«Ich lasse mich vom Zeitgeist führen»

07. November 2019

Von und

Shamala Masala ist eine DJ* des Berner Nacht­lebens. Doch hinter diesem Namen steckt noch viel mehr als nur Musik. Die bärner studizytig sprach mit ihr über ihre Projekte, Inspiration und das Wagnis der Selbstständigkeit.

Liebe Sonja, als Erstes möchten wir natürlich das Rätsel um deinen Künstlerinnen-Namen klären. Shamala bedeutet in Sanskrit «Fleck» oder «Mal» und Masala ist ein Gewürz. Wie kam es zu dieser Kombination?

Masala hatte ich mir schon länger als Name ausgesucht. Es ist ein Gewürz, das mir auf meinen Reisen nach Indien und Ostafrika immer wieder in verschiedensten Verwendungen begegnet ist. Es ist immer ein Mix und kann ganz unterschiedlich sein, so wie ich meine Person als einen Mix verstehe, der dann neue Dinge kreiert. Shamala dagegen habe ich mir nicht wegen der eigentlichen Bedeutung ausgesucht. Einmal hat eine Person, die mir viel bedeutet, als Morgenruf einfach so aus dem Herzen «Shamalaschuguluu» gerufen, und das fand ich irgendwie toll und spannend und da mir noch ein Vorname fehlte, entschied ich mich für «Shamala».

Du bist gleichzeitig Yoga­lehrerin, Illustratorin, DJane und veranstaltest Workshops wie Kakao-Zeremonien. Ist es nicht schwierig, das alles unter einen Hut zu bringen?

Im Moment bin ich noch drauf und dran, mich damit zu konstruieren und merke, dass ich diese verschiedenen Standbeine brauche, um mich zu entwickeln. Finanziell sind sie auch alle gleich rentabel. Ich konnte nie so genau definieren, was mein Kern ist, und denke, es ist ein Mix aus Vielem. Damit spiele ich auch in meiner Kunst, indem ich Kulturen und Einflüsse mixe, einen Ursprung nehme und eine neue Identität hinzufüge.

Und woher nimmst du das Recht, diese Kulturen zu vermischen? Könnte das nicht anstössig sein?

Ich arbeite sehr intuitiv und merke meistens erst beim Resultat, dass es wieder ein Mix geworden ist. Ich werde öfters auf meine Illustrationen angesprochen, weil die Leute nicht einordnen können, ob sie afrikanisch, indisch oder buddhistisch zu interpretieren sind. Ich habe mir das nicht so genau überlegt, aber anscheinend löst es gewisse Assoziationen aus.

Woher kommen denn die Inspirationen zu deinen Arbeiten?

Ich lasse mich meistens vom Zeitgeist führen. Der Zeitgeist liegt für mich über und in der Welt, etwas ungreifbar und für sich lebend. Da lege ich mich gerne rein und lass mal sehen, was da so kommt. So gerate ich dann auch an Themen wie Feminismus und Weiblichkeit.

Ich konnte nie so genau definieren, was mein Kern ist, und denke, es ist ein Mix aus Vielem.

Aber wo findest du diesen Zeitgeist, wo liest du den heraus?

Das ist nicht so rational, das sind eher so Wellenbewegungen, die durch mich durchgehen, und manchmal kommt eine Art Schmerz, ein Weltschmerz, eine Welle von Eindrücken, die mich dazu bewegen, die Dinge so zu zeichnen, wie ich sie zeichne. Das muss nicht durch den Alltag sein, sondern geschieht eher durch meinen eigenen Prozess, in dem ich drin bin. Dieser ist von sehr viel Ruhe – in der Meditation PuTTY , im Sein und in der Wahrnehmung – geprägt.

Als Shamala Masala hast du dich vor knapp einem halben Jahr dazu entschieden, den Sprung in das kalte Schwimmbecken der Selbstständigkeit zu wagen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Nun, ich habe nach meiner Ausbildung in Visual Merchandising eine Stelle in einem grossen Schweizer Detailhandelsunternehmen angenommen, welche mir schnelle Aufstiegsmöglichkeiten und Selbstständigkeit innerhalb des Betriebs bot. Ich war im Aussendienst unterwegs, habe Showräume eingerichtet, dann sogar Schulungen für andere Mitarbeiter*innen geleitet und schliesslich auch anleitende Konzepte formuliert, nach welchen die visuelle Kommunikation im Betrieb funktionieren sollte. Ich hatte jedoch immer etwas Mühe mit den Strukturen und Hierarchien in diesem Job. Ausserdem konnte ich viele Teile von mir nicht integrieren.

Hat es dich sechs Jahre gekostet, um dir einzugestehen, dass du das ändern willst?

Nun ja…, nicht direkt, denn ich hatte mit der Zeit ja auch gewisse Vorteile in diesem Job für mich herausgeholt, wie zum Beispiel ein 60%-Pensum, und ausserdem hatte ich erst wirklich das Gefühl, dort Karriere machen zu wollen. Ich musste in diesem Job immer wieder mit Leerläufen zurechtkommen, da die gestalterischen Bereiche in dieser Branche in Budgetfragen oft etwas kurz kamen. Ich ertrug diese Leerläufe nicht mehr; mehrere Monate, in denen du an einem Konzept arbeitest, und es dann am Ende wegen Budgetfragen gar nicht realisiert wird.

Und da hast du entschieden dich selbstständig zu machen?

Nein, an dem Punkt war ich da noch nicht. Ich wusste einfach, dass ich kündigen musste, ohne zu wissen, was dann auf mich zukäme. Ansonsten wäre ich wohl geradewegs auf ein Burnout zugesteuert, und das mit 28. Ich habe anschliessend verschiedene kleinere Jobs im Verkauf angenommen und habe eine 2.5-monatige Yoga-Ausbildung in Thailand absolviert.

Wie gestaltete sich schliesslich dein Absprung in die Selbstständigkeit und denkst du, dass Bern als Ort dafür eher Vorteile oder Nachteile mit sich bringt?

Ich denke, Bern ist ein guter Ort, weil er sehr übersichtlich ist. Wenn das, was man macht, interessiert, erreichen einen die Rückmeldungen schneller und so geht es auch mit dem Bekanntwerden. Ich bereue es gar nicht, bin ich nicht in Berlin oder anderswo. Darüber mache ich mir nicht so viele Gedanken. Ich mache mir allgemein nicht so viele Gedanken über meinen Erfolg.

Ist das eine Art Gesundheitsrezept?

Nun ja, ich habe Strategie gelernt und gemerkt, dass diese auch hinderlich sein kann. Bei einem ersten Anlauf in die Eigenständigkeit gab es die Idee, einen kleinen Teeladen zu eröffnen, verbunden mit einem Yogastudio. Das Ganze sah auf dem Papier sehr schön aus, aber ich merkte schliesslich, dass mir neben dem finanziellen Backup auch das Durchhaltevermögen fehlte. Ich war nicht mit dem Herz bei der Sache, sondern versuchte mich eher im Füllen einer Marktlücke. Ausserdem hätte das Annehmen von Darlehen wiederum Abhängigkeit bedeutet, welche ich nicht wollte. Heute mache ich diesen Schritt mit dem bewussten Entscheid, dass ich mich nicht auf den Erfolg konzentriere, sondern dass ich meine Ideen einfach streuen möchte. Es war auch ein Prozess, dazu zu stehen, was man macht, und aus dem Herzen zu arbeiten, anstatt konzeptuell Erfolg herbeirufen zu wollen.

Wie bewahrst du aber deine Unabhängigkeit, wenn du jetzt noch nicht von dem leben kannst, was du machst?

Ich lebe davon, aber einfach mit einem sehr bescheidenen Lebensstandard. Ich arbeite noch ab und an bei einem Essenskurier, ich habe aber keinen wirklichen festen Job mehr nebenbei. Ich habe irgendwann gemerkt, dass dies für mich einfach immer wieder ein zu starker Grund ist, nicht wirklich an meiner Kunst weiter zu arbeiten. Das brachte die Schwierigkeit mit sich, eine Lohnarbeit und das Kunstschaffen in ein Zusammenspiel zu bringen. Damit stellen sich natürlich dann schon konkrete Fragen: Wie stehe ich zu Geld, wie schnell habe ich existentielle Ängste? Gestehe ich mir das zu, dass ich mit meiner Arbeit mein Leben verdienen darf?

Wie stehe ich zu Geld, wie schnell habe ich existentielle Ängste?

Wie meinst du das: …dass du mit deiner Arbeit verdienen darfst?

Das Gefühl, dass man mit seiner Kunst Geld verdient, mit der eigenen Selbstverwirklichung ein «geiles» Leben hat, ist irgendwie falsch. Weil gutes Geld verdienen doch irgendwie heisst, dass man sich abrackert in einem Job, oder halt etwas arbeitet, und dabei gewisse Freiheiten einbüsst, sich dafür aber dann halt das Geld verdient hat.

Aber für deine Selbstverwirklichung büsst du ja auch gewisse Dinge ein? Gibt es neue Einschränkungen mit diesem Entscheid?

Ja, finanziell habe ich natürlich etwas weniger Raum, aber das spüre ich momentan eher bei den Investitionen in meine Kunst. Dass ich beispielsweise jetzt nicht direkt eine breite Kleiderlinie auf die Beine stellen kann, weil ich die Vorproduktion gar nicht zu budgetieren vermag. Ich gehe nun erst mal in kleinen Schritten und in absehbaren Mengen. Die andere Schwierigkeit ist, das Selbstvertrauen zu behalten. Besonders, weil man so auf sich gestellt ist und kaum Weisungen von aussen erhält. Ich brauche zum Beispiel meine verschiedenen Tätigkeiten, um diese untereinander zu befruchten und dazu sollte ich auch stehen. Zuletzt ist natürlich die Selbstdisziplin sehr wichtig, denn sobald du müde wirst und nicht mehr so leistungsfähig bist, kommt halt sofort kein Geld mehr rein. Dieses sofortige Feedback bringt auch eine gewisse Rastlosigkeit – das Gefühl, immer arbeiten zu müssen. Da ich zu Hause arbeite, gab es Zeiten, da habe ich das Frühstück nur noch so reingestopft, damit ich möglichst schnell mit der Arbeit anfangen konnte. Es gelang mir nicht mehr, richtige Pausen einzulegen. Ich musste zuerst die Disziplin finden, zu regeln, wann ich arbeite und wann es okay ist, nicht zu arbeiten.

Ein grösserer Event in deinem Angebotskalender steht diesen Winter an mit der Reise nach Zanzibar, zu der du und deine Mitbewohnerin per Flyer-Werbung einladen. Wieso Zanzibar? Wieso nicht an den Lago Maggiore oder den Thunersee? Das wäre nachhaltiger.

Ja, das habe ich mir schon überlegt, wegen dem Fliegen und so. Weil ich Zanzibar aber schon gut kenne und ich es schon letztes Mal mit Yoga verbinden wollte, lag es irgendwie nah. Ich habe es auch als grosses Geschenk empfunden, dass ich die Reisen in diese Länder machen durfte, das hat mich – auch in meiner Kunst – sehr stark geprägt und ich denke, ich kann das Flämmchen, dass in mir für diesen Ort brennt, nur dort auch in anderen Menschen entfachen.

Was ist das genau für ein Projekt und welche Rolle übernimmst du dabei?

Das Angebot besteht darin, für 1-3 Wochen nach Zanzibar zu reisen, um Yoga zu machen und die Kultur kennenzulernen, wobei es jeweils Platz hat für 5-6 Leute pro Woche. Wir ermuntern die Leute mindestens für zwei Wochen zu kommen, und nicht nur für eine Woche da hin zu fliegen.

Du weisst nicht, wie viele Menschen dich kennen und du gehst davon aus, dass dich niemand kennt.

Und wie genau wirst du die Kultur vermitteln? Engagierst du einen lokalen Guide oder organisierst du direkte Interaktionen mit den Menschen vor Ort?

Nein, das ist so nicht vorgesehen. In der ersten Woche werden wir in der Stadt viel Sightseeing machen, eine wunderbare Mischung aus diversen Kulturen, die es so nirgendwo anders gibt und so die Kolonialinsel kennenlernen. Ich werde aus meinen eigenen Erfahrungen über die Kultur sprechen. Ab der zweiten Woche mieten wir uns dann in einem Bungalow von Locals ein, Bekannte von mir, die für uns lokal kochen werden und mit denen wir einen kulturellen Austausch erleben können.

Lass uns über deine Musik sprechen. Du bist beim DJ*innen-Kollektiv «Die Töchter» dabei und man hört neulich immer wieder von euch, sei es am Frauenstreik oder auf dem Vorplatz der Reitschule. Doch die Auskünfte auf Facebook bleiben lückenhaft. Kannst du uns mehr über euch erzählen?

Anfangs 2018 kam die Idee auf, ein Frauen-Kollektiv zu gründen, um auch uns Frauen im DJ*-Business zu stärken, weil wir oft in der Unterzahl sind. Als ich als die Achte im Bunde dazukam, war der Name schon fix. Wir haben regelmässig Sitzungen, um zu besprechen, was ansteht. Vor gut einem Jahr veranstalteten wir die «Töchter-Geburt» in der Spinnerei. Auch ein Projekt war der Bau unserer Matroschka. Was uns zu einem Kollektiv macht, ist, dass wir einander einfach spüren und beraten, seien es technische Dinge oder Fragen bezüglich der Auftritte und der Musik. Es ist gut für den Austausch und um einander in Musikdingen zu bestärken. Auch Feedbacks zu Orten, wo man auflegen kann, werden thematisiert. Wir erzählen einander von unseren Erfahrungen: Wo macht das Auftreten Spass und wo fühlt man sich als DJ*in bei Engagements wohl?! Es hilft sehr, um ein Gefühl für die Szene zu bekommen.

Das Ziel ist also mehr Auf­merksamkeit in der männer­dominierten DJ*-Szene?

Ich glaube, im Vordergrund steht einfach das, was du machst. Bei Künstler*innen ist das meistens so, solange du noch keine Marke bist. In der ersten Linie geht es um die Musik.

Aber fühlst du dich als Mitglied von «die Töchter» nicht bereits als Teil einer Marke?

Nun ja, oft weisst du nicht, wie das Bild der Gruppe gegen aussen ist. Du weisst nicht, wie viele Menschen dich kennen und du gehst davon aus, dass dich niemand kennt. Und dann manchmal sprechen dich Leute auf der Strasse an und du checkst das mega lange nicht so richtig. Einerseits merke ich, dass man, wenn man als Gesamtheit auftritt, sicherlich mehr Glaubwürdigkeit in der Szene bekommt und andererseits, dass das Kollektiv einen weiterbringt. Mehr Ohren hören besser. Daher bleibe ich sicherlich noch eine Weile dabei.

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