«Natürlich fragten wir uns, ob die Schweiz wirklich weltoffen ist.»

Foto: Sam von Dach

20. Dezember 2018

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Vor elf Jahren erhielt die Grafikerin Manuela Pfrunder den Auftrag von der Schweizerischen Nationalbank, die neuste Banknotenserie zu gestalten. Im Interview mit der bärner studiyztig erklärt die gebürtige Luzernerin, woran sich eine weltoffene Schweiz erkennen lässt und inwiefern Geld ästhetisch sein muss.

Manuela Pfrunder, mittlerweile kennen wir schon die 10er-, 20er-, 50er- und 200er-Note, die du gestaltet hast. Wie steht es um die 100er- und 1000er-Note?

Sie sind gedruckt und liegen bereit. Natürlich weiss ich, wie sie aussehen, da ich auch den Beginn der Druckprozesse begleitete. Das war im letzten Frühling und für mich der letzte, grössere Aufwand. Für mich ist das Projekt jetzt abgeschlossen. Ursprünglich sollte die 50er-Note bereits 2010 erscheinen, schlussendlich wurde sie aber erst 6 Jahre später präsentiert.

Wieso kam es zu dieser Verzögerung?

Es war von Anfang an klar, dass der vorgeschlagene Zeitplan sehr ambitioniert war. Immerhin sollten auch auf technischer Ebene neue Innovationen und Sicherheitsfeatures eingeführt werden, die zuvor noch gar nicht auf dem Markt waren. Je höher die Sicherheitsanforderungen sind, desto schwieriger wird die Produktion. Zudem war unsere Gestaltung sehr anspruchsvoll. Wir haben es der Technik nicht gerade leicht gemacht, was auch ein Teil unseres Auftrags ist. Die Nationalbank war zudem nicht unter Druck, die neuen Noten möglichst bald zu veröffentlichen, da keine Gefahr durch Fälschungen der alten Serie bestand. So wurde entschieden, mehr Zeit in Optimierung der Produktion zu investieren. Längerfristig betrachtet war das sicher eine kluge Entscheidung.

Gehen wir zurück an den Anfang: 2005 wurdest du im Alter von 26 Jahren zum Ideenwettbewerb der Nationalbank eingeladen. Wieso wolltest du den Banknoten ein neues Gesicht geben?

Die Aufgabe, für die Schweiz Banknoten zu gestalten, erschien mir spannend. Es ist ja nicht ganz trivial, sich der Identitätsfrage des eigenen Landes zu stellen. Eine grosse Herausforderung und ein einzigartiges Projekt, das man höchstens einmal im Leben machen kann. Deshalb wollte ich mitmachen.

Mit welchen Überlegungen bist du, angesichts des vorgegebenen Titels «weltoffene Schweiz», an das Projekt heran gegangen?

Natürlich haben wir uns die Frage gestellt, ob die Schweiz denn wirklich weltoffen ist. Wir empfanden, dass im Bereich der Wirtschaft diese Annahme legitim ist, aber in anderen Bereichen weniger. Bereits diese Frage gab genug Diskussionsstoff, hinzu kamen noch die notenspezifischen Themenvorgaben, welche darzustellen waren und so haben mein Partner Adrian Heuberger und ich in den ersten drei Monaten unter anderem sehr viel diskutiert. Danach suchten wir einen Weg der Umsetzung, um den verschiedenen Vorgaben gerecht zu werden. Uns ging es auch darum, aus den vielschichtigen Themenbereichen einen roten Faden zu ziehen.

Ist der Aspekt der «weltoffenen Schweiz» also immer noch enthalten, obwohl der Übertitel der Serie offiziell zu «vielseitige Schweiz» geändert wurde?

Visuell sieht man nach wie vor auf jeder Note den Globus, kartographische Themen und auch anliegende Länder werden angedeutet. Wir verlagerten den Fokus von der Weltoffenheit der Schweiz auf die Schweiz als Teil der Welt. So thematisierten wir nicht den Nationalstaat Schweiz an sich, sondern hatten den Bezug der Schweiz zur Welt im Blick. Der Aspekt der Weltoffenheit wird in der Kommunikation der SNB aber schlussendlich nicht mehr fokussiert.

Auf deiner Webseite beschreibst du die Welt als Bühne. Was für eine Rolle spielt die Schweiz auf dieser Bühne?

Auf der 50er-Note wird der Wind thematisiert, ein weltweites Phänomen, das mit der Schweiz per se nichts zu tun hat. Der Schweizer Bezug entsteht aber dann, wenn der Wind mit Bergen, dem Gleitschirmflieger und der Pusteblume visualisiert wird. Denn diese Elemente sind gerade beim Thema «Erholung und Erlebnis» sehr wohl mit der Schweiz in Verbindung zu bringen. Dadurch wird die Rolle der Schweiz ersichtlich. Das Thema «Zeit» auf der 10er-Note ist durch ein Uhrwerk verbildlicht, das im Bezug zur Pünktlichkeit und Präzision stark in Verbindung mit der Schweiz steht und zum vorgegebenen Thema «Organisation» passt. Das Einführen dieser «Überthemen» oder, wie wir es nennen, der «Protagonisten» der jeweiligen Noten, erlaubte uns, Bilder auszuwählen, die nicht so populär sind wie beispielsweise das Matterhorn, sondern ein Gefühl für die Schweiz vermitteln.

«Wir thematisierten nicht den Nationalstaat Schweiz an sich, sondern hatten den Bezug der Schweiz zur Welt im Blick.»

Du hast in Luzern die Fachklasse mit dem Projekt «Neotopia. Atlas zur gerechten Verteilung der Welt», abgeschlossen. Jetzt hast du Banknoten gestaltet: Ein Symbol nicht immer gerechter Verteilung. Ist das nicht ein sehr grosser Sprung?

(lacht) Ja klar. Es handelt sich um zwei vollkommen verschiedene Dinge. Bei beidem sehe ich aber die Auseinandersetzung mit einem ähnlichen Inhalt, der zum Tragen kommt. Das eine ist auf die Schweiz bezogen, das andere auf Menschenrechte und Uniformität. Bei beiden Projekten geht es stark um Identität.

Das Geld im Portemonnaie ist ein Symbol. Man kann entscheiden, was man damit anrichtet. Es ist weder gut noch böse. Muss das Geld ästhetisch ansprechend sein?

Was würde es denn bedeuten, wenn wir das Geld bewusst unästhetisch gestalten würden? Ich glaube einerseits nicht, dass die Nationalbank einen Designer auswählen würde, der diesen Anspruch verfolgt. Man kann aber vielleicht festhalten, dass wenn eine Währung stabil ist, sich die Ästhetik allenfalls mehr Ausgefallenheit erlauben kann. Eine schöne Banknote alleine heisst wiederum noch nicht, dass man damit auch etwas kaufen kann. Wird die Währung an sich in Frage gestellt – durch eine Inflation oder andere Gründe – dann kann das Design allein schwerlich das fehlende Vertrauen aufwiegen, das wäre äusserst anmassend. Die Gestaltung einer Banknote hat auch sehr pragmatische Aspekte: Ein gutes Design soll helfen, Fälschungen schnell zu erkennen oder sogar deren Erstellung zu verunmöglichen und muss wichtige Funktionen eines Zahlungsmittels aufweisen. Beispielsweise soll es schnell mit dem entsprechenden Notenwert erkannt werden, ob nun in einer schummrigen Bar, von einem Automaten oder einer sehbeeinträchtigten Person. Ist dies alles eingelöst, soll das Design auch die Frage der Identität eines Landes thematisieren und einen Zeitgeist widerspiegeln. Nicht grundlos werden die Banknoten oft als die Visitenkarte eines Landes gesehen. Ich glaube schon auch, dass die Identitätsfrage sehr wichtig ist. Wir haben das Geld jeden Tag in der Hand. Man soll gerne mit dem Geld bezahlen.

Siehst du die Gestaltung der Banknote als künstlerische Arbeit?

Ich bin zwiegespalten. Gerade aus den zuvor erwähnten Punkten. Ich persönlich habe nicht den Anspruch, Kunst zu machen, sondern Grafik: eine auftragsbezogene Dienstleistung. Aber ja klar, auch ich will etwas Schönes machen.

Foto: Sam von Dach

Die Banknoten stehen für Kreativität, Humanität, Kommunikation, Wissenschaft, Organisation, Erlebnis. Themen wie Religion oder Kunst werden nicht angesprochen…

Die sechs Themen gab die Nationalbank vor. Die Religion war nicht darunter. Ich glaube, sie wäre in unserem Land heutzutage schwierig zu thematisieren. Bei der letzten Serie stand die Kunst, durch das Porträtieren von Persönlichkeiten aus dem Kulturbereich, im Fokus. Bei dieser Serie wollte man etwas Neues. Auf der 20er-Note hätte die Kunst allenfalls stärker thematisiert werden können. Mit der Abbildung der Piazza am Filmfestival Locarno haben wir auf die Populärkultur fokussiert. Mit der Beamerprojektion auf eine weisse Leinwand konnten wir das vorgegebene Thema «Kreativität» der 20er-Note mit dem Protagonisten «Licht» in Verbindung bringen.

Die Hände als Symbol für jeden einzelnen Menschen stehen nun an Stelle der bekannten Porträts. Rückt dadurch dein Gesicht als Gestalterin stärker in den Vordergrund?

Das habe ich in diesem Zusammenhang noch nie betrachtet. Spannende Überlegung. Ich meinte bis anhin eher, dass es daran liegt, dass der Auftrag an eine junge Frau vergeben wurde und sich daraus eine Geschichte machen lässt. Interviews und Portraits haben ja momentan eine Hochkonjunktur. Die Medienlandschaft hat sich stark verändert gegenüber den Zeiten, in denen Jörg Zintzmeyer oder Ernst Hiestand die Noten gestaltet haben.

«Ich persönlich habe nicht den Anspruch, Kunst zu machen, sondern Grafik: eine auftragsbezogene Dienstleistung.»

Hast du keine Angst davor, dass dein Name immer mit der Gestaltung der Banknoten verbunden sein wird?

Doch, das bereitet mir schon auch Sorgen. Je weiter weg dieses Projekt jetzt aber rückt, desto einfacher fällt es mir, damit umzugehen, da ich mich mittlerweile auch wieder anderen Aufträgen zuwenden kann. Bevor die erste Note herausgegeben wurde, war es schon ein unangenehmes Gefühl, nicht zu wissen, wie die Reaktionen ausfallen werden. Mein Name war damals schon bekannt als Gestalterin der neuen Banknoten, das Namensschild war also schon da, nur das Produkt fehlte noch.

Du gestaltest Banknoten, die Menschen täglich gebrauchen, und setzt dich ihrem Urteil aus. Haben die Leute deine Überlegungen verstanden?

Man kann sich länger mit diesen Banknoten beschäftigen und viele Überlegungen dazu anstellen, muss aber nicht. Es lässt sich mehr darauf entdecken, als bei der Einführung kommuniziert wurde. Aber diese Notenserie ist ja auch noch für weitere 15 bis 20 Jahre im Umlauf. Da bleibt also noch viel Zeit zum Entdecken. Kürzlich hat eine Frau neben mir in einem Laden eine 10er-Note gesucht und gemeint, die 200er-Noten sähen sehr ähnlich aus wie die 10er-Noten. Da dachte ich mir: Das haben wir nicht gut gelöst. Dass die Menschen die Noten in ihrem Portemonnaie unterscheiden können, ist ein essentieller Punkt. Ob auf der Note noch Hände abgebildet sind, war dieser Frau in dem Moment völlig egal.

Gibt es Aspekte der Gestaltung, die in der Öffentlichkeit kaum bemerkt wurden?

Sehr aufwendig für uns war der metallische Sicherheitsstreifen auf den Noten. Dort sind etwa die höchsten Berge der Schweiz abgebildet, die längsten Eisenbahntunnels oder das Schienennetz Europas. Dies zu generieren, war eine Riesenarbeit und zwischendurch habe ich mich schon gefragt, ob sich der Aufwand überhaupt lohnt. Schlussendlich wurde dieser Sicherheitsstreifen von den Medien, Wissenschaftlern und Interessierten immer wieder aufgegriffen, genau angeschaut und zum Thema gemacht. Das ist schön zu sehen. Die Universität Bern hat beispielsweise einen Artikel veröffentlicht über die Schmetterlinge auf der Rückseite der 20er-Note. Darin hat eine Biologin begründet, warum diese Schmetterlinge auf der Note zu finden sind und wie die Reflexion des Lichts auf den Schuppen der Schmetterlingsflügel funktioniert. Das fand ich super.

In einem Interview sagte der Grafiker Simon Küfer, er erkenne einen Paradigmenwechsel: «Weg von einer Schweiz, die sich als Vorreiterin der Moderne sieht, und hin zu einer Schweiz, die schon sehr globalisiert ist und in dieser globalisierten Welt vor allem ein Finanzplatz ist.» Kannst du diesen Gedanken zustimmen?

Ich weiss nicht, woran er den Finanzplatz erkennt, eventuell geht es darum, dass die Schweiz mit der neuen Notenserie einen Benchmark setzen will, da diese international zu den sichersten und innovativsten Noten gehören. Abgebildet ist nichts aus dem Bereich der Finanzwelt. Das Thema des Globalen zeigt sich aber sehr deutlich. Die Schweiz will sich ja so verstehen, deshalb lautete der ursprüngliche Titel des Gestaltungswettbewerbs auch «die weltoffene Schweiz». Es fand eine Abkehr statt von der Idee, Errungenschaften aus der Vergangenheit zu zeigen. Wir befinden uns mittlerweile nicht mehr in der modernen, sondern in der postmodernen Zeit, dem kann ich sicher zustimmen.

Welche Auflagen stellte die Nationalbank an dich bezüglich der Sicherheitsvorkehrungen während der Gestaltung?

Die Daten mussten allzeit gesichert sein, damit Unbefugte keinen Zugang erhalten konnten. Der Transfer zur Druckerei lief ebenfalls über eine sichere Verbindung, damit die Gestaltung bis zum Präsentationstermin geheim blieb. Der heikelste Moment ist die Inumlaufsetzung einer Note. Wenn zu diesem Zeitpunkt bereits Fälschungen im Umlauf wären, könnten diese eine Gefahr für das Original darstellen, da das neue Design noch nicht eingeprägt ist. Die neuen Noten wurden deshalb bewusst der Öffentlichkeit vorgestellt, bevor sie eine Woche später in Umlauf kamen. Interessant fand ich einen Beitrag in den Medien, in welchem mit der neuen 20er-Note in Läden bezahlt wurde und die Verkäufer das Geld annahmen, ohne zu wissen, wie die neuen Noten überhaupt aussehen oder dass es neue Noten gibt. Dieses Vertrauen in das Zahlungsmittel ist schon erstaunlich und fast etwas beängstigend.

Du konntest während diesen elf Jahren auch privat nicht über deine Arbeit sprechen. Wie schwierig war das?

Oft möchte man ja über Sorgen sprechen, und die sind meistens zwischenmenschlicher Natur. Darüber lässt es sich ja schon reden, wenn man die Namen weglässt. In dem Sinne konnte ich im vertrauten Kreis schon über die Arbeit sprechen. Schwierig war es, nie etwas zeigen zu können, etwa anderen visuellen Gestaltern. Wir blieben zu einem gewissen Grad unreflektiert. Der Austausch fand nur zwischen Beratern der Nationalbank, der Druckerei und unserem Team statt, dieser Kreis war also sehr eng. Der Blick von aussen fehlte komplett.

Würdest du wieder einen solchen Auftrag annehmen?

Vielleicht wenn ich wieder 26-jährig wäre (lacht). Aber einmal im Leben reicht für mich. Ich geniesse es gerade sehr, dass das Projekt abgeschlossen ist.

Was steht als Nächstes an?

Jetzt, da es draussen wieder kälter wird, kriege ich schon Lust auf ein neues Projekt. Ich habe mir mittlerweile ein grosses Wissen über Sicherheitsdesign und Sicherheitsdruck angeeignet, das ich gerne weiter anwenden würde. Es ist mir aber auch wichtig, dass ich es mir offen lasse, was als nächstes kommt. Ich werde sicher weiterhin im grafischen Bereich arbeiten, denn diese Tätigkeit liebe ich. Aktuell habe ich ein paar Aufträge, aber nichts in der Grössenordnung der Banknoten. Das weiss ich momentan sehr zu schätzen (lacht).

 

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