Networking für kritische Geister

Foto: Nils Wyssmann

20. Dezember 2018

Von und

Am 22. November fand in den Räumlichkeiten der Unitobler die «Lange Nacht der Bildung» statt. Die Veranstaltung wurde heuer zum zweiten Mal durchgeführt. Wir waren dabei und haben mitgeschrieben.

Es ist Donnerstagabend und auf dem gemeinsamen Flur der Institute für Religionswissenschaft und für Islamwissenschaft steht ein Referent vor einer Leinwand mit PowerPoint-Präsentation. So weit so gewöhnlich. Ein hundskommuner Unianlass eben. Der Raum ist aber von einem ganz anderen Vibe erfüllt: Die handgemalten Transparente («Bildung ist keine Ware») und die vielen Zuhörer*innen – wer auf Stühlen und Sofas keinen Platz mehr findet, macht es sich auf dem Boden bequem – lassen einen Hauch von 68 und Studierendenrevolten aufkommen. Revolutionär ist denn auch der Anspruch der Veranstalter*innen: Nichts geringeres als die Hochschule von Morgen will die Gruppe von Studierenden planen. Die Idee dazu entstand vor rund einem Jahr.

Bildung statt Karriere

Wie die meisten Schweizer Hochschulen organisierte auch die Universität Bern einmal im Jahr eine «Lange Nacht der Karriere». Dazu lud die Uni neben den Studierenden Vertreter*innen aus Wirtschaft, Verwaltung und NGOs, um Kontakte zu ermöglichen und damit die potentiellen Arbeitgeber*innen den zukünftigen Absolvent*innen ihre Anforderungen an ebenjene mitteilen konnten. Dazu boten sie Workshops an, mit dem Versprechen die Studierenden «in Pole Position» zu bringen, damit sie sich im «Wettlauf Arbeitssuche» gegen «Viele Konkurrenten (sic!)» durchzusetzten vermögen. Die Botschaft der «Langen Nacht der Karriere» war klar: «Kommt zu uns, gefallt den Arbeitgeber*innen oder lernt, ihnen zu gefallen!» Weil dieser Anlass für viele Studierende zum Symbol der immer fortschreitenden Ökonomisierung der Bildung und des Wissenschaftsbetriebs wurde, regte sich letztes Jahr Widerstand: In Basel, St.Gallen und Zürich wurde als Konkurrenzveranstaltung die «Lange Nacht der Kritik» ausgerufen. In Bern entschieden sich die Veranstalter*innen, der Karriere die Bildung entgegenzustellen.

Die Botschaft der «Langen Nacht der Karriere» war klar: «Kommt zu uns, gefallt den Arbeitgeber*innen oder lernt, ihnen zu gefallen!»

Nachdem der Verein «Nacht der Bildung» im letzten März mithalf die Aktionswoche «Bildungsaufstand» zu organisieren, erfolgte nun am 22. November also die zweite Ausgabe der «Langen Nacht der Bildung». Zeitgleich fand an den schweizer Hochschulen wiederum die Karrierenacht statt, nicht aber in Bern. Hier liess die Uni den Event für ein Jahr pausieren. Dennoch wurde die Gegenveranstaltung durchgeführt – der Entwicklung, von der die «Nacht der Karriere» nur ein Teil ist, muss schliesslich weiterhin Einhalt geboten werden. Ging es im letzten Jahr noch darum, verschiedene Probleme zu diskutieren, wurde es dieses Jahr konkret: Nach dem Einstiegsplenum mit zwei Vorträgen und einem Abendessen gekocht von «Bio für Aui», wurden in vier Workshops konkrete Projekte angegangen.

Wie hast du’s mit dem Rassismus?

Da war zum einen der Workshop von «antira Bern» unter dem Titel «antirassistisch durchs Studium». Hier besprachen die Teilnehmenden beispielsweise Critical Whiteness und Privilegien. Die Critical Whiteness setzt sich mit dem Weisssein als soziales Konstrukt, das als Norm definiert wird, auseinander. Dadurch, dass weisse Menschen als der Norm entsprechend angesehen werden, würden sie in einer privilegierte Position stehen, so der Ansatz. Auf die Frage, wer denn glaube, von rassistischen Strukturen in der Gesellschaft zu profitieren, streckte die Mehrheit der Anwesenden im Workshop die Hand auf. Dies zu erkennen und gegen die strukturelle Diskriminierung ankämpfen zu wollen, bringt natürlich Verantwortung mit. Damit verbanden die Teilnehmer*innen etwa die Frage, wie akademische Wissensproduktion für den Kampf gegen Rassismus nutzbar gemacht werden kann und wie wir sowohl dem offensichtlichen als auch dem strukturellen Rassismus an Hochschulen entgegentreten können. Dabei fiel auf, dass die Uni Bern zwar eine Abteilung für die Gleichstellung von Frauen und Männern betreibt, ein vergleichbares Organ zur Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus sucht mensch an der hiesigen Alma Mater aber vergeblich. Nun wollen sich die Studierenden regelmässig treffen, um solche Themen zu besprechen und Lösungen zu finden.

Dass Bildung auch ausserhalb von Institutionen wie der Uni funktioniert, zeigten die Vertreter*innen von openki.net in ihrem Workshop. Die Internetplattform, deren Name auf den ukrainischen Namen der Hallimasche (eine Pilzgattung, die ein grossflächiges Myzel-Netzwerk anlegt) zurückgeht, ermöglicht es den Benutzer*innen, niederschwellig Angebote von Sprach- über Koch- bis hin zu Buchhaltungskursen auszuschreiben oder Kurse von anderen Benutzenden zu besuchen. Eine Einführung in selbstorganisiertem Lernen sowie ein Talent-Speeddating ermöglichten es den Workshopteilnehmer*innen dann, entsprechende Kontakte zu knüpfen.

Die basisdemokratische Uni als Ziel

Weitaus politischer wurde es im dritten Workshop: unter_bau teilte ihre Erfahrung als Basisgewerkschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Die Idee hinter unter_bau besteht darin, die Bedürfnisse aller, die der Uni als Arbeitgeberin im weitesten Sinne angegliedert sind, zu vertreten und somit mehr Druck auszuüben. So will sich unter_bau als Gewerkschaft der Hausdienste, des Mensapersonals, der Hilfsassistent*innen, der Putzkräfte, der Studierenden und der Angehörigen des Mittelbaus für gerechtere Anstellungs­bedingungen, mehr Mitspracherecht bei den Lehrplänen und einen offenen kritischen Diskurs über Unistrukturen einsetzen. Geht es nach den Anwesenden in diesem Workshop, soll sich auch die Uni Bern in diese Richtung entwickeln: raus aus den Studi-, Fakultäts- und Abteilungsblasen, Anliegen teilen und Kämpfe solidarisch führen, für mehr Basisdemokratie an und in der Uni.

Raus aus den Studi-, Fakultäts- und Abteilungsblasen, Anliegen teilen und Kämpfe solidarisch führen, für mehr Basisdemokratie an und in der Uni.

Etwas konkreter und genauso politisch ist das Ziel des vierten Workshops: Am 14. Juni 2019 findet in der gesamten Schweiz der Frauen*streik statt, daran wollen sich auch Studierende der Uni Bern beteiligen. Dazu planen sie, bereits im Vorfeld Vorträge und Informationsveranstaltungen durchzuführen. Zudem sollen auch hier alle Uniangestellten mit einbezogen und mobilisiert werden.

«Und wie geht’s jetzt weiter?»

Etwas erschöpft sammelten sich die Teilnehmenden der Workshops nochmals zum Plenum, um sich über die Ergebnisse der einzelnen Diskussionen zu informieren. Anschliessend liess mensch den Abend in verschiedenster Weise ausklingen: die einen bei einem Bier an der Bar, die anderen der Klanginstallation im Treppenhaus lauschend oder im Gespräch mit neuen oder alten Kontakten. Wer sich an dem Abend etwas umhörte, merkte, vielen fehlte streckenweise der Elan vom letzten Jahr. Das mag daran liegen, dass heuer der Reiz der Gegenveranstaltung wegfiel. Jedenfalls blieb die «Lange Nacht der Bildung» 2018 für manche zwar durchaus interessant, doch unter ihren Erwartungen. Was von dem Anlass bleibt, wird sich zeigen. Manche der Ziele, die an jenem Abend gesteckt wurden sind utopischer als andere und wie viele der Teilnehmer*innen wirklich gewillt sind, sie zu verfolgen oder nur aus Interesse mal reingeschaut haben ist ungewiss. Auf jeden Fall aber trug die Lange Nacht der Bildung dazu bei, dass sich Menschen mit denselben oder ähnlichen Anliegen austauschen und Kontakte knüpfen konnten. Menschen, die ihre Bildung nicht zwingend als Werkzeug für die eigene Karriere betrachten, sondern als Möglichkeit, sich für die Gesellschaft zu engagieren und einen Beitrag zu einem kritischen Diskurs über deren Verhältnisse zu führen. Und wer weiss, vielleicht beseitigt diese Generation Studierender den Muff von 50 Jahren unter den Talaren.

 

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