#Beeinflussung
Illustration: Lisa Linder
Immer öfter werden Privatpersonen von Unternehmen als MarkenbotschafterInnen eingespannt. Sogenannte Micro-Influencer werben auf ihren privaten Profilen in den sozialen Netzwerken für deren Produkte. Der subtilen Beeinflussung mangelt es vielfach an Transparenz. Die Grenze zwischen gewöhnlichen Inhalten und Werbung verschwindet zusehends.
11. Dezember 2017: «Ohne Leistungsverlust & kabellos in den Montag starten, ein anderer Start, aber ein guter!» Auf dem Facebook-Profil von Fabio Truffer findet sich neben Selfies und Ferienfotos auch gelegentlich ein Post über einen drahtlosen Staubsauger. Was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist: Es handelt sich dabei um Werbung. Denn Truffer ist Markenbotschafter für das Technologieunternehmen Dyson. Mit seinen rund 1000 FreundInnen auf Facebook zählt er in der Marketingwelt zu den sogenannten Micro-Influencern. Das sind im Gegensatz zu Macro-Influencern – Prominente mit hunderttausenden Followern – Menschen mit einem kleineren Einflusskreis, die aber oft in Nischen tätig und erfolgreich sind. Es kann sich bei Micro-Influencern aber auch um gewöhnliche Privatpersonen mit ein paar hundert Followern handeln.
In den Schweizer Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Italien zählt jemand als Micro-Influencer, wenn er von einem bis zu 50’000 FreundInnen hat, die ihm auf Instagram, Twitter oder Facebook folgen. In der Schweiz ist der Markt nicht so gross. Micro-Influencer ist daher bereits jemand mit bis zu maximal 20’000 Followern. Dabei haben über 90 Prozent aller Social-Media-NutzerInnen in der Schweiz nur bis zu 1000 Follower.
«Meine Freunde wussten am Anfang nicht genau, warum ich das mache, bis ich ihnen die Erklärung dazu gegeben habe», sagt Truffer. In erster Linie habe ihn das Projekt an sich sehr interessiert. «Ich bin ein begeisterter Social-Media-Benutzer – auch in Bezug auf Influencing, welches ich sehr gut aus meinem Job kenne.»
«Wenn ein guter Freund über etwas schwärmt oder etwas kritisiert, hat das einen viel grösseren Impact auf uns als eine Werbetafel.»
Äusserst zufrieden mit der Aktion von Dyson ist Dino Ceccato. Er ist Director Digital bei der Marketingagentur PRfact, welche sich als eine der ersten in der Schweiz auf Micro-Influencing spezialisiert hat. Ceccato war unter anderem verantwortlich für die Konzeption und Lancierung der Kampagne. Wie in der Marketing-Szene üblich, spart er nicht mit Anglizismen: «Wir haben gemerkt, dass die Leute stolz darauf sind, Social Ambassador einer Marke zu sein.» Viele seien weit über das hinausgegangen, was von ihnen erwartet wurde. Gesucht hat Dyson insgesamt 100 BotschafterInnen. Beworben haben sich über 400. Zusätzlich wurden MitarbeiterInnen von Dyson als BotschafterInnen mobilisiert. Ceccato und sein Team haben daraus die werbetauglichsten ausgewählt und ihnen anschliessend über mehrere Monate hinweg Infos und Videos zum kabellosen Staubsauger gesendet. Die Marke Dyson war darauf jeweils nicht gekennzeichnet. Den Botschaftern stand frei, das erhaltene Material zu posten und sich eigene Geschichten dazu auszudenken. Wichtig war lediglich, dass sie ihre Posts mit dem Kampagnen-Hashtag versehen.
«Die Grundidee des Influencer-Marketings ist, keine klassische Werbung zu betreiben, sondern Werbeinhalte direkt von authentischen und glaubwürdigen Personen vermitteln zu lassen», so Ceccato. «Wenn ein guter Freund von etwas schwärmt oder etwas kritisiert, hat das einen viel grösseren Impact auf uns als eine Werbetafel.»
Digitale Form von Mund-zu-Mund-Propaganda
Micro-Influencing ist laut Ceccato nichts Neues. Schon früher hätten Menschen am Stammtisch diskutiert und Empfehlungen untereinander ausgetauscht. «Heute ist das einfach online öffentlich und breiter zugänglich», sagt Ceccato. Eine digitale Form von Mund-zu-Mund-Propaganda sozusagen. Der wesentliche Unterschied ist jedoch, dass diese Influencer dafür bezahlt werden. Wenn nicht mit Geld, dann zumindest mit Geschenken wie dem zu bewerbenden Produkt, Gutscheinen oder Eventtickets. So haben die BotschafterInnen im Rahmen der Dyson-Kampagne für ihre Posts einen kabellosen Staubsauger im Wert von rund 600 Franken erhalten.
Dabei ist Micro-Influencing im Vergleich zu TV-Spots und Werbeplakaten verhältnismässig günstig. «Ähnliche organische Reichweiten wie beim Micro-Influencing erreichen wir praktisch nirgendwo sonst», sagt Ceccato. Mit der organischen Reichweite ist die Anzahl der NutzerInnen gemeint, die ein Beitrag erreicht, ohne dass dafür bezahlt wird. Dies im Gegensatz zur Reichweite klassischer Online-Werbung, für welche Geld investiert werden muss, damit sie prominent auf einer Internetplattform erscheint. Ein weiterer Pluspunkt für die Unternehmen ist, dass mittels Influencer-Marketing die Werbeblocker, die unterdessen die meisten BenutzerInnen installiert haben, umgangen werden können.
Auftrieb verschaffte dem Micro-Influencing auch die starke Kritik an den grossen Influencern. «Viele Menschen auf Social Media haben versucht, ihr Profil zu monetarisieren und jeden Tag etwas anderes beworben», sagt Ceccato. «Das kratzt an der Glaubwürdigkeit und Authentizität». Auf privaten Profilen dürften Inhalte nicht zu offensichtlich als Werbung daherkommen.
Hinzu kommt, dass die Auftraggeber ihre Influencer vielfach nach der Anzahl der Follower auswählen. Das hat dazu geführt, dass sich Influencer gefälschte Follower kaufen oder sogenannte Bots einsetzen, die vorgeben, Personen zu folgen, in der Hoffnung, dass diese einem zurückfolgen.
Mehr Likes und Kommentare
Im Fall von Influencer-Marketing ist mehr aber nicht immer besser. Eine Studie des amerikanischen Marketingunternehmens Markerly zeigt, dass Personen mit einer kleineren Anzahl Follower im Verhältnis eine höhere Anzahl an Kommentaren und Likes erhalten. Influencer mit weniger als 1’000 Followern hatten eine sogenannte Engagement-Rate – Anzahl Fans, die auf einen Beitrag reagieren – von acht Prozent, jene mit bis zu 100’000 Followern nur noch eine Rate von 2,4 Prozent.
PRfact arbeitet im Micro-Influencing unter anderem mit Bloggern und Lokalprominenz zusammen. Ihr Spezialgebiet ist die Rekrutierung von Micro-Influencern aus der bestehenden KundInnen- und MitarbeiterInnendatenbank eines Unternehmens. «Mitarbeitende und bestehende Kunden sind die wichtigsten Beeinflusser, da sie sich schon mit der Marke identifizieren», so Ceccato.
Ceccato prognostiziert, dass das Influencer-Marketing künftig noch stärker wachsen wird: «Momentan findet eine Professionalisierung statt, sowohl bei den Influencern selber als auch auf der Auftraggeberseite.» AuftraggeberInnen seien an einer längerfristigen Zusammenarbeit interessiert und würden Influencer immer öfters bereits in der Konzeptionsphase miteinbeziehen. So will man auch Patzer von Influencern aus der Vergangenheit vermeiden.
Wichtig ist laut Ceccato deshalb, Micro-Influencer nicht auf eine «Content-Sharing-Funktion» zu reduzieren: «Micro-Influencer dürfen sich nicht als Werbesäulen fühlen.» PRfact betreibt im Marketingjargon ausgedrückt «Social-Customer-Relationship-Management». Was auf Deutsch bedeutet, enge Beziehungen zu den Influencern zu pflegen. PRfact schreibt ihre Micro-Influencer deshalb immer persönlich an. Das geht automatisch mit der Software Social Seeder. Diese wertet zudem aus, was die Influencer auf welchem Kanal geteilt haben und wie viele NutzerInnen gesamthaft erreicht wurden. Das Programm kann gar die Klicks bis auf die Website des werbenden Unternehmens verfolgen.
Wenn eine Kampagne einmal stockt, setzt PRfact Anreize, um die Werbeaktivitäten wieder ins Rollen zu bringen. Den kleinen BeeinflusserInnen werden zum Beispiel Exklusiv-Promotionen, bestimmte Informationen vorab oder ein Besuch an einem Event angeboten. Dies soll sie dazu bewegen, wieder vermehrt etwas zur Marke zu posten. Weil das Unternehmen die Micro-Influencer meist nicht mit Geld entlohnt, können diese nämlich zu keiner Aktivität gezwungen werden.
Grenzen zwischen Inhalt und Werbung lösen sich auf
Micro-Influencer haben inzwischen auch die Möglichkeit, die Werbeinhalte über private Nachrichten-Apps wie Whatsapp zu teilen. «Es geht je länger je mehr darum, persönlich zu kommunizieren», sagt Ceccato. Dabei wird die Abgrenzung zwischen normalen Beiträgen und Werbung künftig immer schwieriger: «Wir befinden uns in einer Gesellschaft, in der sich Grenzen zwischen Inhalt und Werbung auflösen. Man kann gar nicht mehr klar definieren, was Werbung ist und was nicht.»
Müssen wir in Zukunft ständig Angst davor haben, von FreundInnen und Bekannten durch Werbung subtil beeinflusst zu werden? Unwahrscheinlich, findet Ceccato. Nur wenige Personen könnten oder wollten Influencer werden. Zudem wisse jeder Influencer selber am besten, was in seiner Community gut ankommt und wolle sich vor dieser auch nicht lächerlich machen. Transparenz sei aber trotzdem ratsam. PRfact habe deshalb ihren BeeinflusserInnen nahegelegt, ihre Funktion als MarkenbotschafterIn mit einem Post zu deklarieren.
Rechtlich befindet sich das Micro-Influencer-Marketing in einem Graubereich: Im Gegensatz zur Werbetätigkeit von Macro-Influencern, die bezahlte Beiträge auf vielen sozialen Plattformen transparent machen müssen, gibt es für die kleinen BeeinflusserInnen noch keine klare Regelung. Während etwa in Deutschland eine Kennzeichnungspflicht für Macro-Influencer besteht, gibt es in der Schweiz weder für das Macro- noch für das Micro-Influencing ein solches Gesetz. In einem Rechtsfall wäre die Wahrscheinlichkeit laut Ceccato aber hoch, dass die Rechtsprechung zugunsten des klagenden Followers ausfallen würde. Er vermutet deshalb, dass eine Kennzeichnung bald obligatorisch wird. «Ich gehe aber davon aus, dass die Community nicht-gekennzeichnete Werbung als solche erkennt.»
«Ich gehe aber davon aus, dass die Community nicht-gekennzeichnete Werbung als solche erkennt.»
Anderer Meinung ist Andreas Fahr, Professor für empirische Kommunikationsforschung an der Universität Freiburg. Er findet es aus «wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und ethischer Perspektive» problematisch, dass Werbung möglicherweise nicht als solche erkannt wird. «Werbung gehört nicht in den redaktionellen Teil eines ‹journalistischen Produkts›, ohne dass darauf hingewiesen wird», so Fahr. Beiträge auf sozialen Netzwerken sollten sich an die gleichen Regeln halten wie der Print-Journalismus, der zwischen Nachricht und Meinung trennt, oder das Fernsehen, das zwischen Werbung und Programm unterscheidet.
Fahr macht zusätzlich auf ein weiteres Problem aufmerksam: Gemeinhin wird angenommen, dass die Glaubwürdigkeit der Influencer stark leidet, sobald klar wird, dass sie für ihre geteilten Inhalte bezahlt werden. Entgegen dieser Annahme beurteilen wir den Influencer jedoch trotz des Wissens um seine Käuflichkeit nicht als wesentlich weniger glaubwürdig. Diese sogenannte Glaubwürdigkeitsdiskontierung ist laut Fahr «erstaunlich oder erschreckend» gering.
Vertrautheit stärker als Korruptionsverdacht
Als Beispiel zieht Fahr einen Vergleich zu Donald Trump. Zwar kenne jeder dessen Eigenschaften, Fähigkeiten und Haltungen, die Unterstützung für ihn bleibe aber trotzdem bestehen oder nehme sogar zu. «Nur auf Glaubwürdigkeit zu starren, verdeckt viele Variablen im Persuasionsprozess», erklärt Fahr. Gerade in Entscheidungssituationen mit niedrigen psychologischen, sozialen oder auch materiellen Kosten und im Rahmen einer eher oberflächlichen Mediennutzung spiele die Attraktivität und Vertrautheit des Kommunikators eine grössere Rolle als der mögliche Korruptionsverdacht.
Fahrs Aussagen lassen sich teilweise auch am Beispiel von Fabio Truffer illustrieren. Truffer hatte am Anfang Zweifel, ob er auf seinem privaten Facebook-Profil Werbung für ein Produkt machen sollte. «Jetzt im Nachhinein kann ich aber sagen, dass die Zweifel vollkommen unbegründet waren. Es hat mich weder ein Kollege noch ein Bekannter darauf aufmerksam gemacht, dass er diese Posts als nicht sinnvoll oder unnötig erachtet», so Truffer. Manche hätten ihn sogar auf das Produkt angesprochen und seien mittlerweile selbst überzeugt davon. Trauffer postet also weiterhin für Dyson.
18. Dezember 2017: «Unabhängigkeit mal anders. Fühl dich frei und lass dir nicht von einem Kabel deine Unabhängigkeit rauben!»