Vater unser auf Erden
Bild: Yannic Schmezer
Das schweizerische Parlament diskutiert über die Väter der Zukunft. In der Debatte um vier Wochen gesetzlich verankerten Vaterschaftsurlaub geht es aber um viel mehr: Darum, wie wir Gesellschaften verändern können.
«Heutzutage ist auch nicht alles besser», hat mir meine Grossmutter vor Kurzem mit ernster Miene erklärt. «Früher», fuhr sie fort, «mussten die Frauen nicht arbeiten gehen, da der Ehemann genug verdiente. Und dementsprechend hat sie ihm auch noch Respekt entgegengebracht.»
Diese Aussage kam von einer Frau, die schon Hosen trug, als Röcke noch die Norm waren, und, als sie mit fünfzig an einem Porzellanmalkurs in den USA teilnehmen wollte, zu meinem Grossvater gesagt hat: « Entweder du kommst mit oder ich gehe alleine.» Nichtsdestotrotz waren die Aufgaben zwischen den beiden immer klar verteilt. Er brachte das Geld nach Hause, sie schaute zu den Kindern. Er kümmerte sich um den Garten, sie um den Haushalt. Er füllte die Steuererklärungen aus, sie packte die Ferienkoffer. Aber die Zeiten haben sich geändert – zumindest auf den ersten Blick. Frauen wollen vermehrt Karriere machen, Männer sich gleichwertig um Haus und Kinder kümmern – was die Gesellschaft auch von ihnen erwartet. Tatsächlich sind aber Hausarbeit und Karrierechancen immer noch sehr ungleich verteilt. Mütter arbeiten öfters Teilzeit und erledigen einen Grossteil des Haushalts, während ein Vater auf dem Spielplatz immer noch eher die Ausnahme als die Regel ist.
«Die Gesellschaft hat sich gewandelt, die Gesetze nicht.»
Die Schweiz – eine familienpolitische Insel
Daran will die 2016 eingereichte Initiative «Vaterschaftsurlaub jetzt!» etwas ändern. Sie fordert vier Wochen bezahlten Vaterschaftsurlaub, der flexibel im ersten Lebensjahr des Kindes bezogen werden kann. Finanziert werden soll der Urlaub über die Erwerbsersatzordnung, analog zu Mutterschaftsurlaub und Militärdienst. Bisher waren gesetzlich nur die üblichen ein bis zwei freien Tage vorgeschrieben, die Arbeitnehmer in aussergewöhnlichen Situationen beziehen können. Mütter können sich während 14 Wochen beurlauben lassen. Im europäischen Vergleich steht die Schweiz damit ziemlich alleine da. Fast alle Länder haben längere Mutterschaftsurlaube, oft auch Elternzeit, die von beiden Elternteilen bezogen werden kann – meist mit einem für den Vater reservierten Zeitraum. So können beispielsweise in Deutschland Eltern bis zu 36 Monaten Elternzeit beziehen. Übers Elterngeld finanziert werden davon allerdings nur 12 Monate, 14 Monate wenn beide beziehen. Zwei Monate sind dabei ausschliesslich für den Vater vorgesehen – nimmt er sie nicht, verfallen sie.
Mit der Initiative soll der familienpolitische Rückstand zumindest verringert werden. Ziel der Initiant*innen ist es, der Familie einen guten Start zu ermöglichen, die Männer stärker einzubinden und damit auch traditionelle Rollenmuster aufzubrechen. Die vier Wochen Vaterschaftsurlaub sollen den Männern ermöglichen, väterliche Kompetenzen aufzubauen, Teilzeitmodelle kennenzulernen und die Bindung zu ihren Kindern zu stärken. Nicht zuletzt sollen vor allem auch die Mütter unterstützt werden, sowohl zu Hause als auch bei ihrem beruflichen Wiedereinstieg. «Die Gesellschaft hat sich gewandelt, die Gesetze nicht», erklärt Adrian Wüthrich von Travail Suisse, einer der vier Trägerorganisationen der Initiative, «Deshalb braucht es den Vaterschaftsurlaub, der hier Abhilfe schafft und dieser gesellschaftlichen Veränderung auch begegnen kann.»
Es wäre eine Illusion zu glauben, dass ein lokaler Coiffeursalon mit einem Konzernriesen wie Novartis in Sachen Anstellungsverhältnisse mithalten kann.
Keine Einheitslösung?
Die Ziele hält sie für richtig, den vorgeschlagenen Weg dazu nicht. Daniella Lützelschwab vom Schweizerischen Arbeitsgeberverband gehört zu den Gegner*innen der Initiative. «Wir sind nicht gegen einen Vaterschaftsurlaub an sich, sondern gegen eine gesetzliche Einheitslösung», stellt sie von Anfang an klar. Die Betriebe sollen anbieten können, was den Bedürfnissen ihrer Mitarbeitenden und ihren eigenen Möglichkeiten entspricht. So ergäbe es in manchen Betrieben mehr Sinn, einen Care-Urlaub für die Pflege Angehöriger anzubieten. Und in anderen würden eben intern geregelte Vaterschaftsurlaube angeboten, wie es heute schon in vielen Betrieben der Fall ist. Tatsächlich geben viele Unternehmen eine Arbeitswoche frei, Städte wie Bern und Genf gar 20 Tage. Einige grosse internationale Firmen sind sehr grosszügig: So führt Novartis ab dem 1. Juli dieses Jahres 18 Wochen bezahlte Elternzeit ein. Es sei eine Illusion, erklärt Lützelschwab, dass ein lokaler Coiffeursalon mit einem Konzernriesen wie Novartis in Sachen Anstellungsverhältnisse mithalten könne – für KMUs sind Kosten und Organisation der Auszeit schwerer zu handhaben als für grosse Unternehmen. Und die Mehrheit der Schweizer Betriebe ist nun einmal näher am Coiffeursalon als an der Novartis.
«Das stimmt. Aber wenn es um Militärdiensttage geht, kann die Wirtschaft ja auch auf die Männer verzichten – weshalb dann nicht, wenn es um die Familie geht?», gibt Wüthrich zurück. Die Initiant*innen halten die Sorge der Opposition für übertrieben. Durch die flexible Gestaltung des Urlaubs würden wohl die wenigsten vier Wochen am Stück beziehen. Stattdessen sei auch eine Aufteilung möglich. So könnte der Vater zum Beispiel eine Woche nach der Geburt freinehmen und danach während fünfzehn Wochen sein Arbeitspensum auf 80 Prozent reduzieren. Zudem könne nicht davon ausgegangen werden, dass alle Väter ihren Urlaub auch tatsächlich beziehen. Hier gilt das Prinzip «Take-it-or-Lose-it», da der Urlaub nicht auf die Mutter des Kindes übertragen werden kann. Damit soll verhindert werden, dass aus dem Vaterschaftsurlaub eine noch stärkere Ungleichverteilung der Betreuungsarbeit und Berufsaussichten entsteht. Stattdessen soll die Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit der Frauen gefördert werden. Ein Aspekt, der gerade dem allseits beklagten Fachkräftemangel entgegenwirken könnte.
Eine Frage des Geldes
Tatsächlich ist es unwahrscheinlich, dass alle Väter ihren Urlaub beanspruchen werden. Auch in Deutschland hat es ein ganzes Jahrzehnt gedauert, bis sich der Vaterschaftsurlaub in der breiten Bevölkerung etabliert hat. Soziale Normen, Erwartungen der Arbeitgeber*innen und der Gesellschaft sind wichtige Faktoren, die die Inanspruchnahme beeinflussen. Nicht zuletzt zeigt der internationale Vergleich, dass die Höhe des Erwerbsersatzes eine massgebliche Rolle spielt – je höher, desto mehr Väter beziehen ihren Urlaub. Wird die Initiative angenommen, würden während vier Wochen 80% des Lohnes ausbezahlt. Daran stören sich die Gegner*innen – «Die Finanzierung durch Dritte sollte doch nicht die Voraussetzung dafür sein, dass Vaterschaftsurlaub bezogen wird. Möchte sich ein Vater wirklich mehr um die Familie kümmern, sollte er dafür auch bereit sein, die modernen, flexiblen Arbeitsmodelle zu nutzen, die die Arbeitgeber anbieten», so Lützelschwab. Für sie ist die Erwerbsersatzordnung sowieso nicht das richtige Gefäss für die Finanzierung der Initiative, die pro Jahr 420 Millionen Franken kosten soll. Das wären je 0,055 Lohnprozente für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Zwar seien diese Kosten marginal im Vergleich mit den jährlichen Lohnerhöhungen oder auch den AHV-Beiträgen, kommen aber zusammen mit anderen Teuerungen wie der AHV-Reform.
Es geht um die Frage: Ändern sich Gesellschaften aufgrund neuer Gesetze, oder Gesetze aufgrund neuer Gesellschaftsordnungen?
Es sei zudem nicht die Aufgabe der Arbeitgeber*innen, die Männer zu erziehen, findet Lützelschwab und stellt infrage, ob Männer überhaupt erzogen werden können. Wickeln die Männer mehr, putzen sie öfters mit vier Wochen Vaterschaftsurlaub? Reichen vier Wochen, um tiefsitzende Rollenmuster und die Arbeitsteilung, kurzum, eine Gesellschaft zu verändern? Lützelschwab sieht andere Lösungen für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Teilzeitmodelle, bessere und günstigere externe Kinderbetreuungsangebote sowie steuerliche Anpassungen. Doch auch hier stellt sich die Frage: Reicht das?
Vier Wochen reichen nicht
Die Eidgenössische Kommission für Familienfragen (EKFF) beschäftigt sich schon lange mit diesen Fragen. 2017 führte sie eine Literaturanalyse verschiedener Studien zur Elternzeit in OECD-Ländern durch. Die Analyse zeigt klar auf, dass eine sinnvoll strukturierte Elternzeit auf verschiedenste Bereiche, wie familiäre Beziehungen, die Kindsentwicklung, die Lebenszufriedenheit wie auch die Erwerbsarbeit der Frauen förderlich wirkt. Die EKFF kommt aber auch zum Schluss, dass vier Wochen Vaterschaftsurlaub das Mindestmass sind, um eine Stärkung der Vater-Kind-Bindung und des familiären Engagements zu erreichen. Darunter können keine positiven Effekte verzeichnet werden. Zu Auswirkungen auf die Gleichstellung äussert sie sich noch kritischer: Diese könnten frühestens ab acht Wochen Vaterschaftsurlaub festgestellt werden – wenn überhaupt. Die Ergebnisse der Studien gehen da auseinander. Für eine egalitäre Aufteilung von Hausarbeit und Kinderbetreuung werden also vier Wochen sicher nicht ausreichen. Studien zur Langzeitwirkung liegen noch nicht vor. Die Kommission stellt jedoch fest, dass eine Einbettung des Vaterschaftsurlaubs in eine breite Politik der Gleichstellung und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie essentiell ist, um Veränderungen zu bewirken.
Die Kritik von Lützelschwab scheint also durchaus berechtigt zu sein, die EKFF zieht aber eine andere Schlussfolgerung. Betriebsinterne Lösungen auf freiwilliger Basis, wie sie der Arbeitgeberverband wünscht, würden gemäss der EKFF nicht ausreichen, da die wenigsten Betriebe einen Vaterschaftsurlaub anbieten, der über zwei Wochen hinausgeht. Auch die alternativ vorgeschlagenen Massnahmen wie z.B. Teilzeitmodelle seien wichtig, aber nicht genug. Europäische Vergleiche zeigen: In Ländern, die ein stark ausgebautes Kinderbetreuungsangebot aber keine Elternzeit haben, findet genauso wenig ein gesellschaftlicher Wandel statt wie in Ländern, die eine lange Elternzeit als einzige Massnahme anbieten. Offenbar brauche es beides.
Parlamentsdebatte über Kompromisse
Geht es um die Initiative, ist die EKFF geteilter Meinung. Einerseits nennen sie die vier Wochen einen wichtigen Schritt, andererseits sehen sie langfristig nur einen Elternurlaub als angemessen an. Die EKFF setzt sich für eine 24-wöchige bezahlte Elternzeit zusätzlich zum Mutterschaftsurlaub ein, die flexibel bis zur Einschulung des Kindes bezogen werden kann. Davon sollen acht Wochen ausschliesslich für den Vater reserviert sein.
Reichen vier Wochen Vaterschaftsurlaub aus, um eine Gesellschaft zu verändern?
Die Initiant*innen sind sich der Grenzen ihres Modells und dem Potential nach oben durchaus bewusst. «Die Initiative ist ein Kompromiss», meint Wüthrich und stimmt der EKFF zu, «sie ist ein Schritt in die richtige Richtung.» Eine Elternzeit sei momentan politisch nicht durchsetzbar. Warten bis die Gesellschaft und vor allem die Politik so weit sind, wollen die Initiant*innen aber nicht. Denn Familienpolitik hat es nicht leicht in der Schweiz: Bis der 1945 aufgegebene Verfassungsauftrag eines bezahlten Mutterschaftsurlaubs in der Schweiz umgesetzt wurde, dauerte es 60 Jahre – so lange soll der gesetzliche Vaterschaftsurlaub nicht auf sich warten lassen. Zurzeit wird im Parlament über die Initiative und den Gegenvorschlag der Sozialkommission des Ständerats diskutiert. Letztere fordert zwei Wochen Vaterschaftsurlaub, beziehbar in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes. Kostet nur halb so viel, ist aber zu wenig, finden die Initiant*innen. Tatsächlich stellt sich gerade im Angesicht der Erkenntnisse der EKFF die Frage, ob man es bei zwei Wochen nicht gerade so gut auch lassen kann.
Ein neues Vaterunser – aber wie?
«Vater ist man sein Leben lang», schliesst Lützelschwab das Gespräch – idealerweise setze er sich auch das ganze Leben lang für seine Kinder ein. Eine Aussage, der wohl keine der Parteien widersprechen würde. Wie ein solches Engagement aber erreicht werden kann, daran scheiden sich die Geister, auch in der Bevölkerung. Kritisch zeigen sich vor allem Kleinunternehmer*innen und ältere Semester, während ein Grossteil der Schweizer*innen, besonders der jungen Generation, mit dem Anliegen der Initiative sympathisiert. Während die einen argumentieren, dass sich eine Gesellschaft aufgrund neuer Regelungen nicht verändert, behaupten die andern, dass ein Wandel bereits stattfindet, aber noch keine gesetzlichen Entsprechungen gefunden hat. Und es sind nicht nur die Jungen, die den Wandel predigen, meint Wüthrich: «Es gibt Grossväter, die mir sagen: Weisst du, ich habe so viel Zeit mit den Kindern verpasst, weil ich zu viel gearbeitet habe.» Auch mein Grossvater hat viel gearbeitet. Aber er ist auch ein guter Vater. Und heute ist er es, der kocht und meine Grossmutter, die mit Porzellankursen auch nach der Pensionierung noch Geld verdient. So sind Geschlechterrollen und Arbeitsteilung nie statisch, sondern verändern sich dauernd. Aber nicht ohne uns. Wir sind es, die entscheiden, wie Veränderung aussehen soll und auf welchem Weg wir sie erreichen wollen.
bilder: janine schneider, fabio peter
«Einen von allen Arbeitnehmern und Arbeitgebern subventionierten, staatlich verordneten Zwangsurlaub», sieht Fredy Greuter vom Schweizerischen Arbeitgeberverband in der Initiative für einen Vaterschaftsurlaub. Selten lässt mich ein Satz zunächst an Gulags denken, um erst dann angenehme Erinnerungen an meine letzten Ferien hervorzurufen. Also frage ich mich: Was genau soll ein staatlich verordneter Zwangsurlaub sein? Laut meinem Verständnis entspricht Urlaub der Zeit, über die ich frei verfügen kann. Zwang verbinde ich damit, dass jemand mir sagt, wie und wo ich meine Zeit zu verbringen habe. Dementsprechend stellt mich der Begriff «Zwangsurlaub» vor eine grössere konzeptuelle Herausforderung.
Aber darum geht es den Wirtschaftsverbänden gar nicht. Die Worte «staatlich verordneter Zwang» lösen bei den meisten Menschen zu Recht Abwehrreaktionen hervor, weshalb sie beliebig auf jede sozialpolitische Vorlage anwendbar sind: «Staatlich verordneter Zwang, nicht 13 Stunden am Tag arbeiten zu müssen?» «Fürchterlich!» «Staatlich verordneter Zwang, sich mindestens vier Wochen im Jahr erholen zu müssen?» «Wie anmassend!» Und jetzt auch noch das: «Ein staatlich verordneter Zwang, mehr Zeit mit der Familie verbringen zu dürfen?» Wenn das so weitergeht, würde die Schweiz ja noch ihren Reichtum in das Wohlergehen ihrer Bürger*innen investieren. Ein abwegiger Gedanke. Schliesslich werden die Wirtschaftsverbände nicht müde zu betonen, dass sie nicht gegen einen Vaterschaftsurlaub an sich sind, sondern nur gegen die Initiative. Wieder einmal werden wir mit einem apolitischen Abstimmungskampf beglückt, in dem sich anscheinend alle einig sind. Wie also bekämpfen die Wirtschaftsverbände etwas, zu dem sie zumindest ein Lippenbekenntnis abgegeben haben? Ganz einfach und ganz gewohnt: Indem sie den ökonomischen Kollaps der Schweiz heraufbeschwören. In Anbetracht der moderaten Forderung der Initiative scheint diese Angstmacherei aber nicht zu verfangen. Und sowieso: Von allen Zwängen, die uns der Staat auferlegt, ist der Zwangsurlaub dann doch mit Abstand der angenehmste.
– Fabio Peter