Bündner Hochjagd: Wenn der Hirsch läuft

Dem Jagdinstinkt gefolgt – eine Studentin zwischen Schusslärm und Stille auf der Bündner Hochjagd.
Es ist später Nachmittag und die Brunftschreie der Hirsche ertönen im ganzen Tal, als ich zum ersten Mal in meinem Leben zur Jagd aufbreche. Die Brunft hat hier im Prättigau noch nicht einmal richtig begonnen und schon jetzt ist das Röhren der Hirsche allgegenwärtig. Jägerin Sändy, Rucksack und Gewehr über der Schulter, geht mir voraus die Weide hinunter.
Von der Jagdhütte aus sind es nur knappe zwanzig Minuten bis zum Jagdsitz, wo wir heute Abend ansitzen werden, in der Hoffnung, einen Hirschen, ein Reh oder vielleicht auch eine Gams zu sehen und – im besten Fall – erlegen zu können. Also Sändy natürlich, nicht ich. Die Jägerin widerspricht den gängigen Klischees des alten, bärtigen Jägers von Kopf bis Fuss. Von Beruf Coiffeuse und Visagistin, trägt Sändy lange schwarze Fingernägel, Permanent-Make-Up und hat zwei kleine Kinder. Seit sieben Jahren geht sie auf die Jagd, bevorzugt auf Hirsch, weil sie deren Fleisch am liebsten mag. In diesem Jahr konnte sie zum ersten Mal zusammen mit ihrem Ehemann in die Jagdhütte von Kurt und Nina, einem befreundeten Jägerehepaar.
Zusammen mit einer Kommilitonin bin ich auch zum ersten Mal auf dieser Jagdhütte, auf einer Jagdhütte überhaupt. Wir arbeiten zusammen an einem Forschungsprojekt über die Hochjagd in Graubünden. Aber anthropologische Theorien und Methodologien scheinen plötzlich weit entfernt auf dieser morastigen Weide mit der eindrücklichen Schesaplana-Bergkette vor Augen.
Und um ehrlich zu sein: Ich bin etwas nervös, unsicher, wie ich mich richtig zu verhalten habe, unsicher, wie ich reagieren werde, falls wirklich ein Tier geschossen wird. Auch wenn ich schon oft mit Jäger*innen über diese Momente gesprochen habe.
Die Verwandlung
Wir überqueren eine Brücke und erreichen den Wald im Talboden. «Ab hier müssen wir leise sein», meint Sändy und schleicht voraus zwischen den licht gestreuten Fichten hindurch. Kurz vor der Lichtung hält sie an, weist mich auf eine grüne Blache hin, die im Abendlicht aufflackert. Da ist der Sitz. Jetzt ziehen wir uns schweigend um.
Und plötzlich wird mir ganz ernst zumute. Vor meinen Augen vollzieht sich eine Verwandlung, als Sändy einen grünen Pullover, Jacke, eine den ganzen Kopf und Mund bedeckende Mütze und zum Schluss grüne Handschuhe anzieht. Plötzlich steht vor mir nicht mehr die junge, quirlige Coiffeuse, sondern eine hochkonzentrierte Jägerin.
Plötzlich steht vor mir nicht mehr die junge, quirlige Coiffeuse, sondern eine hochkonzentrierte Jägerin.
Auch ich habe ein dunkles Stirnband und Handschuhe mitgebracht. Hirsche und Rehe sehen zwar im Vergleich zu Gämsen nicht besonders gut, dagegen reagieren sie besonders aufmerksam auf Hell-Dunkel-Kontraste und Bewegungen. Zwei helle Hände, die in einer raschen Bewegung den Feldstecher zum Gesicht führen, sind schnell verdächtig und können zur Flucht des Wildes führen. Nun schleichen wir ganz langsam und behutsam zum Sitz, halten immer wieder an, um zu sehen, ob sich nicht doch schon ein Tier auf der Lichtung befindet.
Alle Geräusche scheinen lauter zu sein, das Knacken der Zweige, auf die wir treten, das Rascheln meiner Regenjacke. Ich atme zu laut. Der Sitz ist ein Bodensitz, gut mit Tarnnetzen verhängt, in der Mitte zwischen zwei Schneisen im Wald. Die beiden Schneisen sind relativ nahe, man sieht etwa bis 120 Meter. Die optimale Schussdistanz beträgt 80 bis 120 Meter, geschossen werden darf aber in Graubünden gesetzlich bis 200 Meter.

Vom Hirsch abgeworfene Geweihe, die in der freien Natur gefunden wurden.
Wir befinden uns jetzt direkt an der Grenze zum Wildasyl, in dem nicht gejagt werden darf. Die Tiere bewegen sich hier etwas freier, sicherer. Deshalb gibt es hier in der Gegend einige Boden-und Hochsitze. Hirsche jagt man meist durch Ansitzen. Ab und zu wird getrieben, was so viel heisst wie dass ein Jäger, eine zweite Jägerin durch den Wald läuft, um Unruhe zu schaffen und Tiere zu den anderen Kamerad*innen hinauszutreiben. Je mehr Jägerinnen und Jäger dabei involviert sind, desto grösser die Chance auf Beute. Eine Möglichkeit, die besonders für Gämsen und Rehe angewendet wird, ist auch, eine Gegend nach Wild zu durchpirschen.
Geduldsprobe
Sändy platziert ihr Gewehr auf der Jacke und wir warten. Das hört sich so einfach an. Aber wann seid ihr zum letzten Mal drei Stunden lang auf dem gleichen Flecken gesessen, ohne euch zu rühren und ohne zu sprechen? Ab und zu traue ich mich, ganz langsam mein Gesicht zu bewegen, um etwas mehr nach rechts oder links schauen zu können. Plötzlich, in der Stille, in der Langeweile, werden alle Geräusche und Bewegungen bedeutsam. Der Ruf eines Eichelhähers könnte ein Tier ankündigen, das gleich aus dem Wald ins Freie treten wird. Die Brunftschreie scheinen täuschend nah zu sein.
Aber wann seid ihr zum letzten Mal drei Stunden lang auf dem gleichen Flecken gesessen?
Sändy bewegt ihr Gewehr und ich denke: Sie hat etwas gesehen. Aber nichts passiert. Und wir warten. Mir schlafen abwechslungsweise die Füsse und der Hintern ein, manchmal starre ich solange auf dieselbe Stelle, dass ich das Gefühl habe, alles verschwimmt vor meinen Augen. Plötzlich ein Schuss. In der Stille so laut, dass wir beide hochschrecken. Wir können aber nicht orten, wo geschossen wurde. Und gleich darauf warten wir auch schon wieder. Und warten.
Nach einer Weile zieht Sändy den Handschuh aus und hält die Hand nach draussen. Sie prüft die Windrichtung, ein weiteres Kriterium für den Jagderfolg. Kommt der Wind aus dem Tal, haben wir Pech, dann werden uns die Hirsche höchstwahrscheinlich riechen, bevor wir sie sehen können. Aber der Wind hat gegen Abend zum Glück gedreht, es ist Fallwind und das ist günstig für uns. Trotzdem scheinen wir kein Glück zu haben.
Respekt vor dem Tod
Es dämmert schon, langsam verschwimmen die Konturen, die Farben, es wird schwierig auf die Distanz Dinge zu fixieren. Da taucht plötzlich ein schmales Hirschtier auf, eines ohne Geweih. Ganz lautlos tritt es aus dem Wald hinaus und beginnt quer durch die Schneise zu äsen. Sändy schaut sich mit dem Feldstecher das Tier genauer an. Dann legt sie das Gewehr an und visiert es.
Aus der Langeweile ist in einem Augenblick höchste Konzentration und Anspannung geworden. Ich weiss, was gleich passieren wird, verschiedene Jäger*innen haben mir schon davon berichtet und trotzdem weiss ich nicht, wie ich reagieren werde. Sändy wird auf den Brustkorb des Hirsches zielen, um ihn tödlich zu verletzen. Er wird auf der Stelle umfallen, oder sich noch etwas bewegen, vielleicht sogar kurz weiterlaufen und erst dann zusammenbrechen.

Der Bodensitz am Bach – Orange Farben wie die Rucksackhülle kann das Wild nicht erkennen und sind deshalb unproblematisch.
Dann werden wir warten, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten. Um das Tier in Ruhe sterben zu lassen. Wie es Claudia, eine befreundete Jägerin aus dem Unterengadin, ausdrückte: «Einerseits braucht es einen Moment bis der letzte Herzschlag, der letzte Atemzug dann wirklich getan ist. Andererseits wissen wir ja abgesehen vom biologischen Vorgang nicht, was eigentlich passiert, wenn ein Lebewesen stirbt. Wir wissen es ja nicht einmal von uns selber.» Dann kommt der für viele Jäger*innen emotionalste Moment der Jagd. Wenn sie zum toten Tier hingehen, sehen, ob sie gut getroffen haben, oder ob das Tier noch leiden musste.
«In diesem Moment empfindet man vieles: Freude, Erleichterung, Stolz, Trauer, Dankbarkeit, Respekt vor dem Tier», meinte Nina dazu, «Aber Mitleid nicht, nein. Man wollte dieses Tier ja schiessen.» Nach dem Tod muss das Wild möglichst schnell ausgeweidet werden, das heisst, die inneren Organe müssen entfernt werden. Sie werden meist vor Ort liegen gelassen und dann von Fuchs und Krähen gefressen. Dann legt man dem Tier den letzten Bruch ins Maul, das ist ein Zweig oder Gras, etwas, das es während seines Lebens wohl gefressen hat. Es ist sozusagen eine letzte Ehrerbietung, die man dem Tier mitgibt.
«In diesem Moment empfindet man vieles: Freude, Erleichterung, Stolz, Trauer, Dankbarkeit, Respekt vor dem Tier», meinte Nina dazu, «Aber Mitleid nicht, nein. Man wollte dieses Tier ja schiessen.»
Schliesslich muss das Wild in die Abschussliste eingetragen werden, die man später dem Wildhüter zeigt. Sonst gilt es als gewildert. Das alles weiss ich und habe doch Angst, dass ich im Moment des Schusses schreien werde. Aber ich schreie nicht. Weil Sändy nicht schiesst. Und der Hirsch weiterzieht, unwissentlich der Gefahr entkommen, und im hohen Gebüsch verschwindet. Im Dämmerlicht ist er schnell nicht mehr sichtbar. Wir warten noch zehn Minuten, ob noch ein anderes Tier auftaucht und machen uns dann auf den Rückweg.
Obwohl offiziell noch bis um acht Uhr geschossen werden darf, ist es jetzt um zwanzig vor eigentlich schon zu dunkel dazu. Auf dem Rückweg erklärt mir Sändy, warum sie nicht geschossen hat. Der Hirsch war sehr klein gewesen und in der Dämmerung war nur schwer erkennbar, ob es ein Jahrtier, eine junge Hirschkuh oder doch noch ein Kalb war. Da sich die Hirsche in der Nähe des Asyls sicherer fühlen würden, komme es manchmal auch vor, dass eine Hirschkuh ihr Kalb alleine herumstreifen liesse. Jahrtier und Hirschkuh hätte Sändy schiessen dürfen, ein Kalb aber nicht, die gelten als nicht jagdbar. Deshalb hatte sie es unterlassen.
Bewusste Regulierungen
Auf der Hochjagd, die in Graubünden während drei Wochen im September stattfindet, dürfen nicht alle Tiere gejagt werden. Im Fokus stehen vor allem Gämsen, Hirsche und Rehe und zu jeder dieser Tierarten existieren noch spezifische Regelungen. So muss bei Gämsen als erstes immer eine nicht säugende Geiss geschossen werden, bevor ein männliches Tier, ein Bock, erlegt werden darf. Bei Hirschen dürfen keine Kälber und führenden Hirschkühe geschossen werden.
Männliche Tiere, die Hirschstiere, dürfen alle erlegt werden, mit Ausnahme der langen Spiesser und Kronenhirsche. Spiesser sind junge Hirschen, deren Geweih noch keine Verästelungen aufweist. Sind die Spiesse länger als die Ohren, dürfen sie nicht geschossen werden bzw. sind nur an bestimmten Tagen während der Jagdsaison jagdbar. Dasselbe gilt für Kronenhirsche, bei denen beide Geweihe in mindestens dreizackigen Kronen enden. Diese äusserst strengen Regeln wurden für ein optimales Wildtiermanagement aufgestellt. Gäbe es sie nicht, würde zum Beispiel das Geschlechter- und Alterverhältnis schnell durcheinander gebracht oder die Reproduktion und Resilienz einer Population beeinträchtigt werden.
Auf dem Rückweg treffen wir auf einen Jäger, der mehr Erfolg hatte als wir. Sein Sohn hat den Stier auf die Ladefläche seines Jeeps geladen und wird ihn noch heute zum Wildhüter und danach zum Metzger bringen. Wir gratulieren dem Vater und ich bestaune das Tier, das wunderschön und erstaunlich massiv anzusehen ist. Der Hirsch liegt mit aufrechtem Haupt auf der Ladefläche, die mit Tannenzweigen ausgelegt ist. Auch er hat den letzten Bruch im Mund, die Zunge hängt seitlich heraus.

Der erlegte Hirsch auf dem Weg ins Dorf, im Maul den letzten Bruch.
Einige Jäger*innen bringen das Wild zum Metzger, andere zerlegen es lieber eigenhändig. «Beim Zerlegen lernt man das Tier nochmals besser kennen. Der Wildkörper zeigt einem, wo und wie ein Tier gelebt hat, in welcher Verfassung es war und manchmal auch die konkreten Spuren, die der herausfordernde alpine Alltag hinterlassen hat», erklärte uns Claudia. Ausserdem sei es befriedigend, ein Handwerk vom Anfang bis zum Ende auszuführen. Dann wisse man am Schluss wirklich woher das Fleisch kommt, findet auch Nina. Und am Ende geht es ja vor allem um das Fleisch. So ein Hirsch kann gut und gerne 80 bis 170 Kilo wiegen, das ergibt je nach Trefferlage 40 bis 85 kg Fleisch.
Einige Jäger*innen bringen das Wild zum Metzger, andere zerlegen es lieber eigenhändig.
Während Gämsen noch mit zusammengebundenen Beinen auf dem Kopf transportiert werden können, müssen Hirsche deshalb von Muskelkraft oder mithilfe einer Seilwinde gezogen werden. Für den Abtransport von Beute darf mit dem Auto auch ins Jagdgebiet hineingefahren werden. Jäger dürfen ansonsten nicht fahren. Sie müssen das Auto im Siedlungsgebiet oder auf einem eigens dafür gekennzeichneten Parkplatz stehen lassen und «iigoo», das heisst, zu Fuss ins Jagdgebiet laufen.
Das soll einerseits den Jagddruck auf das gesamte Jagdgebiet verteilen und verhindern, dass ein regionaler Jagdtourismus entsteht. Alle sollen dort jagen, wohin sie es zu Fuss schaffen.
Es geht nicht um die Jagd
Der Sohn muss weiter, er möchte noch heute wieder ins Dorf zurück. Auch wir möchten nach Hause, sind beide müde. Vor der Hütte läuft uns Hündin Faya entgegen. Sie ist der Schweisshund von Riccardo, Sändys Ehemann. Mit ihr arbeitet er als Schweisshundeführer, das heisst, er wird angerufen, wenn ein*e Jäger*in ein Tier nicht richtig getroffen hat und eine Nachsuche unternommen werden muss. Ziel der Nachsuche ist es dann, das verletzte Tier möglichst schnell zu finden und zu erlegen. Der Hund ist darauf trainiert, der Schweissspur zu folgen. Schweiss ist im Übrigen eines dieser verschlüsselten Wörter der Jagdsprache. Es bedeutet Blut.
Abends sitzen wir noch gemütlich zusammen, die vier Jäger*innen und wir zwei Studentinnen. Es werden Pläne geschmiedet für den nächsten Tag. Wer welchen Sitz nutzen wird, wo die grössten Chancen stehen, einen Hirsch anzutreffen. Ich werde Nina begleiten können. Je später die Stunde, desto mehr wird über Gott und die Welt diskutiert. Und über die Revision des Jagdgesetzes, über das zu diesem Zeitpunkt erst noch abgestimmt werden wird.
Die vier Jäger*innen sprechen sich sehr für das Gesetz aus. «Es geht ja eigentlich nicht um die Jagd. Aber wir leben doch alle zusammen, Jäger, Förster, Bauern. Deshalb müssen wir solidarisch abstimmen», meint Nina dazu. Nicht alle Jäger*innen, mit denen wir während unseres Forschungsprojekts gesprochen haben, teilen diese Meinung.
Aber am 27. September wird der Kanton Graubünden dann einer der Kantone sein, die sich am stärksten für das Jagdgesetz ausgesprochen haben. Und damit ganz knapp auf der Verliererseite stehen. Davon, dass alles so bleiben wird wie bisher, ahnen wir aber an diesem kühlen Abend mitten in der septemberlichen Jagdsaison noch nichts. Stattdessen hoffen wir vor allem darauf, dass es im Wald nicht so ruhig bleibt wie bisher und wir am nächsten Tag grösseres Jagdglück haben werden.
Wechselseitige Anpassung
Es ist dunkel und nass, als wir aufstehen. Mit einer roten Stirnlampe beginnen wir die einstündige Wanderung zum Jagdsitz. Das rote Licht ist weniger auffällig in der Dunkelheit als eine normale Stirnlampe. Trotz der frühen Stunden hört man jetzt schon die Hirsche röhren. Es ist das einzige Geräusch in der Frühe.
Als wir beim Sitz ankommen, ist es kurz vor sieben. Um sieben Uhr haben wir genügend Schusslicht, schiessen dürfte man aber gesetzlich schon seit halb sieben. Der Sitz ist gerade neben einem Bach, über den ein Wildwechsel führt. Der Bach ist so laut, dass wir sogar leise miteinander flüstern können. Gegenüber sehen wir direkt ins Wildasyl. Mit dem Feldstecher erkenne ich fünf Hirsche, die geruhsam äsen. Weshalb ist auf unserer Seite so wenig los? Schon seit Beginn der Jagd Anfang September seien ungewöhnlich wenig Hirsche unterwegs gewesen. Gründe dafür könnte die ungewöhnliche Betriebsamkeit von Wanderer*innen und Pilzler*innen aufgrund Covid-19 sein, die starke Hitze, wegen der die Hirsche lieber im Schatten des Waldes blieben. Oder auch der Versuch in den letzten drei Jahren an einzelnen Tagen der Jagd die Wildasyle für die Jagd zu öffnen.

Fleischhaken, Säge und Messer zur Eigenverwertung des Wildes.
Die österreichische Grenze ist gleich auf dem nächsten Grat. Und die Hirsche lernen schnell. Werden sie drei Jahre nacheinander auch im Asyl bejagt, weichen sie im kommenden Jahr sehr schnell über die Grenze aus, und entkommen so dem hiesigen Jagddruck. Jagen ist eine kontinuierliche Interaktion und gegenseitige Anpassung zwischen Jäger*in und Tier. Jäger*innen passen sich möglichst an die Natur an, um an das Wild zu gelangen. Und das Wild reagiert auf sie mit veränderten Verhaltensmustern.
Die Steinböcke sind ein gutes Beispiel dafür. Nach ihrer Wiederansiedlung Anfang des 20. Jahrhunderts wurden sie jahrzehntelang nicht bejagt. Auch heute sind sie geschützt und die Steinbockjagd entsprechend streng reguliert. Und die Steinböcke auch dementsprechend wenig auf die Gefahr hin sensibilisiert. Einmal sei sie mit dem Gewehr inmitten eines Rudels Steinböcke gesessen, erzählt mir Claudia, und habe ein Rudel Gämse beobachtet, das sich weiter unten in einer Mulde befand. Die Steinböcke hätten nicht mal zu ihr hingeschaut. Sie fühlten sich komplett sicher.
Läuft der Hirsch noch?
Ausser den Hirschen im gegenüberliegenden Wildasyl sehen wir an diesem frühen Morgen keine Tiere. Um halb zehn machen wir uns wieder auf den Rückweg. Wenn bis jetzt kein Wild den Wechsel benutzt hat, ist es unwahrscheinlich, dass vor dem Abend welches auftauchen wird. Bei der Jagdhütte treffen wir auf die anderen, die ähnlich wenig Erfolg gehabt haben. Trotz der hinter den Wolken hervor blinzelnden Sonne, ist die Stimmung deshalb gedrückt.
Es bleibt nur noch die Hoffnung auf die anlaufende Brunft und den Schnee.
Langsam bleibt nur noch die Hoffnung auf die anlaufende Brunft und den Schnee, den der Wetterbericht für Ende Woche versprochen hat. Beides wird schwächere Tiere aus dem Asyl treiben und mehr Bewegung in die Hirschpopulationen bringen. Wir bekommen jedenfalls keinen weiteren zu sehen während unseres Aufenthaltes. Aber einige Tage später, mittlerweile schon wieder zurück im universitären Alltag, bekomme ich ein Foto zugeschickt. Sändy hat doch noch eine einjährige Hirschkuh erlegt. Auf dem Foto sieht man die beiden mitten im Schnee, Sändy strahlt, die Hirschkuh liegt an sie angelehnt auf einigen Tannzweigen. Sie sieht aus, als würde sie schlafen.