Harder, Better, Faster, Stronger

Perfekte Bodys auf Social-Media: Instagram trägt den Wettbewerb ins Gym. Illustration: Mirjam Klaus

12. März 2020

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Das Gym scheint in mancherlei Hinsicht der sportliche Bruder des Kapitalismus zu sein: Mit dem minimalen Aufwand zum maximalen Ergebnis, sich einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, besser aussehen als die anderen, leistungsfähiger sein. Doch auch wenn die beiden einiges gemeinsam haben, gibt es dennoch gewichtige Unterschiede.

Vor knapp 5 Jahren stellte Simon Küffer, alias Tommy Vercetti, in seiner Kolumne im Onlinemagazin Journal B eine originelle Theorie auf. Sie geht sinngemäss so: Die Arbeit am eigenen Körper ist die Suche nach Gerechtigkeit in einer kapitalistischen Welt, die ihr Versprechen von Arbeit und Ertrag nicht einlöst. «Wenn ein junger Mensch täglich ins Fitness geht, diszipliniert seine Übungen macht und sich an das hält, was er sich vorgenommen hat, dann erreicht er auch, was er sich vorgenommen hat. Sein Körper scheint ihn nicht zu enttäuschen – im Gegensatz zum Markt, wo der Zusammenhang von Fleiss und Erfolg, von Arbeit und Lohn längst zur Floskel geworden ist, und höchstens noch für die Finanzbranche gilt. Das Gym ist die gerechte und intakte Welt des Kleinbürgers», so Küffer.
Fitness und Kapitalismus, diese Verknüpfung ist nicht neu. Das Gym muss schon lange als Sinnbild der selbst­optimierenden Leistungsgesellschaft herhalten. Menschen stählen ihre Körper, um jedes Quäntchen Potential aus sich zu wringen, besser auszusehen, sich quasi einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Gefestigt wird diese Verbundenheit von der Gym-Rhetorik, die sich längst in die Wirtschaft festgeschrieben hat: Nicht nur menschliche Körper, sondern auch Unternehmen sollen «fitter» und ihre Administrationen «schlanker» gemacht werden, um gegen die Konkurrenz zu bestehen.
Das Interessante an Küffers Text ist nicht, dass er mit dieser Auffassung bricht, sondern, dass er sich ernsthaft bemüht, die Bande zwischen Fitness und Kapitalismus aus einer kritischen Warte zu untersuchen. Die These verdient es, weiter gedacht zu werden: Wo lassen sich weitere Parallelen zwischen Fitness und Kapitalismus ziehen?

Die Gym-Rhetorik hat sich längst in der Wirtschaft festgeschrieben: Nicht nur menschliche Körper, sondern auch Unternehmen sollen «fitter» und «schlanker» gemacht werden.

Shrugs für den Nacken

Wie kein anderer Sport pflegt Fitness die Struktur. Das fällt bereits auf, wenn man sich in ein Fitnessstudio begibt, das immer in verschiedene Bereiche unterteilt ist: Cardio, Freihanteln, Maschinen. Die räumliche Struktur orientiert sich dabei am jeweiligen Zweck der Geräte: Wer abnehmen will, geht aufs Laufband oder den Stepper, wer Muskeln aufbauen will zu den Hanteln und Maschinen. Je nachdem, mit welcher Absicht man sich in ein Fitnessstudio bewegt, braucht man sich nur in gewissen Bereichen davon aufzuhalten, nur gewisse Maschinen und Gewichte zu bewegen. Die verschiedenen Übungen, die mit den Maschinen und Freigewichten durchgeführt werden können, ergänzen sich und erfüllen je ihre (hoch)spezifische Funktion. Das driftet teilweise ins ­Absurde: Die sogenannten «Shrugs», bei denen die Sportler*innen Kurzhanteln in den Händen halten und dann die Schultern hochziehen, trainieren zum Beispiel ausschliesslich die Nackenmuskulatur. Ähnlich wie bei der fordistischen Fliessbandarbeit scheint eine konsequente Arbeitsteilung auch im Gym der effizienteste Weg das angestrebte Ziel zu erreichen. Dieser Effizienzgedanke findet im Trainingsplan einen weiteren Ausdruck.

Gewicht statt Umsatz

«Bist du zu schwach, um die Gewichte zurückzustellen? Dann brauchst du einen neuen Trainingsplan.» Dieser Satz, der über das Bild eines schmächtig aussehenden Mannes geschrieben steht, hängt in meinem Stamm-Fitness an nicht so prominenter Stelle an der Wand. Trotzdem lese ich ihn wöchentlich. Nicht, weil er eine non-sexistische Abwandlung des in der Szene weit prominenteren Spruchs «Bist du zu schwach, um die Gewichte zurückzustellen? Dann wende dich an unsere Mitarbeiterinnen» ist, sondern, weil er auf eines der wichtigsten Instrumente des Kraftsports hinweist: den Trainingsplan. Nirgendwo sonst nimmt die Planung der eigentlichen Aktivität einen derart prominenten Posten ein wie hier. Der Begriff «Trainingsplan» ist quasi für Fitness reserviert. Jedenfalls liefert eine entsprechende Google-Anfrage auf der ersten Seite ausschliesslich Ergebnisse aus diesem Bereich.
Zweck des Trainingsplans ist
das Erreichen der bestmöglichen Ergebnisse mit dem kleinstmöglichen Aufwand. Nicht umsonst finden sich zahlreiche Pläne mit Titeln wie «In nur einem Monat zum Traumkörper». Die Betonung der Effizienz eines Plans (nur ein Monat, dann sind schon Ergebnisse sichtbar) legt die Zweckrationalität hinter dem Sport offen. Fitness hat weniger Selbstzweck als andere Sportarten, sondern holt sich seine Berechtigung extern, etwa beim Versprechen, besser auszusehen, sich fitter zu fühlen oder leistungsfähiger zu sein. Ein Trainingsplan macht das Erreichen dieser Ziele kalkulierbar und löst das Versprechen des Sports überhaupt erst ein.
Mit der kontinuierlichen Anpassung des Trainingsplans an die persönlichen Fitnessziele findet sodann eine Profitmaximierung statt, wie sie auch die Wirtschaft kennt. Um unsere Leistung zu bewerten, greifen wir dabei, wie Unternehmen, auf Kennzahlen zurück: Anstelle der Liquidität messen wir unser Gewicht, statt über den Umsatz Buch zu führen, beäugen wir uns im Spiegel. Die dadurch gewonnene Erkenntnis nutzen wir, um den Trainingsplan zu optimieren. Hat sich der Rücken nach ein paar Monaten nicht entwickelt, wie zu Beginn angedacht? Dann kommen mehr Klimmzüge ins Programm. Kaschiert eine hartnäckige Fettschicht die Bauchmuskeln? Dann gehts nach jedem Training noch zwanzig Minuten aufs Laufband. «Bist du zu schwach, um die Gewichte zurückzustellen? Dann brauchst du einen neuen Trainingsplan.»

Ein Sport ohne Wettbewerb

Zentral für eine kapitalistische Wirtschaft ist der Wettbewerb als oft beschworener Innovations-Katalysator und Triebfeder eines effizienten Umgangs mit knappen Ressourcen. Die Idee: Wer sich auf einem kompetitiven Markt behaupten und nicht von der Konkurrenz überholt werden will, muss die eigene Produktion möglichst effizient, ressourcenschonend und innovativ organisieren. Davon profitierten die Konsument*innen, die aus einer breiten Palette von Produkten jenes aussuchen können, das ihre Bedürfnisse am besten befriedigt.
Mit dem Wettbewerb im Fitness ist es etwas weiter her als mit der Effizienz und der Profitmaximierung. Eingangs muss festgehalten werden, dass der Sport an sich keinen eigentlichen Wettbewerb kennt. Natürlich gibt es das kompetitive Bodybuilding. Jedoch dürfte lediglich eine vernachlässigbare Minderheit aller Gym-Besucher*innen tatsächlich einmal im Leben eine Bühne betreten, um in Konkurrenz zu anderen Kraftsportler*innen den eigenen Körper von einer Jury bewerten zu lassen.
Dies im Gegensatz zur krassen Mehrheit der übrigen Sportarten, die allesamt einen institutionalisierten Wettbewerb kennen und in der Regel in Konkurrenz ausgeübt werden. Selbst beim Fussballspielen auf dem Pausenplatz wird selten nur der Ball hin und her gekickt. Stattdessen werden innovative Wege gefunden, auch dann die fussballerischen Fähigkeiten zu messen, wenn kein Tor zur Verfügung steht. Im Gym ist das anders: Die überwiegende Mehrheit der Menschen betreibt den Sport geräuschlos.

Waren sind vergleich- und austauschbar. Sie lassen sich anhand klarer Kriterien in gut und schlecht einteilen. Das Übertragen solcher Denkmuster auf den menschlichen Körper ist toxisch.

Der Körper wird zur Ware

Das Fehlen eines institutionalisierten Wettbewerbs bedeutet jedoch nicht, dass Fitness keinen Wettbewerb kennt, sondern lediglich, dass dieser dem Sport nicht inhärent ist. Vielmehr wird er von aussen übergestülpt: Ein quasi-Wettbewerb findet auf Social-Media statt. Dort bieten Influencer*innen ihre (im Gym gemachten) Körper für Likes und Follows feil und führen sie damit der kapitalistischen Verwertung zu. Dabei muss die Gegenleistung für ihre Körper nicht unbedingt geldwert sein. Es reicht bereits für den eigenen Körper irgendeine Gegenleistung zu verlangen, sei es in der Form von Anerkennung, Wertschätzung, Likes oder dann doch auch Geld. Erst indem sich der Körper in die ­kapitalistische Verwertung eingliedert, entsteht Konkurrenz. Das macht Social-Media zur Brücke zwischen Fitness und Kapitalismus, weil es Wettbewerb ermöglicht. Dabei treten sich nicht nur die Influencer*innen mit ihren oft handfesten pekuniären Interessen gegenüber, sondern auch die passiven Konsument*innen, die ihre eigenen Körper und die ihrer Mitmenschen an den Social-Media-Idealen messen.
Den mittelbaren Effekt dieses zur-Ware-machens haben Studien erforscht. Es ist nicht erstaunlich, dass der Selbstwert von Personen, die regelmässig Fitness-Content auf Social-Media konsumieren, sinkt. Das Beobachten von Menschen, die ihre Körper zur Ware machen und sie dadurch der kapitalistischen Verwertung zuführen, legt den Schluss nahe, dies auch mit dem eigenen Körper zu tun. Das Problem: Waren sind vergleich- und austauschbar. Sie lassen sich anhand klarer Kriterien in gut und schlecht einteilen. Das Übertragen solcher Denkmuster auf den menschlichen Körper ist toxisch.

Social-Media ist die Brücke zwischen Fitness und Kapitalismus.

Das antikapitalistische Moment

Die Tatsache, dass sich dieser Sport einiges vom Kapitalismus abkupfert, macht ihn nicht an sich schlecht. Stattdessen ist es nachvollziehbar, dass Fitness, das eine gewisse Zweckrationalität miteinschliesst, die zielgerichteten Methoden der kapitalistischen Produktion imitiert. An dieser Stelle aber eine Relativierung: Natürlich macht das Gym Spass. Dem durch den wenig originellen Verweis auf die Stumpfheit und Monotonie des Sports eine Absage erteilen zu wollen, verkennt etwas Grundlegendes: Sport braucht nicht komplex zu sein. Sport soll vor allem anstrengen, den Körper spürbar machen und Freude bereiten.
Dass die Imitation des Kapitalismus nicht perfekt ist, zeigt sich denn auch am Fehlen eines inhärenten Wettbewerbs. Hier hat das Gym gar ein antikapitalistisches Moment. Aus eigener Erfahrung kann ich jedenfalls sagen: Wer den Abstand vom kompetitiven Breitensport –
und vielleicht auch vom kompetitiven Alltag – sucht, wird ihn im Gym womöglich finden. Und wer für die (ansehnlichen) Konsequenzen, die der regelmässige Gym-Besuch mit sich bringen kann, keine Gegenleistung verlangt, muss sich nicht einmal die Moralkeule um die Ohren hauen lassen.

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