Zwei Verantwortungen und eine Uniform
Geplante Antifa-Demonstration in Bern: Vom Gemeinderat nicht toleriert, von der Kantonspolizei verhindert. (Foto: Luca Hubschmied)
Fast zehn Jahre ist es her, dass die Stadtpolizei Bern in die kantonale Einheitspolizei integriert wurde. Ein Rückblick zeigt, dass sich viele der beanstandeten Kritikpunkte bewahrheitet haben. Die Stadt hat die Kontrolle über Polizeieinsätze stark abgegeben.
«Die Polizei im Kanton Bern – für alle derselbe, erkennbare Freund und Helfer»: Mit der so betitelten Motion von Werner Lüthi (SVP) und Brigitte Bolli Jost (FDP) begann im Grossen Rat des Kantons Bern 2003 eine folgenreiche Entwicklung. Die Motion beauftragte den Regierungsrat, Schritte einzuleiten, damit der Kanton Bern in Zukunft nur noch eine einzige uniformierte Polizei hat. Es folgten einige Jahre politischer und juristischer Arbeit, die darin mündeten, dass die Stimmberichtigten des Kantons Bern am 11. März 2007 mit fast 80 Prozent Ja-Stimmen das revidierte kantonale Polizeigesetz annahmen. Dies war die Geburtsstunde der kantonalen Einheitspolizei Police Bern. Die Stadt Bern, die bis zu diesem Zeitpunkt über ein Polizeikorps von etwa 640 Personen verfügte, gab die gerichtspolizeilichen Aufgaben an den Kanton ab, die Stadtpolizei Bern wurde aufgelöst. Die Gemeinden Thun, Spiez, Steffisburg, Lyss, Interlaken und Saanen hatten ihre Gemeindepolizeikorps zuvor bereits aus eigener Initiative in die Kantonspolizei Bern integriert.
«Ein konkretes Mitspracherecht bei Einsätzen existiert nicht»
Geteilte Verantwortung
Die Auflösung der eigenen Polizei zog für die Stadt Bern Konsequenzen nach sich, die bereits bei der Abstimmung 2007 hauptsächlich von linker Seite kritisiert wurden. Mit dem revidierten Gesetz blieb die politische Verantwortung über Polizeieinsätze bei der Stadt, genauer dem Gemeinderat, die operative Verantwortung für diese übernimmt seither aber die kantonale Polizei- und Militärdirektion (POM) mit ihrem Direktor Hans-Jürg Käser. Die Stadt Bern hat, wie viele andere Gemeinden, einen Ressourcenvertrag mit der Kantonspolizei und kauft so Leistungen bei dieser ein. Sie kann Einsatzschwerpunkte und Rahmenbedingungen formulieren, ein konkretes Mitspracherecht bei Einsätzen existiert aber nicht. Diese zweigeteilte Verantwortung wurde unter anderem vom damaligen Berner Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät als unbefriedigend bewertet. Gegenüber dem «Bund» sagte er 2013: «Solange Kantonspolizei und Politik sich über das Vorgehen im normalen Tagesgeschäft einig sind, ist die geteilte Verantwortung kein Problem. Herrscht aber Dissens über die Lagebeurteilung und misslingt ein Einsatz, dann endet dies in gegenseitigen Vorwürfen und führt zu einem Vertrauensverlust in der Bevölkerung.» In gewohnt provokativer Manier forderte Tschäppät gar, auch die politische Verantwortung dem Kanton zu übergeben, damit die Zuständigkeiten eindeutig seien. Eine Idee, die der Stadt Bern das letzte Mitspracherecht über Polizeieinsätze auf ihrem Boden rauben würde.
Kaum operativer Einfluss
Von derartigen Aussagen distanziert sich der heutige Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) nun gegenüber der bärner studizytig: «Es gibt Vor- und Nachteile der Polizeizusammenführung. An dieser Ausgangslage hat sich nicht viel geändert.» Vorher habe man bei der Verbrechensbekämpfung Schnittstellen zwischen Stapo und Kapo gehabt, diese seien nun durch eine neue Schnittstelle zwischen Gemeinde und Kanton ersetzt worden. «Das kann theoretisch Probleme schaffen, muss aber nicht. Es geht darum, wie man in der Praxis zusammenarbeitet», so von Graffenried. Dies funktioniere meistens gut, auch wenn es Gegenbeispiele gebe. So etwa die Räumung des besetzten Hauses an der Effingerstrasse im Februar dieses Jahres. «Damals hat der Eigentümer des Gebäudes bei der Kantonspolizei die Räumung verlangt, worauf wir zwar über einen bevorstehenden Einsatz informiert wurden, doch hatte die Stadt in dieser Situation keine Ahnung, wann und in welcher Form dieser stattfindet. Bei der Stadtpolizei hätten wir konkret Einfluss nehmen können.» In solchen Fällen wünsche man sich schon die Möglichkeit, Polizeieinsätze auch operativ steuern zu können, erklärt von Graffenried.
Diffuse Rolle von Reto Nause
Wenn heutzutage in der Stadt Bern eine Demonstration ansteht, entscheidet der Gemeinderat darüber, ob diese toleriert wird, insbesondere wenn keine Bewilligung vorliegt. Die operative Durchführung des Einsatzes obliegt dann dem Kanton. Exemplarisch zeigte sich dies anhand der zwei geplanten Antifa-Demonstrationen im Oktober. Den politischen Entscheid, diese nicht zuzulassen, fällte der Gemeinderat in Absprache mit den Verantwortlichen von «Police Bern», welche aufgrund ihrer Sicherheitseinschätzung das notwendige Dispositiv bereitstellten, in diesem Falle mehrere Hundertschaften von Uniformierten. Solange sich Gemeinderat und Polizei in ihrer Beurteilung einig sind und die entsprechenden Einsätze zufriedenstellend ablaufen, wird die geteilte Verantwortung kaum gross zur Diskussion stehen. Das «Schwarze Peter»-Spiel beginnt erst im Nachhinein.
In diesem Graben gefangen ist der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause. Die Schaffung der Einheitspolizei überlässt ihm in diesem Bereich nur wenige Kompetenzen, gerne ist er jedoch medial präsent, wenn Einsätze der Polizei in der Kritik stehen. Von der «Berner Zeitung» einst als «oberster Schmierlatz» bezeichnet, scheint er sich in dieser Rolle irgendwie doch wohl zu fühlen, obwohl er operativ kaum Mitsprache hat. Die politische Verantwortung für solche Einsätze zu übernehmen, scheint ihm hingegen fremd. Seine Rolle bleibt diffus, ebenso die Antwort auf die Frage, weshalb das heikle Polizeidossier im links-grün dominierten Gemeinderat diskussionslos in der Hand des Hardliners Nause bleibt.
Wenig Beschwerdemöglichkeiten
Einer, der sich seit langem kritisch mit Polizeiarbeit auseinandersetzt ist Tom Locher, Mitglied der Alternativen Linken und der unabhängigen Menschenrechtsorganisation «augenauf Bern». Er kritisierte die Abschaffung der eigenständigen Stadtpolizei Bern bereits 2007 und sagt auch heute noch: «Die Stadt Bern hat die demokratische Kontrolle über die Polizei praktisch gänzlich abgegeben. Zudem ist die Entfremdung zwischen Bevölkerung und Polizei stärker geworden.» Mit der Einführung der Einheitspolizei hat sich auch die Situation für Betroffene von Polizeigewalt deutlich verschlechtert. Um Anschuldigungen gegen die Polizei zu erheben, stehen nur wenige Möglichkeiten offen. Eine davon ist das Einreichen einer «aufsichtsrechtlichen Anzeige», um die Handlung einer Verwaltungsstelle, also der Polizei, direkt bei dieser zu beanstanden. Das Beantworten dieser Anzeige ist meist jedoch nicht mehr als ein informeller Akt, eine simple schriftliche Antwort genügt. «Wer Spass daran hat, kann gerne eine solche schreiben, nur führt das im Normalfall zu nichts. Und eine Strafanzeige gegen fehlbare BeamtInnen führt meist zu einer Gegenanzeige durch die Polizei gegen die betroffene Person», so Locher.
Zu Zeiten der Stadtpolizei Bern gab es noch die Möglichkeit, bei der städtischen Ombudsstelle eine Beschwerde einzureichen. Die Polizei musste dieser gegenüber Auskunft geben, die Ombudsstelle schloss die Untersuchung mit einem Bericht und gegebenenfalls mit einer Empfehlung an die Behörden ab. Seit die Stadtpolizei in die Kantonspolizei integriert wurde, fällt diese Möglichkeit weg. Die städtische Ombudsstelle hat gegenüber Police Bern kaum Handlungsmöglichkeiten und eine kantonale Ombudsstelle existiert nicht. Auch im neuen Polizeigesetz, über das der Grosse Rat aktuell berät, ist die Schaffung einer solchen nicht vorgesehen.
«Die Einheitspolizei Police Bern ist nur dem bürgerlich dominierten Grossen Rat Rechenschaft schuldig.»
Quittungssystem versandet?
Für die Aufdeckung von Missständen oder Fehlverhalten der Polizei ist auf kantonaler Ebene die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Grossen Rates zuständig. Diese kann von sich aus aktiv werden, tut dies aber eher selten. Sinnbildlich hierzu steht die Aussage von GPK-Mitglied Fritz Ruchti (SVP), der darauf angesprochen gegenüber dem «Bund» erklärte, die Polizeiarbeit werde immer schwieriger. «Ich kann persönlich gut verstehen, dass manchmal nicht alles gesetzeskonform abläuft», so Ruchti.
«Zu Zeiten der Stadtpolizei konnte bei Missständen schneller interveniert werden», erklärt Locher, «einerseits auf informellem Level, andererseits konnte auch der Stadtrat Einfluss nehmen, da sich die Polizei diesem gegenüber rechtfertigen musste.» Auch Tom Locher fordert, die Ombudsstelle der Stadt Bern wieder mit Kompetenzen gegenüber der Polizei auszustatten, ähnlich wie dies heute etwa in Zürich der Fall ist, wo noch eine Stadtpolizei existiert: «Die Ombudsfrau der Stadt Zürich dokumentiert beispielsweise systematisch Fälle von Racial Profiling. In Bern ist das nicht möglich.»
Zur Bekämpfung von Racial Profiling beschloss der Berner Stadtrat im Februar dieses Jahres die Einführung eines Quittungssystems. «Die Kantonspolizei tut sich aber sehr schwer mit dessen Umsetzung und spielt auf Zeit, bis das Anliegen versandet. Mit einer eigenen Stadtpolizei könnte dieser Wunsch viel einfacher realisiert werden», so Locher.
Viel Resignation und kaum Besserung in Sicht
Mit der Annahme des revidierten Polizeigesetzes im März vor zehn Jahren hat sich die Stadt Bern davon verabschiedet, die volle Kontrolle über eine eigene Polizei zu behalten. Stattdessen tritt in der Bundesstadt eine Polizei auf, die Regierungsrat Käser und Polizeikommandanten Blättler unterstellt ist. Käser als Präsident der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) und Blättler als Präsident der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS) sind auf nationaler Ebene stark präsent und von nationaler Politik beeinflusst. Der Berner Stadtrat hingegen hat an Einwirkungsmöglichkeiten verloren, die Einheitspolizei Police Bern ist nur dem bürgerlich dominierten Grossen Rat Rechenschaft schuldig. Dass auf dieser kantonalen Ebene weniger Interesse an der kritischen Aufklärung von Polizeieinsätzen gegen linke «Chaoten» in der Bundesstadt besteht, scheint einleuchtend. Städtische Besonderheiten zu berücksichtigen, ist in diesem Kontext schwieriger geworden, etwa die Forderung nach Massnahmen gegen Racial Profiling, die Einführung einer City Card oder die Schützenmattproblematik.
Spürbar ist bei vielen die Resignation gegenüber der aktuellen Situation, denn in einem sind sich alle Involvierten einig: Die Einheitspolizei ist ein Faktum, welches in naher Zukunft kaum wird widerrufen werden können.
Aktuell hat die Stadt Bern einen Ressourcenvertrag mit der kantonalen Polizeidirektion, die Kündigungsfrist beträgt zwei Jahre. Vielleicht wäre es an der Zeit, diesen neu auszuhandeln. Dafür bräuchte es aber mehr politischen Mut zur Verantwortung und ein kritisches Umdenken hinsichtlich der Rolle der Polizei. Anfang nächsten Jahres wird der Grosse Rat wieder über ein neues Polizeigesetz beraten, Verbesserungen für die angesprochenen Problematiken beinhaltet jedoch auch dieses nicht.