträgt, bringt selbst den Experten ans Ende seines Höchstalemannisch. Was geht da verdammt noch mal ab?

Um dies beantworten zu können, müssen wir uns zuerst fragen «wer geht ab»? Jedenfalls nicht das übliche Partyvolk. Da schunkelt die vierfache Mutter neben dem Sachbearbeiter einer Versicherung und der kürzlich in die mittlere Führungsetage aufgestiegenen Mitdreissigerin. Kurz: hier versammelt sich, was gemeinhin unter dem Begriff «Mehrheitsgesellschaft» zusammengefasst wird und sich mithilfe von Fröschlis und Kafi Lutzes in eskapistischer Primitivität verliert. Denn Teil der Mehrheitsgesellschaft zu sein ist nicht immer einfach. Gross ist die Furcht davor, auf- beziehungsweise abzufallen. Und so entlädt sich der aufgestaute Exzess nur im institutionell vorgegebenen Rahmen. Und ein solcher ist das Après-Ski. Doch genug der Party-Soziologie. Corona nervt, Après-Ski genauso und vor allem unabhängig davon.

Deshalb, lieber Anton, mein Rat an dich: Suche nicht den grossen, gesellschaftlich akzeptierten Exzess. Suche den kleinen Exzess im Alltäglichen. Streich den Gartenzaun bunt statt weiss, zeige bei der nächsten Ausweiskontrolle voller Überzeugung deine Mickey Mouse Club-Mitgliedskarte, die bestimmt noch in einer Kiste auf dem Dachboden liegt. Reiss das 3für2-Aktionspack auf und nimm dir nur eine Packung, geh mal in Jogginghose raus. Wir wollen doch eigentlich alle nicht Teil hiervon sein, was auch immer das ist. Es beginnt im Kleinen.

Exzentrische Grüsse,
dein Experte.