Wirtschaften nach Bedürfnissen
Das Schloss Hubelgut in Bolligen wird von acht Erwachsenen und drei kleinen Kindern bewohnt. Die Wohngemeinschaft betreibt seit eineinhalb Jahren gemeinsame Ökonomie.
Dank gemeinsamer Ökonomie besser verteilte Arbeit und mehr Freizeit für alle: Wer träumt nicht davon?
«Plötzlich ist ein Kind auf dem Weg und wenig später findest du dich in einem Einfamilienhüsli wieder.» Jannik beobachtete das Reinschlittern in das bürgerlich traditionelle Lebensmodell oft genug in seinem Umfeld. Das sei auch kein Wunder, dieser Weg werde uns zur Genüge als die zu erstrebende Lebensform vorgehalten: Film, Werbung, ja sogar die Bäbi-stube sei auf das Modell der Kleinfamilie ausgerichtet. Um sicher zu gehen, dass er nicht auch aus Versehen in diesen Lebensentwurf hineingedrängt wird, hat Jannik vor sechs Jahren mit Freundinnen und Freunden den Plan für ein alternatives Lebensprinzip gefasst – ein Wohnkollektiv mit gemeinsamer Ökonomie.
Alle zwei bis drei Wochen finden sich die Mitbewohnenden des Schloss Hubelguts in Bolligen zu einer Plenumssitzung ein, acht Erwachsene, drei kleine Kinder. Manchmal dauere die Besprechung zehn Minuten, manchmal zwei Stunden. Fixes Traktandum: Finanzen. In einem ersten Teil wird der momentane Kontostand vorgestellt und Ausgaben über 400 Franken angemeldet. Bedürfnisse sind nicht verhandelbar, lautet die goldene Regel. «Ich kann den Konsum von Nestléprodukten kritisieren und vorschlagen, nur noch Bio einzukaufen. Aber ich kann niemandem das Bedürfnis nach Ferien oder neuen Schuhen absprechen», erklärt Jannik. Er vertraut darauf, dass alle selber entscheiden können, was sie wirklich brauchen. Diese Bedürfnisse sollen abgedeckt werden. «Natürlich kauft man sich nicht mehr jeden Unsinn.» Da alle Mitglieder gemeinsam in der Verantwortung stehen, würden die eigenen Bedürfnisse gut reflektiert. Bald entwickle man ein Gefühl dafür, was tatsächlich ein reales Bedürfnis sei und was nur gekauft würde, weil gerade noch ein bisschen Geld auf dem Konto übrig sei.
Manchmal müssen Bedürfnisse etwas warten, wenn der Kontostand gerade knapp ist. Wie zum Beispiel im letzten Herbst der gewünschte Gleitschirm von Philippe. Weil in dieser Zeit Steuern und neue GAs bezahlt werden mussten, lagen grössere Anschaffungen nicht im Budget. In dieser Zeit hätten aber alle stark mitgeholfen und nun sei die Krise überwunden. Der Kauf des Gleitschirmes sollte noch diesen Frühling klappen.
In der WG Hubelgut gelangen alle Einkommen der einzelnen WG-Mitbewohnenden auf ein einziges Konto, so unterschiedlich sie auch sind. Von diesem Konto werden sämtliche Ausgaben der einzelnen Personen bezahlt: Einkäufe, Steuern, Krankenkasse, Ferien, Aktivitäten und pro Monat hundert Franken für jedes Kind auf ein separates Konto – falls es zum Beispiel einmal ein aufwendigeres Hobby betreiben möchte.
Im zweiten Teil der Finanzsitzung gibt es Zeit für eine Befindlichkeitsrunde. Hier können Ängste besprochen, Ärgernissen Luft gemacht und Freudenmomente mitgeteilt werden. Dieses Gefäss sei enorm wichtig, davon ist Jannik überzeugt. «Gerade zu Beginn des Projekts war es sehr wertvoll, die eigenen Unsicherheiten und Bedenken mit den anderen teilen zu können.»
Abgesehen vom fixen Traktandum im WG-Plenum ist bei Jannik das Thema Geld in letzter Zeit massiv in den Hintergrund gerückt. Da das Finanzämtli in der WG Hubelgut alle drei Monate zur nächsten Person rotiert, musste Jannik seit eineinhalb Jahren keine Rechnungen mehr erledigen. «Das empfinde ich als sehr befreiend», meint er lächelnd.
Momentan steht es gut um den Kontostand der Hubelgut-WG. Die Bedürfnisse aller WG-Mitbewohnenden können abgedeckt werden, es reicht auch ab und zu für ein Auswärts-Znacht im Restaurant. «Obwohl wir uns faktisch unter der Armutsgrenze befinden, leben wir sehr reich», meint Jannik. «Durch die Zusammenarbeit und die genutzten Synergien dieses Lebensentwurfs scheint schlussendlich mehr für alle da zu sein.»
Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen
Neben einem konventionellen Ämtliplan organisiert sich die WG Hubelgut durch kleinere Arbeitsgruppen, welche sich um Garten, Einkäufe oder Handwerkliches kümmern. Jedes erwachsene Wohnmitglied sollte zudem einmal in der Woche für alle kochen. Zurzeit wird die Realisierung eines Wochenplans diskutiert, der regeln würde, dass jeweils pro Tag zwei Personen zu Hause sind, um die Kinder zu betreuen und Hausarbeit zu erledigen. «Das Konzept der Kleinfamilie verhäbt für mich schon aus dem Grund nicht, dass es zu anstrengend ist», meint Jannik. Es sei enorm kräftezehrend, wenn Hausarbeit, Lohnarbeit und Kinderbetreuung auf lediglich zwei Menschen abgewälzt würden, wie es im bürgerlichen Familienmodell der Fall sei. Werden die Aufgaben in einem Kollektiv organisiert, bleibe am Ende des Tages mehr Zeit für andere Beschäftigungen, erzählt Jannik. Das Modell der gemeinsamen Ökonomie biete eine Chance, verschiedene Arbeiten umzuwerten. «Im kapitalistischen System erhält dein Leben erst einen Wert, wenn du deine Arbeitskraft verkaufst.» Dabei seien für eine funktionierende Gesellschaft neben der Lohnarbeit andere Arbeitsformen wie etwa Care-Arbeit, Hausarbeit, politische und künstlerische Arbeit genauso wichtig, jedoch seien diese im kapitalistischen System nicht existenzsichernd. Die gemeinsame Ökonomie befreit einen zwar nicht von den monetären Zwängen des Systems, aber diese können auf eine Gruppe von Menschen verteilt werden. Somit stehe die einzelne Person nicht mehr alleine mit ihren Existenzängsten da, Lohnarbeit sowie alle anderen Formen der Arbeit können auf das Kollektiv aufgeteilt werden. Gleichzeitig wird eine Abhängigkeit vom Sozialstaat verhindert, KiTa und Sozialhilfe können durch die Unterstützung des Kollektivs ersetzt werden.
«Sei es in Familien, Klöstern oder Wohngemeinschaften – nur selten leisten alle genau denselben finanziellen Beitrag für die Gemeinschaft und erhalten den gleichen Beitrag aus dem gemeinsamen Topf zurück.»
Sarah etwa studiert Theologie und wurde vor einem Jahr Mutter. Sie ist die einzige aus der WG, die zurzeit kein Einkommen hat. Früher hielt sie sich mit mühsamen und gering entlohnten Nebenjobs über Wasser, heute kann sie auf die finanzielle Absicherung durch das Kollektiv vertrauen.
«Ein Stück richtigeres Leben im falschen»
«Kapitalismus ist doof» war Janniks anfängliche Überzeugung, die ihn zur Hinwendung zu einer alternativen Lebensform bewegte. Im Konzept der gemeinsamen Ökonomie sieht er zwar kein grundsätzlich revolutionäres Potenzial: «Die gemeinsame Ökonomie ändert meine Lebensrealität, nicht aber die Gesellschaft.» Jedoch erleichtere sie gewisse Formen von politischen Kämpfen, zum Beispiel den gewerkschaftlichen: «Ich kann künden, ohne dass mir meine gesamte Existenz entzogen wird.» Das Grundeinkommen wird schliesslich durch ein Kollektiv abgesichert, so sei der oder die einzelne weniger angreifbar. Jannik erkennt in der Ideologie der gemeinsamen Ökonomie uranarchistische Züge. «Es geht um die Aneignung eines ‹guten Lebens›, das ist ein Konzept eines konstruktiven, lebensbejahenden Anarchismus.» Mit der Umsetzung eines solidarischen Lebensentwurfs zeige das Kollektiv ausserdem gegen aussen, dass ein anderes Lebenskonzept möglich ist, jedenfalls im Kleinen: «Ein Stück richtigeres Leben im falschen.»
Das Konzept der gemeinsamen Ökonomie ist im Grunde genommen ein vielgelebtes Modell im Alltag: Sei es in Familien, Klöstern oder Wohngemeinschaften – nur selten leisten alle genau denselben finanziellen Beitrag für die Gemeinschaft und erhalten den gleichen Beitrag aus dem gemeinsamen Topf zurück. Im unmittelbaren Umfeld scheint das Prinzip also auf sehr natürliche Art und Weise zu funktionieren. Könnte das Konzept aber auch in grösseren Dimensionen angewendet werden? Was würde geschehen, wenn die gemeinsame Ökonomie nicht nur hinter Wohnungstüren oder Klostermauern gelebt würde? Was wäre, wenn Menschen, die sich gegenseitig nicht kennen oder lieben, freiwillig wählen dürften, welchen Beitrag sie für die Gemeinschaft leisten und wie viel ihre Bedürfnisse kosten? Die Frage ist keine neue. Auf volkswirtschaftlicher Ebene gleiche das Konzept dem Sozialismus, bemerkt Prof. Dr. Frauke von Bieberstein, Direktorin des Instituts für Organisation und Personal an der Universität Bern auf die Anfrage, ob das Modell auch in grösseren Gemeinschaften denkbar wäre. Tatsächlich teile die gemeinsame Ökonomie mit dem Sozialismus den Ansatz, Solidarität und Freiheit zu kombinieren. Das Individuum trägt Verantwortung für die gesamte Gemeinschaft mit, die Gemeinschaft unterstützt wiederum das Individuum bei seiner Selbstverwirklichung. Aber auch Ansätze, die ihren Ursprung nicht nur oder nicht ausschliesslich im Sozialismus haben, nehmen Aspekte der gemeinsamen Ökonomie auf. An dieser Stelle sei auf den klassischen Sozialstaat oder das bedingungslose Grundeinkommen verwiesen. Auch wenn Ersterer nicht bedingungslos ist und Letzteres nicht zwischen individuellen Bedürfnissen unterscheidet, streben beide die Existenzsicherung jenseits einer bezahlten Erwerbstätigkeit an.
Asienreise statt Modellfigürli
Ein Projekt, das zwar nicht auf volkswirtschaftlicher, aber ansatzweise auf anonymer Ebene funktioniert, ist das RaAupe-Kollektiv in Bern. Vor drei Jahren hat sich die politische Interessensgruppe gegründet, seit zwei Jahren betreibt sie gemeinsame Ökonomie. Die Mitglieder des Kollektivs RaAupe in Bern leben nicht zusammen und kennen sich weder lange noch besonders gut. Halbjährlich werden neue Anfragen für Beitritte diskutiert, bis jetzt wurden alle in das Kollektiv aufgenommen. Zu Beginn noch zu siebt, hat das Kollektiv heute knapp doppelt so viele Mitglieder. Was die Gruppe verbindet, ist das gemeinsame Ziel: «Revolution als Alltag». Mitmachen setzt lediglich die Motivation voraus «im Hier und Jetzt durch alltägliche Praxis einen Beitrag zur Errichtung einer nicht-kapitalistischen solidarischen Gesellschaft zu leisten», wie es im RaAupe-Manifest heisst.
«Ich brauche keine krasse Beziehung zu einem Menschen, um diesem vertrauen zu können. Das einzige, was es braucht, ist Vertrauen in die gemeinsamen Werte und das System», erklärt Ivan, der dem Kollektiv kurz nach der Gründung beigetreten ist. Auch beim RaAupe-Kollektiv gilt: Bedürfnisse sind nicht verhandelbar. Aber Vertrauen in die anderen setzt voraus, dass die eigenen Bedürfnisse kritisch überdenkt werden. Ivan hat früher kleine Modellfiguren gesammelt. Als er bei RaAupe eintrat, überlegte er sich erstmals, ob ihn die Anschaffungen der «Figürli» tatsächlich glücklich machte und musste verneinen. Dafür gönnte er sich nach dem Studium eine Asienreise. Ein Unterfangen, das er sich alleine niemals hätte leisten können. RaAupe unterstützte ihn dabei.
«‹Bedürfnisse sind nicht verhandelbar›, lautet die goldene Regel.»
An den Finanzsitzungen, die einmal pro Quartal stattfinden, werden Kontostand und Ausgaben über tausend Franken besprochen. Momentan laufen zudem Diskussionen darüber, ob und wie man persönliches Vermögen ebenfalls in die gemeinsame Ökonomie einbauen könnte.
Zeitplan für die Revolution
Für die Umsetzung seiner Idee hat sich das Kollektiv zu Beginn zwei Fragen gestellt: «Was braucht es, um angenehm zu überleben?» Und: «Was für Zeitvertriebe tragen dazu bei, mit der Dynamik des Kapitalismus zu brechen und eine bessere Welt zu schaffen?» Die erste Frage beantwortete das Kollektiv mit dem Prinzip der gemeinsamen Ökonomie. Für die Beantwortung der zweiten Frage stellte das RaAupe-Kollektiv eine Liste mit Tätigkeiten zusammen, durch die das Projekt seinem revolutionären Anspruch gerecht werden könne. Die Liste beinhaltet «klassenbewusste Lohnarbeit», «feministisch organisierte Care-Arbeit», «antikapitalistische Produktion», «politische Intervention» und «kritische Bildung». Damit all diese Arbeitsbereiche bewusster gelebt werden können, hat die Gruppe ein gemeinsames Manifest ausgearbeitet, in welchem sie die 3-1-1-1-1-Idee formuliert: Drei Tage in der Woche sollen für die Lohnarbeit aufgewendet werden, je ein Tag für die anderen Bereiche.
«Niemand aus unserer Gruppe kann dieses Schema einhalten», schmunzelt Ivan. «3-1-1-1-1 ist keine Regel sondern ein Vorschlag, ein Ideal.» Oft sei man als politischer Mensch in einem der Bereiche sehr aktiv und vergesse dabei alle anderen, deshalb sei es hilfreich, sich ab und zu die ganze Palette revolutionärer Strategien wieder vor Augen zu führen. Genau wie Jannik aus der Hubelgut-WG sieht Ivan die gemeinsame Ökonomie auch als Möglichkeit, politische Kämpfe noch nach 30 fortsetzen zu können: «Wenn man jung ist, hat man Zeit und Energie um Demos zu organisieren, Häuser zu besetzen, zu containern und so weiter. Dann bekommt man ein Kind oder hat einen strengen Job und plötzlich hört der Aktivismus auf.» Die solidarische Organisation, die Arbeitsteilung und finanzielle Abstützung durch ein Kollektiv erachtet er, für ein nachhaltiges politisches Aktivsein, für förderlich oder gar notwendig. «Es geht auch darum, einander gegenseitig darin zu bestärken und zu unterstützen, politische Kämpfe zu führen. Egal ob antikapitalistisch, feministisch oder antirassistisch – am besten alle zusammen.» Gerade die Care-Arbeit hat seiner Meinung nach in der übrigen linken Szene in Bern einen zu kleinen Stellenwert. Bei der letzten Sitzung bekundete ein RaAupe-Mitglied, Mühe mit der Masterarbeit zu haben. Drei Menschen des Kollektivs boten ihre Hilfe an.
Die Frage nach dem menschlichen Wesen
Bei der Frage nach der Erfolgschance der gemeinsamen Ökonomie auf anonymer Ebene scheiden sich die Geister. Hinter den verschiedenen Ansichten stecken oft unterschiedliche Überzeugungen bezüglich der menschlichen Natur. Wer den Menschen als altruistisches, soziales Wesen betrachtet, gibt dem Modell eher eine Chance. Wer den Menschen hauptsächlich von seinem Eigeninteresse getrieben glaubt, sieht die gemeinsame Ökonomie hingegen zum Scheitern verurteilt. Aufschluss darüber, zu welchem tatsächlichen Verhalten solche Modelle führen könnten, gibt laut Prof. Dr. Frauke von Bieberstein die «Public-Good-Debatte». In diesem Forschungsbereich der Verhaltensökonomie geht es um die Frage, welchen Beitrag Mitglieder zu einem öffentlichen Gut leisten, wenn ihnen die Wahl über die Höhe ihres Beitrages überlassen wird. Mit einem öffentlichen Gut ist eines gemeint, welches von allen benutzt werden kann. Im Falle der gemeinsamen Ökonomie wäre das «öffentliche» Gut die geteilte Kasse. Aus egoistischer Perspektive hätte ein Individuum eigentlich keinen Anlass, selbst etwas beizusteuern, da es unabhängig vom eigenen Beitrag von diesem Gut profitiert. Würden aber alle so handeln, könnte das öffentliche Gut nicht mehr finanziert werden. Zudem möchten manche Menschen aus Solidarität zu einem öffentlichen Gut beitragen, auch wenn sie es nicht benutzen. Die Frage ist letztlich, zu wieviel Kooperation und eigennützigem Handeln es kommt und wieviel davon ein System verträgt.
In Experimenten und in der Realität tritt nie der Fall ein, dass entweder alle bedingungslos beitragen oder alle schamlos profitieren. Normen, Werte und Überzeugungen einer Gemeinschaft sind ausschlaggebende Faktoren für das Verhalten der Menschen, genauso wie Erwartungshaltung an die Mitmenschen und gemachte Erfahrungen. Wer glaubt, die anderen tragen zum öffentlichen oder gemeinschaftlichen Gut bei, tut tendenziell dasselbe, wer vom Gegenteil überzeugt ist, stiehlt sich eher aus der Verantwortung. Leute, die nichts beitragen, werden in der Verhaltensökonomie als «TrittbrettfahrerInnen» bezeichnet.
Die TrittbrettfahrerInnen sind die anderen
Weder Annahmen zur menschlichen Natur, noch der Fakt, dass Überzeugungen und Erfahrungen massgeblich zum Erfolg oder Scheitern führen, beantworten die Frage nach der Umsetzbarkeit des Modells auf volkswirtschaftlicher Ebene befriedigend. Fakt ist: Im Kleinen tendieren wir dazu, unsere Unterstützung für andere nicht ständig davon abhängig zu machen, was wir im Gegenzug dafür erhalten. Vielmehr tragen wir nach unseren Fähigkeiten zur Gemeinschaft bei und berücksichtigen die individuellen Bedürfnisse unserer Mitmenschen. Dahinter scheint ein Solidaritätsprinzip zu stecken, dessen Wünschbarkeit eigentlich nur wenige bestreiten, mögen es gewisse auch nur auf Menschen in ihrem engeren Umfeld anwenden. Wenn es aber darum geht, dieses Solidaritätsprinzip auszuweiten, scheitern die Initiativen oft an der Befürchtung, dass die anderen die TrittbrettfahrerInnen seien. Was in einer Gesellschaft tatsächlich geschehen würde, in der Menschen nicht mehr von bezahlter Arbeit abhängig wären, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, würden wohl nur Pilotprojekte in grösserem Ausmass aufzeigen.
«Wenn es aber darum geht, dieses Solidaritätsprinzip auszuweiten, scheitern die Initiativen oft an der Befürchtung, dass die anderen die TrittbrettfahrerInnen seien.»
Die WG Hubelgut steht momentan vor neuen Herausforderungen. Darunter fällt die Suche nach einem neuen Haus (www.unserhausprojekt.ch) mit Wohnraum für mehr Menschen. Ausserdem sollen mit einem neuen Arbeitsplan die verschiedenen Arbeiten der Mitglieder sichtbarer gemacht werden, die Frage der AHV muss geklärt werden und es wird darüber spekuliert, wie die im Kollektiv aufwachsenden Kinder mit dem gelebten Modell umgehen werden. Werden sie sich das Sackgeld auch bedürfnisorientiert aufteilen?
von Fabio Peter
Lange Zeit galten Ansätze der gemeinsamen Ökonomie als überholt: Zu idealistisch, um in grossen Gemeinschaften zu funktionieren, lautete das Credo. Dabei ist die gemeinsame Ökonomie aktueller denn je. Es ist höchste Zeit, dass wir die Gleichung Wirtschaftswachstum = Wohlstand hinterfragen. Denn was bringt uns Wirtschaftswachstum in unseren Breitengraden eigentlich noch ausser dem Zwang, ständig arbeiten und konsumieren zu müssen? Wenn die Glücksforschung eine Erkenntnis hervorgebracht hat, dann die, dass steigender materieller Wohlstand ab einem gewissen Grad nichts mehr zu unserer Lebenszufriedenheit beiträgt. Aber nicht nur, dass materieller Wohlstand keinen Mehrwert mehr hat: In einer Welt mit endlichen Ressourcen gefährdet unendliches Wirtschaftswachstum gar unsere Lebensgrundlage und diejenige der anderen. Die Logik des Wachstums im Kapitalismus führt dazu, dass die gesteigerte Produktivität nicht für die generelle Reduktion von Arbeit, sondern für noch mehr Produktion eingesetzt wird. Dabei kennen wir alle das Gefühl, dass wir nie Zeit für das haben, was uns wirklich wichtig ist: Mit Menschen zusammen sein oder einer Leidenschaft nachzugehen: Musik, Kunst, Lesen, Schreiben, Sport und Genuss kommen stets zu kurz. Wir produzieren also Dinge, die uns nicht glücklicher machen und wenden dafür Zeit auf, von der wir gerne mehr hätten. Es ist dringend notwendig, dass wir uns überlegen, was wir wirklich brauchen und die Wirtschaft danach ausrichten, anstatt unsere Bedürfnisse danach auszurichten, was die Wirtschaft alles produziert.
Betr. Kommentar von Fabio „was bringt uns Wirtschaftswachstum eigentlich noch“. Kurzfristig betrachtet nicht viel, mittel- und langfristig betrachtet dagegen schon: die Schweiz ist keine Insel und solange die Länder um uns herum ein Wirtschaftswachstum haben, solange bedeutet dies dass wir uns bei keinem Wirtschaftswachstum pro Kopf immer weniger leisten können (da es ja auch noch so etwas wie eine Inflation gibt). Oder einfach ausgedrückt: wir leben den Standard den uns unsere Eltern erarbeitet haben, sind aber nicht bereit unseren Kindern dieselben (finanziellen) Verhältnisse zu bieten wie wir sie vorgefunden haben.
Fakt ist aber, dass ein anhaltendes Wirtschaftswachstum nicht realistisch ist (und nein, das ist keine ideologische Frage, sondern eine rein funktionale). Deshalb ist es an der Zeit, sich über Alternativen – sogenannte Postwachstumsgesellschaften – Gedanken zu machen. Und ja, das bedeutet auch, den eigenen Standard zu hinterfragen. Müssen wir uns denn tatsächlich all das leisten können, was wir momentan haben? Auch ich will, dass meine Kinder ein gutes Leben führen können. Aber Wohlstand muss zukünftig anders gedacht werden, als rein ökonomisch. Ich denke, dass für die zukünftige Generation mehr getan wird, wenn an neuen Modellen des Zusammenlebens, des nachhaltigen Lebens… Zeig mir mehr! »