«Studiert Georgisch!»

Franz Hohler. Bild: Sam von Dach
Die bärner studizytig hat Franz Hohler zum Interview getroffen. Ein Gespräch über die Schweiz, Blumen und den Weltuntergang.
Sie sind mit dem Zug gekommen?
Ja, zum Glück. Ich habe gehört, ein Hackbrett sei noch unterwegs mit einstündiger Verspätung. (Anm. d. Red.: Am Abend fand ein Auftritt Hohlers mit Band im «La Cappella» in Bern statt. Auf der Autobahn zwischen Zürich und Bern war Stau.)
Was ist Ihnen während der Zugfahrt durch die Schweiz aufgefallen?
Ich bin inzwischen ein derart abgehärteter Zugfahrer – auf einer Strecke wie Zürich – Bern schaue ich kaum noch aus dem Fenster. Aus einem Instinkt heraus weiss ich aber jeweils, wann der Zug am Kernkraftwerk Gösgen vorbeifährt. Ich schaue dann, ob es noch läuft.
Und?
Es läuft noch.
Mal abgesehen von den Eindrücken während der Zugfahrt. Wie steht es um die Schweiz?
Ich will trotzdem mit der Zugfahrt beginnen. Wenn man von Zürich nach Bern fährt, dann fährt man praktisch durch eine einzige Agglomeration. Das Mittelland gleicht einem Stadtstaat wie Singapur. Wir sind ein unglaublich dicht besiedeltes Land.
«Ich sehe die SVP als rückwärtsgewandte Partei, die gleichzeitig aber ein beachtliches Tempo anschlägt.»
Sie haben eine Serie von Geschichten verfasst, in denen Sie Orte beschreiben. Was denken Sie, wenn Sie heute, Jahre später, diese Orte sehen? Wie erleben Sie die Veränderungen der Landschaft?
Für jemanden, der das noch anders erlebt hat, ist das schon irritierend. Wenn man leere Flächen sieht, überlegt man sich, gleich einem Architekten, was dort wohl mal stehen könnte. Gestern auf einer Fahrt durch Zürich im Bus Nummer 32 bin ich an einer der letzten grossen, unberührten Wiesen vorbeigekommen. Auf dem Plakat vor der Wiese werden Wohnungen angepriesen, die dort entstehen. Das ist für mich ein schmerzlicher Anblick.
Zurück zur Lage der Schweiz. Wie sieht die denn nun aus?
Nun, bei den letzten Wahlen konnte die SVP ja zulegen. Letztlich ist es ihr gelungen, Angst zu mobilisieren. Aber auch eine Sehnsucht. Die Sehnsucht nach einer Schweiz, wie sie einmal war. Doch die gibt es nicht mehr. Die Schweiz ist ein geteiltes Land, das hat die Diskussion um die Flüchtlinge gezeigt. Ein Teil der Bevölkerung sieht die Schweiz als offene Gesellschaft und versteht sich als ein Teil der Welt. Ein anderer, grosser Teil der Bevölkerung will sich abschotten und sagt: «Wir sind die Herren im Land.» Ich sehe die SVP als rückwärtsgewandte Partei, die gleichzeitig aber ein beachtliches Tempo anschlägt. Das erinnert mich an die Sage des Stiefelreiters. Er reitet im Galopp, aber mit verkehrtem Kopf. Manchmal kommt mir die Schweiz ähnlich vor. Wir müssen mit der Zeit rennen und gleichzeitig versuchen wir, am Vergangenen festzuhalten.
«Der Gedanke, dass Kunst eine Lücke füllen müsste, ist für mich zu einfach»
Lukas Bärfuss hat in der FAZ verschiedene Vorwürfe gegen die Schweiz erhoben. Die Resonanz war durchzogen, vorwiegend aber defensiv und ablehnend. Was halten Sie von seinem Text?
Was mir daran gefiel, waren die Empörung und die Leidenschaft. Mit der er die Schwächen der Schweiz beschrieb. In den Erwiderungen hiess es dann, dass es nicht gerade sein bester Text geworden sei. Das sagt man oft aber nur, weil einem der Inhalt nicht passt. Ich fand den Aufbau brillant, wie er anfangs die Winzigkeit der Schweiz mit den «Swissmania» der Migros illustriert. Jedoch bin ich nicht mit allem einverstanden. Zum Beispiel bin ich nicht der Meinung, dass die Schweiz international eine immer kleinere Rolle spielt. Ich denke hierbei an die Rede von Simonetta Sommaruga vor der UNO oder an Didier Burkhalter als OSZE-Präsident. Nicht zu vergessen ist auch Heidi Tagliavini, eine Spitzendiplomatin, die massgeblich an den Verhandlungen zum Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine mitgewirkt hat.
Bärfuss kritisierte auch die Medien scharf. Bröckelt die 4. Gewalt?
Ein Stück weit schon. In meiner Jugend gab es in der Region Olten drei verschiedene Tageszeitungen. Das wäre heute undenkbar. Jetzt stehen wir vor dem Problem der Medienkonzentration. Zum Beispiel gehört das St. Galler Tagblatt zur NZZ oder Der Bund zum Tagesanzeiger. Dadurch geht ein Stück Meinungsvielfalt verloren. Auch werden einige Zeitungen immer mehr zu Meinungsblättern. Die NZZ hat seit der neuen Chefredaktion einen deutlichen Rechtsrutsch in Richtung Freisinn gemacht. Und die Ausrichtung der Basler Zeitung ist mit Blochers Beteiligung sowieso klar.
Entsteht da eine Lücke, die vielleicht gerade die Kunst füllen könnte, sollte oder müsste?
Es gibt ja schon Versuche in diese Richtung, etwa das Medienportal «Kunst und Politik». Doch der Gedanke, dass Kunst eine Lücke füllen müsste, ist für mich zu einfach. Wenn sich Kunst durch etwas auszeichnet, dann ist das die Freiheit. Die Freiheit des Ausdrucks, die Freiheit der Gestaltung, die Freiheit von denen, die künstlerisch tätig sind, genau das zu machen, was ihnen vorschwebt. Und wenn jemand findet, er müsse Blumen malen, dann malt er Blumen. Vielleicht in der schlimmsten Zeit. Doch umgekehrt kann eine Blume manchmal das einzige sein, was man allem Schlimmen auf dieser Welt noch entgegenhalten kann. Das Bild der Blume ist dann vielleicht genau das, was ein Mensch braucht. Ob sich die Kunst nun in den Dienst einer differenzierteren Diskussion stellen muss? Ich finde, die Kunst muss gar nichts. Ein Stück weit ist die Kunst ohnehin so tätig, indem sie reflektiert, was passiert und die Wahrnehmung davon unterstützt und hinterfragt.
«Ich denke, der Weltuntergang findet dauernd statt, auf verschiedenen Ebenen.»
Wenn Sie das Schlimme auf dieser Welt ansprechen… In einer Ihrer Geschichten prophezeien Sie gar den Weltuntergang. Wie weit sind wir denn damit schon?
(lacht) Wenn man so was schreibt, dann schreibt man das natürlich in der Hoffnung, es finde nicht statt. Oder als Warnung, pathetisch gesagt. Ich denke der Weltuntergang findet dauernd statt, auf verschiedenen Ebenen. Es ist nie ganz voraussehbar, was als nächstes kommt. Aber wir sind schon drauf und dran, diesen Planeten zu verramschen. Oder Grundlagen zu zerstören. Ich bin nach wie vor ein AKW-Gegner der ersten Stunde und werde auch noch einer der letzten Stunde sein. Wir können die Verantwortung für die radioaktiven Abfälle für hunderttausende von Jahren einfach nicht übernehmen. Das ist eine Illusion. Man denkt, das sei nicht mehr aktuell. Aber das kann morgen schon aktuell sein. Wenn man bedenkt, dass sie um den Reaktor des Mühleberg-Kraftwerks nun so eine Art Bruchbänder gemacht haben. Aber es gibt auch gute Gegenbewegungen. Gerade in der Abfallbewirtschaftung beispielsweise haben wir auch Fortschritte gemacht. Ich bin noch in Zeiten aufgewachsen, wo man plötzlich nicht mehr in die Aare durfte, weil es Fälle von Kinderlähmung gab. Oder denkt an die Solarenergie oder die Windenergie. Da habe ich durchaus auch Vertrauen in die Innovationsfähigkeit, in die Tüftler.
Da kommen grosse Aufgaben auf die Jungen zu. Haben Sie denn noch eine Botschaft an uns Studierende?
Studiert das, was euch interessiert. Und wenn das aus irgendeinem seltsamen Grund das Studium der georgischen Sprache ist, was niemandem etwas nützt und bringt, dann studiert Georgisch.