Neue Träume im betagten Wohnhaus
Was wird aus dem Haus an der Wahlackerstrasse? (Foto: Luca Hubschmied)
Am Nachmittag des 4. Oktober wurde das ehemalige Betagtenheim in Zollikofen besetzt. Ein grosses Kollektiv will dem leerstehenden Gebäude wieder Leben einhauchen. Unser Partnermedium, Journal B, begleitete die Aktivist*innen in den Wochen vor der Besetzung.
Baumaschinen fahren auf in Bern, sie bauen in die Höhe, überschütten Vorheriges, zementieren Bekanntes oder reissen alte Gräben auf. Die Warmbächlibrache verabschiedet sich, das Burgernzielareal wird überbaut und die Pläne fürs Viererfeld verdichten sich. Wo Veränderungen anstehen, teilen sich Meinungen, positionieren sich Gewinner*innen und Verlierer*innen und formieren sich Widerständige und Akzeptierende. Für diese Reportage durfte der Autor eine Gruppe begleiten, die ihre Forderung nach alternativem Wohn- und Lebensraum durch eine grosse Besetzung erfüllen will. Alle Namen im Text wurden geändert.
In einem Wohnzimmer sitzen siebzehn Menschen auf Stühlen und Sofas im Kreis und sprechen über ihre Form der Aneignung und Belebung. Traktanden für die heutige Sitzung werden gesammelt, die Pläne sind schon fortgeschritten zu diesem Zeitpunkt. In gut zwei Wochen will die Gruppe ein grosses Haus in der Region Bern besetzen. «Die Briefe an die Nachbarschaft sind vorbereitet», meldet sich Nando, «wir können sie am Freitag fertig schreiben.» Aus der Runde kommt der Vorschlag, die Briefe noch nicht fertig zu stellen, damit sie noch ergänzt werden können. Hier in einem Berner Aussenquartier trifft sich heute das «Organisationskomitee», so bezeichnen sie sich mir gegenüber etwas selbstironisch. Drei Tage später wollen sie ihre Pläne in einer grossen Runde vorstellen, denn ihr Vorhaben ist ambitioniert und auf viele Mitmachende angewiesen.
Der Wochenplan für die ersten Tage nach der erfolgten Besetzung wird diskutiert. «Wir sollten die Essenszeiten so festlegen, dass auch Menschen mit Kinder die Möglichkeit haben, teilzunehmen», bringt Raf ein. Er gehört in der siebzehnköpfigen Gruppe, die sich an diesem Dienstagabend hier trifft, zu den Älteren und scheint, wie andere auch, Erfahrung mit derlei Aktionen zu haben. Offenheit der Besetzung und Kommunikation sind Themen, die während der zweistündigen Sitzung immer wieder auftauchen. Wie gelingt es, Leute zum Mitmachen zu bewegen? Wie können die Menschen aus der Nachbarschaft angesprochen werden? Wer hier eine verschworene Truppe erwartet, die mit Tunnelblick über ihrem klandestinen Plan brütet, wird eines anderen belehrt.
Die Betagten
Mehrmals thematisiert wird an dem Abend die Frage, wieviel bereits vorbesprochen und wieviel bewusst noch offen gelassen werden soll. Einerseits drängt die Zeit, andererseits soll in der grossen Runde drei Tage später die Möglichkeit bestehen, weitere Ideen und Ansichten einzubringen. Also werden vorerst mal Arbeitsgruppen gebildet, denen man sich später anschliessen kann: Deko, Bauen, Medien, Quartierzeitung, Aktivitäten und Kochen. Als nächstes Traktandum steht der Name für das Haus, für das Kollektiv, auf dem Programm. «Die Betagten» ruft jemand und erntet heiteres Lachen. Der Witz wird sich mir erst später erschliessen. «Project Z», «Tschernobyl, das Gebäude sieht aus wie Tschernobyl.» Danach wieder die Frage: Ist es okay, den Namen schon vorzubestimmen? «Also wenn ich zu einem solchen Projekt dazustosse, bin ich immer froh, wenn der Name schon steht», meint Sandro und lacht, «dann bleibt mir die ewige Diskussion erspart.»
Auch Raf meldet sich zu Wort: «Wenn ein Kollektiv ein Projekt verfolgt, macht es Sinn, sich einen Namen zu geben. Aber bei uns sind viele verschiedene Leute und Gruppen involviert. Mir ist es lieber, wenn in der Öffentlichkeit über unsere Ideen diskutiert wird als über unseren Namen.» Dem wird zugestimmt und die Thematik vorerst beiseitegelegt. Sandro klappt seinen Laptop mit dem Protokoll der Sitzung zu und bringt ihn raus zu unseren Handys, die bereits gut versorgt im Zimmer nebenan liegen. Solange elektronische Geräte im Raum sind, wird nicht über Ort und Zeit der Beasetzung gesprochen. Nun erzählt Urs, der bereits im leerstehenden Gebäude drin war, von seinen Eindrücken: mögliche Eingänge, Stromanschluss, Wasserleitungen, an Vieles muss gedacht werden. Mittlerweile ist es kurz vor acht Uhr und die Sitzung wird beendet. Die siebzehnköpfige Gruppe zerstreut sich langsam, einige bleiben sitzen, besprechen Details, andere machen sich auf den Heimweg.
Die Nachbarschaft ernst nehmen
Zweiundsiebzig Stunden später, Freitagabend im Untergeschoss eines Wohnhauses. Der Raum füllt sich langsam mit an die fünfzig Menschen, im Alter von etwa 20 bis 30 Jahren. Eingeladen wurden sie mündlich, gekommen sind sie um mehr über die anstehende Besetzung zu erfahren und sich dem Kollektiv anzuschliessen. Das Treffen startet mit einer Einführung über mögliche rechtliche Konsequenzen und Tipps zum Verhalten gegenüber repressiven Kräften. «Das Wichtigste ist, grundsätzlich die Aussage zu verweigern», sagt Nando. Verschiedene Personen im Raum berichten von ihren Erfahrungen mit der Polizei und tauschen Empfehlungen aus.
«Es klingt wie in einem schlechten Film, aber ich habe schon solche klischierten ‹good cop, bad cop›-Situationen erlebt», bringt jemand ein. Anschliessend legt Sven eine neue Folie auf den Hellraumprojektor, der an die Wand leuchtet. Darauf erscheinen die Umrisse eines grossen, mehrstöckigen Gebäudes, das einem verschachtelten Turm ähnelt. «Betagtenheim Zollikofen» steht darüber getitelt. Das ehemalige Heim der Gemeinde Zollikofen wird im Besitz an die Gebäudeversicherung Bern übergehen, sobald die Überbauungsordnung rechtskräftig ist. Es steht seit rund zwei Jahren leer. Angeblich sei es abrissbereit, heisst es.
Das zehnstöckige Gebäude besteht aus über 100 Zimmern, mehr als genug Platz, um eine Vielfalt an Ideen zu verwirklichen. «Wir haben nicht vor, uns dort mit Sturmhauben zu verschanzen», erläutert Nando, «das Gebäude ist enorm gross und hat viele verschiedene Zugänge.» Stattdessen hoffe man auf Gesprächsbereitschaft. Unterdessen zirkulieren Grundrisspläne des Betagtenheims durch die Stuhlreihen. Es folgt der Entwurf für ein Nutzungskonzept. Dieses teilt sich auf in die Bereiche Wohnen, Kultur und Soziales.
Solange elektronische Geräte im Raum sind, wird nicht über Ort und Zeit der Besetzung gesprochen.
Später wird abgeklärt, wer aus der gemischten Runde sich vorstellen kann, dort zu wohnen. Etwa zwanzig Leute werden als Antwort ihre Hände heben. Vorerst geht es aber nochmal um die Kommunikation mit der Nachbarschaft. «Ich fände es wichtig, dass wir eine Nachbarschaftsgruppe haben, damit das mal ernst genommen wird», meint eine junge Frau, «in der Vergangenheit ist dieses Vorhaben leider zu oft gescheitert. Wir sollten uns ein Gesicht geben, die Menschen haben sonst rasch ein schlechtes Bild von uns.» Die Runde bringt Vorschläge ein, wie das gelingen kann: Ein Brief an die Nachbarn. Eine E-Mail-Adresse als niederschwellige Möglichkeit, die Besetzenden zu erreichen. Ein Brunch fürs Quartier, wenn möglich schon in den ersten Tagen.
Gemeinsame Codes
Wer hier in dem weitläufigen Keller sitzt, scheint zu wissen, worauf er oder sie sich einlässt. Grundsatzfragen tauchen kaum auf, die Besetzung als Form der Kritik und des Protests wird akzeptiert und von der Gruppe getragen. Trotzdem sind sich die Menschen in der Runde wohl weniger ähnlich, als es von aussen wirkt. Es sind gemeinsame Codes wie Frisuren, Schuhe und Kleidung, die ein homogenes Erscheinungsbild hinterlassen. Die Hintergründe der Besetzenden hingegen sind vielfältig, ein Grossteil ist bereits in unterschiedlichen politischen Projekten engagiert, andere dürften eher neu dazugestossen sein.
Die Sitzung schreitet zügig voran und handelt eine Vielzahl an Themen ab. Nina hebt ihre Hand und fragt: «Wann ist der Moment, um Ideen für die Belebung des Hauses zu sammeln? Bisher wirkt alles eher professionell, wir müssen aber auch darüber sprechen, was wir genau wollen.» Die Gruppe einigt sich darauf, am Schluss im Plenum über die verschiedenen Motivationen der Leute zu sprechen und diese zusammenzutragen. Zuerst wird aber der zeitliche Ablauf der Besetzung besprochen.
Mit der letzten Folie projiziert Sven eine rudimentäre Packliste: Schlafsack, Mätteli… Die unaufgeregte Pragmatik hat etwas Angenehmes. Wer zum falschen Zeitpunkt dazustösst, könnte vermuten, dass hier ein Pfadiausflug geplant wird. Beim anschliessenden Ideensammeln für Projekte und Räume in dem Gebäude wird klar, wie vielfältig die Gruppe ist. Nähatelier, Werkstatt, Indoorspielplatz, Ludothek, Tonstudio, Konzertlokal sind nur einige der Vorschläge, die genannt und aufgeschrieben werden. «Wir haben die Möglichkeit, das Haus zu einem neuen Zentrum in Zollikofen werden zu lassen», meint ein junger Mann, «das ist meine Motivation, hier mitzumachen.»
«Wir sollten uns ein Gesicht geben.»
Die Art des Gebäudes biete einen grossen Vorteil, meint ein anderer: «Das Altersheim ist gut zugänglich, auch für Leute mit Beeinträchtigungen. Unser Ziel muss sein, das Haus für alle Menschen zu öffnen.» Zum Schluss verteilen sich die Menschen in dem Raum auf ihre jeweiligen Arbeitsgruppen und planen ihre nächsten Schritte. Eine Woche später wird sich das hier entstandene Kollektiv noch ein letztes Mal gemeinsam treffen, bevor die Besetzung Realität wird. In der Luft liegt eine Mischung aus Aufbruchstimmung und Vorfreude.
«Besetzungen sind oft männerlastig»
Ein paar Tage später ist das ehemalige Tramdepot am Burgernziel besetzt und ein Wochenende lang für ein grosses letztes Fest geöffnet, bevor hier gebaut wird. Die beiden Aktionen haben nichts miteinander zu tun, stehen aber unter einem ähnlichen Überbau. Es geht um die Teilhabe und das Verschwinden von Freiräumen in einer sich verändernden Stadt.
Auf der Website der Berner Zeitung erscheint ein kurzer Text über die temporäre Besetzung des Burgernzielareals. Als einziger Kommentar steht unter dem Artikel: «Häuser besetzen scheint für gewisse Leute eine Lebensaufgabe zu sein. Was machen die eigentlich den ganzen Tag?» An dem Fest auf dem Burgernzielareal treffe ich auf Virgil, der beim Projekt in Zollikofen mit dabei ist und spreche ihn darauf an. «Es geht sicher nicht um eine Lebensaufgabe, sondern eher um eine gemeinsame Bewegung mit ähnlichen Zielen», antwortet er, «mir selbst geht es darum, einen Ort zu haben, wo ich Unterstützung und Kraft finde. In herkömmlichen Mietverhältnissen dominiert die Sorge um Eigentum und Vorschriften. Vielen Menschen nimmt ihre Wohnsituation mehr Energie, als sie ihnen gibt, das höre ich immer wieder.»
Ein ehrliches Bild vermitteln
Ihn reize es, in Zollikofen etwas Neues aufzubauen, das als Belebung des Quartiers funktioniere und so auch ein Magnet für neue Ideen darstellen könne, sagt Virgil: «Unsere Gruppe ist ziemlich durchmischt, viele Leute habe ich vorher nicht gekannt», erklärt er, während wir an der Bar stehen. Virgil bestellt ein Cola und meint lachend: «Ich trinke besser kein Bier, wenn ich noch zitiert werde.» Er wolle ein ehrliches Bild vermitteln, deshalb mache sich das Kollektiv die Mühe, schon im Vorfeld einen Einblick zu gewähren. «Je mehr Informationen die Menschen haben, desto weniger Angst und Unsicherheit herrscht», erklärt er. «Wir wollen offen und transparent sein und hoffen dafür natürlich auch, auf Verständnis für unsere Anliegen und Gründe zu stossen.»
Auch Nina gehört zu der Gruppe, die dem betagten Heim Leben einhauchen will. Noch sei ihr aber nicht klar, in welcher Form sie daran teilhabe, sagt sie an demselben Abend, als sie zu uns stösst: «Ich habe ein kleines Kind und lege daher Wert darauf, dass wir einen kinderfreundlichen Ort schaffen können. Gerne würde ich auch in Zollikofen wohnen, kann aber das Risiko nicht eingehen, jetzt schon mein Mietverhältnis aufzulösen.» Das Kollektiv sei zudem eher männerlastig, meint sie: «Ich kenne zwar viele Frauen, die sich politisch gruppieren, aber Besetzungen werden leider meist von Männern getragen. Das liegt einerseits wohl an Dingen wie Selbstüberzeugung und Machtstrukturen, andererseits können sich viele Frauen dieses Engagement zeitlich nicht leisten.»
Bei der Besetzung gilt gewissermassen: Pragmatik statt Pathos.
Keine Parallelwelt
Für Nina, die wie viele andere nicht das erste Mal bei einer Besetzung mitwirkt, sind solche Projekte Ausdruck einer Lebenseinstellung, doch fügt sie an: «Viele von uns führen zwar ein Leben, das sich gegen gesellschaftliche Konventionen auflehnt, aber die meisten gehen trotzdem einer Lohnarbeit nach. Wir leben nicht in einer Parallelwelt.» Im Gespräch zeigt sich rasch, dass sie sich durchaus bewusst ist, welche Bilder in der Öffentlichkeit provoziert werden, wenn in den Medien von einer Besetzung die Rede ist. «Es geht dabei meist um banale Sachen. Vermummungen und Tätowierungen können Angst machen. Umso wichtiger ist es, Offenheit zu signalisieren und die Leute einzuladen, sich ein eigenes Urteil zu bilden.» Nina meint, sie werde beispielsweise auch ihren Eltern erklären, worum es ihr bei der Besetzung gehe: «Wir müssen auf alle zugehen und darüber sprechen. Wenn wir gegenüber Menschen, die ein eher systemkonformes Leben führen, mit der ‹Ihr habt ja keine Ahnung›-Haltung auftreten, ist das eine sehr arrogante und gefährliche Einstellung.»
An den bisher beschriebenen Treffen wurden vorwiegend konkrete Themen besprochen und Vorbereitungen getroffen. Die üblichen Schlagworte, Forderungen und Aussagen fielen meist nur am Rande. Pragmatik statt Pathos quasi. Inwiefern ist eine solche Aktion noch politisch? «Besetzen ist immer ein politischer Akt», sagt Nina, «wir zeigen auf, wie wir gerne leben wollen. Aber wir haben nicht vor, konkrete politische Ideen zu verbreiten. Was wir planen ist ein soziales Projekt.»
Ähnlich klingt es auch von Virgil: «Ich bin froh, dass wir nicht plakativ politisch rüberkommen. Wir wollen uns einen Freiraum erkämpfen, denn viele davon sind in Bern verschwunden oder aktuell bedroht, das hat per se schon einen politischen Hintergrund.» Virgil betont, dass solche Vorhaben wichtig seien, weil sie verschiedene Menschen mit ähnlichen Ideen zusammenbringen und so der Vernetzung untereinander dienen. «Das lässt sich aber wiederum kritisch hinterfragen. Inwiefern unterscheidet sich eine solche Aktion von einem Networking-Lunch im Kursaal, ausser dadurch, dass unsere ‹Visitenkarte› anders ist?»
Auch wenn die Frage nicht ganz ernst gemeint ist, zeigt sie doch, was in vielen Gesprächen auffällt: Das eigene Selbstverständnis und die Aussenwirkung werden öfters hinterfragt, als es das in den Medien meistens vermittelte homogene Bild vermuten lässt. «In der Gruppe wurde zuvor viel diskutiert über Inhalt und Message unserer Aktion», sagt Nina, «nun geht es aber darum, konkret vorwärts zu kommen, weil die Zeit drängt. Das erklärt zu einem grossen Teil die Effizienz bei unseren letzten Treffen.» Virgil erklärt, ein solches Projekt sei ein Prozess, der nun erst richtig ins Rollen komme: «Wir wollen mit der Besetzung einen Startpunkt setzen und uns anschliessend weiterentwickeln. Oft engt man sich ein, wenn man alles vordiskutiert. Wichtig ist mir, eine Balance zwischen der benötigten Effizienz und genug Zeit zum Durchatmen zu finden.»
WC-Papier und Mediencommuniqué
Viel Gelegenheit zum Durchatmen bietet sich im Moment aber nicht. Bereits zwei Tage später trifft sich das Kollektiv zur letzten grossen Sitzung vor der Besetzung des leerstehenden Gebäudes. Im selben Kellerraum wie zuvor versammeln sich bekannte Gesichter, die Gruppe scheint aber nochmal gewachsen zu sein. Heute geht es um letzte offene Fragen, «länger als eine Stunde dauert es wohl kaum», meint Nando. Schlussendlich werden es deren drei gewesen sein. Die einzelnen Arbeitsgruppen erklären kurz, wie weit ihre Vorbereitungen sind.
«Vermummungen und Tätowierungen können Angst machen.»
Es geht um Details, oft ermüdend, aber irgendwie doch wichtig, diese sonst selbstverständlichen Banalitäten des Alltags. «Wir von der Essensgruppe haben uns gefragt, ob wir auch dafür verantwortlich sind, WC-Papier mitzubringen», erkundigt sich Lorenz. Das sei gewissermassen eine philosophische Frage, meint Nando. Leider wird sie an dem Abend nicht gross ausdiskutiert, weiter geht’s im
Fahrplan. Die Mediengruppe stellt ihre Entwürfe für die Briefe und Mitteilungen vor, die verbreitet werden sollen. Bedient haben sie sich dabei einer gewissermassen historischen Vorlage. Als das Betagtenheim Zollikofen 1975 eröffnet wurde, begrüsste der damalige Präsident der Heimkommission, U. Rohrer-Marti, die neuen Bewohnenden in der ersten Ausgabe der Hauszeitung. Nando liest daraus vor:
«Liebe betagte Frauen und Männer,
Zur Eröffnung möchte ich sie alle herzlich im neuen Heim willkommen heissen!
Es ist ja sicher für alle ein Schritt in’s Neuland – eine Veränderung im täglichen Leben, ein neues Wohnen – ein Anpassen an neue Verhältnisse…»
Der Text wurde zur Blaupause für den Brief an die Nachbarschaft, den das Kollektiv verteilen will. Teile wie das «wohlwollende Verständnis», das man aufbringen wolle, blieben erhalten, andere Elemente wurden abgeändert. Die Version findet Anklang in der Runde, Applaus aus den Stuhlreihen. Danach melden sich aber auch kritische Stimmen. Man kommuniziere insgesamt zwar offen und einladend, aber auch eher defensiv. «Wo bleiben unsere Kritikpunkte, wie der Leerstand des Gebäudes oder die Wohnungsknappheit in der Stadt?», will jemand wissen. In der Folge lebt die Diskussion auf, verliert sich aber gleichzeitig auf vielen Nebenschauplätzen. Die Gruppe bemüht sich darum, einen Konsens über die Kommunikationsstrategie zu finden. Bei Details wie dem Mediencommuniqué oder dem Gebrauch von Handys zeigt sich aber die Schwierigkeit einer kollektiven Einigung. Es ist schon spät geworden, die Luft im Raum stickig und die Konzentration eher tief. Gewisse Punkte werden vertagt, andere noch am selben Abend in kleineren Runden diskutiert.
Ruhe vor dem Sturm
Donnerstag, 3. Oktober 2019
Wasserflaschen, Baumaterialien und Gepäck werden in ein Auto geladen. «Das wird wohl unsere Nahrung für die ersten Tage», meint Sven und stellt eine grosse Kiste mit Kürbissen rein. Ein Dutzend Menschen treffen sich hier, noch in Bern, um den Transport zu organisieren. In zwei Stunden, mitten am Nachmittag, wollen sie losfahren. Die Stimmung ist gelöst, die Gruppe ist guter Dinge. «Ich freue mich», sagt Sandro, «wir haben lange genug gewartet.»
Unterdessen in Zollikofen: Das grosse Gebäude mit der grauen Fassade an der Wahlackerstrasse 5 scheint noch nichts von seiner Zukunft zu erahnen. In Kürze wird es wieder bewohnt sein, von jüngeren Menschen als zuletzt. Was aus dem Vorhaben wird, werden die nächsten Stunden, Tage und Wochen zeigen.